Aber der Skorpion sticht doch

GerRey

Mitglied
If you can't sing, clap your hands.
You can't clap your hands - there's no hope.

(Ray Davis)


Sie hatte auf ihn geschossen. In Kopfhöhe. Sechs Zentimeter weiter runter - Kilian hatte das gleich nachgemessen - und sie hätte eine Furche auf seiner Glatze hinterlassen, wo er dereinst den Mittelscheitel seiner brustlangen Haare gezogen hatte. Und von da war es nicht weit, ihm ein drittes Auge verpasst zu haben.
Jetzt lag sie da, vom Rückstoß der Pistole und dem Alk, mit dem sie sich tüchtig abgefüllt hatte, gegen die Wand neben die Stereoanlage geworfen, das Haar zerzaust, die Beine ausgestreckt und weit offen, sodass man unter dem Rock ihre weiße Unterwäsche mit den Daumennagel-großen roten Herzen sehen konnte.
Die Pistole, eine Tokarev TT-33, mit einem eingravierten kommunistischen Stern am Griff, hatte er ihr natürlich längst aus der Hand genommen und hinten in seinen Gürtelbund gesteckt. Es war seine Pistole, seinerzeit auf dem Schwarzmarkt während der Jugoslawien Kriege für zweihundert Deutsche Mark gekauft (eine Handgranate hätte es für 50 DM drauf gegeben - da hatte er aber in weiser Voraussicht darauf verzichtet).
Im Raum hing noch der Geruch. der abgefeuerten Waffe.
Vor nicht ganz drei Stunden hatte er die Blondine kennengelernt, als er mit seiner nostalgischen Braut, der weißen Moto Guzzi V7 Special, Bj. 1969, ausgeritten war, um sie wieder einmal ordentlich aufzudrehen. Die Landstraße zwischen den lose auseinanderliegenden Dörfern war sonntags spätabends kaum befahren. Und so waren sie beide auf Touren gekommen, als da plötzlich dieses Mädchen im Scheinwerferlicht am Straßenrand auftauchte. Natürlich besoffen, wie er gleich erkannte. Und barfuß. Kilian bremste die Maschine ab und hielt ein paar Schritte vor dem Mädchen, das hinter ihm nachgelaufen kam. Er sah sie an und verspürte sofort den Drang, sie zu vögeln. Sie war zwar besoffen, hatte aber alles, was man sich an einem Weib wünschen konnte.
“Wo hast du denn deine Schuhe?” hatte er sie gefragt. Aber sie hatte nur mit einem bedauernden Gesichtsausdruck zögerlich mit den Achseln gezuckt. Also hatte er sie hinten aufsteigen lassen und war mit ihr - die ihn brav mit ihren Armen umschlang und sich an seinen Rücken schmiegte - nach Hause gebraust.
Kilian sah auf die Wand. Jetzt war da ein Loch, in dem das Projektil Kaliber 7,62 × 25 mm steckte. Dabei hatte Kilian erst unlängst die gemusterte, alte Strukturprofiltapete, die auf der Wand klebte, in Aubergine übermalt. Die ursprüngliche Struktur der Tapete hatte Leben in die Übermalung gebracht. Für die Wand. in der der Eingang des Wohnzimmers war, und die gegenüberliegende hatte sich seine Lebensgefährtin Elli, mit der er zusammenlebte und die sich gerne einbildete, ihn eingefangen und gezähmt zu haben, den Farbton Aubergine ausgesucht - die anderen beiden Wände und die Decke waren in schlichtem Weiß geblieben. Als Überraschung für seinen Liebling, wie er sie nannte, hatte Kilian, um eine Trennung zwischen den beiden weißen Wänden und der Decke einzufügen, eine etwa zehn Zentimeter breite Schablone gebastelt, auf der über die Länge der jeweiligen Wand ein Mäander in eckigen, labyrinthartigen Wellen, die die auberginefarbenen Wände an ihrem oberen Abschluss, 30 cm unterhalb der Decke, verbinden sollte - natürlich würden die Mäandern in Form der Ausschnitte in der Schablone auch in Aubergine kommen. Mit dieser Arbeit wollte er morgen - nein, heute, versicherte sich mit einem kurzen Blick auf seine Armbanduhr - beginnen, solange Elli noch bei ihrer Tante zu Besuch weilte, schließlich war es eine Erbtante! Alles war dafür in seiner Werkstatt im Keller vorbereitet. Und jetzt konnte er dorthin laufen, um Spachtelmasse und Werkzeug zu holen und das Einschussloch in der Wand auszubessern. Aber man würde es trotzdem sehen. Und als er sich fragte, was Elli …
“Hallo, Süßer”, sagte plötzlich das Mädchen auf dem Boden, das mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt, neben der Tür auf dem Boden saß und ihn mit einem irren Grinsen und großen Augen anstierte. “Hast du noch etwas von dem Feuerwasser?”
Er ging an ihr vorbei durch die Tür in die Küche und nahm die Flasche Weinbrand vom Tisch, schraubte sie auf, nahm selber einen tiefen Schluck und brachte die offene Flasche dann ins Wohnzimmer zu dem Mädchen.
