Nach dem Mittagessen schlug Christians Vater eine kleine Radtour in die Heide vor. Er hatte sich von Hille zwei Räder ausgeliehen. Gerade, als der Großvater und Henning mit den beiden Planwagen den Gasthof verließen, um am Bahnhof die Gäste abzuholen, fuhren Christian und der Vater unter den riesigen Eichen hindurch bis zu Birgits Elternhaus.
Ihre Mutter jätete im Vorgarten. Als der Vater sie ansprach, wischte sie sich rasch die Finger sauber an ihrer Schürze und schüttelte ihm kräftig die Hand. Genau wie Birgit sagte auch sie: „das also ist Kris, dein Sohn!“
„Wir wollen Birgit abholen", antwortete Christian.
„Sie muss ihr Zimmer aufräumen", erklärte Frau Schulze knapp.
„Bei dem schönen Wetter?“ fragte der Vater.
"Ja, bist du denn der Meinung, dass ein ordentliches Zimmer vom Wetter abhängt? Was sein muss, muss sein!"
Aber so schnell gab sich der Vater nicht geschlagen. Er bat Birgits Mutter, doch einmal ein Auge zuzudrücken, aber Frau Schulze schüttelte nur den Kopf. Erst als Vater erklärte, dass er bald wieder fort müsse, er aber Birgit noch kennen lernen wollte, stimmte sie zögernd ein.
„Na, ja, meinetwegen, du gibst doch keine Ruhe“, sagte sie zu Vater. Birgit hatte in ihrem Zimmer alles mitgehört und eilte nun strahlend aus dem Haus.
„Aber nur für zwei Stunden!“ rief die Mutter ihr nach. Birgit holte rasch ihr Rad aus dem Schuppen, und als sie ein Stückchen weiter entfernt in den Heideweg einbogen, sagte sie: „Das hätte Hille nicht geschafft, selbst sie hätte mich heute nicht vor dem Aufräumen retten können!"
„Nun“, meinte der Vater und zwinkerte mit den Augen, „die Arbeit ist ja nur aufgeschoben, nicht aufgehoben.“
„Wie Recht du hast", seufzte Birgit.
Der Weg bestand aus festgestampfter Erde und in der Mitte wuchsen Grasbüschel. Sie kamen rasch vorwärts. Einmal fuhr Christian voraus, dann wieder überholte ihn Birgit und manchmal fuhren sie schweigend neben einander her. Der Vater beobachtete sie lächelnd. Dünne Birkenbäume säumten den Weg und spendeten ihnen Schatten. Dann war die kleine Allee zu Ende, Birken und Eichen standen nur noch vereinzelt. Weit vorne, zwischen dunkelgrünen Wacholderbüschen und roten Heidekräutern entdeckte Christian einen hellgrauen, wogenden Teppich mit braunen, schwarzen und weißen Flecken.
"Das ist kein Teppich“, rief Christian erstaunt aus, „da weiden Schafe!“
„Heidschnucken“, verbesserte ihn Birgit, „ich sag dir mal unsern Spruch, den kennt hier jeder:
„In der Lüneburger Heide
gibt es eine große Weide
für Schafe, doch die heißen Schnucken,
weil sie sich nach den Kräutern ducken.“
Die Tiere kamen mit schnellen trippelnden Schritten näher. Mit gesenkten Köpfen knapperten sie im Weitergehen die grünen Spitzen des Heidekrautes ab. Christian nahm sich vor, seinem Freund Stefan von den Schnucken zu erzählen. Der kannte diese Tiere bestimmt nicht. Der Weg wurde immer weicher und sandiger. Die Kinder hatten Mühe, mit dem Rad weiter zu kommen. Als erster stieg Christian ab, dann auch sein Vater. Nur Birgit strampelte noch ein paar Meter. Der Vater schlug vor, erst einmal eine kleine Rast einzulegen. Bald schon saßen sie unter einer Birke, mampften den feinen Streuselkuchen von Frau Kruse und tranken Tee. Bienen summten um ihre Köpfe, bunte Schmetterlinge schwirrten vorbei und Sandkäfer hasteten über den Weg.
