Abenteuer in Wilhelmshaven Chapter 8

Zwei Wochen später befinden wir uns auf der Höhe von Skagen im Norden Dänemarks. Ich habe Hundswache von Mitternacht bis Vier in der Früh. Das Schiff geht schwer durch die Wellen, der Wind heult um die Stagen und ich muss mich konzentrieren um den Kurs zu halten. Schwere Brecher gehen über den Bug und zerschellen an den Decksaufbauten.
Mein Kontrolllicht, nach dem ich meinen Kurs steuere, befindet sich an einem Stockmast an der Spitze des Bugs und ist durch seitliche Abdeckung nur für mich erkennbar.
Als wir tieferes Wasser erreichen und der Kurs sich auf 170° verändert, wird die Geschwindigkeit am Maschinentelegraphen auf „Halbe“ erhöht, sofort wird das Steuern für mich leichter, mit leicht wippender Bewegung fangen wir alle auf der Brücke das Wiegen des Schiffes unisono ab.

Von außen betrachtet, müssen wir einem Beobachter als eine Art müder Tanztruppe vorkommen, die in ihrer langsamen Bewegung eine Art Slow-Fox tanzen. In der Ferne kann ich Lichter erkennen die sich auf dem Radarschirm über mir als Punkte auf grüner Fläche abzeichnen. Der ganze Raum der Brücke liegt in Dunkelheit, lediglich die Lichter der Glühlampen von Sonar und Radar und aus dem Funkraum geben dem Ganzen eine andächtige Beleuchtung. Es herrscht, bis auf gelegentlich gemurmelte Kurskorrekturen und den Geräuschen aus dem Sonar und dem sonoren Brummen der Maschinen, tief unter uns, absolute Ruhe.

Die Stimmung hat etwas Sakrales. Das Schiff zittert leicht, wenn der Bug ins nächste Wellental gleitet. Das Spritzwasser wird von den rotierenden, kreisförmigen Scheiben, die in den Brückenverglasungen eingelassen sind, zur Seite geschleudert.
Der 1.Offizier von Blanc, der tief vornüber gebeugt die Karte mit dem Stechzirkel abmisst, und dessen Profil im schwachen Licht der Bordbeleuchtung als zarter Schattenriss zu erkennen ist, wirkt auf mich, als wäre er im Gebet vertieft. Ich liebe diese Stimmung und ich kann jetzt meinen Vater besser verstehen, wenn er früher von der Seefahrt erzählte und ich mit weit aufgerissenem Mund zuhörte. Er hat mir oft davon berichtet, dass das Meer die Macht besitzt Sehnsucht zu wecken, die uns im ganzen Leben nicht wieder loslässt.

Am nächsten Morgen kommt Scharhörn in Sicht, kurz danach taucht aus dem Dunst Mellum auf. Wir sind im Jadebusen. Die Möwen umkreisen in Scharen das Schiff, kurz vorher waren die Essensreste des Vortages in die Antriebsschrauben des Schiffes geschmissen worden, sie dümpeln jetzt als Belag im Kielwasser hinter uns her.

Wilhelmshaven ist keine wirklich attraktive Stadt, sie gehört wohl zu den großen Städten in Niedersachsen, aber ihre wahre Bedeutung hängt mit der Lage des Hafens zusammen. Ein Tiefseehafen, gut geschützt im Jadebusen, bietet er Schiffen, mit großem Tiefgang, einen sicheren Liegeplatz.

Die Tirpitzmole wird angesteuert und die Bola fliegt an Land. Es ist ein kleiner, faustgroßer Sandsack aus Leder, an dem sich eine dünne Leine befindet. Die Bola wird mit dem in Duchten liegenden dünnen Seil über dem Kopf geschwungen und dann im Bogen über das Wasser an Land, in die Arme der wartenden Hafenarbeiter, geworfen. Schnell ziehen die Burschen das dünne Seil an Land, an dessen Ende das Auge eines Herkulestaues befestigt ist. Ich schaue in den regenverhangenen Himmel, soweit das Auge reicht sehe ich Kaianlagen.

Ein paar Minensucher und Versorger liegen hier, alles wirkt trostlos. Die hohen Kräne recken ihre langen Hälse in den grauen Himmel wie erstarrte Krähen. Keine Bewegung ist zu sehen, nur ein langgezogener Ton von der Schleuse her zeigt an, dass wir nicht ganz alleine sind.

Am Abend sind wir auf der Rolle, wir haben frei bis zum Wecken. Wir entern eine der Jazzkneipen, ein Hauch von Erinnerung fährt mir durchs Gemüt. Was die Jungs zu Hause jetzt wohl machen? Ob unsere Band „New Swing Group“ noch existiert? Aus den Lautsprechern vernehmen wir den „Dirty Town Blues“, ein gefühlsbetontes Stück, das mich an unsere Versuche im Jazzkeller erinnern.

