Ach, Du dicke Lilly - 3 - Rubbel die Katz, oalts Weibsbuild
© Tessy
Nun sollte das Schicksal seinen Lauf nehmen. Die fortschreitende Einschränkung meiner körperlichen Bewegungsfähigkeit und meine eigene Selbstaufgabe, die mich desillusioniert und ohne Zukunftsperspektive meinem Schicksal überlässt, bildeten nur die Ouvertüre zu dem, was unbemerkt auf mich zurollte.
Und dann hob sich der Vorhang zum ersten Akt.
Ich bin mit dem Fuß umgeknickt und schlug mit dem Gesicht auf den Boden. Kopf, Hüfte, Rücken, Schulter und Knie meldeten sich mit Schmerzen zu Worte und ich robbte zwei Stunden auf dem Boden umher, bis ich mich schließlich hochziehen konnte. Kati kam blitzschnell und hat mich versorgt und mir nochmals eingeschärft, mich nur noch mit der Gehhilfe im Haus zu bewegen.
Nach ein paar Tagen erscheint ein junger Mann und installiert ein WLAN bei meinem Telefonanschluss. Er sagt, das sei alles mit Kati so abgesprochen.
Kurz danach taucht Kati auf und bringt ihren alten Laptop mit. "So Mama, damit's Di' nit z' longweilig wird, wennst nur immer so herumsitzt", erklärt sie mir, "denn konnst a wos anderes gucken als nur Dei Illustrierte." Kati klappt das Gerät auf und führt es mir vor: "Du schaust doch gern Tiere, oder? Da tippst' des Wort 'Tiere' eini und dann zeigt's Di' alles mit die Viechern. Is des nit schee,Mama?"
Das gefällt mir gut und es gibt auch ein wenig Abwechslung. Wir hatten zwar früher einmal einen Computer, den die Mädchen und ich benutzt haben aber der ist schon lange nicht mehr in Ordnung und so ein Laptop ist schon eine feine Sache. Mal sehen, ob ich damit überhaupt zurechtkomme.
Ich habe dann ein paar Tage später mit meiner allerbesten Jugendfreundin Vroni telefoniert und sie hat mich dann abends besucht. Sie ist kleiner als ich und hat ein fröhliches rundes Gesicht, einen leichten Silberblick und blonde Zöpfe. Meist steht sie mit nach innen gerichteten Füßchen da und wegen ihres Hohlkreuzes guckt ihr Hintern immer etwas nach hinten heraus. Wie bei einer kleinen Ente.
Wir sind damals bei uns im Heuschober gesessen und haben uns vorgestellt, wie wir es mit den Jungen machen werden und das Küssen geübt. Mit dem billigsten Lippenstift aus dem Kaufladen haben wir ein Blatt Papier nach dem anderen geküsst und den Abdruck studiert.
Vroni war damals schon ein wenig 'weiter' als ich. Da muss man doch auch was mit der Zunge machen, hatte Vroni gehört. Aber was? Das wussten wir auch nicht. Und schließlich haben wir uns mutig zu einen Selbstversuch entschieden und geguckt, was Zungen so machen müssen. Irgendwie hat uns das gefallen mit dem dicken klebrigen Lippenstift dazwischen. Wir haben uns dann gegenseitig in den Arm genommen und uns am Busen gestreichelt und vor Aufregung gezittert. Vroni hatte knallrote Ohren und Bäckchen. Ich weiß das noch wie heute. Die hatte sie schon in der Schule immer, wenn sie aufgeregt war. Irgendwie fühlte es sich falsch an, aber unsere Neugier und Erregung ließen uns die Grenzen der Sittsamkeit überschreiten und bescherten uns beiden unsere allerersten Glücksmomente. Das war damals richtig heftig, weil es neu und doch eigentlich verboten war. Das vergesse ich nie.
Irgendwann wurden wir müde und sind so, wie wir waren im Heu eingeschlafen. Vroni hat dann ihre Beine angezogen, ihren Kopf in meinen Arm gelegt und sich an mich angekuschelt, wie eine Frau sich nachts an ihren Mann ankuschelt.
Jemand muss uns aber belauscht haben. Ich weiß nur nicht wer, aber von da an hielt sich das Gerücht, das ich 'so eine' sei. Ich bin nicht lesbisch, aber vielleicht ein bisschen 'Bi'? Ich weiß es nicht. Es war ja auch das einzige Mal und ich möchte auch nicht wieder in so eine Situation geraten. Vroni sagte mir einmal, dass sie diesen Tag damals nie vergessen kann und ich ihre große Liebe bin und sie sich gewünscht hätte, wenn ich ihr 'Mann' geworden wäre.