„Wir müssen umkehren, der Weg geht nicht weiter“, sagte Birgit. Aber da kannte sie Christians Vater schlecht, der mochte nicht den gleichen Weg zurück fahren. Er meinte, nach dieser köstlichen Mahlzeit hätten alle wieder Kraft, um das Rad noch ein Stück weiter zu schieben. Er war ganz sicher, dass dieser Sandweg bald in einen festen Pfad münden würde. Erschöpft und mit hochroten Gesichtern erreichten sie endlich wieder festen Boden, einen Schotterweg. Noch bevor sie weiter fuhren, entdeckte Birgit die Heidelbeeren, und alle drei pflückten sich die leckeren, saftigen, dunkelblauen Beeren.
Bei Christian und Birgit verschwand Beere um Beere einzeln und sie zeigten zwischendurch immer wieder einmal ihre dunkelblau gefärbte Zunge. Der Vater sammelte sich einige in die Hand und schüttete sie dann in den Mund. Eine riesige Heuschrecke beendete die Beerensuche. Sie war auf Vaters Hand gehüpft und als er sie festhalten wollte, zwickte sie ihn in den Finger. Vater rief: "Das war ein verflixter Warzenbeißer!" Dann schaute er auf seine Uhr, pfiff durch die Finger und sagte, es sei höchste Zeit für die Heimfahrt. Sie schwangen sich auf die Räder, fuhren an unzähligen Bienenständen und Jägerhochsitzen vorbei und steuerten direkt auf die alte Mühle zu. Christian wollte sie unbedingt besichtigen, doch sein Vater gab nicht nach.
„Die zwei Stunden sind längst vorbei, Birgits Mutter wird mir die Ohren lang ziehen!" murmelte er.
Frau Schulze stand schon im Vorgarten, die Hände in die Seiten gestemmt. Deutlich sahen sie die scharfe Falte zwischen ihren Augen. Christians Vater sagte rasch: „Entschuldige bitte, es ist meine Schuld, dass wir so spät kommen!"
Sie bemerkte grollend: „Du warst noch nie pünktlich, ich hätte es wissen müssen!"
Der Vater zwinkerte ihr lächelnd zu und erwiderte, dass er jede Minute mit den Kindern genossen habe und begann von der bevorstehenden Indienreise zu erzählen. Frau Schulze unterbrach ihn kurz. Sie wandte sich an Birgit und befahl ihr, sofort zu duschen und das Abendbrot zu essen. Dann unterhielt sie sich weiter mit Vater und Christian setzte sich auf die Treppe.
Als sie endlich heimfuhren, waren die Kaffeegäste schon längst wieder nach Hause gefahren. Henning scheuchte die Hühner in den Stall, wo sie sich lärmend auf den Sitzstangen nieder ließen. Großvater brachte die Pferde auf die Weide. Hille nebenan versorgte die Enten und Gänse und Frau Kruse besprach mit dem Koch, was es am nächsten Tag als Mittagstisch geben würde.
*
Die Zeit mit dem Vater ging schnell vorbei. Am nächsten Tag, beim letzten Spaziergang, versuchte Christian noch einmal seinen Vater umzustimmen.
„Willst du mich wirklich ganz allein hier lassen?" fragte er.
„Magst du denn deinen Großvater nicht? Und Birgit, Hille, Frau Kruse, Henning, die Schnucken?"
„Ich kenne sie doch kaum!"
Seufzend schloss der Vater die Augen und stöhnte einmal laut auf. Christian sagte rasch: „Schon gut, ich habe verstanden. Birgits Mutter würde sagen, was sein muss, muss sein!"
Der Vater umarmte ihn und murmelte: „Ich bin stolz auf meinen großen, vernünftigen Herzbub!" Danach verabschiedete sich der Vater von Frau Kruse und Henning. Als er nun vor Großvater stand, sagte er:
„Ich reise beruhigt fort, denn ich weiß, mein Bub ist in guten Händen!"
