All He Needs Is Love - Ein Mann sucht sein Glück 13

13

Mit den Suggestions-CDs hatte Frank wirklich einen Schritt vorwärts gemacht. Er fühlte sich einfach besser, optimistischer, leichter, zufriedener. Aber es blieb das alte Übel: sein Gewicht. Trotz intensiven Dünn-Denkens, die unbestechliche Waage zeigte kaum ein Gramm weniger an. Suggestionen alleine reichten wohl doch nicht zum Abnehmen. Er müsste sich auch mehr bewegen oder sogar aktiv Sport treiben. Das wäre außerdem für seine körperliche Gesundheit wichtig. Und ohne die konnte er sowieso keine echte geistige Gesundheit erreichen. Wie sagten schon die alten Griechen: "Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper." Oder waren es die alten Römer?
Leider nur verspürte er wenig Lust, sich körperlich zu ertüchtigen und sportlich zu trainieren. Aber vielleicht gab es ja auch CDs, die einem suggerierten, man würde gerne Sport machen. Außerdem besaß er so einen Grund, zur Buchhandlung zu gehen und Karin wiederzusehen. Diesmal hatte Karin auch für ihn Zeit. Aber da ihre Chefin in der Nähe stand, musste er sich auf fachliche Fragen beschränken. Den wahren Grund, sein Gewicht, wollte er ihr natürlich nicht nennen.

So fragte er Karin allgemein:
"Gibt es irgendwelche CDs für Bewegung und Sport?"
Karin lächelte ihm mit Verschwörermiene zu:
"Ja, da haben wir etwas sehr Interessantes: Mentales Training. Man stellt sich einfach in Gedanken vor, zum Beispiel 100 Meter zu laufen, und der Trainigseffekt ist fast genau so stark, wie wenn man tatsächlich läuft."
Frank war begeistert. Das genau suchte er doch: Körpertraining ohne sich anzustrengen, sondern bequem vom Sessel aus. Diese seine Begeisterung mochte er Karin aber nicht zu deutlich zeigen.
"Nicht uninteressant", sagte er. "Eigentlich geht es mir zwar um richtigen Sport, die körperliche Herausforderung bis zu den eigenen Grenzen. Doch da ich beruflich auf Grund meiner verantwortungsvollen Position sehr eingespannt bin, käme mir die Zeitersparnis entgegen."
"Sie können auch ganz bestimmte Sportarten mental trainieren, Golf, Tennis, Fußball und viele andere."
"Gut, ich könnte mein Tennisspiel wirklich etwas auffrischen", meinte Frank, der noch nie einen Tennisschläger in der Hand gehabt hatte.
Er wählte kurzentschlossen drei CDs: Konditionstraining, Krafttraining und Tennis. Jetzt war die Gelegenheit günstig. Die Chefin hatte sich einem neuen Kunden zugewandt, Karin und er standen ganz allein. Frank holte tief Luft. Jetzt würde er sie fragen, ob sie heute Abend mit ihm ausginge. Aber sie kam ihm zuvor:
"Ja Herr Fröhlich, ich glaube wirklich, dass Sie die Sport-CDs gut gebrauchen können."
Frank war irritiert. Was sollte das denn heißen?! Meinte sie das einfach nett oder als Anspielung, gar Angriff auf seine mangelnde Sportlichkeit? Als er noch zögerte, kam ein weiterer Kunde herein und Karin wandte sich diesem zu. Die Chance war verpasst.
"Na warte, Baby", sagte er unhörbar. "Du wirst dich noch wundern, wie schnell ich mich zu einer Sportskanone entwickle."

