Bislang war alles ruhig geblieben in der Stadt, abgesehen von einigen kleinen Taschendiebstählen oder sonstigen Kleinkram. Es war die Art von alltäglichen Ilegalitäten mit der jede Stadt leben mußte. Das bot Des Gelegenheit, neben den anderen Dingen mit denen sie sich privat beschäftigte, ihr kleines Netzwerk aufzubauen.
Letztendlich war es nicht sonderlich schwer, ihre Kontaktfreudigkeit und ihre Gabe kamen ihr dabei zu gute. Und eines wußte Des, die besten Informanten waren die Leute von der Staße, das einfache Volk. Leute, wie der Stallbursche vom Kutschmeister Tremo, er bekam immer mit wer, wann eine Kutsche anforderte und wohin die Reise ging. Der Junge, der im Botenexpress aushalf und dem die Gespräche dort zwichen den Boten nicht verborgen blieben. Die Bengels, die am Hafen rumhingen und für ein Trinkgeld beim Transport der Gepäckstücke der Leute oder beim Löschen der Waren halfen. Sie alle waren bereit für ein kleines Zusatzeinkommen das Gehörte und Gesehene informativ weiterzugeben.
Aber nicht nur sie, die Marktfrau an der Ecke, die ihre Eier und Käse anpries oder der Obsthändler waren gute Informationsquellen. Der Markt war der Dreh und Angelpunkt der Stadt. Hier kamen alle zusammen und einjeder hatte irgendetwas zu berichten. Man kaufte ein, unterhielt sich und gab somit neben Klatsch und Tratsch auch die eine oder andere nützliche Information an die Marktleute weiter. Des brauchte nichts weiter zu tun, als eine Vertrauesbasis zu den Personen aufzubauen, um bei ihren Einkäufen nicht nur mit Waren versorgt zu werden.
Auch der Wirt der Taverne zum schwarzen Elch und der Kellner des Ratskellers gehörten zu ihrem Infopool. Während der Kellner ein relativ leichter Fall war, das charmante Lächeln einer schönen Frau und ein kleines Endgeld zusätzlich waren Ansporn genug, Augen und Ohren offen zu halten, war der Wirt der Taverne ein schwierigers Kaliber. Er war eher verschlossen und gehörte nicht zu den Leuten die im Normalfall weitergaben was sie hörten und sahen: Doch auch ihn bekam Des schließlich weich. Zum einen gewann sie durch ihre Verbindung zu Francis einwenig das Vertrauen des ehemaligen Schatzmeisters, letztendlich aber wohl auch dadurch, das sie sich nicht zu fein war, gelegentlich auch mal mit anzupacken, wenn es malwieder hoch her ging in der Taverne. So floss auch letztendlich er in ihr kleines Netzwerk ein.
Einen Ort gab es allerdings an dem ihr kein Informant weiterhelfen konnte. Keiner der Leute würde hier auch nur ein einziges Wort zu hören bekommen, dem Gauklermarkt. Schausteller waren ein eigenes Volk für sich und wer nicht zu ihren Kreisen zählte, würde kein Sterbenswort erfahren. Des hingegen war von Kindheitsbeinen an mit diesen Leuten groß geworden und selbst noch bis sie sich in Port Patriam niederließ, auf den Märkten in Europa als Wahrsagerin oder Tänzerin unterwegs. Und auch wenn sie jetzt ein anderes Leben führte, war sie noch immer ein Teil der Gemeinschaft. Man kannte sich persönlich oder hatte von einander gehört.
So viel es ihr auch nicht schwer an die Informationen zu gelangen die sie brauchte. Abermals war der Dachläufer gesichtet worden in der Nacht. An den kommenden Morgen wurde jeweils ein Einbruch vermeldet. Doch niemand konnte sich erklären, wie der Dieb ins Haus kam. Türen und Fenster waren verriegelt. Das eigentümliche war nur das vorwiegend die reichen Händler, Geschäftsleute und Ratsherren betraf und immer dann, wenn der Hausherr nicht in der Stadt weilte.
Es wurde an der Zeit, das Des der Sache auf den Grund ging. Aus eigener Erfahrung wußte sie das so ein Künststück nur Jemand vollbringen konnte, der in der Lage war sich sicher auf einem schmalen Weg hoch über und auf den Dächern zu bewegen. Ein Hochseilartist. Sie selbst hatte vor langer Zeit bei den Zigeunern diese Kunstfertigkeit erlernt. Nur dachte sie nur äußerst ungern daran zurück.
Und tatsächlich, nur wenige Tage bevor der nächtliche Dachläufer das erste Mal gesichtet worden war, war ein neuer Hochseilartist in der Stadt eingetroffen...der fantastische Phillipo. Ausgerechnet Phillipo!! Allein bei dem Klang des Namens kam Des schon die Galle hoch.
Es war früh am Morgen, die Sonne stieg langsam am Rande des Horizont hervor. Tautropfen glitzerten wie unzählige, kleine Diamanten an den Grashalmen, als eine schwarzhaarige Gestalt auf einem ebendso schwarzen Pferd über sie hinweg galoppierte.
Des hatte in dieser Nacht mal wieder kaum Schlaf gefunden. So war sie schon in aller Herrgotts Frühe mit Folletto zu einem Ausritt aufgebrochen. Sie jagte mit dem feurigen Hengst über die weite, freie Landschaft rund um Port Patriam.
Es tat gut den meerlastigen Wind zu spüren, der sie Beide bei ihrem schnellen Ritt umschlang und die unbändige Kraft des Tieres unter sich. Es gab ihr das Gefühl von Freiheit. Ihre Probleme gänzlich vergessen lassen, konnte es jedoch nicht.
So zügelte sie Folletto in der Nähe einer kleinen Bucht. Geschickt spang sie vom sattellosen Rücken des Pferdes und ließ das Tier zum Grasen auf der Wiese zurück, die direkt an den Strand anschloss. Langsam ging sie zu einer kleinen Felsformation in Ufernähe runter. Sie machte sich keine Sorgen, das der Hengst zwischenzeitlich das Weite suchen würde. Folletto würde bleiben wo er war, oder zumindest in der Nähe. Ein Ruf würde genügen.