Der Großvater sah dem Vater in die Augen, drückte ihm kräftig die Hand und antwortete: „worauf du dich verlassen kannst!“
Das klang so feierlich, wie ein Versprechen, wie ein Gebet. Der Vater stieg ein, knallte die Tür zu und brauste los.
*
Ihre Mutter jätete im Vorgarten. Als der Vater sie ansprach, wischte sie sich rasch die Finger sauber an ihrer Schürze und schüttelte ihm kräftig die Hand. Genau wie Birgit sagte auch sie: „das also ist Kris, dein Sohn!“
„Wir wollen Birgit abholen", antwortete Christian.
„Sie muss ihr Zimmer aufräumen", erklärte Frau Schulze knapp.
„Bei dem schönen Wetter?“ fragte der Vater.
"Ja, bist du denn der Meinung, dass ein ordentliches Zimmer vom Wetter abhängt? Was sein muss, muss sein!"
Aber so schnell gab sich der Vater nicht geschlagen. Er bat Birgits Mutter, doch einmal ein Auge zuzudrücken, aber Frau Schulze schüttelte nur den Kopf. Erst als Vater erklärte, dass er bald wieder fort müsse, er aber Birgit noch kennen lernen wollte, stimmte sie zögernd ein.
„Na, ja, meinetwegen, du gibst doch keine Ruhe“, sagte sie zu Vater. Birgit hatte in ihrem Zimmer alles mitgehört und eilte nun strahlend aus dem Haus.
„Aber nur für zwei Stunden!“ rief die Mutter ihr nach. Birgit holte rasch ihr Rad aus dem Schuppen, und als sie ein Stückchen weiter entfernt in den Heideweg einbogen, sagte sie: „Das hätte Hille nicht geschafft, selbst sie hätte mich heute nicht vor dem Aufräumen retten können!"
„Nun“, meinte der Vater und zwinkerte mit den Augen, „die Arbeit ist ja nur aufgeschoben, nicht aufgehoben.“
„Wie Recht du hast", seufzte Birgit.
Der Weg bestand aus festgestampfter Erde und in der Mitte wuchsen Grasbüschel. Sie kamen rasch vorwärts. Einmal fuhr Christian voraus, dann wieder überholte ihn Birgit und manchmal fuhren sie schweigend neben einander her. Der Vater beobachtete sie lächelnd. Dünne Birkenbäume säumten den Weg und spendeten ihnen Schatten. Dann war die kleine Allee zu Ende, Birken und Eichen standen nur noch vereinzelt. Weit vorne, zwischen dunkelgrünen Wacholderbüschen und roten Heidekräutern entdeckte Christian einen hellgrauen, wogenden Teppich mit braunen, schwarzen und weißen Flecken.
"Das ist kein Teppich“, rief Christian erstaunt aus, „da weiden Schafe!“
„Heidschnucken“, verbesserte ihn Birgit, „ich sag dir mal unsern Spruch, den kennt hier jeder:
„In der Lüneburger Heide
gibt es eine große Weide
für Schafe, doch die heißen Schnucken,
weil sie sich nach den Kräutern ducken.“
Die Tiere kamen mit schnellen trippelnden Schritten näher. Mit gesenkten Köpfen knapperten sie im Weitergehen die grünen Spitzen des Heidekrautes ab. Christian nahm sich vor, seinem Freund Stefan von den Schnucken zu erzählen. Der kannte diese Tiere bestimmt nicht. Der Weg wurde immer weicher und sandiger. Die Kinder hatten Mühe, mit dem Rad weiter zu kommen. Als erster stieg Christian ab, dann auch sein Vater. Nur Birgit strampelte noch ein paar Meter. Der Vater schlug vor, erst einmal eine kleine Rast einzulegen. Bald schon saßen sie unter einer Birke, mampften den feinen Streuselkuchen von Frau Kruse und tranken Tee. Bienen summten um ihre Köpfe, bunte Schmetterlinge schwirrten vorbei und Sandkäfer hasteten über den Weg.
