Der Unfall
An Simons Taufe war der letzte, sonnige Herbsttag gewesen. Längst schon waren alle Schwalben fortgezogen, längst schon spielten die Kinder mehr drinnen, als draußen, so auch an jenem Donnerstag. Nebel lag in der Luft und hüllte das Dorf in einen grauen, trüben Mantel. Es war ein ganz und gar unfreundlicher Tag. Natürlich nicht für die Kinder! Sie spielten schon mit Florian im Haus und warteten auf David. Sein Vater brachte ihn mit dem Auto und fuhr gleich weiter zur Stadt.
Davids Vater arbeitete die ganze Woche auf dem Bauernhof. Er bewirtschaftete mit Davids Großvater die Äcker und Felder und hatte viel zu tun in den Rebbergen. Doch an jedem Donnerstag fuhr er nachmittags in die Stadt. Er musste Geld abheben oder einzahlen und besorgte auch die Dinge, die man im Dorfladen nicht kaufen konnte, zum Beispiel: Schrauben, Nägel, Windeln für Simon, Tabak für Großvater, Wolle und Medizin für die Großmutter. Für seine Frau und für David brachte er stets eine kleine Überraschung mit. An schönen Tagen benutzte er für die Fahrt sein Motorrad. Heute jedoch war er mit dem Auto unterwegs. Die Kinder winkten ihm nach, bis sie ihn nicht mehr sahen. Danach gingen sie ins Kinderzimmer zum Spielen.
Plötzlich heulte die Sirene eines Polizeiautos. Die Kinder stürzten ans Fenster. Dann hörten sie ein Brummen in der Luft. Nele meinte: „Vielleicht ist das ein Luftschrauber!"
David lachte laut und verbesserte: „Du meinst wohl einen Hubschrauber!"
Inzwischen regnete es stark. Der Nebel hatte sich verzogen, dennoch sahen die Kinder draußen nichts. Andere Geräusche kamen nicht dazu, also spielten sie wieder mit der Eisenbahn. Kaum hatten sie alle Gleise gelegt, läutete die Türglocke. Die Mutter öffnete und die Kinder erkannten sogleich Davids Mutter an der Stimme. Sie liefen ebenfalls zur Tür. Irgendetwas stimmte nicht. Michaels Mutter, die fast nichts aus der Ruhe bringen konnte, murmelte: "Oh, oh!"
Ihr entsetz¬tes Gesicht jagte ihm Angst ein. Davids Mutter hielt sich am Treppengeländer fest und sagte: „Du bleibst bei Michael, bis ich wieder aus der Stadt zurück komme!"
„Aber Papa ist doch schon dort!" sagte David.
Sie antwortete: „Er hatte einen Unfall. Sei brav und bleibe hier. Ich möchte mich nicht auch noch um dich sorgen müssen!"
Aber das hatte David keinesfalls im Sinn. Er umklammerte seine Mutter und verlangte, dass auch er zum Vater mitfahren durfte.
„Das geht nicht, David, ich muss zuerst allein hin!" erklärte seine Mutter. Er hörte nicht auf sie. Er flehte und bettelte, schrie und weinte, stieß Drohungen aus und beschimpfte sie. Er ließ sie einfach nicht los. Sie versuchte ihn zu beruhigen und versprach ihm, gleich anzurufen, wenn sie den Vater gesehen hatte. Alles umsonst. Seine Mutter wurde nun zornig. Sie löste heftig seine Arme, stürzte ins Auto und fuhr rasch davon.
David rannte hinterher, schrie und warf dabei die Arme hoch. Als er merkte, dass sie ihn auf keinen Fall mitnehmen würde, ließ er sich mitten auf der regennassen Straße fallen. Michael, Nele und Florian liefen zu ihm.
„Haut ab", schluchzte er, „ich will euch nicht mehr sehen!"
Sie blieben. Er stieß mit dem Fuß nach ihnen und Nele sagte:
„Du wirst ganz schmutzig und nass!"
„Ist mir egal“, heulte er, „verschwindet!"
„David, wenn nachher deine Mutter aus dem Krankenhaus anruft, erfährst du nichts von deinem Papa!“ sagte Michaels und Neles Mutter, die nun auch bei den Kindern stand.