Nachdenklich ließ sie sich auf einen der Felsen nieder, schaute auf das Meer hinaus. Die Wellen schlugen sacht gegen die Steine und brachen, in der aufgehenden Sonne, glitzerte die Gischt mit den Tautropfen der Wiesen um die Wette.
Sie dachte über ihre Unterredung mit Francis über den Dachläufer und Philipos auftauchen in der Stadt nach.
“Ich weiß jetzt wer unser Fasadenkletterer ist.” Des war völlig aufgebracht. Blitzschnell nahm sie Platz um ihre Ausführungen fort zu setzen. Ja sie hatte nichtmal Zeit Francis den sonst ausgedehnten Begrüßungskuss zu verpassen. Stattdessen hauchte sie ihm nur schnell eins auf die Wange.
“So und wer?” Er hingegen blieb ganz gelassen. Nahm sich etwas Brot und Käse und sah sie abwartend an. “Phillipo, der fantastische Phillipo. Ein Hochseilartist.” Sie mußte beinahe würden als sie den Namen aussprach. Francis nickte nur leicht. “Aha und woher weißt du das? Hast du ihn auf frischer Tat ertappt?” Des wollte gerade einen Schluck vom Wein trinken um den Übelkeitsgeschmack in ihrem Mund loszuwerden. Stattdessen sah sie Francis groß an. “Nein das nicht. Aber er kam kurz vor dem ersten Einbruch hier an und es trägt genau seine Handschrift.” “Das mag sein, aber solange du ihm nichts beweisen kannst.” “Aber ich kenne ihn, es ist genau seine Vorgehensweise. Er kuckt sich vom Hochseil die Damen aus, er finanziell als lohnenswert erachtet. Dann macht er seinem Opfer schöne Augen. Oh er ist sehr gut darin, denn er trägt seinen Namen nicht von ungefähr. Er zieht die Frauen regelrecht in seinen Bann. Er sucht sich vorallem reiche, verheiratete Frauen aus. Die bezirzt er so lange bis sie sich auf ein Stelldichein mit ihm einlassen. Bei ihnen zu Hause und zwar dann wenn ihre Gatten verreist sind. Er weißt sie an für ihn des Nachts das Dachfenster offen zu lassen. Und dann man nächsten Tag ist das Vermögen und alles was sie sonst noch von Wert besitzen verschwunden.”
Sie mußte erstmal Luft holen und ihre trockene Kehle mit Wein benetzen. “Hm wenn dem wirklich so ist, warum wurde er dann nie angeklagt?” “Na das ist doch klar. Die Frauen schämen sich und haben Angst. Wenn sie zugeben müßten, das sie auf einen Betrüger reingefallen sind, der ihnen schöne Augen gemacht hat. Sie erklären müßten das sie ihre Männer mit diesem betrügen wollten und er sie stattdessen ausgeraubt hat. Sie würden nicht nur ihr Gesicht und ihren Stolz verlieren sondern wohlmöglich auch noch ihre Männer. Daher schweigen sie.”
“Nun solange nicht eine von ihnen aussagt oder du ihn auf frischer Tat schnappst, wirst du kaum was gegen ihn in der Hand haben. Bisher hat er sich hier in Maritim nichts zu Schulden kommen lassen und unsere Gesetze sagen, er kann nicht für etwas belangt werden, das er anderswo verübt hat. Egal wieviel Kenntnis wir davon besitzen.”
Francis hatte Recht. So lange man Phillipo nichts nachweisen konnte, hatten sie nichts gegen ihn in der Hand. Es war zum Kotzen. Wieso zum Teufel konnte man diesem Kerl nicht habhaft werden? Es ging ihr nicht um das Vermögen, der braven Bürger der Stadt. Das war ihr mehr oder weniger egal. Wenn die Damen der Stadt auf diesen Möchtegern Casanova rein fiehlen und ihre Männer am Ende mit ihren Habseeligkeiten für die Dummheit ihrer Frauen bezahlten...nicht ihr Bier. Nein, ihr ging es um viel mehr. Rache ja, aber auch der Wunsch andere vor dem zu schützen, was ihr widerfahren war. Wer wußte schon, wieviele in den letzten zehn Jahren ebendso leiden mußten wie sie und wieviele noch folgen würden? Dem mußte ein Ende gesetzt werden.
Des Gedanken schweiften zurück. Es war vor 10 Jahren in der Nähe von Paris. Ihr vierzehntes Lebensjahr hatte ebend begonnen, als Phillipo ihr das erste Mal auf einem Gauklermarkt begegnete. Ihre Sippe verdiente sich damals ein kleines Zubrot dort, mit Wahrsagen, Messer werfen und Feuer spucken. Sie sollte für die Zuschauer tanzen und nebenbei mit kleinen Taschendiebstählen die Besucher erleichtern. Der Star des Marktes aber war der fantastische Phillipo. Kein Wunder, er war jung, etwa Mitte 20, und gutaussehend , seine Vorstellung atemberaubend. In gewisser Weise zog er auch das junge Mädchen in seinen Bann. Außerdem war er stets nett und freundlich zu ihr, wenn sie sich begegneten. Ganz im Gegensatz zu ihrer Sippe, abgesehen von ihrer Nonna. So war sie hellauf begeistert als Phillipo dem Sippenanführer eines Abends den Vorschlag unterbreitete Des in die Lehre zu nehmen. Er wollte ihr beibringen, wie man auf dem Hochseil tanzt und sie auch in die Kunstfertigkeit seiner anderen Tätigkeit einweisen. Das war ihm sogar eine kleine monatliche Zahlung wert. Freudig hörte sie wie der Anführer zustimmte. Ob es nun wegen des Geldes war, oder der Aussicht aus dem von ihr erlernten Profit schlagen zu können, war ihr egal. So einigte man sich und zog von da an gemeinsam von Markt zu Markt weiter. In jeder freien Minute übte sie mit Phillipo und freute sich über den Zuspruch, den sie von ihm erhielt. Nach und nach stieg der ältere Mann zu einer Art Vaterfigur in ihren Augen auf...bis zu jener Nacht in der sich alles änderte. Eine Nacht und deren Folgen sie ihr Lebenlang nicht vergessen würde.
