All He Needs Is Love - Ein Mann sucht sein Glück 15

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Am nächsten Tag fieberte Frank dem Abend entgegen, weil er mit Karin verabredet war. Er hatte sich auf ein zärtliches Schmusen und ein bisschen mehr gefreut, doch Karin hatte andere Pläne.
"Frank, kennst du eigentlich das 'Positron'?"
"Nein, ist das eine neue Suggestionsmethode?"
"Ach was, das Positron ist ein Lokal, eine Edelkneipe, der Treffpunkt der Positivisten."
"Und wer bitte sind die Positivisten?"
"Die Positivisten sind moderne, progressive Positiv-Denker, also keine Möchtegern-Positiv-Gruftis wie die Anhänger von Coué. Sie nennen sich auch kurz „Posis“. Und sie nennen sich so, um sich gegen alle Negativ-Denker abzugrenzen. Die nennen sie „Negativisten“ oder kurz „Neggis“."
Frank meinte sich zu erinnern, im Philosophieunterricht in der Schule etwas über Positivisten gehört zu haben, das hatte allerdings nichts mit Positivem Denken zu tun gehabt. Er würde bei Gelegenheit mal bei Google nachgucken.
"Und wie hast Du diese Positiv-Leute kennengelernt?" meinte er.
"Da war neulich ein Typ hier, der bestellte 50mal das letzte Buch von Montag. Ich fragte ihn, wozu er 50mal das gleiche Buch brauchte, und er sagte: 'Ich muss eine Runde schmeißen.' Und dann erzählte er mir von der Positivisten-Kneipe, wo eine Runde nicht mit Bier, sondern mit Positiv-Büchern geschmissen wird."
So machten Frank und Karin sich auf den Weg zum Positron. Schon vor dem Lokal wurde sichtbar, dass sich hier ausschließlich Erfolgsmenschen trafen. Golf GTi war das geringste, das da parkte. Sonst standen nur Edelkutschen von BMW, Mercedes und Porsche herum, unbekümmert im Halteverbot. Einige Positivisten lehnten an der Tür, sie wirkten zugleich cool und aufgedreht. Frank fühlte sich kritisch beäugt, und er hatte recht, sie wurden auch kritisch beäugt. Gottseidank waren sie weder in seinem Mausgolf noch in Karins Polo gekommen, das hätte schon den ersten Eindruck ruiniert. Zu Fuß war dann noch besser, es könnte ja sein, dass sie ihren Lamborghini um die Ecke geparkt hätten.
"Was knetest du denn andauernd an deinem Ohrläppchen rum?" flüsterte Karin nervös.
"Tut mir leid", entschuldigte sich Frank. "Aber das ist eine Erbkrankheit, von meinem Vater, daran lässt sich nichts ändern."

Und mit einem großen Schritt betrat er - ohrziehend - das Positivisten-Lokal. Drinnen mochte man glauben, in einen Werbespot für die große, weite Welt des Luxus geraten zu sein. Hochgestylte Typen und Typinnen in Designer-Klamotten, an jedem Männerarm und um jeden Frauenhals baumelte ein Statussymbol. Ebenso die Einrichtung des Lokals: nur vom Feinsten oder jedenfalls vom Teuersten. Frank und Karin wurden zunächst scheinbar ignoriert, aus verdeckten Augen aber neugierig bis abschätzig gemustert. Frank spürte instinktiv: Hier kann man nur bestehen, wenn man auch selbst groß tut, sich gehörig aufplustert. Er gab sich einen Ruck und versuchte, gleichzeitig lässig, gelangweilt, kontaktfreudig und amüsiert auszusehen. (Gottseidank sah er sich dabei nicht selbst im Spiegel, sein Selbstbewusstsein hätte dieser Grimasse kaum standgehalten.) Karin spürte wohl dasselbe, denn sie experimentierte mit einer Mischung aus einem hoheitsvollen Königinlächeln und dem kühlen Blick eines Vamps. Wenigstens hatten die beiden in weiser Voraussicht ihr schickstes Outfit übergestreift, so fielen sie garderobenmäßig nicht unangenehm auf.
