Christa Reuch
Mitglied
9. Dezember
Sabrinas Mutter hatte verschlafen und ausgerechnet heute hatte Sabrina vergessen, ihren eigenen Wecker zu stellen. Sie zog sich in Windeseile an, schnappte sich ein Brot, welches sie unterwegs essen würde, nahm ihre Schultasche und flitzte los. Hanna war enttäuscht, als ihre Freundin ihr erzählte, dass sie so spät dran gewesen sei, dass sie keine Zeit gehabt hatte, das nächste Türchen zu öffnen. Sabrina musste ihr versprechen, sie sofort anzurufen, wenn sie dies nachgeholt hatte.
Quälend langsam verstrich der Vormittag. Als der Schulgong endlich das Ende des Unterrichts verkündete, liefen die Mädchen sofort in Richtung Ausgang.
»Weißt du was?«, meinte Hanna, »Ich komme gleich mit zu dir. Es ist ja nur ein kleiner Umweg. Einverstanden?« Sabrina nickte erfreut.
Pech für die beiden, dass Hannas Mutter ausgerechnet heute beschlossen hatte, ihre Tochter mit dem Auto abzuholen. Sie war gerade auf dem Heimweg und wollte ihrer Tochter einen Gefallen tun. Wenn die wüsste, dachte Sabrina und musste grinsen. Schlecht gelaunt stieg Hanna ins Auto.
Sabrina eilte also alleine nach Hause, stürmte sofort in ihr Zimmer, und noch bevor sie Schuhe und Jacke ausgezogen hatte, öffnete sie die neunte Tür. Heraus purzelte eine winzige Schriftrolle. Selbst mit einer Lupe konnte Sabrina die kleinen Buchstaben nicht entziffern, bis auf die Initialen auf dem Siegel in der unteren rechten Ecke.
»J. M.«, entzifferte Sabrina und runzelte die Stirn.
Was sollte das denn nun schon wieder? Sabrina konnte sich absolut keinen Reim darauf machen, rief aber wie versprochen, gleich ihre Freundin an. Sie verabredeten sich für vierzehn Uhr dreißig vor dem Schreibwarenladen. Vielleicht waren sie dann schlauer.
Pünktlich um halb drei trafen sich beide Mädchen vor dem Geschäft. Sabrina hatte eine Tasche um die Schulter hängen.
»Was schleppst denn du mit dir herum?«, wollte Hanna wissen.
»Ich dachte«, antwortete Sabrina verlegen, »ich zeige Herrn Baltasar einmal den Kalender. Vielleicht erkennt er ja den Laden. Ich weiß es noch nicht genau. Jetzt gehen wir erst einmal rein.« Mit diesen Worten drückte sie die Türe auf, und die Mädchen traten ein.
Die Türglocke bimmelte laut und vernehmlich, bis die Türe langsam ins Schloss fiel.
»Womit kann ich dienen?«, sagte eine jugendliche Stimme, die auf keinen Fall Herrn Baltasar gehören konnte. Die Freundinnen reckten die Köpfe, konnten jedoch niemanden sehen.
»Wir, äh, also wir würden gerne Herrn Baltasar sprechen«, stotterte Hanna herum.
»Mein Onkel kommt ungefähr in fünfzehn Minuten wieder«.
»Onkel?«, rutschte es Sabrina neugierig heraus.
»Ja, Herr Baltasar ist mein Onkel, genauer gesagt mein Großonkel. Ich heiße Hendrik.« Ein flachsblonder Haarschopf tauchte hinter der Kasse auf und Sabrina und Hanna konnten endlich erkennen, zu wem die Stimme gehörte. Ein ziemlich großer, schlaksiger Junge von ungefähr dreizehn Jahren, also ein Jahr älter als Sabrina und Hanna, grinste die Mädchen verlegen an. Bevor die Mädchen sich ihrerseits vorstellen konnten, kehrte Herr Baltasar zurück. Er schlurfte schweren Schrittes und mit hängenden Schultern in den Laden.
