All He Needs Is Love - Ein Mann sucht sein Glück 11

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Frank gönnte sich nur eine kurze Essenspause. Dann studierte er die Broschüre des Professors Feelgood. Für den Anfang wurden folgende drei Suggestionen empfohlen:

1) "Ich bin ganz ruhig."
2) "Meine Arme und Beine sind ganz schwer."
3) "Meine Arme und Beine sind ganz warm."
Und zwar 3mal täglich je 15 Minuten.

Wie in der Broschüre angegeben, legte Frank sich bequem hin und schloss die Augen. "Ich bin ganz ruhig." "Stimmt gar nicht", hörte er jemand in sich sagen.
Oh nein, seine innere Stimme meldete sich mal wieder ungebeten zu Wort. Hoffentlich vermasselte dieser Quälgeist ihm nicht die ganze Entspannung. Aber er machte weiter.
"Ich bin ganz ruhig. Und du bist auch ganz ruhig. Ich meine, du sollst Ruhe geben."
Frank lauschte, ob die innere Stimme wieder etwas zu meckern hätte, aber sie blieb tatsächlich ruhig, im Moment jedenfalls. Nur er war leider trotzdem nicht ruhig. Alles Mögliche ging ihm durch den Kopf: Ich muss meinen Kühlschrank mal wieder abtauen. - Wo ist nur meine Nagelschere? - Ob der Positiv-Prof. ein Verhältnis mit seiner Assistentin hat? - Wem habe ich nur meine Dire-Straits-CD geliehen? - Ich sollte mal wieder zum Zahnarzt gehen ...
Auch sein Körper war keineswegs ruhig: Sein rechtes Knie kribbelte. Der Magen signalisierte schon wieder Hunger. Und der Rücken meldete sich ebenfalls: seine Lage sei nicht bequem genug. Zu allem Überfluss juckte auch noch sein rechtes Ohrläppchen, als ob es gezogen und gekratzt werden wollte. Frank beschloss, die Ruhe-Übung erst einmal zurückzustellen und die nächste, die Schwere-Übung durchzuführen.
"Meine Arme und Beine sind ganz schwer." Von wegen. Sein Körper fühlte sich richtig leicht an, fast wie eine Feder, als ob er gleich abheben würde. Vor allem die Füße waren ausgesprochen leichtfüßig. Ob die innere Stimme jetzt zwar schwieg, aber dafür körperlich seine Bemühungen torpedierte? Vielleicht klappte es mit der Wärme-Übung. Am besten er nahm sich erst einmal nur die Beine vor.
"Meine Beine sind ganz warm." Keine Reaktion. "Meine Beine sind richtig heiß." Immer noch nichts. "Meine Beine glühen." Gut, vielleicht waren die mittleren, inneren Oberschenkel minimal erwärmt, aber die Füße schienen wie Eisklumpen. Ich muss wohl doch noch einmal zur Ruhesuggestion zurückgehen, sagte sich Frank. Es hat keinen Sinn, den zweiten und dritten Schritt vor dem ersten zu machen. Erst einmal muss ich meine Ruhe-Basis finden.

"Ich bin gaaanz ruuuhig." Er dehnte die Vokale „a“ und „u“, die schon vom Klang her Ruhe verbreiten.
"Du bist gannnz unnnnruhig", kam das "Echo" von innen.
Aha, die Stimme hatte ihr Schweigen aufgegeben. Und attackierte ihn gemeinerweise sogar mit dem hektischen Konsonant „n“. Aber er würde den Kampf aufnehmen. Mit lauter Stimme dröhnte Frank:

- Ich bin ganz und gar ruhig.
- Bist du nicht.
- Bin ich doch.
- Nein!
- Doch!
- Nein! Nein!
- Doch! Doch! Doch! Ich bin ruuuuuuuuuhig!