Irgendwie hatte Vroni aber damals bei mir die Lunte der Leidenschaft entfacht und vielleicht habe ich mich auch manchmal etwas zu schnell in die Arme eines Buben geflüchtet, um ihr keine Gelegenheit zu geben, mir Avancen zu machen.
Vroni durfte ihre Zuneigung zu Frauen nie zeigen und hielt es verborgen. Sie hat dann ihren Mann Dieter geheiratet und einen Sohn bekommen, der heute im Allgäu lebt. Ich denke einmal, dass das Liebesleben der beiden wohl nicht ganz einfach und eher unausgefüllt war. Sie und ihr Mann haben sich dann auch früh wieder getrennt, nachdem Vroni ihm ihre Bedürfnisse gestanden hat. Trotzdem sind sie nicht im Zorn auseinander gegangen und mit Dieter ist sie auch heute noch ab in Kontakt und manchmal greift er ihr auch ein wenig unter die Arme.
Heute arbeitet sie im Wirtshaus, kümmert sich als gelernte Hauswirtschafterin um die Fremdenzimmer und bedient im Restaurant. Sie erträgt es mit stoischer Ruhe, dass 'Mann' ihr in den Ausschnitt gafft, sie antatscht und ihr auf den Hintern klopft. "Wos soll's", sagt sie, "Denn schau i a bisserl bös drein und dann gibt es a bessers Trinkgeld."
Wenn es eine Castingshow gäbe zum Thema 'Deutschland sucht die Superfrau der enttäuschten Sehnsüchte', würden Vroni und ich mit Sicherheit in den Recall kommen und wir hätten gute Chancen für einen Platz in den Top Ten. Mein üppiger Dschungel der Leidenschaft wurde nach meiner Heirat zugunsten eines Opel Manta B langsam abgeforstet und entwickelte sich über die Jahre zu einer ausgetrockneten Steppe. Vroni dagegen hat sich noch nicht aufgegeben und träumt noch immer davon, einmal 'Die Richtige' zu treffen, die sie pflückt und sie zur Frau nimmt.
Nun folgt der zweite Akt.
Und wieder ist es die Vroni, die wie früher den Anstoß gibt und einen Stein ins Rollen bringt.
Vroni spielt nach außen hin die Rolle des schüchternen Mädchens, das nie so richtig jemanden abgekommen hat. So wird sie auch im Dorf wahrgenommen und als biederes übriggebliebenes Mauerblümchen akzeptiert. Ihr ist es erspart geblieben, so wie ich als Schlampe abgestempelt zu werden.
Aber hinter dieser Fassade lebt sie dank Computer und Handy im Verborgenen ihr zweites Leben. Sie sagt, dass sie Angst hat, dass man sie wahrscheinlich totschlägt, wenn sie sich offenbaren würde und deshalb hält sie es lieber hinter dem Berg: "Des sog‘ i oaber erst, wenn's mi denn nit mehr totschlogn können."
Ich zeige ihr stolz meinen Laptop und wie toll ich hier Tiere angucken kann. Sie guckt über den Rand ihrer kleinen Lesebrille und lacht. Das sei wohl das Langweiligste, was man sich im Internet angucken kann.
"Hast D‘ schon mol a Chatroom besucht?", fragt sie mich? "Ach, geh ma weg mit sowas", sag ich ihr, "Des is doch schamlos und dann san do doch nur Perverse, oder?" Schnell hat sie etwas eingetippt und es öffnet sich ein Chatfenster namens "Von Frau zu Frau" und sie tippt etwas ein. "Do bin i meist am Ratschn und i hob Di eben als Lilly57 eing'richtet. Des hob i fast den ganzn Tag aufm Handy am laufen und do kriegst Du mi meinst z' fassn. Do, schau mal!", sagte sie und tippte etwas auf ihrem Handy, "I bin Vroni57. Und wennst' mi anlickst, dann können mer mit'nand sprechn. Und wenn Du do auf des Knopferl klickst, dann kannst Du mi a sehen und hören kannst mi a. Und de Reni, de alte Hexe kriegt davon nix mit. De hod vorhin schon g'lauert, wie i gkomma bin."
Tatsächlich sehe ich Vroni, wie sie ins Handy blickt und sie konnte mich sehen. Eine tolle Technik!
"Wieso nimmst denn Lilly und nit Resi?", frage ich Vroni und sie antwortet mit einem Augenzwinkern: "Resi riecht noh Hühnerstall und fahrt mit’m Traktor. Lilly hod a Parfüm, hod Stil und fahrt mit’m Auto."