»Geht es Ihnen nicht gut?«, erkundigte sich Sabrina besorgt.
»Oh, hallo Sabrina, hallo Hanna«, sagte Herr Baltasar leise und ein müdes Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Die Freundinnen sahen sich erstaunt an. Woher wusste er denn ihre Namen?
»Mir geht es gut!«, schwindelte er, doch dann schüttelte er den Kopf. »Nein, das stimmt gar nicht! Ich habe gerade erfahren, dass ich den Laden schließen muss.«
»Was?«, rief Hendrik verblüfft, »aber der Laden gehört dir doch!«
»Ja, das dachte ich auch«, entgegnete sein Onkel bitter, »aber die ganzen Häuser hier in der Umgebung gehören der Familie Marberg und ich hatte heute Vormittag einen Anruf von Herrn Marberg, dass es keinen Vertrag gäbe, der beweist, dass der Laden wirklich unserer Familie überschrieben wurde. Ich komme gerade aus der Wohnung. Ich habe überall nachgesehen. Der Vertrag ist nicht auffindbar.« Er zuckte traurig mit den Schultern. Dann schaute er die Mädchen an.
»Tut mir leid, das interessiert euch wahrscheinlich gar nicht. Womit kann ich euch helfen?« Die Freundinnen blickten sich an, dann antwortete Sabrina:
»Das ist nicht so wichtig, Sie haben jetzt dringendere Probleme zu lösen. Wir kommen ein anderes Mal wieder. Auf Wiedersehen Herr Baltasar! Tschüss Hendrik!« Damit drehten die beiden sich um und verließen den Laden.
Draußen vor der Türe sprudelte Sabrina los:
»Die kleine Schriftrolle! Das könnte der Vertrag sein, oder?«
»Du denkst«, meinte Hanna nachdenklich, »es geht darum, Herrn Baltasar zu helfen seinen Laden zu behalten?«
»Wäre doch möglich!“, nickte Sabrina eifrig. Sie holte den Adventskalender aus der Tasche und betrachtete die bereits geöffneten Türchen. »Sieh mal! Das Haus hinter dem siebten Türchen. Das könnte dieses Haus hier sein.«
Hanna sah nun ebenfalls genau hin und deutete dann auf die Türe mit der Nummer acht.
»Du hast recht! Dann wäre das hier der Herr Baltasar.« Die Mädchen strahlten sich an. Endlich ergab etwas einen Sinn. Gut gelaunt spazierten sie zu Hanna und verzogen sich dort in deren Zimmer.
10. Dezember
Samstag! Eigentlich wollte Sabrina ja ausschlafen, doch die Neugierde trieb sie aus dem Bett. Rasch machte sie das zehnte Türchen auf. Ein Junge! Enttäuscht schaute sie das Bild an, aber je länger sie es betrachtete, desto sicherer war sie, dass sie diesen Jungen kannte. Dann fiel es ihr ein: Natürlich! Gestern im Laden von Herrn Baltasar. Das musste Hendrik sein. Konnte sie jetzt schon bei Hanna anrufen? Ein Blick auf ihren Wecker sagte ihr, dass es dafür noch zu früh sei. Noch nicht einmal acht Uhr! Sie seufzte laut. Da musste sie sich wohl noch etwas gedulden. Wieder starrte sie auf das Bild. Und plötzlich - nein, das gab es nicht. Der Junge winkte ihr zu. Sabrina rieb sich die Augen und sah nochmals hin. Aber sie hatte sich nicht geirrt.
Da sie ohnehin nicht wusste, was sie tun sollte, bis sie telefonieren durfte, schlüpfte sie in ihre Klamotten und beschloss den Abfall wegzubringen. Sie musste es ja heute sowieso erledigen, also warum nicht gleich? Ihre Mutter staunte nicht schlecht, als Sabrina die Taschen mit dem Müll aus dem Keller holte, ihre Stiefel und ihren Anorak, sowie Mütze und Handschuhe anzog, und ohne Motzen los marschierte. Kopfschüttelnd sah sie ihrer Tochter hinterher.