Frank brüllte es, vor Erregung und Wut bebend. Endlich. Die innere Stimme verstummte. Dafür polterte sein schwerhöriger Nachbar, der Rentner Mackewitsch, an die Wand und schrie: "So geben Sie doch wirklich Ruhe!"
Komisch. Jetzt auf einmal fühlte Frank sich tatsächlich ruhig und entspannt. Es war die Ruhe nach dem Sturm, die Erschöpfung nach dem Toben. Und er hatte die gemeine innere Stimme besiegt, er hatte sie niedergeschrien. Allerdings blieb ein vage ungutes Gefühl, ob er aus seinem Kampf um Ruhe wahrhaft als Sieger hervorgegangen war.
Fast sehnsüchtig wartete Frank auf den nächsten Termin bei Professor Feelgood. Zum Schluss zählte er die Sekunden. Als er es zu Hause nicht mehr aushielt, ging er einfach eine Stunde früher ins Hotel. Dort setzte er sich in die Halle. Seine Gedanken gingen zu der Entspannungsübung. Er hatte sie nach dem ersten wenig erfolgreichen Versuch nicht mehr praktiziert, aus Angst, etwas falsch zu machen, und aus Angst, die nervige innere Stimme könnte ihn wieder stören oder sogar das nächste Mal besiegen. Aber der Professor würde Rat wissen. Er könnte ihm bestimmt helfen. Der alte Schlager "Der Papa wird's schon richten" fiel ihm ein. Ja, genau so ein Gefühl hatte er. Er musste nur genau auf die Worte des Professors aufpassen, um alles absolut richtig zu machen. Deswegen, so beschloss er, würde er schon bei der kleinsten Unklarheit immer sofort nachfragen.
Der Positiv-Professor begrüßte Frank wie einen alten Bekannten und geleitete ihn - nachdem er die 180 Euro Honorar bar auf die Hand bezahlt hatte - ins Behandlungszimmer. Bedrückt erzählte Frank dem Professor von seinen Entspannungsproblemen.

"Aber, aber Herr Fröhlich, das sind normale Anfängerschwierigkeiten", beruhigte ihn dieser. "Heute werde ich Sie hypnotisieren, da kommt die Ruhe wie von selbst. Die Hypnose funktioniert immer.“
Frank legte sich nach Anweisung des Professors auf eine Couch, und der setzte sich vor ihn. Er befahl ihm, in die professoralen Augen zu gucken und suggerierte mit langsamer, monotoner Stimme:
"Ihre Augen werden ganz schwer, immer schwerer und schwerer. Sie fallen wie von alleine zu."
Frank konnte sich schlecht konzentrieren. Denn seine Augen hatten sich unversehens auf den seltsamen Haaransatz des Professors gerichtet, wo hellere Haare unter dunklen hervorlugten. Ob sich der Professor die Haare färbte? Um nichts falsch zu machen, fragte er lieber nach:
"Sagten Sie, die Augen werden schwer oder die Augenlider?"
Prof. Feelgood räusperte sich: "Das ist egal, beide werden schwer, schwerer und schwerer. Ihre Augen fallen zu, ob Sie wollen oder nicht."
Frank hätte zwar seine Augen durchaus offen lassen können, aber um den Professor nicht zu irritieren, schloss er sie lieber.
"Sie sinken jetzt in einen tiefen, erholsamen Schlaf", hörte er seinen Hypnotiseur sagen.
Tatsächlich schlief etwas ein, aber leider nur sein rechter Fuß. Der Rest von Frank blieb hellwach. Ob er das nicht dem Professor mitteilen musste? Als er noch überlegte, klingelte das Telefon. Es klingelte und klingelte. Frank fühlte sich genervt. Warum ging der Professor nicht dran? Es klingelte weiter.
"Herr Professor, Telefon", rief Frank schließlich laut und blinzelte.
"Ha, was ist?"
Mister Positiv schreckte hoch. Offensichtlich war er durch seine Schlafsuggestion selbst ein bisschen eingenickt. Na ja, versuchte Frank den Professor vor sich selbst zu verteidigen. Er ist wahrscheinlich völlig überarbeitet. Der aufgeweckte Professor ging kurz ans Telefon und kam dann zu Frank zurück. Aber er schien nicht besonders dankbar für dessen Weckdienst.
"Herr Fröhlich, Sie müssen sich besser konzentrieren." Fast roh drückte er ihm die Augen zu. "Atmen Sie jetzt ganz ruhig und entspannt. Lassen Sie den Atem wie von selbst kommen. Es atmet Sie. Es atmet Sie."
Nun musste Frank aber nochmal nachfragen: "Wie war das? Wer beatmet mich? Welches Es? Wer ist Es?" Er fragte, um alles so richtig wie möglich zu machen, aber trotzdem schien der Professor irgendwie nervös zu werden. Mit unüberhörbarer Gereiztheit antwortete er. "Niemand be-atmet Sie. Sondern Sie werden ge-atmet. Vom Es. Es ist das Große, das Numinose, das Überirdische. Es ist eben Es. Basta!"
Frank fühlte sich verunsichert. Er wollte seinen Atem nicht aus der Hand bzw. nicht aus der Brust geben. Und schon gar nicht wollte er sein Atmen jemand so mysteriösen wie "dem Numinosen" überlassen. Leider führte dies dazu, dass er jetzt besonders angestrengt und schnell atmete, anstatt entspannt und langsam. Da der Professor jetzt aber ebenfalls unruhig atmete, fiel das nicht sehr auf.
Mit gepresster Stimme gab der nun die Anweisung: "Stellen Sie sich vor, Sie sind unvorstellbar glücklich."
"Entschuldigung, aber wie soll ich mir vorstellen, dass ich unvorstellbar glücklich bin?"
"Dann stellen Sie sich eben verdammt noch einmal vor, dass Sie grenzenlos glücklich sind."
Frank wagte einzuwenden: "Es tut mir leid, aber ich fühle mich wirklich nicht grenzenlos glücklich."
Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. "Ich bin Professor Feelgood, mir widerspricht man nicht. Sie fühlen sich grenzenlos glücklich, dabei bleibt es, ob Ihnen das passt oder nicht."
Der Professor holte tief Luft. Es war deutlich hörbar, wie er versuchte, seine kratzig-gereizte Stimme wieder zur sonor-sanften Tonlage zurückzuführen.
"Sie sind an einem wunderschönen Sonnenstrand. Das Meer rauscht angenehm und beruhigend."
Dummerweise rutschte Frank heraus: "Welches Meer bitte?
Mittelmeer? Oder Atlantik? Vielleicht Pazifik? Was wäre mit Ostsee oder Nordsee?"
"Scheißegal", sagte der Professor gar nicht professoral. "Von mir aus stellen Sie sich auch eine Klosettspülung vor." Und dann, nach einer kurzen Pause, in der er mit den Zähnen mahlte. "Nein, es hat keinen Sinn. Ich werde Sie nicht weiter behandeln. Sie sind ein unverbesserlicher Negativler, ein Pedant und Querulant. Mit Ihren Nörgelfragen sabotieren Sie meine großartige Therapie. Sie werden niemals positiv werden." Der Professor war einfach außer sich.
Aber da platzte Frank auch. Die ganze angestaute Wut über das erfolglose Positive Denken entlud sich plötzlich: "Ich habe auch genug von solchen Positiv-Heinis wie Ihnen. Ihr quatscht die tollste Theorie herunter, aber in der Praxis versagt Ihr doch alle. Wie soll denn jemand wie Sie einem anderen Positives Denken beibringen? Schauen Sie sich doch selbst an, Sie sind doch das reinste Nervenbündel."
Der Professor wollte etwas sagen, war aber sprachlos. So hatte schon lange niemand mehr mit ihm gesprochen. Schließlich stammelte er: "Und das mir, dem berühmten Professor Feelgood!"
"Professor Feelgood? Dass ich nicht lache. Sie mit Ihrem falschen Professoren-Titel. Sie sind kein Positiv-Prof., sondern ein Profit-Profi. Sie ziehen Ihren armen Opfern nur das Geld aus der Tasche." Und nun holte Frank zum letzten vernichtenden Schlag aus, indem er "Professor Positiv" bei seinem wahren bürgerlichen Namen nannte. "Auf Wiedersehen, Herr Hugo Egilward Gurkner! Und denken Sie weiterhin schön positiv!"