Nicht einmal ein Abendessen gönnte er sich heute. Sondern er hörte die drei CDs non stop nacheinander durch. Da war wirklich alles drauf: Laufen, Springen, Fahrradfahren, Streck- und Dehnübungen, Expander- und Impander-Training, Hantelstemmen usw. usw. Das Tollste: Er konnte auch an einer 10.000 Euro teuren Kraftmaschine trainieren, und das völlig umsonst. Sofort stellte er sich ein wöchentliches Trainingsprogramm zusammen: 3 x 1 km laufen, 1 x 5 km laufen, 4 x 1,5 Std. Krafttraining, außerdem täglich 15 Minuten Gymnastik, inklusive 30 Liegestützen. Das dürfte für den Anfang genügen. Sonst wäre es zu anstrengend. Nicht für den Körper, denn er würde das Training ja behaglich im Sessel sitzend oder sogar im Bette liegend absolvieren. Nur für den Kopf, der sich alle diese Übungen vorstellen müsste, für den wäre mehr zu anstrengend. Nach einigen Tagen nahm Frank auch noch das Tennisspielen in sein Sportprogramm auf, mental versteht sich. Und das machte ihm entschieden den größten Spaß: "Stellen Sie sich vor, wie Sie Boris Becker mit einem Ass den Aufschlag abnehmen", klang es von der CD. Frank malte sich das "Break" genüßlich aus, er sah es, er fühlte es: Wie er den rechten Arm hob und seinen Aufschlag knapp ins Aufschlagfeld knallte. Boris machte seinen berühmten Hechtsprung, aber vergebens, er landete nur im Dreck. Vor Begeisterung hatte Frank den Arm wirklich zum Schlag erhoben, doch er zügelte sich gerade noch rechtzeitig. Er war schließlich ein Geistathlet und kein gewöhnlicher, schwitzender Körperschinder.
Aber schon wenige Tage nach Aufnahme seines Trainings fühlte Frank sich körperlich hundeelend. Und mit jedem Tag ging es ihm immer schlechter und schlechter. Er war zugleich unruhig-nervös und müde-erschöpft, hatte abwechselnd Kopf- oder Bauchschmerzen, außerdem juckte es ihn sehr unangenehm an einer Stelle am Rücken, wo er mit der Hand zum Kratzen kaum hinkam. Sorgenvoll schüttelte er den Kopf und malträtierte dabei wieder sein Ohrläppchen, obwohl das wirklich nichts für diese Beschwerden konnte.
"Das kann gar nicht sein bei so viel gesundem Sport und Positivem Denken. Unmöglich", sagte er zu seinem Körper. "In all meinen Büchern steht: Positives Denken stärkt die Gesundheit. Das lässt sich sogar wissenschaftlich begründen. Denn das Immunsystem wird aktiviert, es werden vermehrt körpereigene Heilungsstoffe, sogenannte Endorphine ausgeschüttet; man hat schon Erfolge bei vielen Krankheiten gesehen, sogar bei Krebs." Leider nur konnte sein Körper nicht lesen. Oder er glaubte nicht an wissenschaftliche Beweise des Positiven Denkens. Jedenfalls verhielt er sich anders, als in den Bücher-Statistiken vorgegeben. Er (bzw. Frank) fühlte sich mieser und mieser.
Zuerst machte sich Frank dennoch keine allzu großen Sorgen. Aber dann fiel ihm beim Friseur eine lllustrierte in die Hand, worin genau seine Beschwerden als sogenanntes "Unspezifisches Syndrom" (U.S.) beschrieben wurden. U.S. konnte zwar harmlos sein, aber dahinter konnten sich auch schwerste Krankheiten verbergen: Arteriosklerose, Dementia praecox (vorzeitige Vergreisung), Gehirntumor, Krebs jeglicher Art, sogar AIDS. Nun ging es Frank erst recht schlecht. jeden Tag meinte er, eine andere verheerende Krankheit zu haben. Montag: Krebs, Dienstag: AIDS, Mittwoch: Vergreisung, Donnerstag: Gehirntumor, Freitag: Arteriosklerose - und dann wieder von vorne. Zwar mobilisierte Frank alles, was das Positive Denken zu bieten hatte, für den Kampf gegen die Krankheiten. Natürlich zog er sein normales Tagesprogramm weiter durch, außer dem Geist-Sport, denn seinen Sportsgeist hatte er verloren. Darüberhinaus hörte er immer und immer wieder die Gesunddenken-CD, die er sich neulich in weiser Voraussicht mitgenommen hatte. Titel: "Stell dir vor, du bist gesund, und jeder schaut hin". Er nahm weiterhin - wie im Buch von Pill empfohlen - selbst eine CD mit eigenen Gesundheitssuggestionen auf, sogar in Reimen. "Ich bin gesund von Fuß bis Mund." Oder: "Ich werde ganz heil in Windeseil." Als er las, wie jemand durch laufendes Hören einer Lach-CD von schwerer Erkrankung genesen war, besorgte er sich schließlich noch diese CD. Sie enthielt Dick-und-Doof-Einlagen, Studioaufnahmen verschiedener Lachsäcke in Dolby-Surround-Qualität und unzählige Witze. Aber vor allem über Witze wie "Tumor ist, wenn man trotzdem lacht" konnte Frank nun gar nicht lachen. Nein, je mehr er gegen die schrecklichen Krankheiten positiv andachte (oder es jedenfalls versuchte), desto kränker fühlte er sich. Sein einziger Trost war eigentlich nur, dass er kaum alle fünf! befürchteten Krankheiten zusammen haben konnte - oder doch?
Als eines Tages Herr Karl, der Berufs-Hypochonder, mal wieder anrief und über seine Krankheiten und die ausbleibenden Arztrechnungs-Erstattungen zu klagen begann, erzählte ihm Frank von den scheußlichen Erkrankungen, die sich - vermutlich - hinter seinem U.S. (unspezifischen Syndrom) verbargen. So schnell war er Herrn Karl noch nie losgeworden. "Aber diese U.S.-Symptome habe ich ja selbst genauso", rief er kläglich. "Ich muss sofort zum Arzt."
Frank überlegte: Sollte er auch zum Arzt gehen? Aber zu welchem? Heute war jeder Mediziner spezialisiert. Bei seinen verschiedenen Leiden müsste er wohl zu zig Spezialisten gehen, doch für eine solche Anstrengung fühlte er sich viel zu krank. Und überhaupt, für ihn war es wohl ohnehin längst zu spät. Als er sich von der Arbeit mühsam nach Hause quälte - ein Wunder, dass er im "Endstadium" überhaupt noch arbeiten konnte -, kam er an einem Geschäft mit Grabsteinen vorbei. Traurig schaute er in das Fenster. Sollte er sich schon einmal einen Stein aussuchen?