Phillipo hatte sie gebeten, nochmal am späten Abend zu einer Unterredung in seinen Wohnwagen zu kommen. Was allerdings dann folgte war alles andere als eine Unterredung. Als alles vorbei war, Des kam es damals wie eine Ewigkeit vor, rannte sie weinend zu ihrer Nonna. Die alte Frau glaubte ihr, doch sonst Niemand. Sie schenkten den Worten des angesehenden Künstlers von wegen Verführung durch sie und selbst gewollt haben, Glauben. Ab da war sie noch weniger anerkannt in der Sippe als schon zuvor. Sie war nun nicht nur ein Unheil, sondern auch ein leicht zu habendes Ding. Die Folgen der Nacht zeigten sich neun Monate später. An diesem Tag zeigte Phillipo sein wahres Gesicht. Die überbrachte Nachricht der Totgeburt ihres gemeinsamen Kindes ließ ihn kalt. Ein Grund mehr für Des ihn abgrundtief zu hassen.
Sie seufzte und starrte erneut aufs Meer hinaus. Wie sollte sie bloss Francis klar machen, wie wichtig es war diesen Mann endlich aus dem Verkehr zu ziehen?
Doch schon wenige Tage später änderte sich alles schlagartig. Francis beorderte sie an jenen Morgen in sein Büro im Rathaus. Gerade als sie das Büro betreten wollte, stürzte einer der Ratsherren mit gesenkten Kopf aus diesem. Des kannte ihn. Sie hatte bereits gehört das in der Nacht zuvor bei ihm eingebrochen worden war. Über das Dach und wie immer gab es keine Zeugen.
Sie betrat das Büro und ging zu Francis rüber, der an seinem Schreibtisch saß. Sie gab ihm einen Begrüßungskuss und nahm anschließend auf der Kannte seines Schreibtisches platz, so wie sie es immer tat wenn sie dort war. “Was war dem mit ihm los? Der Gute schien ja vollkommen aufgelöst zu sein.” Das war Ratsmitglied Don Angelo, bei ihm ist der Dachläufer diesmal eingestiegen.” Ja ich weiß, ich habe davon gehört, nur wie immer gibt es keine Zeugen.” “Ja aber was du noch nicht weißt, als Don Angelo heute früh zurückkehrte und die Bescherung sah, suchte er anschließend seine Tochter. Sie hatte sich den ganzen Morgen nicht blicken lassen. Das Kind, ein Mädchen von 14 Jahren saß vollkommen verschüchtert auf seinem Bett. Sie sprach kein Wort, starrt nur die ganze Zeit vor sich hin. Oder sie bricht in Tränen aus und läßt sich nicht beruhigen. Don Angelo ist vollkommen verzweifelt. Niemand weiß was dort vorgefallen ist.”
Desdemona wurde kreidebleich. Oh doch, Jemand wußte es. Sie wußte es. Wieso hatte sie geschwiegen? Wieso nichts gegen ihn unternommen? Die Gesetze des Landes hin oder her. Dann hätte sie das alles herhindern können. “Was hast du? Stimmt etwas nicht?” Francis Stimme, sein Arm um ihre Schulter und sein besorgter Blick rissen sie aus ihren Gedanken. Mit Tränen in den Augen sah sie ihn an. Dann brach es aus ihr heraus. Sie erzählte ihm alles. Alles was vor 10 Jahren geschehen war.
Nachdem sie ihre Ausführungen beendete hatte, drückte Francis der die ganze Zeit schweigend zugehört hatte, sie an sich. „Ich schöre dir, der Kerl wird dafür bezahlen was er dir damals antat. Er wird nie wieder seine widerwärtigen Hände nach einem unschuldigen Mädchen ausstrecken.“ Er beorderte den Schiffsjungen der Desdemona Revange zu sich. Dessen Schiff das er bauen ließ, nachdem man die Black Angle gestohlen hatte. Es war das größte und schnellste Schiff in ganz Maritim. Es sollte ihm helfen die Stadt vor Feiden von See her zu schützen und ihm vielleicht eines Tages auch bei der Suche nach der Black Angle behilflich sein. „Bring das zu Mr. Swollow. Er soll einige Männer zusammentrommeln, wir treffen uns gegen Mitternacht.“ Der Junge nickte und verschwand. “Gut, heute um Mitternacht, ich komme mit.” Doch Francis schüttelte den Kopf. „Nein, das ist nichts für die Augen einer Frau. Außerdem könntest du eine Seite von mir sehen, die du lieber nicht zu Gesicht bekommen willst. Geh nach Hause und ruh dich aus. Sei Morgen früh um 9.00 Uhr auf dem Gauklermarkt.“ Francis verabschiedete sich mit einem langen Kuss von Des. Es gab für ihn noch einiges vorzubereiten.
Die Nacht vor dem Morgen...
Des war am späten Abend auf Francis Wunsch hin auf ihr Anwesen zurückgekehrt. Was genau in dieser Nacht geschehen würde wußte sie nicht, nur das etwas geschah. Ein kleines Lächeln umspielte ihre Lippen. Phillipo würde endlich seine gerechte Strafe erhalten. Sie würde am nächsten Tag auf dem Gauklermarkt sein. Bei ihrem Anblick würde Phillipo klar werden, wem er das alles zu verdanken hatte. Sie mochte sich zwar in den letzten 10 Jahren äußerlich verändert haben, ihre Augen aber hatte er sicher nicht vergessen.
Dieser Mann hatte damals mehr getan als ihr Vertauen zu mißbrauchen, sie zu schänden und ihr die Jungfäulichkeit zu nehmen. Er hatte sie in den Augen ihrer Sippe ehrlos werden lassen. Von den anderen größtenteils gemieden zu werden, war für sie schon hart als Kind. Doch das machte die Sache noch schlimmer. Hätte man ihrer Nonna nicht soviel Respekt gegenüber gebracht, wäre sie vermutlich schon damals aus der Sippe ausgestoßen worden. So war sie zumindest mehr oder weniger noch geduldet. Inzwischen war es ihr egal, was sie über sie dachten. Ihre Beziehung zu Francis, einem Nicht-Zigeuner, war ein No-go, doch das interessierte niemanden. Sie war kein Teil der Gemeinschaft mehr, nicht nachdem sie Sergio damals vor 4 Jahren unmißverständlich klar gemacht hatte, das sie niemand mehr so behandeln würde wie Phillipo. Nun, er hatte es verstanden und jeder Andere der die Folgen sah auch.
