A kiss is just a kiss?

ziner

Mitglied
Der Kuß. An sich nichts wirklich Spektakuläres. Zwei Menschen einigen sich darauf, einander mit den Lippen zu berühren. Vorzugsweise im Gesicht, dort meistens am Mund. Austausch von Körperflüssigkeit, Hautkontakt und Berührung.
Zwei Menschen, egal in welcher Kombination, gestatten sich unbedingte, unmittelbare Nähe. Sie schürzen die Lippen, drehen und neigen ihre Köpfe in entgegengesetzte Richtungen - wegen der Nasen - und berühren einander mit den Lippen am Munde. Soweit das Technische, sozusagen außen am Kopf. Alles andere passiert innen. Der Körper gibt einen aus. Die Nebennieren produzieren Adrenalin, die Hirnanhangdrüse schüttet Endorphine aus, und die Schweißdrüsen entlassen Feromone in die Welt. Das Gedächtnis kramt hektisch im Archiv, fördert Sitte, Anstand, Moral und ähnlich unbrauchbares Zeugs zutage, verwirft, oder legt es zumindest beiseite. Sieht erneut nach und fördert - ah, da seid ihr ja - die positiven Erinnerungen an das letzte Mal aus irgendeiner Schublade. Aus all dem wird dann in der Großhirnrinde ein Bild zusammengesetzt. Dieses wird hin und her gewendet, betrachtet und analysiert. Solange, bis es mit Erinnertem, Erwartetem und Erhofftem kompatibel zu sein scheint.
Ein Kuß also. Wärme und Nähe mit den Auswirkungen eines Tornados. Am Ende bleiben verwüstete Landstriche zurück. Zumal, es sich unter Drogeneinfluß - und seien es körpereigene - nur um eine vorläufige Beurteilung handeln kann. Im Idealfall, wird diese positive Beurteilung durch beständige Rückversicherung vermittels weiterer Drogenzufuhr aufrecht erhalten. Das fürhrt dann zum weiteren Austausch von Körperflüssigkeiten. Was widerum die erneute Zufuhr der erwähnten Stimulanzien zur Folge hat. Ein perpetuum mobile.
Aber meistens passiert etwas ganz anderes. Der erste Teil bleibt wie beschrieben. Nur im weiteren Verlauf der Vorganges werden andere Register gezogen. Die schönen Seiten des Lebens werden aus der Schublade geborgen. Auf dem Weg zur Analyse-Abteilung des Großhirns stolpert der Botenstoff über die Skrupel-Kiste, beginnt zu kramen, ist beeindruckt, vergißt darüber seinen Auftrag und liefert prompt das falsche Material ins Großhirn. Die Analyse-Abteilung macht sich ans Werk. Es wird noch schnell noch einen Auszug aus dem Bedenken-Register geordert - sicher ist sicher. Dieses ist vollgestopft mit "ja aber", "was passiert dann", "will ich das eigentlich?". Nun - endgültig überzeugt - wird festgestellt, daß sofortiges Handeln erforderlich ist. Augenblicklich wird die Endorphin-Zufuhr gestoppt, die Feromon-Zentrale macht Feierabend. Nur das Adrenalin-Kombinat macht Überstunden, um den Panikgenerator am laufen zu halten. Das Ende vom Lied ist der totale Kollaps des Systems.

(Übernommen aus der 'Alten Leselupe'.
Kommentare und Aufrufzähler beginnen wieder mit NULL.)
 



 
Oben Unten