Sabrina warf gerade die letzte Flasche in den Container, da grüßte jemand fröhlich:
»Hallo, Guten Morgen, na auch schon so früh auf?« Erstaunt drehte sie sich um und konnte es kaum glauben. Hendrik stand direkt vor ihr und grinste sie an.
»Und was machst du hier?«, wollte sie wissen.
Er hielt eine Plastiktüte hoch.
»Meine Tante braucht ein paar Dinge. Die habe ich besorgt und jetzt bringe ich sie ihr vorbei.« Sabrina wurde neugierig.
»Und wo wohnt deine Tante?«
»Genau genommen«, erklärte Hendrik bereitwillig, »ist sie meine Großtante, also die Schwester von Onkel Kasimir, von Herrn Baltasar meine ich. Sie wohnt hier in der Straße, Hausnummer 13.«
»Aber das ist doch das Haus von Frau Kroll!«, rief Sabrina erstaunt aus.
»Amalie Kroll!«, nickte Hendrik, »Genau! Das ist meine Tante!«
Eine Weile sahen sie sich verlegen an, dann fragte er:
»Wohnst du eigentlich auch hier?«
Diesmal nickte Sabrina. »Hausnummer 33!«
Hendrik legte den Kopf schief.
»Wir könnten ja ein Stück zusammengehen? Nur wenn du möchtest«, fügte er schnell hinzu. Wieder nickte Sabrina.
»Gerne!«
Einige Minuten später gelangten sie auch schon bei dem Haus mit der Nummer 33 an und verabschiedeten sich. Sabrina drehte den Schlüssel im Schloss um und wollte gerade hineingehen, da kam Hendrik noch einmal zurück gelaufen.
»Hast du heute Nachmittag vielleicht Zeit?«, fragte er schnaufend und ziemlich verlegen.
»Ja, sagen wir so gegen zwei Uhr?«, stimmte Sabrina zu.
»Dann müsstest du aber in den Laden kommen. Onkel Kasimir schließt um zwei Uhr zu und dann helfe ich ihm noch ein bisschen beim Aufräumen.«
»Ich könnte ja auch mithelfen«, schlug Sabrina vor.
»Ja, das wäre nett!« Hendrik lächelte sie an.
»Gut«, sagte Sabrina und erwiderte das Lächeln, »dann bis später!« Sie betrat das Haus, zog ihre Stiefel aus und schnappte sich das Telefon. Sie wählte Hannas Telefonnummer und hatte ihre Freundin auch sofort am Apparat.
Bevor sie ihr jedoch erzählen konnte, welches Bild sich hinter dem zehnten Türchen befand, polterte ihre Freundin los: »Es ist total blöd! Ich habe heute keine Zeit. Meine Oma hat heute Geburtstag und da muss ich mit. Tut mir leid! Ich habe schon versucht, meine Eltern zu überreden, dass ich doch hier bleiben darf, aber es ist zwecklos.« Sie stöhnte so mitleiderregend, dass Sabrina sich ein Lachen verbeißen musste. Dann berichtete sie ihr alles, auch die Verabredung mit Hendrik erwähnte sie.
»Na, dann brauchst du mich ja gar nicht!«, entgegnete Hanna beleidigt. Jetzt seufzte Sabrina. Ihre beste Freundin, konnte manchmal recht anstrengend sein, vor allem, weil sie schnell eingeschnappt war und Sabrina oft gar nicht wusste, weshalb.
»Vielleicht weiß Hendrik irgendetwas, das uns weiterbringt«, meinte sie. »Ich rufe dich dann heute Abend gleich an. Wann kommt ihr denn wieder?«, wollte sie wissen. Aber das konnte Hanna nicht genau sagen und so einigten sie sich darauf, dass Hanna bei Sabrina anrief, sobald sie zu Hause eintraf.