"Wart' mal, des speichern mer eben unter Favoriten, und dann brauchst D' des nur anklickn und schon bist D' do drin." Vroni bemerkt: "Do san ja scho viele Favoriten drin. Resi, hast D' de alle schon eing'richtet?" Ich erkläre ihr, dass das alles noch von Kati sein muss und Vroni bewundert: "Joi, wos is denn des jetzt? Sexy Lady XXL. Do schauen mer doch mal. Hui, is des aber schick!" Tatsächlich, sexy Sachen für drunter für Seekühe wie mich.
Irgendwie ist mir das peinlich, dass wir hinter Katis Rücken ihre Spuren lesen, aber Vroni hat schon die Bestellliste angeklickt und zeigt mir, was sich Kati so in letzter Zeit bestellt hat. Heiliger Bimbam, sind das scharfe Sachen! Meine Kati weiß aber wirklich, wie sie ihren Ferdi bei Laune hält. "Do, schau mal, den X.Max S9! Den hob i heuer a g‘kauft. Der is super gut für'n G-Punkt und kost' nur 19,99 Euro. Des is günstig!", begeistert sich Vroni mit roten Bäckchen und roten Ohren für einen Vibrator. "Ach geh ma weg, so ein Schweinkram mach i nit und so oan G-Punkt hob i schon lange nit mehr und denn mach i doch keine Liebe mit wos, wo Made in China draufsteht.", entgegne ich und Vroni lacht mich an und verspricht ihn mir als nachträgliches Geburtstagsgeschenk vom letzten Jahr.
Ich fasse es eigentlich nicht! Meine Kati, meine "Tochter-Vernünftig" mit den Birkenstockschuhen, die mir Kaffee und Wein verbietet und mein Leben bestimmt, mich um 9 Uhr abends ins Bett schickt, mir 'vernünftige' praktische und 'altersgerechte' Kleidung in Suizid-fördernden Farbtönen aussucht und mir sagt, ich soll vernünftig sein und mich nicht aufregen - die kauft sich solche Sachen. Das hätte ich nicht erwartet. Ihr etwa?
Sagen kann ich ja nichts, denn dann würde ja auffliegen, dass Vroni und ich von hinten herum gespickt haben und dann würde sie mir wohl den Laptop wieder wegnehmen. Aber auf der anderen Seite durchsucht Kati auch meine Schränke und meinen Müll. Und Vroni hält schon den Mund, da kann ich mich drauf verlassen.
Darauf brauchen wir erstmal ein Glas Wein und dann wird weitergeforscht. Irgendwie kommen wir uns vor, wie alberne, neugierige Schulmädchen und aufgeregt bin ich auch. Und Vroni kennt eine Menge interessanter Sachen im Internet. Da merkt man erst, dass ich all die Jahre keinen Computer hatte.
Wir haben dann die Gläser abgewaschen und wieder in den Schrank gestellt und Vroni nimmt die leere Flasche mit, damit Kati sie nicht findet. Ganz leise schiebt sie ihr Fahrrad den Staignweg hinunter und macht erst auf der Hauptstraße das Licht an, damit die Reni das nicht mitbekommt. Es ist schon eine Schande, dass man sich an der alten Hexe so vorbeischleichen muss, weil sie sonst im ganzen Ort erzählt, wer mich besucht.
Ich konnte gar nicht richtig schlafen. So aufgeregt war ich noch und als Kati mich morgens um 8 Uhr wie immer anrief, war ich noch so richtig müde.
Aber nun folgt der dritte Akt.
Drei Tage später läutet der Postbote bei mir an der Tür und hat ein Päckchen. Ich ahne Schlimmes! Ihr könnt Euch auch denken was da drin ist, oder? Na klar, genau das!
Auf die süffisante Frage des Postboten nach dem Inhalt, habe ich ihm geantwortet, dass es die Jubiläums CD Box der Wildecker Herzbuben ist. Und ihr werdet es nicht glauben, ein paar Tage später fragte mich doch tatsächlich die Reni von nebenan, wie mir die neue CD gefällt. Big Brother ist nichts gegen Achenweiler! Stellt Euch vor, ich hätte dem Postboten die Wahrheit gesagt! Ob Reni dann auch gefragt hätte, wie es mir gefällt? Ich muss bei dem Gedanken jetzt richtig schmunzeln.
Zurück zu meinem Geschenk. Ich habe es ausgepackt und bin zwei Tage lang drum herum geschlichen. Aber meine Neugier hatte gesiegt. "Mutter Maria", mehr sage ich dazu nicht. Und das, wo ich mich nicht aufregen soll. Aber frau ist hinterher ja auch so wunderbar entspannt.