Der große Raum, der sich im Dunkel verliert und nur schwach die Sicht auf eine Treppe freigibt, ist voll besetzt. Einige Seelords sind anwesend und nicht mehr ganz nüchtern, andere tanzen eng umschlungen zur Musik. Als ich von der Toilette zurückkomme, hat der „Jäger“ wieder zugeschlagen.
Jim steht an einem der Pfeiler und hält einem blonden Mädchen ein Taschentuch hin. Er strahlt sie dabei an, als übergebe er ihr gerade die Kronjuwelen. Sein schmales Gesicht, mit den blauen Augen, den langen Wimpern und sein Lachen, lassen die Kleine förmlich dahin schmelzen und zaubern ein Strahlen auf ihr Gesicht.

Doch bevor ich ihn erreiche, werde ich überholt und eine zweite Holde schiebt sich ins Blickfeld. Aha, die Freundin der Blonden, ist ja nicht zu übersehen. Jetzt bekommt die Sache Charakter, ich denke, wir liegen auf gutem Kurs und haben achterlichen Wind. Sieht also ersprießlich aus. Ich sage freundlich „Hallo“ und werde auch gleich von der Freundin als „Treibgut“ in Schlepp genommen. Der Abend wird lang und wir umkreisen die beiden wie Bienen einen Pflaumenkuchen.

Gertrud, Jims Auserwählte, hat eine prima Figur, sie trägt ein knielanges Kleid und die Beine sind wohlgeformt. Wir verbringen noch einige Zeit im Jazzclub, sprechen über „Fools and Kings“ und überlassen es dann aber doch den Mädchen uns ihre Stadt zu zeigen. Sie kennen sich hier natürlich aus und schon entern wir einen Musikladen in dem der „King“ seine Lieder zum Besten gibt. Elvis ist nicht unbedingt meine Kragenweite, aber das spielt jetzt wirklich keine Rolle.

Die Stimmung ist gelöst und meine Elisabeth hängt schon seit geraumer Zeit an meinem Hals. Sie könnte glatt die Schwester von Gertrud sein, ebenfalls blond eine Spur größer als Gertrud und sie hat das gleiche freundliche Lächeln. Sie ist ein recht gescheites Mädchen, hat ihre eigenen Ideen und weiß sie auch zu vertreten, sie gefällt mir. Ich frage mich, wieso es so schnell mit den beiden geklappt hat, ob hier in Wilhelmshaven gerade Männermangel herrscht, oder stehen die Girls auf blaue Marineuniformen?

Es ist Mitternacht längst vorbei, als wir uns auf den Weg zum Hafen machen wollen. Die Mädels, schon ziemlich angeheitert, schieben uns augenzwinkernd durch die Straßen. Die Tirpitzmole liegt auf Steuerbord, wir aber haben einen anderen Kurs gewählt.

Elisabeth erklärt uns, sie würden uns jetzt mitnehmen zur „Olympiapflaume.“ Keine Ahnung um was es hier eigentlich geht, aber Gertrud erklärt, dass sie beide bei den Olympiawerken beschäftigt sind und Schreibmaschinen zusammenbauen.
Nach einiger Zeit taucht vor uns ein Hochhaus von mindestens 10-12 Stockwerken auf. Oben dreht sich das Olympiaemblem ein Kreis in rot-orange mit einem kleinen „i“ in der Mitte. Jetzt geht mir, bei der Bedeutung des Wortes, langsam ein Licht auf. Hier, sagt Elisabeth, würden sie wohnen. „In einem solchen Hochhaus?“, fragt Jim.

Schon ist der Schlüssel gezückt und wir betreten den Glas- und Stahlpalast. „Schön leise sein“, kichert Gertrud und der Aufzug bringt uns in rascher Fahrt nach oben. Ich schaue Jim an, er runzelt die Stirn und zuckt dann leicht mit den Schultern. Die Mädels lächeln und scheinen sehr zufrieden.

Die Fahrstuhltüre öffnet sich, ein dunkler Flur empfängt uns. Im dämmerigen Licht der Flurbeleuchtung sehen wir junge Mädchen von einer Türe zur anderen huschen. Sie sind zum Teil in Unterwäsche oder langen Schlafgewändern gekleidet. Es ist schon lange nach Mitternacht, wir wundern uns darüber, was hier noch los ist. Gertrud geht zielstrebig auf eine Türe zu und öffnet sie leise. Wir folgen den beiden brav und betreten einen, vom Licht nur sacht beleuchteten Raum, der erstaunlich groß ist.

Es stehen mindestens acht Betten an den Wänden verteilt, zu hören ist nichts. Die Mädels steuern auf die nebeneinanderstehenden, frisch bezogenen Betten unterhalb der Fensterfront zu und beginnen sich sofort auszukleiden. Wir tun es ihnen nach und schnell verschwinden mit ihnen in den Kojen.