“Wie heißt du eigentlich?”
“Sandra”, sagte das Mädchen und setzte die Flasche an die geöffneten Lippen. Nachdem sie getrunken hatte, nahm sie die Flasche ab, behielt sie aber im Schoß.
“Du musst mich ja ganz schön gebumst haben - mir tut der halbe Rücken weh!”
Kilian musste lachen.
“Ja”, sagte er dann, “mir stehen auch noch Blitze vor Augen.”
“Hilf mir einmal auf!”
Er nahm ihr die Flasche aus der Hand und zog sie dann an ihrer Hand hoch.
Sie waren vorher, als sie zu Kilians Haus gekommen waren, in der Küche am Tisch gesessen und hatten Cola-Weinbrand getrunken. Sie erzählte ihm von einer Party. Irgendwas war da mit ihrer Freundin Sonja schiefgegangen. Also hatte sie sich besoffen und war dann, als ihr schlecht geworden war, von der Party abgehauen. Nachdem sie sich auf dem Weg nach Hause im Straßengraben ausgekotzt hatte, war auch schon Kilian auf seinem Motorrad erschienen…
Mit zunehmendem Alkoholkonsum war sie dann wieder leicht verfallen und glaubte, von ihm entführt worden zu sein.
“Du kannst gerne wieder auf die Straße und nach Hause laufen”, hatte er geantwortet, war aufgestanden und hatte ihr die Tür geöffnet. Aber sie wollte lieber Musik hören. Und als er zu seiner Plattensammlung im Wohnzimmer gegangen war, um etwas aufzulegen, war sie nachgekommen und wollte sich etwas Gefälliges auszusuchen.
“Das ist ja lauter altes Zeug!” hatte sie dann empört gerufen und ihn angesehen, als wäre er ein Außerirdischer.
Die Tokarev, mit der er mittags in einem nahen Wäldchen Schießübungen veranstaltet hatte, lag noch auf der Kommode. Sie griff plötzlich danach und richtete den Lauf gegen ihn. Natürlich steckte noch das Magazin in der Waffe.
“Ich kann auch das Radio mit moderner Musik laufen lassen”, hatte er mit beruhigender Stimme gesagt, die Hände abwehrend hochgehoben, und war vorsichtig und langsam vor ihr zurückgewichen.
In ihrem Gesicht verzerrte plötzlich aufkommender Hass die Mimik. Die schönen Züge waren zur Fratze verkommen.
“Du Arschloch wolltest mich mit der Knarre hier umbringen - nicht wahr!”
Ihre Stimme hatte sich überschlagen. Sie riss mit beiden Armen die Pistole hoch, zielte auf seinen Kopf und drückte ab.
Natürlich hatte er - wie immer - vergessen, dass gute Stück zu sichern. Ohne Elli tickte er eben nicht richtig. Und dann lag er auch noch tot im Wohnzimmer herum, wenn sie von der Tante nach Hause kam. Das Blut … alles versaut und an einem Glasrand verschmierter Sandra-Mädchen-Lippenstift. Dabei hatte der Skorpion noch gar nicht gestochen. Sinnlos, so zu sterben. Jämmerlich! Aber Elli war noch weit … weit … weit… wie hinter einer nebeligen Marihuana-Wand.
Unter einem fürchterlichen Krach löste sich der Schuss und war über seinem Kopf hinweg in die Wand gefahren - und die Kleine gleichzeitig nach rückwärts gestolpert, wo sie mit dem Kopf gegen die Wand geknallt war.
“Was ist denn geschehen?” fragte sie, nachdem er sie vom Boden auf die Beine gebracht hatte.
“Nichts”, antwortete er, holte - von ihr unbemerkt - die Pistole aus seinem Hosenbund und steckte sie zwischen die aufgefächerten Plattencover. Der Wunsch nach Musik war ihnen beiden wohl vergangen.
“Du bist gestürzt”, sagte er dann, “und mit dem Kopf gegen die Wand gestoßen. Blutest du?”
“Ich glaube nicht”, sagte sie und tastete mit den Händen ihr Haar ab.
Dann gingen sie in die Küche, wo er unter dem starken Deckenlicht besser ihren Kopf unter dem zerwühlten blonden Haar untersuchen konnte. Oberflächlich hatte er sie ja schon untersucht, als er ihr die Waffe abnahm. Dabei kam er ihr so nah, dass er plötzlich spürte, wie sie ihren Hintern an ihm zu reiben begann.
“Du Luder”, flüsterte er ihr ins Ohr, stieß sie nach vor auf den Tisch, hielt mit einer Hand ihren Oberkörper unten und schob mit der anderen den Rock hinten hoch.
“Wird's jetzt endlich spannend”, keuchte sie, die Wange auf der Tischplatte, von der Heftigkeit des Übergriffs aufgewühlt.
Er riss ihr den Herzerl-Slip herab und öffnete seine Hose. Irgendwie kam er sich vor wie unter LSD. Alles Blut schien sich an einen Punkt zu konzentrieren und zu verhärten. Als er in sie eindrang, dachte er nur mehr daran, wie sie auf ihn geschossen hatte … ließ sich, Szene für Szene und Stoß für Stoß, von diesen Gedanken leiten.
 



 
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