Vroni und ich tauschen uns nun laufend per Computer aus und sie hält mich mit ihren kleinen Andeutungen und Bemerkungen ganz gut auf Trapp. Wir albern herum wie die Teenager. Und so ganz langsam regen sich in mir wieder erste Lebensgeister. Ich ertappe mich bei schönen leidenschaftlichen Gedanken und mir gehen die Worte von damals bei der Beichte nicht aus dem Sinn: "I hob Unschamhaftes g'dachd und manchmal a g'macht." Aber nur heimlich.
Ich habe mir dann in dem Shop von der Kati auch etwas Schickes für 'darunter' für mich entdeckt und mir einen schlichten schwarzen Body mit etwas Spitze bestellt. Ich war so aufgeregt als das Paket ankam. Glücklicherweise war der Karton neutral gehalten. Dem Postboten habe ich vorgespielt, wie glücklich ich bin, dass meine Stützstrümpfe jetzt endlich gekommen sind. Dann hat er wieder was zu erzählen.
Natürlich will ich gleich wissen, wie ich bayerisches Prallweib wohl darin aussehe. Ich habe dann mit meiner Webcam Selbstportraits - auf neudeutsch 'Selfies' aufgenommen. Das Ergebnis ließ sich durchaus sehen - zwar sehe ich aus wie die Schwester vom Michelin-Männchen - aber ich stellte dabei fest, dass mir das etwas aufreizende Posieren durchaus wieder etwas Spaß macht - so wie damals, als ich noch Teenager war.
Dummerweise hat Kati neulich auf einem Freitag den Body in meinem Schrank gefunden und mich zur Rede gestellt. Ich beichtete ihr, dass ich das im Internet bestellt hatte und daraufhin wurde sofort eine intensive Hausdurchsuchung durchgeführt. Den Wein hat sie nicht gefunden, aber den Kaffee und den X-Max S9 hat sie entdeckt.
Und dann war was los! Wie ich sowas einfach bestellen kann! Was mir einfällt! Ob ich noch bei Trost bin! Wie ich sie so hintergehen kann! Schließlich opfert sie sich für mich auf und schuftet, bis ihr das Blut unter den Fingernägeln hervorquillt! Warum ich ihr das antue! Dann reden die Leute wieder! Ob ich das etwa will! Dann geht sie gleich wieder nach Hause! Und wenn ich nicht sofort wieder vernünftig werde, dann kann ich sehen, wo ich bleibe! Und sie wird in Zukunft noch mehr auf mich aufpassen müssen, weil ich ja offenbar ein trotziges Kleinkind bin! Aber nicht mit ihr! Sonst nimmt sie mir den Laptop wieder weg!
Gut, das Ganze hat Ritualcharakter, aber es trifft einen ja doch, wenn die Tochter derart heftig mit einem schimpft. Androhung von Liebesentzug, Ausgrenzung und Einschränkung oder Entzug von Sachgütern. Ja, ich weiß! So habe ich es ja damals auch gemacht. Also, was beklage ich mich heute? Und soll sie mir doch den Laptop wegnehmen. Vroni hat gesagt, sie hat auch noch einen alten herumliegen und den könnte ich dann haben.
Und als ich Kati sagte, dass der X-Max ein Geburtstagsgeschenk von Vroni war, bekam die zweite Abreibung. Kati ist froh, dass endlich Ruhe einkehrt war, und nun das! Wenn der Postbote den Absender sieht, weiß doch jeder, was da drin ist! Und das gibt doch dann nur Gerede. Ob ich denn nicht einmal auf Kati Rücksicht nehmen kann!
Eigentlich war ich auch ein wenig verärgert über ihre bigotte Art. Mein Body ist doch noch züchtig, verglichen mit den heißen Dessous und offenen Höschen, die Kati sich bestellt hat. Und den X-Max hat sie auch im Schrank! Ich habe mir richtig auf die Zunge gebissen, denn ich konnte ja nichts sagen, ohne mich zu verraten.
Den Kaffee hat sie mir dann wieder auf den Küchentisch geworfen. Ich soll doch machen was ich will! Aber wenn ich dann sterbe hat sie schließlich die ganze Arbeit! Ich soll nun mal wieder vernünftig werden, denn schließlich bin ich eine todkranke Frau! Und wenn ich morgen Nachmittag noch am Leben bin, dann kommt sie vielleicht vorbei und bringt mir ein paar Einkäufe mit!
Ich will noch etwas sagen, aber ich werde rüde mit ihrem abrupt erhobenen Zeigefinger vor ihren Lippen und einem lauten deutlichen "Schsch" daran erinnert, dass Kati keinen Widerspruch duldet. Dann dreht sie sich um, geht und knallt die Haustür zu.