Kurz vor vierzehn Uhr machte sich Sabrina auf den Weg zum Schreibwarenladen. Er war schon abgesperrt, aber Hendrik erwartete sie bereits und ließ sie herein.
»Hallo Sabrina«, begrüßte Herr Baltasar sie freundlich. »Schön, dass du uns besuchst!«
Zunächst füllten sie die Regale auf, dann kehrten sie den Boden.
»Möchtest du vielleicht auch eine heiße Schokolade?«, fragte Herr Baltasar, als sie alles erledigt hatten.
»Sehr gerne«, antwortete sie.
»Gut, dann gehe ich mal hoch!«, erklärte Hendriks Onkel. Hendrik sah sie an.
»Warst du schon mal oben?«
Als Sabrina verneinte, nahm er ihre Hand und zog sie durch einen Vorhang hinter sich her.
»Ich zeige dir das Haus!«
»Meinst du, deinem Onkel ist das recht?« Sabrina blickte ihn zweifelnd an.
Hendrik nickte.
»Ich habe ihn schon vorher gefragt«, verriet er und grinste spitzbübisch.
Während sie die enge Treppe in den ersten Stock hinaufstiegen, fror Sabrina plötzlich. Sie hatte das Gefühl, als wehe hier ein eisiger Wind. Du spinnst, schalt sie sich selbst. Deine Fantasie geht mit dir durch.
Sobald sie die Wohnung betraten, verschwanden diese negativen Empfindungen und neugierig sah sie sich um. Herr Baltasar hatte inzwischen Kakao gekocht und den Tisch in der Küche gedeckt.
»Es gibt zwar auch ein Esszimmer«, meinte er, »aber meistens essen wir hier!« Da Sabrina mit ihren Eltern noch auf einen Christkindlmarkt wollte, verabschiedete sie sich bald und ging nach Hause. Vorher verabredete sie sich jedoch mit Hendrik für den nächsten Tag.
Sabrinas Mutter hatte verschlafen und ausgerechnet heute hatte Sabrina vergessen, ihren eigenen Wecker zu stellen. Sie zog sich in Windeseile an, schnappte sich ein Brot, welches sie unterwegs essen würde, nahm ihre Schultasche und flitzte los. Hanna war enttäuscht, als ihre Freundin ihr erzählte, dass sie so spät dran gewesen sei, dass sie keine Zeit gehabt hatte, das nächste Türchen zu öffnen. Sabrina musste ihr versprechen, sie sofort anzurufen, wenn sie dies nachgeholt hatte.
Quälend langsam verstrich der Vormittag. Als der Schulgong endlich das Ende des Unterrichts verkündete, liefen die Mädchen sofort in Richtung Ausgang.
»Weißt du was?«, meinte Hanna, »Ich komme gleich mit zu dir. Es ist ja nur ein kleiner Umweg. Einverstanden?« Sabrina nickte erfreut.
Pech für die beiden, dass Hannas Mutter ausgerechnet heute beschlossen hatte, ihre Tochter mit dem Auto abzuholen. Sie war gerade auf dem Heimweg und wollte ihrer Tochter einen Gefallen tun. Wenn die wüsste, dachte Sabrina und musste grinsen. Schlecht gelaunt stieg Hanna ins Auto.
Sabrina eilte also alleine nach Hause, stürmte sofort in ihr Zimmer, und noch bevor sie Schuhe und Jacke ausgezogen hatte, öffnete sie die neunte Tür. Heraus purzelte eine winzige Schriftrolle. Selbst mit einer Lupe konnte Sabrina die kleinen Buchstaben nicht entziffern, bis auf die Initialen auf dem Siegel in der unteren rechten Ecke.
»J. M.«, entzifferte Sabrina und runzelte die Stirn.