Während an den Seiten des Lokals Tische und Stühle standen, war in der Mitte ein größerer Freiraum, wo die meisten Besucher, in Grüppchen sortiert, angeregt parlierten. Karin und Frank gingen herum, stellten sich mal zu dieser und mal zu jener Gruppe und hörten zu. Denn etwas zu sagen, trauten sie sich noch nicht recht, und leider sprach sie auch keiner an. Immerhin war es auch schon aufregend genug, den Gesprächen zu lauschen. Die Positivisten sprachen über Super-Autos, Super-Aktien, Super-Reisen, Super-Computer und weitere Supers. Um es auf einen Nenner zu bringen: Sie sprachen über Geld, viel Geld, und was sie damit kaufen wollten oder bereits gekauft hatten. Die Leute lachten, sie waren echt gut drauf. Außer sie schimpften über die "Neggis'', die Verlierer und Versager, die ihnen den Erfolg neideten und ihnen unverschämterweise auch noch Vorwürfe machten.
Punkt 24 Uhr stellten sich fast alle Anwesenden im Kreis auf, fassten sich bei den Händen und brüllten: MONEY! 10mal. Money! Money! Money! Money! Money! Money! Money! Money! Money! Money! Frank und Karin hatten natürlich nicht mitgemacht, allerdings hatten sie sich auch - schutzsuchend - an den Händen gefaßt, denn sie waren bei dem Gebrüll ganz schön erschrocken. Jetzt kam ein blonder Hühne, der ihr Zusammenschrecken beobachtet hatte, lachend auf sie zu.
"Ja, das dröhnt ganz nett", meinte er zufrieden. "Money! Das ist unser Schlachtruf. Denn es dreht sich nun mal alles ums Geld. Geld regiert die Welt. Und wir wollen selbst drehen, nicht gedreht werden. Deshalb nennen wir uns auch die 'Moneys'."
"Ich dachte, Ihr heißt 'Positivisten' oder 'Posis'." wandte Frank ein.
"Ja, eigentlich schon. Aber bedauerlicherweise gibt es ja noch eine andere, abgefallene Gruppe von Posis, gegen die wir uns mit dem Namen 'Moneys' abgrenzen müssen. Die schimpfen sich selbst 'Morpheys', nach ihrem Idol Joe Morphey. Wir bezeichnen sie allerdings als 'Morphinisten', dafür beleidigen diese Frechlinge uns als 'Monanisten'. Jetzt fragt mich bloß nicht, was diese Typen wollen. Sie reden so wirres Zeug, dass es niemand versteht."
Frank fühlte sich selbst ziemlich wirr im Kopf: Positivisten - Negativisten, Posis - Neggis, Moneys - Morpheys bzw. Monanisten - Morphinisten. Wer sollte da die Übersicht behalten? Er beschloss, sich das zu Hause schön systematisch aufzuschreiben. Aber jetzt galt es erst einmal, Augen und Ohren aufzusperren, um so viel wie möglich von diesem faszinierenden Treiben in sich aufzunehmen.
"Ich bin Charly", machte sich ihr Betreuer bekannt.
Klar, dachte Frank. Hier heißt man nicht Karl, sondern Charly oder Johnny anstatt Johannes, und frau heißt bestimmt Mary anstatt Maria. Sie stellten sich auch vor. Immerhin, die Namen Frank und Karin klangen doch ganz passabel. "Unsere Philosophie ist ganz einfach", dozierte Charly. "Nicht 'Haste was, biste was', sondern 'Denkste was, biste was.' Genauer: Denkste was Positives, biste was Positives. Und immer gilt: Du kriegst, was du denkst, das du kriegst." Frank nickte artig. Zwar kannte er solche Positiv-Philosophien inzwischen ja wie seine Hosentasche (Moment, kannte er seine Hosentasche wirklich so gut?), aber er wollte nicht unhöflich sein. Außerdem, diese Leute hier, die führten das Positive Denken nicht nur im Munde, sie lebten und verwirklichten es. Von denen konnte er bestimmt noch viel lernen. Wie großartig cool der Charly wirkte! Frank war froh, wenigstens eine Jacke aus "cool wool" zu tragen ...