Soweit so gut.
Nun folgt der vierte Akt.
© Tessy
Nun sollte das Schicksal seinen Lauf nehmen. Die fortschreitende Einschränkung meiner körperlichen Bewegungsfähigkeit und meine eigene Selbstaufgabe, die mich desillusioniert und ohne Zukunftsperspektive meinem Schicksal überlässt, bildeten nur die Ouvertüre zu dem, was unbemerkt auf mich zurollte.
Und dann hob sich der Vorhang zum ersten Akt.
Ich bin mit dem Fuß umgeknickt und schlug mit dem Gesicht auf den Boden. Kopf, Hüfte, Rücken, Schulter und Knie meldeten sich mit Schmerzen zu Worte und ich robbte zwei Stunden auf dem Boden umher, bis ich mich schließlich hochziehen konnte. Kati kam blitzschnell und hat mich versorgt und mir nochmals eingeschärft, mich nur noch mit der Gehhilfe im Haus zu bewegen.
Nach ein paar Tagen erscheint ein junger Mann und installiert ein WLAN bei meinem Telefonanschluss. Er sagt, das sei alles mit Kati so abgesprochen.
Kurz danach taucht Kati auf und bringt ihren alten Laptop mit. "So Mama, damit's Di' nit z' longweilig wird, wennst nur immer so herumsitzt", erklärt sie mir, "denn konnst a wos anderes gucken als nur Dei Illustrierte." Kati klappt das Gerät auf und führt es mir vor: "Du schaust doch gern Tiere, oder? Da tippst' des Wort 'Tiere' eini und dann zeigt's Di' alles mit die Viechern. Is des nit schee,Mama?"
Das gefällt mir gut und es gibt auch ein wenig Abwechslung. Wir hatten zwar früher einmal einen Computer, den die Mädchen und ich benutzt haben aber der ist schon lange nicht mehr in Ordnung und so ein Laptop ist schon eine feine Sache. Mal sehen, ob ich damit überhaupt zurechtkomme.
Ich habe dann ein paar Tage später mit meiner allerbesten Jugendfreundin Vroni telefoniert und sie hat mich dann abends besucht. Sie ist kleiner als ich und hat ein fröhliches rundes Gesicht, einen leichten Silberblick und blonde Zöpfe. Meist steht sie mit nach innen gerichteten Füßchen da und wegen ihres Hohlkreuzes guckt ihr Hintern immer etwas nach hinten heraus. Wie bei einer kleinen Ente.
Wir sind damals bei uns im Heuschober gesessen und haben uns vorgestellt, wie wir es mit den Jungen machen werden und das Küssen geübt. Mit dem billigsten Lippenstift aus dem Kaufladen haben wir ein Blatt Papier nach dem anderen geküsst und den Abdruck studiert.
Vroni war damals schon ein wenig 'weiter' als ich. Da muss man doch auch was mit der Zunge machen, hatte Vroni gehört. Aber was? Das wussten wir auch nicht. Und schließlich haben wir uns mutig zu einen Selbstversuch entschieden und geguckt, was Zungen so machen müssen. Irgendwie hat uns das gefallen mit dem dicken klebrigen Lippenstift dazwischen. Wir haben uns dann gegenseitig in den Arm genommen und uns am Busen gestreichelt und vor Aufregung gezittert. Vroni hatte knallrote Ohren und Bäckchen. Ich weiß das noch wie heute. Die hatte sie schon in der Schule immer, wenn sie aufgeregt war. Irgendwie fühlte es sich falsch an, aber unsere Neugier und Erregung ließen uns die Grenzen der Sittsamkeit überschreiten und bescherten uns beiden unsere allerersten Glücksmomente. Das war damals richtig heftig, weil es neu und doch eigentlich verboten war. Das vergesse ich nie.
Irgendwann wurden wir müde und sind so, wie wir waren im Heu eingeschlafen. Vroni hat dann ihre Beine angezogen, ihren Kopf in meinen Arm gelegt und sich an mich angekuschelt, wie eine Frau sich nachts an ihren Mann ankuschelt.
Jemand muss uns aber belauscht haben. Ich weiß nur nicht wer, aber von da an hielt sich das Gerücht, das ich 'so eine' sei. Ich bin nicht lesbisch, aber vielleicht ein bisschen 'Bi'? Ich weiß es nicht. Es war ja auch das einzige Mal und ich möchte auch nicht wieder in so eine Situation geraten. Vroni sagte mir einmal, dass sie diesen Tag damals nie vergessen kann und ich ihre große Liebe bin und sie sich gewünscht hätte, wenn ich ihr 'Mann' geworden wäre.