Während sie zurück zum Anwesen schritt, betrachtete sie den Mond. Hätte sie nur damals mit 14 schon den Mut gehabt, den sie heute besaß. Dann hätte Phillipo sich nicht an der Tochter des Ratsherren vergreifen können und dem Mädchen wäre einiges erspart geblieben. Zumindest aber hatte es dafür gesorgt, das sie Francis über die Ereignisse damals berichten konnte, auch über ihren toten Sohn.
Es war ein weiter, kleiner Einblick in ihr Leben, den sie ihm gewähren konnte. Vieles jedoch würde auch weiterhin in den dunklen Schatten der Vergangenheit verborgen bleiben. Und das war auch gut so.
Wenn der morgige Tag zu Ende ging, konnte sie sich wieder voll und ganz ihren Aufgaben widmen. Auch war sie noch immer nicht hinter eine Lösung für den Fluch gekommen, der wie ein Damokless Schwert über ihrer und Francis Zukunft baumelte.
Würde die Black Angle eines Tages zurückkehren und ihn einfordern? Ihn dazu zu verdammen auf Ewig als Untoter mit ihr über die Meere zu schiffen, auf der Suche nach neuen Seelen für den der sie erschuf? Nein, das durfte nicht geschehen. Niemals würde sie zulassen, ihn zu verlieren.
Nachdem Francios Bryson sich mit Desdemona über diesen Phillipo unterhalten hatte, machte sich eine Gruppe Seemänner, die von Mr. Swallow, dem Wirt des Schwarzen Elches geschickt wurden, auf ihre diskrete Aufgabe am Gauklermarkt zu erfüllen. Alles was man in der Nacht hörte waren die Geräusche betrunkener Seeleute, die sich wohl am Gauklermarkt vergnügten. Es gab wohl auch eine Rauferei, doch in dieser Nacht griff kein Gardist in das Geschehen ein.
Am nächsten Morgen, bei Sonnenaufgang, als die Situation sich beruhigte, fanden die Bürger am Gauklermarkt eine seltsame Szenerie vor. Einige der Gauklerbuden waren über Nacht verschwunden und in der Mitte des Marktes war eine Gestalt am Pranger zu sehen. Das Gesicht war zerschnitten, auf der Stirn das Zeichen eines Totenkopfes eingeritzt und die Hosen der Gestalt lagen auf den Boden. Der Unterkörper war entblößt. Es hatte den Anschein, als wäre der Mann auf unsittliche Art und Weise geschändet worden und zur Schau gestellt. Es war Phillipo, der Gaukler, der im Verdacht stand unzählige Male selber Hand an unschuldige Mädchen angelegt zu haben.
Das Zeichen auf seiner Stirn zeigte jedem Seemann und Gauner, dass dieser Mann fortan Vogelfrei war und ein jeder mit ihm tun und lassen konnte was er wollte, was in einigen Regionen des Landes durchaus ein Todesurteil sein konnte.
An diesem Tag wurde jedem Bürger klar, dass diese Stadt zwei Seiten hatte. Die freundliche Seite, die offen war für jeden der sich in der Stadt benehmen konnte und eine finstere Seite, die all jene Elemente erfahren konnten die sich mehr als unangemessen benahmen. Jedenfalls hatte diese Stadt keinen Platz für Schänder und wer dies bis heute nicht verstand, musste wohl in Zukunft mit deutlicheren Worten und Taten rechnen.
In der Bruderschaft freier Seefahrer nannte man dieses Verfahren auch "Branded and Exciled", denn nie würde ein Bruder eine andere Person töten, ausser es war ein ehrenvoller Kampf oder ein Duell auf Leben und tot.
Francis Bryson war am Marktplatz, bzw am Gauklermarkt, und betrachtete sich die Auswirkungen der vergangenen Nacht und führte ein Gespräch mit der Stadtwache. Wie schon erahnt, hatte natürlich niemand etwas gehört oder gesehen und die einzigen Zeugen, engere Freunde des Opfers, hatten das Weite gesucht und die Stadt verlassen. Man hatte Phillipo wohl in dem Moment fallen gelassen, als seine Schande entdeckt wurde.
Unter diesen Umständen verzichtete der Gauklermeister auf eine Anzeige. Vermutlich war er froh diese Stadt verlassen zu dürfen. An diesen Morgen war es eher still in der Stadt. Wer seinen Geschäften nachging tat dies eher schweigend, man hatte das Gefühl als wussten die meisten Bürger ganz genau, wer hinter dieser Sache stand und die Strafe war – bemessen am Recht des Staates – schon recht grausam. Aber das waren die Taten des Schänders auch und seine Opfer würden nie wieder in Frieden leben können.
Wie dem auch sei, dies war einer der wenigen Fälle die Francis keineswegs Leid tat und so wickelte er die Amtsgeschäfte an diesem Morgen recht gelassen ab. Innerlich hoffte Francis, dass jetzt Frieden einkehrte und die Stadt langsam aber sicher von den brutalsten Verbrechern gesäubert sein würde.
Wie mit Francis abgesprochen, hatte auch Des sich am Morgen auf dem Weg in die Stadt gemacht. Ebendso wie er, war sie auf dem Gauklermarkt erschienen, hielt sich aber zunächst bedeckt im Hintergrund auf. Erst als Philipo von seiner Pein erlöst wurde und sich aufmachte die Stadt für immer zu verlassen, änderte sie ihre Position. Sie stand noch immer abseits, jetzt jedoch so das er sie bemerken mußte. Keiner der Beiden sprach ein Wort als ihre Blicke sich trafen, doch dafür sprachen sie Bände.
Des Erinnerung schweifte an die besagte Nacht zurück, an dem Augenblick der sie wie ein Donnerschlag traf, ihre Sippe glaubte Phillipos Worten, nicht den ihren. Phillipo hatte ihr damals zugeraunt als er ihren eisigen Blick sah, das sie es niemals schaffen würde, ihn den fantastischen Phillipo zu stürzen. Sie sei ein Nichts. Sie hatte ihm das Gegenteil bewiesen, für ihn war es mit dem fantastischen Phillipo und seinen Machenschaften ein für alle mal vorbei. Dieses Kapitel ihres Lebens war abgeschlossen.