Was sollte das denn nun schon wieder? Sabrina konnte sich absolut keinen Reim darauf machen, rief aber wie versprochen, gleich ihre Freundin an. Sie verabredeten sich für vierzehn Uhr dreißig vor dem Schreibwarenladen. Vielleicht waren sie dann schlauer.
Pünktlich um halb drei trafen sich beide Mädchen vor dem Geschäft. Sabrina hatte eine Tasche um die Schulter hängen.
»Was schleppst denn du mit dir herum?«, wollte Hanna wissen.
»Ich dachte«, antwortete Sabrina verlegen, »ich zeige Herrn Baltasar einmal den Kalender. Vielleicht erkennt er ja den Laden. Ich weiß es noch nicht genau. Jetzt gehen wir erst einmal rein.« Mit diesen Worten drückte sie die Türe auf, und die Mädchen traten ein.
Die Türglocke bimmelte laut und vernehmlich, bis die Türe langsam ins Schloss fiel.
»Womit kann ich dienen?«, sagte eine jugendliche Stimme, die auf keinen Fall Herrn Baltasar gehören konnte. Die Freundinnen reckten die Köpfe, konnten jedoch niemanden sehen.
»Wir, äh, also wir würden gerne Herrn Baltasar sprechen«, stotterte Hanna herum.
»Mein Onkel kommt ungefähr in fünfzehn Minuten wieder«.
»Onkel?«, rutschte es Sabrina neugierig heraus.
»Ja, Herr Baltasar ist mein Onkel, genauer gesagt mein Großonkel. Ich heiße Hendrik.« Ein flachsblonder Haarschopf tauchte hinter der Kasse auf und Sabrina und Hanna konnten endlich erkennen, zu wem die Stimme gehörte. Ein ziemlich großer, schlaksiger Junge von ungefähr dreizehn Jahren, also ein Jahr älter als Sabrina und Hanna, grinste die Mädchen verlegen an. Bevor die Mädchen sich ihrerseits vorstellen konnten, kehrte Herr Baltasar zurück. Er schlurfte schweren Schrittes und mit hängenden Schultern in den Laden.
»Geht es Ihnen nicht gut?«, erkundigte sich Sabrina besorgt.
»Oh, hallo Sabrina, hallo Hanna«, sagte Herr Baltasar leise und ein müdes Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Die Freundinnen sahen sich erstaunt an. Woher wusste er denn ihre Namen?
»Mir geht es gut!«, schwindelte er, doch dann schüttelte er den Kopf. »Nein, das stimmt gar nicht! Ich habe gerade erfahren, dass ich den Laden schließen muss.«
»Was?«, rief Hendrik verblüfft, »aber der Laden gehört dir doch!«
»Ja, das dachte ich auch«, entgegnete sein Onkel bitter, »aber die ganzen Häuser hier in der Umgebung gehören der Familie Marberg und ich hatte heute Vormittag einen Anruf von Herrn Marberg, dass es keinen Vertrag gäbe, der beweist, dass der Laden wirklich unserer Familie überschrieben wurde. Ich komme gerade aus der Wohnung. Ich habe überall nachgesehen. Der Vertrag ist nicht auffindbar.« Er zuckte traurig mit den Schultern. Dann schaute er die Mädchen an.
»Tut mir leid, das interessiert euch wahrscheinlich gar nicht. Womit kann ich euch helfen?« Die Freundinnen blickten sich an, dann antwortete Sabrina:
»Das ist nicht so wichtig, Sie haben jetzt dringendere Probleme zu lösen. Wir kommen ein anderes Mal wieder. Auf Wiedersehen Herr Baltasar! Tschüss Hendrik!« Damit drehten die beiden sich um und verließen den Laden.