Irgendwie hatte Vroni aber damals bei mir die Lunte der Leidenschaft entfacht und vielleicht habe ich mich auch manchmal etwas zu schnell in die Arme eines Buben geflüchtet, um ihr keine Gelegenheit zu geben, mir Avancen zu machen.
Vroni durfte ihre Zuneigung zu Frauen nie zeigen und hielt es verborgen. Sie hat dann ihren Mann Dieter geheiratet und einen Sohn bekommen, der heute im Allgäu lebt. Ich denke einmal, dass das Liebesleben der beiden wohl nicht ganz einfach und eher unausgefüllt war. Sie und ihr Mann haben sich dann auch früh wieder getrennt, nachdem Vroni ihm ihre Bedürfnisse gestanden hat. Trotzdem sind sie nicht im Zorn auseinander gegangen und mit Dieter ist sie auch heute noch ab in Kontakt und manchmal greift er ihr auch ein wenig unter die Arme.
Heute arbeitet sie im Wirtshaus, kümmert sich als gelernte Hauswirtschafterin um die Fremdenzimmer und bedient im Restaurant. Sie erträgt es mit stoischer Ruhe, dass 'Mann' ihr in den Ausschnitt gafft, sie antatscht und ihr auf den Hintern klopft. "Wos soll's", sagt sie, "Denn schau i a bisserl bös drein und dann gibt es a bessers Trinkgeld."
Wenn es eine Castingshow gäbe zum Thema 'Deutschland sucht die Superfrau der enttäuschten Sehnsüchte', würden Vroni und ich mit Sicherheit in den Recall kommen und wir hätten gute Chancen für einen Platz in den Top Ten. Mein üppiger Dschungel der Leidenschaft wurde nach meiner Heirat zugunsten eines Opel Manta B langsam abgeforstet und entwickelte sich über die Jahre zu einer ausgetrockneten Steppe. Vroni dagegen hat sich noch nicht aufgegeben und träumt noch immer davon, einmal 'Die Richtige' zu treffen, die sie pflückt und sie zur Frau nimmt.
Nun folgt der zweite Akt.
Und wieder ist es die Vroni, die wie früher den Anstoß gibt und einen Stein ins Rollen bringt.
Vroni spielt nach außen hin die Rolle des schüchternen Mädchens, das nie so richtig jemanden abgekommen hat. So wird sie auch im Dorf wahrgenommen und als biederes übriggebliebenes Mauerblümchen akzeptiert. Ihr ist es erspart geblieben, so wie ich als Schlampe abgestempelt zu werden.
Aber hinter dieser Fassade lebt sie dank Computer und Handy im Verborgenen ihr zweites Leben. Sie sagt, dass sie Angst hat, dass man sie wahrscheinlich totschlägt, wenn sie sich offenbaren würde und deshalb hält sie es lieber hinter dem Berg: "Des sog‘ i oaber erst, wenn's mi denn nit mehr totschlogn können."
Ich zeige ihr stolz meinen Laptop und wie toll ich hier Tiere angucken kann. Sie guckt über den Rand ihrer kleinen Lesebrille und lacht. Das sei wohl das Langweiligste, was man sich im Internet angucken kann.
"Hast D‘ schon mol a Chatroom besucht?", fragt sie mich? "Ach, geh ma weg mit sowas", sag ich ihr, "Des is doch schamlos und dann san do doch nur Perverse, oder?" Schnell hat sie etwas eingetippt und es öffnet sich ein Chatfenster namens "Von Frau zu Frau" und sie tippt etwas ein. "Do bin i meist am Ratschn und i hob Di eben als Lilly57 eing'richtet. Des hob i fast den ganzn Tag aufm Handy am laufen und do kriegst Du mi meinst z' fassn. Do, schau mal!", sagte sie und tippte etwas auf ihrem Handy, "I bin Vroni57. Und wennst' mi anlickst, dann können mer mit'nand sprechn. Und wenn Du do auf des Knopferl klickst, dann kannst Du mi a sehen und hören kannst mi a. Und de Reni, de alte Hexe kriegt davon nix mit. De hod vorhin schon g'lauert, wie i gkomma bin."
Tatsächlich sehe ich Vroni, wie sie ins Handy blickt und sie konnte mich sehen. Eine tolle Technik!
"Wieso nimmst denn Lilly und nit Resi?", frage ich Vroni und sie antwortet mit einem Augenzwinkern: "Resi riecht noh Hühnerstall und fahrt mit’m Traktor. Lilly hod a Parfüm, hod Stil und fahrt mit’m Auto."