„Wir gehen ins Haus und wenn du dich besser fühlst, kommst du wieder, die Haustür bleibt solange angelehnt!"
Sie bat die drei mit zu kommen, und David blieb liegen. Michael erkundigte sich nach dem Unfall, doch sie wusste nichts Genaues. Bald darauf knallte die Haustür zu, David war wieder da und alle atmeten erleichtert auf.
Er war von Kopf bis Fuß nass und seine Tränen hatten weiße Linien auf seinem schmutzigen Gesicht hinterlassen. Michael bot ihm trockene Sachen an, doch er schüttelte nur den Kopf.
Die Mutter sagte: „Ich fürchte, Neles Röcke passen dir nicht. Das sah David ein, er grinste sogar kurz.
Wortlos reichte sie ihm trockene Kleider von Michael und als er sich umgezogen hatte, setzte er sich neben das Telefon im Flur. Die anderen forderten ihn zum Spielen auf.
„Jetzt nicht“, sagte er, „ich warte auf den Anruf!“ Endlich läutete das Telefon. David nahm den Hörer ab, legte ihn gleich wieder auf. „Das war nicht meine Mama“, sagte er.
„David, das nächste Mal nehme ich das Gespräch entgegen. Es könnte sein, dass auch ich einen wichtigen Anruf erhalte!" Die Mutter sagte das sehr ruhig und bestimmt. David nickte und ging wieder ins Kinderzimmer. Sie bauten zusammen den Bahnhof für die Eisenbahn, doch David stieß mit dem Fuß dagegen und der schöne Bahnhof stürzte ein.
„Ihr macht alles kaputt!" schimpfte er. Nele erinnerte ihn daran, dass sein Fuß die Bausteine umgestoßen hatte.
„Immer ich!" maulte er.
Dann lief David wieder zum Telefon, ging unruhig im Flur auf und ab, kam wieder herein und ein neuer Streit begann, dieses Mal mit Florian. Die Kinder waren froh, als nach einer Stunde Davids Mutter anrief. Sie sprach zuerst mit Michaels Mutter, David zupfte ungeduldig an ihrem Ärmel. Endlich bekam er den Hörer in die Hand. Er sprach lange mit seiner Mutter und als er wieder zu den Kindern kam, war er wie früher, ein guter Spielkamerad.
„Papa ist verletzt, aber er wird wieder gesund!" verkündete er. Michael erkundigte sich noch einmal nach dem Unfall und wollte wissen, was mit Davids Vater passiert war.
Seine Mutter sagte: „Zwischen dem Dorf und der Stadt ist die Straße, wie ihr wisst, kurvenreich und eng. Das Unglück passierte gleich in der ersten Kurve. Herr Wagner stieß mit einem anderen Autofahrer zusammen, weil dieser viel zu schnell gefahren ist und deshalb auf die Fahrbahn von Herrn Wagner geschleudert wurde."
„Ist der andere auch im Krankenhaus?" wollte Florian wissen.
„Nein“, sagte sie, „er war sofort tot!"
„Mein Vater ist nicht tot und er stirbt auch nicht, das hat meine Mama gesagt!" rief David.
„Dein Vater ist schwer verletzt. Er hat eine schlimme Wunde am Kopf, beide Beine und ein Arm sind gebrochen“, sagte Michaels Mutter.
„Muss Herr Wagner sterben?" fragte Nele. Die Mutter antwortete: "Ich glaube nicht. Viele Ärzte kümmern sich um ihn. Es wird lange dauern, bis er wieder gesund ist!"
„Sag, dass er nicht stirbt!" verlangte David. Doch da schüttelte sie den Kopf. „So etwas kann dir kein Mensch versprechen. Aber ich weiß, dass alles, was nur möglich ist, für deinen Vater getan wird."
„Mama, sag doch einfach, dass er nicht stirbt, dann ist David zufrieden“, bat Michael. David nickte heftig, Michaels Mutter schüttelte den Kopf. „Ich kann euch nichts anderes berichten, sagte sie.
Damit war David nicht einverstanden. „Ich gehe heim, bei dir bleibe ich nicht!" schimpfte er und stapfte Türe schmetternd aus dem Haus.