Draußen vor der Türe sprudelte Sabrina los:
»Die kleine Schriftrolle! Das könnte der Vertrag sein, oder?«
»Du denkst«, meinte Hanna nachdenklich, »es geht darum, Herrn Baltasar zu helfen seinen Laden zu behalten?«
»Wäre doch möglich!“, nickte Sabrina eifrig. Sie holte den Adventskalender aus der Tasche und betrachtete die bereits geöffneten Türchen. »Sieh mal! Das Haus hinter dem siebten Türchen. Das könnte dieses Haus hier sein.«
Hanna sah nun ebenfalls genau hin und deutete dann auf die Türe mit der Nummer acht.
»Du hast recht! Dann wäre das hier der Herr Baltasar.« Die Mädchen strahlten sich an. Endlich ergab etwas einen Sinn. Gut gelaunt spazierten sie zu Hanna und verzogen sich dort in deren Zimmer.
10. Dezember
Samstag! Eigentlich wollte Sabrina ja ausschlafen, doch die Neugierde trieb sie aus dem Bett. Rasch machte sie das zehnte Türchen auf. Ein Junge! Enttäuscht schaute sie das Bild an, aber je länger sie es betrachtete, desto sicherer war sie, dass sie diesen Jungen kannte. Dann fiel es ihr ein: Natürlich! Gestern im Laden von Herrn Baltasar. Das musste Hendrik sein. Konnte sie jetzt schon bei Hanna anrufen? Ein Blick auf ihren Wecker sagte ihr, dass es dafür noch zu früh sei. Noch nicht einmal acht Uhr! Sie seufzte laut. Da musste sie sich wohl noch etwas gedulden. Wieder starrte sie auf das Bild. Und plötzlich - nein, das gab es nicht. Der Junge winkte ihr zu. Sabrina rieb sich die Augen und sah nochmals hin. Aber sie hatte sich nicht geirrt.
Da sie ohnehin nicht wusste, was sie tun sollte, bis sie telefonieren durfte, schlüpfte sie in ihre Klamotten und beschloss den Abfall wegzubringen. Sie musste es ja heute sowieso erledigen, also warum nicht gleich? Ihre Mutter staunte nicht schlecht, als Sabrina die Taschen mit dem Müll aus dem Keller holte, ihre Stiefel und ihren Anorak, sowie Mütze und Handschuhe anzog, und ohne Motzen los marschierte. Kopfschüttelnd sah sie ihrer Tochter hinterher.
Sabrina warf gerade die letzte Flasche in den Container, da grüßte jemand fröhlich:
»Hallo, Guten Morgen, na auch schon so früh auf?« Erstaunt drehte sie sich um und konnte es kaum glauben. Hendrik stand direkt vor ihr und grinste sie an.
»Und was machst du hier?«, wollte sie wissen.
Er hielt eine Plastiktüte hoch.
»Meine Tante braucht ein paar Dinge. Die habe ich besorgt und jetzt bringe ich sie ihr vorbei.« Sabrina wurde neugierig.
»Und wo wohnt deine Tante?«
»Genau genommen«, erklärte Hendrik bereitwillig, »ist sie meine Großtante, also die Schwester von Onkel Kasimir, von Herrn Baltasar meine ich. Sie wohnt hier in der Straße, Hausnummer 13.«
»Aber das ist doch das Haus von Frau Kroll!«, rief Sabrina erstaunt aus.
»Amalie Kroll!«, nickte Hendrik, »Genau! Das ist meine Tante!«
Eine Weile sahen sie sich verlegen an, dann fragte er:
»Wohnst du eigentlich auch hier?«
Diesmal nickte Sabrina. »Hausnummer 33!«
Hendrik legte den Kopf schief.
»Wir könnten ja ein Stück zusammengehen? Nur wenn du möchtest«, fügte er schnell hinzu. Wieder nickte Sabrina.
»Gerne!«
Einige Minuten später gelangten sie auch schon bei dem Haus mit der Nummer 33 an und verabschiedeten sich. Sabrina drehte den Schlüssel im Schloss um und wollte gerade hineingehen, da kam Hendrik noch einmal zurück gelaufen.
»Hast du heute Nachmittag vielleicht Zeit?«, fragte er schnaufend und ziemlich verlegen.