"Wart' mal, des speichern mer eben unter Favoriten, und dann brauchst D' des nur anklickn und schon bist D' do drin." Vroni bemerkt: "Do san ja scho viele Favoriten drin. Resi, hast D' de alle schon eing'richtet?" Ich erkläre ihr, dass das alles noch von Kati sein muss und Vroni bewundert: "Joi, wos is denn des jetzt? Sexy Lady XXL. Do schauen mer doch mal. Hui, is des aber schick!" Tatsächlich, sexy Sachen für drunter für Seekühe wie mich.
Irgendwie ist mir das peinlich, dass wir hinter Katis Rücken ihre Spuren lesen, aber Vroni hat schon die Bestellliste angeklickt und zeigt mir, was sich Kati so in letzter Zeit bestellt hat. Heiliger Bimbam, sind das scharfe Sachen! Meine Kati weiß aber wirklich, wie sie ihren Ferdi bei Laune hält. "Do, schau mal, den X.Max S9! Den hob i heuer a g‘kauft. Der is super gut für'n G-Punkt und kost' nur 19,99 Euro. Des is günstig!", begeistert sich Vroni mit roten Bäckchen und roten Ohren für einen Vibrator. "Ach geh ma weg, so ein Schweinkram mach i nit und so oan G-Punkt hob i schon lange nit mehr und denn mach i doch keine Liebe mit wos, wo Made in China draufsteht.", entgegne ich und Vroni lacht mich an und verspricht ihn mir als nachträgliches Geburtstagsgeschenk vom letzten Jahr.
Ich fasse es eigentlich nicht! Meine Kati, meine "Tochter-Vernünftig" mit den Birkenstockschuhen, die mir Kaffee und Wein verbietet und mein Leben bestimmt, mich um 9 Uhr abends ins Bett schickt, mir 'vernünftige' praktische und 'altersgerechte' Kleidung in Suizid-fördernden Farbtönen aussucht und mir sagt, ich soll vernünftig sein und mich nicht aufregen - die kauft sich solche Sachen. Das hätte ich nicht erwartet. Ihr etwa?
Sagen kann ich ja nichts, denn dann würde ja auffliegen, dass Vroni und ich von hinten herum gespickt haben und dann würde sie mir wohl den Laptop wieder wegnehmen. Aber auf der anderen Seite durchsucht Kati auch meine Schränke und meinen Müll. Und Vroni hält schon den Mund, da kann ich mich drauf verlassen.
Darauf brauchen wir erstmal ein Glas Wein und dann wird weitergeforscht. Irgendwie kommen wir uns vor, wie alberne, neugierige Schulmädchen und aufgeregt bin ich auch. Und Vroni kennt eine Menge interessanter Sachen im Internet. Da merkt man erst, dass ich all die Jahre keinen Computer hatte.
Wir haben dann die Gläser abgewaschen und wieder in den Schrank gestellt und Vroni nimmt die leere Flasche mit, damit Kati sie nicht findet. Ganz leise schiebt sie ihr Fahrrad den Staignweg hinunter und macht erst auf der Hauptstraße das Licht an, damit die Reni das nicht mitbekommt. Es ist schon eine Schande, dass man sich an der alten Hexe so vorbeischleichen muss, weil sie sonst im ganzen Ort erzählt, wer mich besucht.
Ich konnte gar nicht richtig schlafen. So aufgeregt war ich noch und als Kati mich morgens um 8 Uhr wie immer anrief, war ich noch so richtig müde.
Aber nun folgt der dritte Akt.
Drei Tage später läutet der Postbote bei mir an der Tür und hat ein Päckchen. Ich ahne Schlimmes! Ihr könnt Euch auch denken was da drin ist, oder? Na klar, genau das!
Auf die süffisante Frage des Postboten nach dem Inhalt, habe ich ihm geantwortet, dass es die Jubiläums CD Box der Wildecker Herzbuben ist. Und ihr werdet es nicht glauben, ein paar Tage später fragte mich doch tatsächlich die Reni von nebenan, wie mir die neue CD gefällt. Big Brother ist nichts gegen Achenweiler! Stellt Euch vor, ich hätte dem Postboten die Wahrheit gesagt! Ob Reni dann auch gefragt hätte, wie es mir gefällt? Ich muss bei dem Gedanken jetzt richtig schmunzeln.
Zurück zu meinem Geschenk. Ich habe es ausgepackt und bin zwei Tage lang drum herum geschlichen. Aber meine Neugier hatte gesiegt. "Mutter Maria", mehr sage ich dazu nicht. Und das, wo ich mich nicht aufregen soll. Aber frau ist hinterher ja auch so wunderbar entspannt.