Letztendlich war es nicht sonderlich schwer, ihre Kontaktfreudigkeit und ihre Gabe kamen ihr dabei zu gute. Und eines wußte Des, die besten Informanten waren die Leute von der Staße, das einfache Volk. Leute, wie der Stallbursche vom Kutschmeister Tremo, er bekam immer mit wer, wann eine Kutsche anforderte und wohin die Reise ging. Der Junge, der im Botenexpress aushalf und dem die Gespräche dort zwichen den Boten nicht verborgen blieben. Die Bengels, die am Hafen rumhingen und für ein Trinkgeld beim Transport der Gepäckstücke der Leute oder beim Löschen der Waren halfen. Sie alle waren bereit für ein kleines Zusatzeinkommen das Gehörte und Gesehene informativ weiterzugeben.
Aber nicht nur sie, die Marktfrau an der Ecke, die ihre Eier und Käse anpries oder der Obsthändler waren gute Informationsquellen. Der Markt war der Dreh und Angelpunkt der Stadt. Hier kamen alle zusammen und einjeder hatte irgendetwas zu berichten. Man kaufte ein, unterhielt sich und gab somit neben Klatsch und Tratsch auch die eine oder andere nützliche Information an die Marktleute weiter. Des brauchte nichts weiter zu tun, als eine Vertrauesbasis zu den Personen aufzubauen, um bei ihren Einkäufen nicht nur mit Waren versorgt zu werden.
Auch der Wirt der Taverne zum schwarzen Elch und der Kellner des Ratskellers gehörten zu ihrem Infopool. Während der Kellner ein relativ leichter Fall war, das charmante Lächeln einer schönen Frau und ein kleines Endgeld zusätzlich waren Ansporn genug, Augen und Ohren offen zu halten, war der Wirt der Taverne ein schwierigers Kaliber. Er war eher verschlossen und gehörte nicht zu den Leuten die im Normalfall weitergaben was sie hörten und sahen: Doch auch ihn bekam Des schließlich weich. Zum einen gewann sie durch ihre Verbindung zu Francis einwenig das Vertrauen des ehemaligen Schatzmeisters, letztendlich aber wohl auch dadurch, das sie sich nicht zu fein war, gelegentlich auch mal mit anzupacken, wenn es malwieder hoch her ging in der Taverne. So floss auch letztendlich er in ihr kleines Netzwerk ein.
Einen Ort gab es allerdings an dem ihr kein Informant weiterhelfen konnte. Keiner der Leute würde hier auch nur ein einziges Wort zu hören bekommen, dem Gauklermarkt. Schausteller waren ein eigenes Volk für sich und wer nicht zu ihren Kreisen zählte, würde kein Sterbenswort erfahren. Des hingegen war von Kindheitsbeinen an mit diesen Leuten groß geworden und selbst noch bis sie sich in Port Patriam niederließ, auf den Märkten in Europa als Wahrsagerin oder Tänzerin unterwegs. Und auch wenn sie jetzt ein anderes Leben führte, war sie noch immer ein Teil der Gemeinschaft. Man kannte sich persönlich oder hatte von einander gehört.
So viel es ihr auch nicht schwer an die Informationen zu gelangen die sie brauchte. Abermals war der Dachläufer gesichtet worden in der Nacht. An den kommenden Morgen wurde jeweils ein Einbruch vermeldet. Doch niemand konnte sich erklären, wie der Dieb ins Haus kam. Türen und Fenster waren verriegelt. Das eigentümliche war nur das vorwiegend die reichen Händler, Geschäftsleute und Ratsherren betraf und immer dann, wenn der Hausherr nicht in der Stadt weilte.
Es wurde an der Zeit, das Des der Sache auf den Grund ging. Aus eigener Erfahrung wußte sie das so ein Künststück nur Jemand vollbringen konnte, der in der Lage war sich sicher auf einem schmalen Weg hoch über und auf den Dächern zu bewegen. Ein Hochseilartist. Sie selbst hatte vor langer Zeit bei den Zigeunern diese Kunstfertigkeit erlernt. Nur dachte sie nur äußerst ungern daran zurück.
Und tatsächlich, nur wenige Tage bevor der nächtliche Dachläufer das erste Mal gesichtet worden war, war ein neuer Hochseilartist in der Stadt eingetroffen...der fantastische Phillipo. Ausgerechnet Phillipo!! Allein bei dem Klang des Namens kam Des schon die Galle hoch.
Es war früh am Morgen, die Sonne stieg langsam am Rande des Horizont hervor. Tautropfen glitzerten wie unzählige, kleine Diamanten an den Grashalmen, als eine schwarzhaarige Gestalt auf einem ebendso schwarzen Pferd über sie hinweg galoppierte.
Des hatte in dieser Nacht mal wieder kaum Schlaf gefunden. So war sie schon in aller Herrgotts Frühe mit Folletto zu einem Ausritt aufgebrochen. Sie jagte mit dem feurigen Hengst über die weite, freie Landschaft rund um Port Patriam.
Es tat gut den meerlastigen Wind zu spüren, der sie Beide bei ihrem schnellen Ritt umschlang und die unbändige Kraft des Tieres unter sich. Es gab ihr das Gefühl von Freiheit. Ihre Probleme gänzlich vergessen lassen, konnte es jedoch nicht.
So zügelte sie Folletto in der Nähe einer kleinen Bucht. Geschickt spang sie vom sattellosen Rücken des Pferdes und ließ das Tier zum Grasen auf der Wiese zurück, die direkt an den Strand anschloss. Langsam ging sie zu einer kleinen Felsformation in Ufernähe runter. Sie machte sich keine Sorgen, das der Hengst zwischenzeitlich das Weite suchen würde. Folletto würde bleiben wo er war, oder zumindest in der Nähe. Ein Ruf würde genügen.
Nachdenklich ließ sie sich auf einen der Felsen nieder, schaute auf das Meer hinaus. Die Wellen schlugen sacht gegen die Steine und brachen, in der aufgehenden Sonne, glitzerte die Gischt mit den Tautropfen der Wiesen um die Wette.