»Ja, sagen wir so gegen zwei Uhr?«, stimmte Sabrina zu.
»Dann müsstest du aber in den Laden kommen. Onkel Kasimir schließt um zwei Uhr zu und dann helfe ich ihm noch ein bisschen beim Aufräumen.«
»Ich könnte ja auch mithelfen«, schlug Sabrina vor.
»Ja, das wäre nett!« Hendrik lächelte sie an.
»Gut«, sagte Sabrina und erwiderte das Lächeln, »dann bis später!« Sie betrat das Haus, zog ihre Stiefel aus und schnappte sich das Telefon. Sie wählte Hannas Telefonnummer und hatte ihre Freundin auch sofort am Apparat.
Bevor sie ihr jedoch erzählen konnte, welches Bild sich hinter dem zehnten Türchen befand, polterte ihre Freundin los: »Es ist total blöd! Ich habe heute keine Zeit. Meine Oma hat heute Geburtstag und da muss ich mit. Tut mir leid! Ich habe schon versucht, meine Eltern zu überreden, dass ich doch hier bleiben darf, aber es ist zwecklos.« Sie stöhnte so mitleiderregend, dass Sabrina sich ein Lachen verbeißen musste. Dann berichtete sie ihr alles, auch die Verabredung mit Hendrik erwähnte sie.
»Na, dann brauchst du mich ja gar nicht!«, entgegnete Hanna beleidigt. Jetzt seufzte Sabrina. Ihre beste Freundin, konnte manchmal recht anstrengend sein, vor allem, weil sie schnell eingeschnappt war und Sabrina oft gar nicht wusste, weshalb.
»Vielleicht weiß Hendrik irgendetwas, das uns weiterbringt«, meinte sie. »Ich rufe dich dann heute Abend gleich an. Wann kommt ihr denn wieder?«, wollte sie wissen. Aber das konnte Hanna nicht genau sagen und so einigten sie sich darauf, dass Hanna bei Sabrina anrief, sobald sie zu Hause eintraf.
Kurz vor vierzehn Uhr machte sich Sabrina auf den Weg zum Schreibwarenladen. Er war schon abgesperrt, aber Hendrik erwartete sie bereits und ließ sie herein.
»Hallo Sabrina«, begrüßte Herr Baltasar sie freundlich. »Schön, dass du uns besuchst!«
Zunächst füllten sie die Regale auf, dann kehrten sie den Boden.
»Möchtest du vielleicht auch eine heiße Schokolade?«, fragte Herr Baltasar, als sie alles erledigt hatten.
»Sehr gerne«, antwortete sie.
»Gut, dann gehe ich mal hoch!«, erklärte Hendriks Onkel. Hendrik sah sie an.
»Warst du schon mal oben?«
Als Sabrina verneinte, nahm er ihre Hand und zog sie durch einen Vorhang hinter sich her.
»Ich zeige dir das Haus!«
»Meinst du, deinem Onkel ist das recht?« Sabrina blickte ihn zweifelnd an.
Hendrik nickte.
»Ich habe ihn schon vorher gefragt«, verriet er und grinste spitzbübisch.
Während sie die enge Treppe in den ersten Stock hinaufstiegen, fror Sabrina plötzlich. Sie hatte das Gefühl, als wehe hier ein eisiger Wind. Du spinnst, schalt sie sich selbst. Deine Fantasie geht mit dir durch.
Sobald sie die Wohnung betraten, verschwanden diese negativen Empfindungen und neugierig sah sie sich um. Herr Baltasar hatte inzwischen Kakao gekocht und den Tisch in der Küche gedeckt.
»Es gibt zwar auch ein Esszimmer«, meinte er, »aber meistens essen wir hier!« Da Sabrina mit ihren Eltern noch auf einen Christkindlmarkt wollte, verabschiedete sie sich bald und ging nach Hause. Vorher verabredete sie sich jedoch mit Hendrik für den nächsten Tag.