Alex17

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Hazekiel

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Sie blickte in den Rückspiegel. Ihre Augen waren blutunterlaufen, tiefe Ringe stellten sich darunter zur Schau. Ihre halblangen, wasserstoffblonden Haare klebten strähnig an ihrem Kopf. Sie hatte wahrlich schon besser ausgesehen, die Ereignisse hatten sie gezeichnet. Doch das spielte gerade gar keine Rolle. Schließlich saß sie im Auto, auf dem Weg in eine andere Stadt, weit weg von diesem Alptraum hier.

Es hatte zu regnen begonnen, der Scheibenwischer kratze hörbar im steten Rhythmus, begleitete das Prasseln der Tropfen auf Scheiben und Dach. Die Landstraße war wie ausgestorben. Kein Wunder, es dämmerte bereits, im Herbst wurde es in dieser Gegend immer schon sehr früh dunkel. Doch in weiter Ferne konnte man im Rückspiegel noch Licht am Horizont erkennen.

„Alleine mitten im Nirgendwo.“

Sie hatte nicht ganz Recht, denn beinahe hätte sie den Fußgänger am Straßenrand, wegen der sich stetig verschlechternden Sichtverhältnisse, übersehen. Er hob den Daumen, blickte aber weder auf noch sich um. Sie überlegte kurz, ob sie das Risiko eingehen konnte und wollte. Doch was sollte schon passieren…

„Wo soll es hingehen?“

Nachdem sich der Mann tropfend zurückgelehnt und den Sicherheitsgurt angelegt hatte, antwortete er kurz und knapp:

„Einfach der Straße nach, soweit es geht!“

Er zog die Tür zu und sie legte den Gang ein. Der Wagen setzte sich in Bewegung und transportiere die beiden schweigenden Gestalten weiter in Richtung zunehmende Dunkelheit.

Im Wagen breitete sich die Stille unangenehm aus.

Sie fragte sich, ob es nicht doch ein Fehler gewesen war, den fremden Mann einsteigen zu lassen. Sie bekam eine Gänsehaut bei dem Gedanken, was alles passieren könnte, tastete unbemerkt nach dem kleinen Messer, dass sie für Notfälle in den Stiefel gesteckt hatte. An der Tankstelle ein paar Meilen weiter hinten waren sie sehr gut sortiert gewesen. Sie fühlte den kalten, harten Stahl. Das beruhigte sie ein wenig. Um die Aufmerksamkeit des Fremden nicht zu sehr auf sich zu ziehen, schaltete sie das Radio ein.

„… hörten sie eine Sondersendung zum Ausbruch aus der geschlossenen Abteilung des Bezirkskrankenhauses. Bitte seien sie wachsam und informieren sie im Zweifelsfall sofort die nächste Polizeidienststelle. Ich wiederhole noch einmal, Alex P. ist gefährlich und bewaffnet…“

Bei diesen Worten begann sich ihr Magen zusammen zu ziehen. Wie hatte sie nur so dumm sein können, sie war so gut wie erledigt. Ihr Blick war starr geradeaus gerichtet und ihre Züge verhärteten sich.

Der Mann auf dem Beifahrersitz hatte bemerkt, dass sich ihr Gesichtsausdruck verändert hatte, als der Nachrichtensprecher seine Meldung verlas.

„Machen Sie sich keine Sorgen, Miss. Ich bin nicht der Geflohene. Ich bin aus der Gegend, hatte gerade einen schlimmen Streit mit meiner Frau und hab ein Stück weiter hinten meinen Wagen in den Graben gesetzt. Man hat mir am Telefon gesagt, es würde bis morgen früh dauern, ehe man sich meiner annehmen könnte, offenbar hat es in den Nachbargemeinden noch viel mehr geregnet als bei uns, deshalb trampe ich gerade zu meinem besten Freund in der Nachbarstadt. In diesem Nest gibt es nur Freunde meiner Frau und keiner wollte mich für diese Nacht aufnehmen, um es sich nicht mit ihr zu verderben. Nehmen sie mich nur noch ein paar Meilen weiter mit, sie werden sehen, es passiert ihnen nichts…“

Sie hatte die Panik überwunden, dachte wieder völlig klar. Sie wusste genau, was ihr aus dieser Situation helfen würde. Doch sie musste verdammt vorsichtig sein. Der Mann war kräftig und deutlich größer als sie. Sie tat so, als würde sie sich am Bein kratzen, murmelte was von einem Insektenstich. Dabei nestelte sie nach dem Messer und bekam es schließlich zu fassen. Ihre Miene hellte sich auf, fest umklammerte jetzt die rechte Faust den geflochtenen Griff. Ihre Hände schwitzen beide, die eine am Lenkrad, die andere am Ende der doppelt geschliffenen Klinge. Da ertönte erneut die Stimme des Sprechers aus dem Radio.

„Soeben wurde bekannt, dass Alex P. nur wenige hundert Meter vom Bezirkskrankenhaus entfernt eine Tankstelle überfallen und ein Auto gestohlen hat. Dabei hat sie sowohl den Tankstellenpächter als auch den Besitzer des Wagens mit einem Messer getötet…“

Der Mann auf dem Beifahrersitz lächelte.

„Sehen sie, ich kann gar nicht der Entflohene sein, denn es ist einE Entflohene…“

Sein Lächeln erstarb, er begriff endlich.

Alex stieg voll in die Bremse. Überrascht von der ruckartigen Bewegung konnte der Beifahrer sich nicht im Sitz halten. Er wurde in den Gurt gepresst, doch es erwartete ihn auch das Messer von Alex. Sie hatte es blitzartig hervorgezogen und es in die entgegenkommende Brust gerammt. Der Stahl bohrte sich nahezu mühelos zwischen die Rippen, traf den linken Lungenflügel. Wie ein geübter Chirurg erweiterte Alex die Wunde so, dass sofort die gesamte Lunge kollabierte. Frank, so hieß ihr Opfer, sackte mit weit aufgerissenen Augen im Sitz zusammen, als das Fahrzeug gerade zum Stehen kam. Sein Mund formte sich zu einem Schrei, doch sein Atemorgan war nicht mehr in der Lage, diesem Stimme zu verleihen. Nachdem das Fahrzeug vollends zum Stillstand gekommen war, kehrte Totenstille ein. Im wahrsten Sinne des Wortes. Alex weidete ihre Augen an dem Sterbenden, betrachtete ihn wie eine Trophäe. Sie zog das Messer aus dem Kadaver, leckte das Blut von der Klinge und schnitt sich eine Kerbe in den Unterarm.

„Alex 17, heute war ein guter Tag, drei frische Narben. Für jeden meiner Lieblinge eine…“

Drei Meilen weiter schnappte die Falle zu, die Polizei hatte im großen Stil Straßensperren errichtet. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, wann sie ihnen in die Falle ging. Alex stieg ohne Hast aus dem Auto als sie die Barrikade erreichte, legte sich auf den Boden und nahm die Arme über den Kopf. Sie würde es wieder tun, sie würde wieder jemandem beim Sterben zusehen. Dann war sie Alex 18…
 



 
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