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Das nächste Mal erzählt Florian eine Geschichte
An Simons Taufe war der letzte, sonnige Herbsttag gewesen. Längst schon waren alle Schwalben fortgezogen, längst schon spielten die Kinder mehr drinnen, als draußen, so auch an jenem Donnerstag. Nebel lag in der Luft und hüllte das Dorf in einen grauen, trüben Mantel. Es war ein ganz und gar unfreundlicher Tag. Natürlich nicht für die Kinder! Sie spielten schon mit Florian im Haus und warteten auf David. Sein Vater brachte ihn mit dem Auto und fuhr gleich weiter zur Stadt.
Davids Vater arbeitete die ganze Woche auf dem Bauernhof. Er bewirtschaftete mit Davids Großvater die Äcker und Felder und hatte viel zu tun in den Rebbergen. Doch an jedem Donnerstag fuhr er nachmittags in die Stadt. Er musste Geld abheben oder einzahlen und besorgte auch die Dinge, die man im Dorfladen nicht kaufen konnte, zum Beispiel: Schrauben, Nägel, Windeln für Simon, Tabak für Großvater, Wolle und Medizin für die Großmutter. Für seine Frau und für David brachte er stets eine kleine Überraschung mit. An schönen Tagen benutzte er für die Fahrt sein Motorrad. Heute jedoch war er mit dem Auto unterwegs. Die Kinder winkten ihm nach, bis sie ihn nicht mehr sahen. Danach gingen sie ins Kinderzimmer zum Spielen.
Plötzlich heulte die Sirene eines Polizeiautos. Die Kinder stürzten ans Fenster. Dann hörten sie ein Brummen in der Luft. Nele meinte: „Vielleicht ist das ein Luftschrauber!"
David lachte laut und verbesserte: „Du meinst wohl einen Hubschrauber!"
Inzwischen regnete es stark. Der Nebel hatte sich verzogen, dennoch sahen die Kinder draußen nichts. Andere Geräusche kamen nicht dazu, also spielten sie wieder mit der Eisenbahn. Kaum hatten sie alle Gleise gelegt, läutete die Türglocke. Die Mutter öffnete und die Kinder erkannten sogleich Davids Mutter an der Stimme. Sie liefen ebenfalls zur Tür. Irgendetwas stimmte nicht. Michaels Mutter, die fast nichts aus der Ruhe bringen konnte, murmelte: "Oh, oh!"
Ihr entsetz¬tes Gesicht jagte ihm Angst ein. Davids Mutter hielt sich am Treppengeländer fest und sagte: „Du bleibst bei Michael, bis ich wieder aus der Stadt zurück komme!"
„Aber Papa ist doch schon dort!" sagte David.
Sie antwortete: „Er hatte einen Unfall. Sei brav und bleibe hier. Ich möchte mich nicht auch noch um dich sorgen müssen!"
Aber das hatte David keinesfalls im Sinn. Er umklammerte seine Mutter und verlangte, dass auch er zum Vater mitfahren durfte.
„Das geht nicht, David, ich muss zuerst allein hin!" erklärte seine Mutter. Er hörte nicht auf sie. Er flehte und bettelte, schrie und weinte, stieß Drohungen aus und beschimpfte sie. Er ließ sie einfach nicht los. Sie versuchte ihn zu beruhigen und versprach ihm, gleich anzurufen, wenn sie den Vater gesehen hatte. Alles umsonst. Seine Mutter wurde nun zornig. Sie löste heftig seine Arme, stürzte ins Auto und fuhr rasch davon.
David rannte hinterher, schrie und warf dabei die Arme hoch. Als er merkte, dass sie ihn auf keinen Fall mitnehmen würde, ließ er sich mitten auf der regennassen Straße fallen. Michael, Nele und Florian liefen zu ihm.
„Haut ab", schluchzte er, „ich will euch nicht mehr sehen!"
Sie blieben. Er stieß mit dem Fuß nach ihnen und Nele sagte:
„Du wirst ganz schmutzig und nass!"
„Ist mir egal“, heulte er, „verschwindet!"
„David, wenn nachher deine Mutter aus dem Krankenhaus anruft, erfährst du nichts von deinem Papa!“ sagte Michaels und Neles Mutter, die nun auch bei den Kindern stand.