Sie dachte über ihre Unterredung mit Francis über den Dachläufer und Philipos auftauchen in der Stadt nach.
“Ich weiß jetzt wer unser Fasadenkletterer ist.” Des war völlig aufgebracht. Blitzschnell nahm sie Platz um ihre Ausführungen fort zu setzen. Ja sie hatte nichtmal Zeit Francis den sonst ausgedehnten Begrüßungskuss zu verpassen. Stattdessen hauchte sie ihm nur schnell eins auf die Wange.
“So und wer?” Er hingegen blieb ganz gelassen. Nahm sich etwas Brot und Käse und sah sie abwartend an. “Phillipo, der fantastische Phillipo. Ein Hochseilartist.” Sie mußte beinahe würden als sie den Namen aussprach. Francis nickte nur leicht. “Aha und woher weißt du das? Hast du ihn auf frischer Tat ertappt?” Des wollte gerade einen Schluck vom Wein trinken um den Übelkeitsgeschmack in ihrem Mund loszuwerden. Stattdessen sah sie Francis groß an. “Nein das nicht. Aber er kam kurz vor dem ersten Einbruch hier an und es trägt genau seine Handschrift.” “Das mag sein, aber solange du ihm nichts beweisen kannst.” “Aber ich kenne ihn, es ist genau seine Vorgehensweise. Er kuckt sich vom Hochseil die Damen aus, er finanziell als lohnenswert erachtet. Dann macht er seinem Opfer schöne Augen. Oh er ist sehr gut darin, denn er trägt seinen Namen nicht von ungefähr. Er zieht die Frauen regelrecht in seinen Bann. Er sucht sich vorallem reiche, verheiratete Frauen aus. Die bezirzt er so lange bis sie sich auf ein Stelldichein mit ihm einlassen. Bei ihnen zu Hause und zwar dann wenn ihre Gatten verreist sind. Er weißt sie an für ihn des Nachts das Dachfenster offen zu lassen. Und dann man nächsten Tag ist das Vermögen und alles was sie sonst noch von Wert besitzen verschwunden.”
Sie mußte erstmal Luft holen und ihre trockene Kehle mit Wein benetzen. “Hm wenn dem wirklich so ist, warum wurde er dann nie angeklagt?” “Na das ist doch klar. Die Frauen schämen sich und haben Angst. Wenn sie zugeben müßten, das sie auf einen Betrüger reingefallen sind, der ihnen schöne Augen gemacht hat. Sie erklären müßten das sie ihre Männer mit diesem betrügen wollten und er sie stattdessen ausgeraubt hat. Sie würden nicht nur ihr Gesicht und ihren Stolz verlieren sondern wohlmöglich auch noch ihre Männer. Daher schweigen sie.”
“Nun solange nicht eine von ihnen aussagt oder du ihn auf frischer Tat schnappst, wirst du kaum was gegen ihn in der Hand haben. Bisher hat er sich hier in Maritim nichts zu Schulden kommen lassen und unsere Gesetze sagen, er kann nicht für etwas belangt werden, das er anderswo verübt hat. Egal wieviel Kenntnis wir davon besitzen.”
Francis hatte Recht. So lange man Phillipo nichts nachweisen konnte, hatten sie nichts gegen ihn in der Hand. Es war zum Kotzen. Wieso zum Teufel konnte man diesem Kerl nicht habhaft werden? Es ging ihr nicht um das Vermögen, der braven Bürger der Stadt. Das war ihr mehr oder weniger egal. Wenn die Damen der Stadt auf diesen Möchtegern Casanova rein fiehlen und ihre Männer am Ende mit ihren Habseeligkeiten für die Dummheit ihrer Frauen bezahlten...nicht ihr Bier. Nein, ihr ging es um viel mehr. Rache ja, aber auch der Wunsch andere vor dem zu schützen, was ihr widerfahren war. Wer wußte schon, wieviele in den letzten zehn Jahren ebendso leiden mußten wie sie und wieviele noch folgen würden? Dem mußte ein Ende gesetzt werden.
Des Gedanken schweiften zurück. Es war vor 10 Jahren in der Nähe von Paris. Ihr vierzehntes Lebensjahr hatte ebend begonnen, als Phillipo ihr das erste Mal auf einem Gauklermarkt begegnete. Ihre Sippe verdiente sich damals ein kleines Zubrot dort, mit Wahrsagen, Messer werfen und Feuer spucken. Sie sollte für die Zuschauer tanzen und nebenbei mit kleinen Taschendiebstählen die Besucher erleichtern. Der Star des Marktes aber war der fantastische Phillipo. Kein Wunder, er war jung, etwa Mitte 20, und gutaussehend , seine Vorstellung atemberaubend. In gewisser Weise zog er auch das junge Mädchen in seinen Bann. Außerdem war er stets nett und freundlich zu ihr, wenn sie sich begegneten. Ganz im Gegensatz zu ihrer Sippe, abgesehen von ihrer Nonna. So war sie hellauf begeistert als Phillipo dem Sippenanführer eines Abends den Vorschlag unterbreitete Des in die Lehre zu nehmen. Er wollte ihr beibringen, wie man auf dem Hochseil tanzt und sie auch in die Kunstfertigkeit seiner anderen Tätigkeit einweisen. Das war ihm sogar eine kleine monatliche Zahlung wert. Freudig hörte sie wie der Anführer zustimmte. Ob es nun wegen des Geldes war, oder der Aussicht aus dem von ihr erlernten Profit schlagen zu können, war ihr egal. So einigte man sich und zog von da an gemeinsam von Markt zu Markt weiter. In jeder freien Minute übte sie mit Phillipo und freute sich über den Zuspruch, den sie von ihm erhielt. Nach und nach stieg der ältere Mann zu einer Art Vaterfigur in ihren Augen auf...bis zu jener Nacht in der sich alles änderte. Eine Nacht und deren Folgen sie ihr Lebenlang nicht vergessen würde.