„Wir müssen umkehren, der Weg geht nicht weiter“, sagte Birgit. Aber da kannte sie Christians Vater schlecht, der mochte nicht den gleichen Weg zurück fahren. Er meinte, nach dieser köstlichen Mahlzeit hätten alle wieder Kraft, um das Rad noch ein Stück weiter zu schieben. Er war ganz sicher, dass dieser Sandweg bald in einen festen Pfad münden würde. Erschöpft und mit hochroten Gesichtern erreichten sie endlich wieder festen Boden, einen Schotterweg. Noch bevor sie weiter fuhren, entdeckte Birgit die Heidelbeeren, und alle drei pflückten sich die leckeren, saftigen, dunkelblauen Beeren.
Bei Christian und Birgit verschwand Beere um Beere einzeln und sie zeigten zwischendurch immer wieder einmal ihre dunkelblau gefärbte Zunge. Der Vater sammelte sich einige in die Hand und schüttete sie dann in den Mund. Eine riesige Heuschrecke beendete die Beerensuche. Sie war auf Vaters Hand gehüpft und als er sie festhalten wollte, zwickte sie ihn in den Finger. Vater rief: "Das war ein verflixter Warzenbeißer!" Dann schaute er auf seine Uhr, pfiff durch die Finger und sagte, es sei höchste Zeit für die Heimfahrt. Sie schwangen sich auf die Räder, fuhren an unzähligen Bienenständen und Jägerhochsitzen vorbei und steuerten direkt auf die alte Mühle zu. Christian wollte sie unbedingt besichtigen, doch sein Vater gab nicht nach.
„Die zwei Stunden sind längst vorbei, Birgits Mutter wird mir die Ohren lang ziehen!" murmelte er.
Frau Schulze stand schon im Vorgarten, die Hände in die Seiten gestemmt. Deutlich sahen sie die scharfe Falte zwischen ihren Augen. Christians Vater sagte rasch: „Entschuldige bitte, es ist meine Schuld, dass wir so spät kommen!"
Sie bemerkte grollend: „Du warst noch nie pünktlich, ich hätte es wissen müssen!"
Der Vater zwinkerte ihr lächelnd zu und erwiderte, dass er jede Minute mit den Kindern genossen habe und begann von der bevorstehenden Indienreise zu erzählen. Frau Schulze unterbrach ihn kurz. Sie wandte sich an Birgit und befahl ihr, sofort zu duschen und das Abendbrot zu essen. Dann unterhielt sie sich weiter mit Vater und Christian setzte sich auf die Treppe.
Als sie endlich heimfuhren, waren die Kaffeegäste schon längst wieder nach Hause gefahren. Henning scheuchte die Hühner in den Stall, wo sie sich lärmend auf den Sitzstangen nieder ließen. Großvater brachte die Pferde auf die Weide. Hille nebenan versorgte die Enten und Gänse und Frau Kruse besprach mit dem Koch, was es am nächsten Tag als Mittagstisch geben würde.
*
Die Zeit mit dem Vater ging schnell vorbei. Am nächsten Tag, beim letzten Spaziergang, versuchte Christian noch einmal seinen Vater umzustimmen.
„Willst du mich wirklich ganz allein hier lassen?" fragte er.
„Magst du denn deinen Großvater nicht? Und Birgit, Hille, Frau Kruse, Henning, die Schnucken?"
„Ich kenne sie doch kaum!"
Seufzend schloss der Vater die Augen und stöhnte einmal laut auf. Christian sagte rasch: „Schon gut, ich habe verstanden. Birgits Mutter würde sagen, was sein muss, muss sein!"
Der Vater umarmte ihn und murmelte: „Ich bin stolz auf meinen großen, vernünftigen Herzbub!" Danach verabschiedete sich der Vater von Frau Kruse und Henning. Als er nun vor Großvater stand, sagte er:
„Ich reise beruhigt fort, denn ich weiß, mein Bub ist in guten Händen!"
Der Großvater sah dem Vater in die Augen, drückte ihm kräftig die Hand und antwortete: „worauf du dich verlassen kannst!“
Das klang so feierlich, wie ein Versprechen, wie ein Gebet. Der Vater stieg ein, knallte die Tür zu und brauste los.
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