Aber Franks Siechtum erfuhr eine wunderbare und blitzschnelle Heilung, ein sogenanntes Sekundenphänomen. Wieder spielte eine Illiustrierte die ausschlaggebende Rolle. Frank hatte sie eigentlich gekauft wegen einem Artikel "Vorbereitung auf das Ende", doch als erstes stieß er auf einen Bericht über Arbeitssüchtige, "Workaholics". Diese Menschen arbeiteten unablässig, gönnten sich keine Pause und Entspannung, bis sie schließlich in einem Nervenzusammenbruch oder einem totalen Erschöpfungszustand landeten: neudeutsch „burn out“. Da fiel es Frank wie Schuppen von den Augen. Das gleiche galt für ihn. Zwar arbeitete er in seinem Job nicht so extrem, aber für sein Positives Denken war er rundum emsig tätig. Jeden Tag verbrachte er Stunden mit positiven Übungen und Aufzeichnungen, mit aufmerksamem Lesen und CD-Hören. Er hetzte sich ab, um Zeit zu haben, "Ich genieße die Muße und Ruhe" auf CD zu hören. Er machte die Übung "Ich bin ganz frei von Angst", hatte dabei aber Angst, die Übung "Ich bin ganz frei von Ärger" vor dem Büro nicht mehr zu schaffen. Während er diese Anti-Ärger-Übung dann machte, ärgerte er sich, dass er eben Angst gehabt hatte. Daraufhin ärgerte er sich über seinen Ärger und musste folglich ein zweites Mal "Ich bin ganz frei von Ärger" üben. Natürlich blieb ihm danach keine Zeit mehr für das Kosmos-Ritual "Leben in der Ewigkeit" - so raste er gereizt und unzufrieden ins Büro. Zuletzt hatte er sich mit dem intensiven sportlichen Training noch mehr unter Druck gesetzt. Er war einfach zu lange gelaufen, hatte zu schwere Gewichte gestemmt und zu viel Tennis gespielt.
Natürlich alles nur in Gedanken, aber auch das war anstrengend. Er hatte sich einfach übertrainiert bzw. "überdacht". Der Denk-Stress oder Positiv-Stress oder der Stress des Positiven Denkens hatten ihn geschafft. Durch diese permanente Überanstrengung waren seine körperlichen Symptome, sein "unspezifisches Syndrom" aufgetreten. Es wäre unsinnig, dahinter eine schwere Krankheit zu vermuten; ansonsten war er sicherlich kerngesund. Ja, er fühlte sich auch sofort wieder viel besser, fast wie neugeboren. Erleichtert und dankbar atmete er tief durch. Wie sollte er aber in Zukunft mit dem Positiven Denken umgehen? Einerseits brauchte er offensichtlich viele, intensive Denkübungen, um überhaupt nur irgendeinen Erfolg zu erzielen. Andererseits durfte er sich auch nicht denkerisch überfordern. Dieses Problem war noch nicht gelöst. Frank beschloss, einmal Karin zu fragen, wie sie die Doppelbelastung Beruf - Positives Denken bewältigte. Überhaupt wollte er sie sehr gerne endlich wiedersehen. Seit seinen "schweren Erkrankungen" hatte er nichts mehr von sich hören lassen, denn es war ihm sinnlos erschienen, als "Totgeweihter" noch eine neue Beziehung einzugehen.

(Die Klicks für meine Fortsetzungsgeschichte sind weiterhin ziemlich niedrig, bei Einzel-Texten habe ich viel mehr Leser/innen. Allerdings geht das anderen Mehrteilern offenbar ähnlich, ein gewisser Schwund ist immer … Jedenfalls sind da öfters Zweifel, ob ich die Geschichte fortsetzen soll. Aber ich habe mich jetzt dazu entschlossen, für alle, die gerne weiterlesen möchten. Vielleicht war durchschnittlich eine Fortsetzung in der Woche auch zu wenig, der Erzählfluss zu langsam; ich plane daher, in Zukunft zweimal wöchentlich einen neuen Text einzustellen.)
 



 
Oben Unten