Phillipo hatte sie gebeten, nochmal am späten Abend zu einer Unterredung in seinen Wohnwagen zu kommen. Was allerdings dann folgte war alles andere als eine Unterredung. Als alles vorbei war, Des kam es damals wie eine Ewigkeit vor, rannte sie weinend zu ihrer Nonna. Die alte Frau glaubte ihr, doch sonst Niemand. Sie schenkten den Worten des angesehenden Künstlers von wegen Verführung durch sie und selbst gewollt haben, Glauben. Ab da war sie noch weniger anerkannt in der Sippe als schon zuvor. Sie war nun nicht nur ein Unheil, sondern auch ein leicht zu habendes Ding. Die Folgen der Nacht zeigten sich neun Monate später. An diesem Tag zeigte Phillipo sein wahres Gesicht. Die überbrachte Nachricht der Totgeburt ihres gemeinsamen Kindes ließ ihn kalt. Ein Grund mehr für Des ihn abgrundtief zu hassen.
Sie seufzte und starrte erneut aufs Meer hinaus. Wie sollte sie bloss Francis klar machen, wie wichtig es war diesen Mann endlich aus dem Verkehr zu ziehen?
Doch schon wenige Tage später änderte sich alles schlagartig. Francis beorderte sie an jenen Morgen in sein Büro im Rathaus. Gerade als sie das Büro betreten wollte, stürzte einer der Ratsherren mit gesenkten Kopf aus diesem. Des kannte ihn. Sie hatte bereits gehört das in der Nacht zuvor bei ihm eingebrochen worden war. Über das Dach und wie immer gab es keine Zeugen.
Sie betrat das Büro und ging zu Francis rüber, der an seinem Schreibtisch saß. Sie gab ihm einen Begrüßungskuss und nahm anschließend auf der Kannte seines Schreibtisches platz, so wie sie es immer tat wenn sie dort war. “Was war dem mit ihm los? Der Gute schien ja vollkommen aufgelöst zu sein.” Das war Ratsmitglied Don Angelo, bei ihm ist der Dachläufer diesmal eingestiegen.” Ja ich weiß, ich habe davon gehört, nur wie immer gibt es keine Zeugen.” “Ja aber was du noch nicht weißt, als Don Angelo heute früh zurückkehrte und die Bescherung sah, suchte er anschließend seine Tochter. Sie hatte sich den ganzen Morgen nicht blicken lassen. Das Kind, ein Mädchen von 14 Jahren saß vollkommen verschüchtert auf seinem Bett. Sie sprach kein Wort, starrt nur die ganze Zeit vor sich hin. Oder sie bricht in Tränen aus und läßt sich nicht beruhigen. Don Angelo ist vollkommen verzweifelt. Niemand weiß was dort vorgefallen ist.”
Desdemona wurde kreidebleich. Oh doch, Jemand wußte es. Sie wußte es. Wieso hatte sie geschwiegen? Wieso nichts gegen ihn unternommen? Die Gesetze des Landes hin oder her. Dann hätte sie das alles herhindern können. “Was hast du? Stimmt etwas nicht?” Francis Stimme, sein Arm um ihre Schulter und sein besorgter Blick rissen sie aus ihren Gedanken. Mit Tränen in den Augen sah sie ihn an. Dann brach es aus ihr heraus. Sie erzählte ihm alles. Alles was vor 10 Jahren geschehen war.
Nachdem sie ihre Ausführungen beendete hatte, drückte Francis der die ganze Zeit schweigend zugehört hatte, sie an sich. „Ich schöre dir, der Kerl wird dafür bezahlen was er dir damals antat. Er wird nie wieder seine widerwärtigen Hände nach einem unschuldigen Mädchen ausstrecken.“ Er beorderte den Schiffsjungen der Desdemona Revange zu sich. Dessen Schiff das er bauen ließ, nachdem man die Black Angle gestohlen hatte. Es war das größte und schnellste Schiff in ganz Maritim. Es sollte ihm helfen die Stadt vor Feiden von See her zu schützen und ihm vielleicht eines Tages auch bei der Suche nach der Black Angle behilflich sein. „Bring das zu Mr. Swollow. Er soll einige Männer zusammentrommeln, wir treffen uns gegen Mitternacht.“ Der Junge nickte und verschwand. “Gut, heute um Mitternacht, ich komme mit.” Doch Francis schüttelte den Kopf. „Nein, das ist nichts für die Augen einer Frau. Außerdem könntest du eine Seite von mir sehen, die du lieber nicht zu Gesicht bekommen willst. Geh nach Hause und ruh dich aus. Sei Morgen früh um 9.00 Uhr auf dem Gauklermarkt.“ Francis verabschiedete sich mit einem langen Kuss von Des. Es gab für ihn noch einiges vorzubereiten.
Die Nacht vor dem Morgen...
Des war am späten Abend auf Francis Wunsch hin auf ihr Anwesen zurückgekehrt. Was genau in dieser Nacht geschehen würde wußte sie nicht, nur das etwas geschah. Ein kleines Lächeln umspielte ihre Lippen. Phillipo würde endlich seine gerechte Strafe erhalten. Sie würde am nächsten Tag auf dem Gauklermarkt sein. Bei ihrem Anblick würde Phillipo klar werden, wem er das alles zu verdanken hatte. Sie mochte sich zwar in den letzten 10 Jahren äußerlich verändert haben, ihre Augen aber hatte er sicher nicht vergessen.
Dieser Mann hatte damals mehr getan als ihr Vertauen zu mißbrauchen, sie zu schänden und ihr die Jungfäulichkeit zu nehmen. Er hatte sie in den Augen ihrer Sippe ehrlos werden lassen. Von den anderen größtenteils gemieden zu werden, war für sie schon hart als Kind. Doch das machte die Sache noch schlimmer. Hätte man ihrer Nonna nicht soviel Respekt gegenüber gebracht, wäre sie vermutlich schon damals aus der Sippe ausgestoßen worden. So war sie zumindest mehr oder weniger noch geduldet. Inzwischen war es ihr egal, was sie über sie dachten. Ihre Beziehung zu Francis, einem Nicht-Zigeuner, war ein No-go, doch das interessierte niemanden. Sie war kein Teil der Gemeinschaft mehr, nicht nachdem sie Sergio damals vor 4 Jahren unmißverständlich klar gemacht hatte, das sie niemand mehr so behandeln würde wie Phillipo. Nun, er hatte es verstanden und jeder Andere der die Folgen sah auch.