Als Frank rausging, fühlte er sich großartig. Diesem "verrückten Professor" hatte er es aber gegeben. Kopf hoch, Schultern zurück, Brust raus, Bauch rein - so stolzierte und marschierte er Richtung Heimat. Doch je länger er ging, desto mehr ließ das Hochgefühl nach und machte schließlich einem vehementen Katzenjammer Platz. Denn erst jetzt wurde Frank richtig bewusst: Er hatte alles verloren. Der Professor war ja seine letzte Hoffnung gewesen, endlich positiv zu denken und positiv zu leben. Diese Hoffnung hatte sich endgültig zerschlagen. Dabei war sich Frank nicht sicher: Hatte er allein die Schuld an dem Streit, weil er den - doch weithin anerkannten - Professor durch seine dumme Fragerei unerträglich provozierte? Oder taugte der Professor wirklich nicht sehr viel als Positiv-Denker, war nur Positiv-Theoretiker, aber kein Positiv-Praktiker? Egal. So viel stand jedenfalls fest: Er, Frank, würde nie ein positiver Mensch werden. Da hatte der Professor recht. Wozu sich noch weiter schinden? Sinnlos. Er hatte es lange genug erfolglos versucht. Und je mehr sein Geist in der Depression versank, desto mehr verfiel auch seine körperliche Haltung: Kopf runter, Schultern nach vorne, Brust rein, Bauch raus - die letzten Schritte zu seiner Wohnung schlurfte er mühsam wie ein hinfälliger Greis. Oben ließ er sich ächzend in seinen Lieblingssessel fallen. Der war ab jetzt wieder sein Fernseh-Sessel, nicht mehr sein Denk-Sessel. Mit letzter Kraft drückte er die Fernbedienung. Erst nach 7 Stunden erlöste ihn ein Schlummer von seiner Seelenpein und dem fast ebenso peinigenden Fernsehprogramm.
 



 
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