Achtstern 2

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  • Ersteller Gelöschtes Mitglied 15780
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G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Wahnsinn


Dem Wahnsinn ganz verfallen
Bin ich vor Deinem klaren Verstand
Vor Deiner kühlen Vernunft bin ich
In purpurner Raserei entbrannt

Dein feingezeichnetes Antlitz lässt
Amöbenhaft meine Fratze zerfließen
Springlebendig macht Deine Freude mich
Schlammige Tränenfluten vergießen

Und ach Deine Süße Dein tanzender Gang
Zerstampft mich zu bitteren Schmerzen
Und Vers um Vers verschlepp ich mich
Vor Deinen federnden Scherzen

Dein Blick voller Lebenslust und Mut
Lässt mich in Schande versinken
In Scham und Schuld: Isolde verlangt
Mit Tristan Sühne zu trinken
 
O

orlando

Gast
Schade,
hier fällst du in meinen Augen gegenüber dem ersten Achtstern stark ab.
Ich finde das Gedicht zu adjektivlastig und insgesamt - sei bitte nicht verstimmt - ein wenig banal. Die Überzeichnug des gefühlten Zustandes lässt diesmal die gewohnte Leichtigkeit vermissen und wirkt auf mich zu sehr an den verbliebenen Haaren herbeigezogen.
Die beiden Endverse gefallen mir jedoch gut.
LG, orlando
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Adjektive

Ja, liebe Orlando, das kenne ich schon von Dir, siehe Mondlied.
Die alte Deutschlehrer-Regel (vergleichbar Benns Farbenverbot), daß man die Adjektive meiden solle, kann als eine Art ästhetischer Richtlinie (aber nicht als Gesetz oder gar Verbot!) in der Prosa hilfreich sein, in der Dichtung sehe ich die Hilfe nicht. Dies zunächst zur "Allgemeingütligkeit" der Adjektivvermeidungsregel.
In diesem Lied beruht alles auf der Polarität der Adjektive, seien sie Attribute oder Prädikative.
Die Leichtigkeit der Verse (die immerhin von sich selbst behaupten, sich schwerfällig zu "verschleppen", aber eben diesem schleppenden Vers folgt unmittelbar die pointierte Gelöstheit der "federnden Scherze") zeigt sich für mich (allgemein, immer) in zwei Dimensionen: 1. in der Singbarkeit der Verse, 2. in der Leichtverständlichkeit.
Diese Leichtigkeit wird mir wahrscheinlich noch einige Kritik einbringen, denn Singbarkeit zieht den Vorwurf an, das Lied sei ein "Schlager". Und Leichtverständlichkeit den der "Banalität".
Schau, liebe Orlando, ich habe Schwierigkeiten mit eben den letzten beiden Versen: Literarische Anspielungen haben einen elitären Beiklang. Und dann noch Tristan und Isolde! Weder nennt man seine Kinder so noch vergleicht man sich mit diesem traurigen Paar, es sei denn, man sucht den Spott. Aber dieses Verspaar am Ende ist sehr genau, sehr richtig, situationsangemessen. Ja, jetzt ist es ein Schlager mit Tristanakkord.
 
O

orlando

Gast
Ich bin mir sicher, Mondnein,
dass du als ausgewiesener Altphilologe genau weißt, was "adjektivlastig" bedeutet.
Mit Benns "Probleme(n) der Lyrik" hat das nur am Rande zu tun.
Aber, wie du sehr richtig anmerkst, unterhielten wir uns bereits darüber - ohne erkennbaren Erfolg. :D
Belassen wir es dabei; ich bin nicht hier, um mich zu streiten und wünsche deshalb weiterhin

frohes Schaffen

[ Nachsatz: Ohne "Tristan und Isolde" wäre das Gedicht ein Monolog, ein Liebes-Jammern - ohne weitere Deutungsmöglichkeit. Mir erschiene es gerade deshalb allzu schlicht.]
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Nicht doch, liebe Orlando! Besteht "Erfolg" (wenn der in einem Gespräch überhaupt anzustreben ist) denn darin, daß der Angesprochene gleich die gemalten Fensterscheiben seines Liedes einschlägt? Streichungen, Pieptöne, Narben usw.? Oder ist Erfolg jedes Gesprächs der inhaltliche Austausch?
Bitte nicht auf mein Wissen rekurrieren, es ist geringer, als es scheint. Jetzt stehe ich z.B. vor dem Rätsel, warum ich als Altphilologe etwas von Adjektivlastigkeit verstehen soll. In dem Punkt unterschieden sich die Alten nicht so von uns, auch wenn wir nicht so schön binnenreimende (per homoioteleuton) KNG-Kongruenzen nutzen können. Wesentlich verschieden ist eher die Gewichtigkeit der Verben: Bei den Alten sind die Verben in den Prädikaten bestürzend blaß, inhaltlich leer, tragen aber die Satzkonstruktionen, vor allem in den nominalisierten Formen, die wir heute meiden würden (das Partizip I z.B. klingt im Deutschen ja meistens scheußlich, und Abl.abse kennen wir gar nicht), wir legen in guter Prosa aber alles in die Verben. Nun ja, oder nun nein, in der Dichtung wohl nicht so sehr.
Aber das ist mir gar nicht das Wichtigste (und natürlich mußt Du mir hier nicht folgen, ich teils Dir nur gerne mit, gewissermaßen zum Mittagessen); sondern der ästhetische Reiz, der Schwung, der Pep, "The Apostrophe" (wie Frank Zappa es genannt hat), "Wo du auskickst entsteht ein Riß in der Zeit", wie ichs zu benennen versucht habe - oder anders gesagt: Die Musik in den Versen. Die "offene Frage", wie Leonard Bernstein es nannte, Asymmetrie in der Symmetrie, Neuartiges in der variierenden Wiederholung, Erwartungsbruch innerhalb vertrauter Form.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Wahnsinn


[ 4]Dem Wahnsinn ganz verfallen
Bin ich vor Deinem klaren Verstand
[ 4]Vor Deiner kühlen Vernunft bin ich
In purpurner Raserei entbrannt

[ 4]Dein feingezeichnetes Antlitz läßt
Amöbenhaft meine Fratze zerfließen
[ 4]Springlebendig macht Deine Freude mich
Schlammige Tränenfluten vergießen

[ 4]Und ach Deine Süße Dein tanzender Gang
Zerstampft mich zu bitteren Schmerzen
[ 4]Und Vers um Vers verschlepp ich mich
Vor Deinen federnden Scherzen

[ 4]Dein Blick voller Lebenslust und Mut
Läßt mich in Schande versinken
[ 4]In Scham und Schuld: Isolde verlangt
Mit Tristan Sühne zu trinken
 



 
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