Während sie zurück zum Anwesen schritt, betrachtete sie den Mond. Hätte sie nur damals mit 14 schon den Mut gehabt, den sie heute besaß. Dann hätte Phillipo sich nicht an der Tochter des Ratsherren vergreifen können und dem Mädchen wäre einiges erspart geblieben. Zumindest aber hatte es dafür gesorgt, das sie Francis über die Ereignisse damals berichten konnte, auch über ihren toten Sohn.
Es war ein weiter, kleiner Einblick in ihr Leben, den sie ihm gewähren konnte. Vieles jedoch würde auch weiterhin in den dunklen Schatten der Vergangenheit verborgen bleiben. Und das war auch gut so.
Wenn der morgige Tag zu Ende ging, konnte sie sich wieder voll und ganz ihren Aufgaben widmen. Auch war sie noch immer nicht hinter eine Lösung für den Fluch gekommen, der wie ein Damokless Schwert über ihrer und Francis Zukunft baumelte.
Würde die Black Angle eines Tages zurückkehren und ihn einfordern? Ihn dazu zu verdammen auf Ewig als Untoter mit ihr über die Meere zu schiffen, auf der Suche nach neuen Seelen für den der sie erschuf? Nein, das durfte nicht geschehen. Niemals würde sie zulassen, ihn zu verlieren.
Nachdem Francios Bryson sich mit Desdemona über diesen Phillipo unterhalten hatte, machte sich eine Gruppe Seemänner, die von Mr. Swallow, dem Wirt des Schwarzen Elches geschickt wurden, auf ihre diskrete Aufgabe am Gauklermarkt zu erfüllen. Alles was man in der Nacht hörte waren die Geräusche betrunkener Seeleute, die sich wohl am Gauklermarkt vergnügten. Es gab wohl auch eine Rauferei, doch in dieser Nacht griff kein Gardist in das Geschehen ein.
Am nächsten Morgen, bei Sonnenaufgang, als die Situation sich beruhigte, fanden die Bürger am Gauklermarkt eine seltsame Szenerie vor. Einige der Gauklerbuden waren über Nacht verschwunden und in der Mitte des Marktes war eine Gestalt am Pranger zu sehen. Das Gesicht war zerschnitten, auf der Stirn das Zeichen eines Totenkopfes eingeritzt und die Hosen der Gestalt lagen auf den Boden. Der Unterkörper war entblößt. Es hatte den Anschein, als wäre der Mann auf unsittliche Art und Weise geschändet worden und zur Schau gestellt. Es war Phillipo, der Gaukler, der im Verdacht stand unzählige Male selber Hand an unschuldige Mädchen angelegt zu haben.
Das Zeichen auf seiner Stirn zeigte jedem Seemann und Gauner, dass dieser Mann fortan Vogelfrei war und ein jeder mit ihm tun und lassen konnte was er wollte, was in einigen Regionen des Landes durchaus ein Todesurteil sein konnte.
An diesem Tag wurde jedem Bürger klar, dass diese Stadt zwei Seiten hatte. Die freundliche Seite, die offen war für jeden der sich in der Stadt benehmen konnte und eine finstere Seite, die all jene Elemente erfahren konnten die sich mehr als unangemessen benahmen. Jedenfalls hatte diese Stadt keinen Platz für Schänder und wer dies bis heute nicht verstand, musste wohl in Zukunft mit deutlicheren Worten und Taten rechnen.
In der Bruderschaft freier Seefahrer nannte man dieses Verfahren auch "Branded and Exciled", denn nie würde ein Bruder eine andere Person töten, ausser es war ein ehrenvoller Kampf oder ein Duell auf Leben und tot.
Francis Bryson war am Marktplatz, bzw am Gauklermarkt, und betrachtete sich die Auswirkungen der vergangenen Nacht und führte ein Gespräch mit der Stadtwache. Wie schon erahnt, hatte natürlich niemand etwas gehört oder gesehen und die einzigen Zeugen, engere Freunde des Opfers, hatten das Weite gesucht und die Stadt verlassen. Man hatte Phillipo wohl in dem Moment fallen gelassen, als seine Schande entdeckt wurde.
Unter diesen Umständen verzichtete der Gauklermeister auf eine Anzeige. Vermutlich war er froh diese Stadt verlassen zu dürfen. An diesen Morgen war es eher still in der Stadt. Wer seinen Geschäften nachging tat dies eher schweigend, man hatte das Gefühl als wussten die meisten Bürger ganz genau, wer hinter dieser Sache stand und die Strafe war – bemessen am Recht des Staates – schon recht grausam. Aber das waren die Taten des Schänders auch und seine Opfer würden nie wieder in Frieden leben können.
Wie dem auch sei, dies war einer der wenigen Fälle die Francis keineswegs Leid tat und so wickelte er die Amtsgeschäfte an diesem Morgen recht gelassen ab. Innerlich hoffte Francis, dass jetzt Frieden einkehrte und die Stadt langsam aber sicher von den brutalsten Verbrechern gesäubert sein würde.
Wie mit Francis abgesprochen, hatte auch Des sich am Morgen auf dem Weg in die Stadt gemacht. Ebendso wie er, war sie auf dem Gauklermarkt erschienen, hielt sich aber zunächst bedeckt im Hintergrund auf. Erst als Philipo von seiner Pein erlöst wurde und sich aufmachte die Stadt für immer zu verlassen, änderte sie ihre Position. Sie stand noch immer abseits, jetzt jedoch so das er sie bemerken mußte. Keiner der Beiden sprach ein Wort als ihre Blicke sich trafen, doch dafür sprachen sie Bände.
Des Erinnerung schweifte an die besagte Nacht zurück, an dem Augenblick der sie wie ein Donnerschlag traf, ihre Sippe glaubte Phillipos Worten, nicht den ihren. Phillipo hatte ihr damals zugeraunt als er ihren eisigen Blick sah, das sie es niemals schaffen würde, ihn den fantastischen Phillipo zu stürzen. Sie sei ein Nichts. Sie hatte ihm das Gegenteil bewiesen, für ihn war es mit dem fantastischen Phillipo und seinen Machenschaften ein für alle mal vorbei. Dieses Kapitel ihres Lebens war abgeschlossen.