Vroni und ich tauschen uns nun laufend per Computer aus und sie hält mich mit ihren kleinen Andeutungen und Bemerkungen ganz gut auf Trapp. Wir albern herum wie die Teenager. Und so ganz langsam regen sich in mir wieder erste Lebensgeister. Ich ertappe mich bei schönen leidenschaftlichen Gedanken und mir gehen die Worte von damals bei der Beichte nicht aus dem Sinn: "I hob Unschamhaftes g'dachd und manchmal a g'macht." Aber nur heimlich.
Ich habe mir dann in dem Shop von der Kati auch etwas Schickes für 'darunter' für mich entdeckt und mir einen schlichten schwarzen Body mit etwas Spitze bestellt. Ich war so aufgeregt als das Paket ankam. Glücklicherweise war der Karton neutral gehalten. Dem Postboten habe ich vorgespielt, wie glücklich ich bin, dass meine Stützstrümpfe jetzt endlich gekommen sind. Dann hat er wieder was zu erzählen.
Natürlich will ich gleich wissen, wie ich bayerisches Prallweib wohl darin aussehe. Ich habe dann mit meiner Webcam Selbstportraits - auf neudeutsch 'Selfies' aufgenommen. Das Ergebnis ließ sich durchaus sehen - zwar sehe ich aus wie die Schwester vom Michelin-Männchen - aber ich stellte dabei fest, dass mir das etwas aufreizende Posieren durchaus wieder etwas Spaß macht - so wie damals, als ich noch Teenager war.
Dummerweise hat Kati neulich auf einem Freitag den Body in meinem Schrank gefunden und mich zur Rede gestellt. Ich beichtete ihr, dass ich das im Internet bestellt hatte und daraufhin wurde sofort eine intensive Hausdurchsuchung durchgeführt. Den Wein hat sie nicht gefunden, aber den Kaffee und den X-Max S9 hat sie entdeckt.
Und dann war was los! Wie ich sowas einfach bestellen kann! Was mir einfällt! Ob ich noch bei Trost bin! Wie ich sie so hintergehen kann! Schließlich opfert sie sich für mich auf und schuftet, bis ihr das Blut unter den Fingernägeln hervorquillt! Warum ich ihr das antue! Dann reden die Leute wieder! Ob ich das etwa will! Dann geht sie gleich wieder nach Hause! Und wenn ich nicht sofort wieder vernünftig werde, dann kann ich sehen, wo ich bleibe! Und sie wird in Zukunft noch mehr auf mich aufpassen müssen, weil ich ja offenbar ein trotziges Kleinkind bin! Aber nicht mit ihr! Sonst nimmt sie mir den Laptop wieder weg!
Gut, das Ganze hat Ritualcharakter, aber es trifft einen ja doch, wenn die Tochter derart heftig mit einem schimpft. Androhung von Liebesentzug, Ausgrenzung und Einschränkung oder Entzug von Sachgütern. Ja, ich weiß! So habe ich es ja damals auch gemacht. Also, was beklage ich mich heute? Und soll sie mir doch den Laptop wegnehmen. Vroni hat gesagt, sie hat auch noch einen alten herumliegen und den könnte ich dann haben.
Und als ich Kati sagte, dass der X-Max ein Geburtstagsgeschenk von Vroni war, bekam die zweite Abreibung. Kati ist froh, dass endlich Ruhe einkehrt war, und nun das! Wenn der Postbote den Absender sieht, weiß doch jeder, was da drin ist! Und das gibt doch dann nur Gerede. Ob ich denn nicht einmal auf Kati Rücksicht nehmen kann!
Eigentlich war ich auch ein wenig verärgert über ihre bigotte Art. Mein Body ist doch noch züchtig, verglichen mit den heißen Dessous und offenen Höschen, die Kati sich bestellt hat. Und den X-Max hat sie auch im Schrank! Ich habe mir richtig auf die Zunge gebissen, denn ich konnte ja nichts sagen, ohne mich zu verraten.
Den Kaffee hat sie mir dann wieder auf den Küchentisch geworfen. Ich soll doch machen was ich will! Aber wenn ich dann sterbe hat sie schließlich die ganze Arbeit! Ich soll nun mal wieder vernünftig werden, denn schließlich bin ich eine todkranke Frau! Und wenn ich morgen Nachmittag noch am Leben bin, dann kommt sie vielleicht vorbei und bringt mir ein paar Einkäufe mit!
Ich will noch etwas sagen, aber ich werde rüde mit ihrem abrupt erhobenen Zeigefinger vor ihren Lippen und einem lauten deutlichen "Schsch" daran erinnert, dass Kati keinen Widerspruch duldet. Dann dreht sie sich um, geht und knallt die Haustür zu.
Soweit so gut.
Nun folgt der vierte Akt.