Es wird gekichert und wir beginnen uns aneinander zu gewöhnen. Es geht alles gesittet und ruhig vonstatten, ich vergrabe meinen Kopf an Ellis Brust. Wir schauen uns lange an, ich zögere noch, nebenan beginnt sich das Bett langsam rhythmisch zu bewegen. Jim scheint den rechten Kurs gefunden zu haben, denke ich mir.

Ich beginne mich langsam in den Geleitzug einzureihen, ich halte ihr Gesicht mit beiden Händen und lächle sie an. Da, plötzlich geht das Licht an. Wir fahren hoch und sehen hinter uns, in den Betten, sechs aufrecht sitzende Mädchen hocken, sie kichern und scheinen höchst amüsiert. Wir stellen sofort die Gefechtsübungen ein und hoffen, dass unsere rote Gesichtsfarbe, geschützt durch den Halbschatten des Fensters, nicht zu stark von den Mädels wahrgenommen wird.

Aber Seelords müssen sich auch in misslichen Situationen zu helfen wissen. Jim macht hierbei wieder die bessere Figur. Er geht zum Gegenangriff über und plaudert, als säßen wir in einem Biergarten an der Alster, mit den Mädchen, fragt wer sie sind und ob es was zu trinken gibt.
Eine von ihnen, mit recht dünnen Beinen und auch oben rum noch in der Entwicklungsphase, saust zum Kühlschrank und bringt uns Coca-Cola, dabei himmelt sie uns an als wollte sie sagen, bald habe ich auch einen Freund und dann werde ich es euch allen zeigen.

Gertrud zieht ihren Jim wieder aufs Bett zurück, auch Elisabeth sieht mich begehrlich an. Aber wir Jungs wissen, wann eine Schlacht verloren ist. Wir steigen aus den Betten direkt in die Hosen, scherzen dabei mit den Girls, das ist Taktik, das ist Rückzug, ein klares „Sich aus der Affäre ziehen müssen.“

Gertrud und Elisabeth begleiten uns zur Türe. Wir winken den Mädels in ihren Betten zu und verschwinden durch den Ausgang, hinaus auf den Flur. Jetzt wird kein Licht angemacht. Gertrud flüstert uns zu, wir sollten um Gottes Willen ruhig sein. Der Hausmeister sei mit einem Baseball-Schläger die ganze Nacht unterwegs um die bösen, aufdringlichen Jungs zu verjagen. Uns wird dabei ganz mulmig, das hätte sie ja auch früher sagen können, meine ich.

Die Türe schließt sich, die Hydraulik beginnt zu arbeiten, Rollen und Drahtseile beginnen zu knarren und alles erscheint uns viel zu laut. Das Ächzen des Aufzuges treibt mir den Angstschweiß auf die Stirn, was, wenn beim Öffnen der Türe dieser Wahnsinnige auf uns wartet? Endlich, die Aufzugtüre öffnet sich und nichts geschieht, beruhigendes Halbdunkel umhüllt uns. Unten schließt Gertrud die Türe auf, die beiden Mädchen zittern im kühlen, morgendlichen Wind, was ihnen ein zerbrechliches Aussehen verleiht.

Wir küssen uns noch einmal leidenschaftlich und ich schaue Elisabeth dabei lange in die Augen. Ist da nicht doch ein Hauch von Traurigkeit? Als sie die Treppenstufe hinauf geht, lösen sich unsere Hände voneinander, ohne sich noch einmal umzusehen, verschwinden sie im Schatten des Treppenhauses. Schade denke ich, das hätte was werden können.

Jim und ich schlendern den breiten, menschenleeren Boulevard entlang. Die Hände in den Hosentaschen, den Blick nach unten, auf den Asphalt gerichtet. Jim legt seinen Arm um meine Schulter, er hat begriffen.
Er grinst mich an, jetzt lacht er. Er ist ein echter Kumpel. Wir lachen beide lauthals, ein echtes Abenteuer.

Langsam fährt die Kamera zurück. Am Horizont dämmert es bereits. Eine frische Brise vom Meer treibt einen kühlen Wind vor sich her und lässt uns für einen Moment frösteln, aber wirklich anhaben kann er uns nichts, nicht heute.
Die seitliche Häuserfront schiebt sich langsam ins Sichtfeld. Die beiden Jungs auf breiter, menschenleerer Straße, jeder den Arm über die Schulter des anderen gelegt, werden kleiner und kleiner. Man hört sie singen, dabei immer leiser werdend:



Kameraden, wir haben die Welt gesehen,

Paris und das Heilige Land,


wir haben unsere Seelen in das Meer gekotzt,

vor Australien da schwimmen sie an Land….

 



 
Oben Unten