„Wir gehen ins Haus und wenn du dich besser fühlst, kommst du wieder, die Haustür bleibt solange angelehnt!"
Sie bat die drei mit zu kommen, und David blieb liegen. Michael erkundigte sich nach dem Unfall, doch sie wusste nichts Genaues. Bald darauf knallte die Haustür zu, David war wieder da und alle atmeten erleichtert auf.
Er war von Kopf bis Fuß nass und seine Tränen hatten weiße Linien auf seinem schmutzigen Gesicht hinterlassen. Michael bot ihm trockene Sachen an, doch er schüttelte nur den Kopf.
Die Mutter sagte: „Ich fürchte, Neles Röcke passen dir nicht. Das sah David ein, er grinste sogar kurz.
Wortlos reichte sie ihm trockene Kleider von Michael und als er sich umgezogen hatte, setzte er sich neben das Telefon im Flur. Die anderen forderten ihn zum Spielen auf.
„Jetzt nicht“, sagte er, „ich warte auf den Anruf!“ Endlich läutete das Telefon. David nahm den Hörer ab, legte ihn gleich wieder auf. „Das war nicht meine Mama“, sagte er.
„David, das nächste Mal nehme ich das Gespräch entgegen. Es könnte sein, dass auch ich einen wichtigen Anruf erhalte!" Die Mutter sagte das sehr ruhig und bestimmt. David nickte und ging wieder ins Kinderzimmer. Sie bauten zusammen den Bahnhof für die Eisenbahn, doch David stieß mit dem Fuß dagegen und der schöne Bahnhof stürzte ein.
„Ihr macht alles kaputt!" schimpfte er. Nele erinnerte ihn daran, dass sein Fuß die Bausteine umgestoßen hatte.
„Immer ich!" maulte er.
Dann lief David wieder zum Telefon, ging unruhig im Flur auf und ab, kam wieder herein und ein neuer Streit begann, dieses Mal mit Florian. Die Kinder waren froh, als nach einer Stunde Davids Mutter anrief. Sie sprach zuerst mit Michaels Mutter, David zupfte ungeduldig an ihrem Ärmel. Endlich bekam er den Hörer in die Hand. Er sprach lange mit seiner Mutter und als er wieder zu den Kindern kam, war er wie früher, ein guter Spielkamerad.
„Papa ist verletzt, aber er wird wieder gesund!" verkündete er. Michael erkundigte sich noch einmal nach dem Unfall und wollte wissen, was mit Davids Vater passiert war.
Seine Mutter sagte: „Zwischen dem Dorf und der Stadt ist die Straße, wie ihr wisst, kurvenreich und eng. Das Unglück passierte gleich in der ersten Kurve. Herr Wagner stieß mit einem anderen Autofahrer zusammen, weil dieser viel zu schnell gefahren ist und deshalb auf die Fahrbahn von Herrn Wagner geschleudert wurde."
„Ist der andere auch im Krankenhaus?" wollte Florian wissen.
„Nein“, sagte sie, „er war sofort tot!"
„Mein Vater ist nicht tot und er stirbt auch nicht, das hat meine Mama gesagt!" rief David.
„Dein Vater ist schwer verletzt. Er hat eine schlimme Wunde am Kopf, beide Beine und ein Arm sind gebrochen“, sagte Michaels Mutter.
„Muss Herr Wagner sterben?" fragte Nele. Die Mutter antwortete: "Ich glaube nicht. Viele Ärzte kümmern sich um ihn. Es wird lange dauern, bis er wieder gesund ist!"
„Sag, dass er nicht stirbt!" verlangte David. Doch da schüttelte sie den Kopf. „So etwas kann dir kein Mensch versprechen. Aber ich weiß, dass alles, was nur möglich ist, für deinen Vater getan wird."
„Mama, sag doch einfach, dass er nicht stirbt, dann ist David zufrieden“, bat Michael. David nickte heftig, Michaels Mutter schüttelte den Kopf. „Ich kann euch nichts anderes berichten, sagte sie.
Damit war David nicht einverstanden. „Ich gehe heim, bei dir bleibe ich nicht!" schimpfte er und stapfte Türe schmetternd aus dem Haus.
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Das nächste Mal erzählt Florian eine Geschichte