Um drei Uhr früh gingen Frank und Karin müde, aber zufrieden zurück. Jetzt vermissten sie das Auto doch, und jetzt wären sie auch in dem mausiggrauen Golf nicht peinlich aufgefallen. Denn nachts sind bekanntlich alle Golfs grau, sogar die GTis. Aber der späte Gang hatte auch sein Gutes. Karin war zu schläfrig, um noch zu sich nach Hause zu fahren. So erlebten sie ihre erste gemeinsame Nacht - nur verschliefen sie die total.
Die neue glitzernde Welt gefiel Frank wie Karin außerordentlich. So oft wie möglich besuchten sie jetzt die Positiv-Kneipe. Wenn hier auch fast jeder wie ein Star oder wenigstens wie ein Sternchen auftrat, so gab es doch herausragende Positiv-Persönlichkeiten, die ihren Auftritt professionell inszenierten und besondere Aufmerksamkeit genossen. Da war Pinky-Johnny. Er kleidete sich von Kopf bis zu den Füßen nur in Pink- und Rosa-Farbtönen, sein Auto war natürlich passend gekleidet, pardon lackiert - ein Mercedes AMG Cabrio, ein schreiender Traum in Pink. An den verschiedensten Stellen von Johns Lack, pardon seiner Kleidung, prangte sein Motto "Think Pink!". Das stand auch groß und prall auf dem Kühler des Benz. Einige Frauen tuschelten, dieser Schriftzug wäre sogar an einer besonders delikaten Stelle von Johns Körper zu lesen, aber das konnte Frank nicht verifizieren. In jeder anderen Umgebung hätte man John als Tunte verdächtigt, aber hier wusste jeder: Die Farbe diente als Wahrzeichen für seine pink-rosane Gemütsverfassung. Zu den Top-Posis gehörte auch "Smiling Freddy". Sein Lieblingsspruch - eigentlich sein Einheitsspruch - war "Keep smiling". Er verwandte ihn zur Begrüßung, zur Verabschiedung, anstelle von "Mahlzeit" und auch sonst zu fast jeder passenden oder vielmehr unpassenden Gelegenheit. Es hieß, noch nie habe jemand Freddy gesehen, ohne dass der lächelte oder wenigstens grinste. Und es wurden Wetten abgeschlossen, ob man ihn jemals bei einer sauertöpfischen Miene überraschen könnte. Einmal soll dieser Lächel-Gau (entgegen den Voraussagen der Statistik) fast eingetreten sein, als nämlich Barbara ihm total die Show stahl.
Barbara-Darling - für die engsten Freunde Babsy-Baby - war derzeit die tonangebende Money-Frau. Sie schmiss mit Geld ebenso verschwenderisch um sich, wie sie ihr Gesicht mit Schminke aufdonnerte; für ihr Make-up verbrauchte sie jeden Tag einen vollen Schminkkasten. Sie verbreitete allzeit gute Laune, nicht nur, weil sie jeden zum "Schampus-Kippen" einlud, sondern auch durch ihr Credo: "Immer fesch, immer fröhlich!" Die Rolle des bewunderten, aber unverstandenen Genies spielte EDV-Rob, von genervten Zuhörern seiner Monologe auch EDV-Robot getauft. Er hatte stets einen Laptop dabei, in den er Positiv-Programme eintippte. Sowie er ein "dankbares" Opfer gefunden hatte, verkündete er ihm seine Theorien, zum Beispiel so: "Die Zukunft des Positiven Denkens liegt in der Vemetzung von biologischer und künstlicher Intelligenz, in der Kohabitation von Think Tech und Think Bios. Die Mental-Power des kognitiven Systems und die Elektronik-Force des datenverarbeitenden Systems müssen fusionieren. Diese daraus resultierende Optimierung definiere ich als Mega Mind ... "
Nachdem Karin und Frank zweimal in die Robotfalle getappt waren und den ganzen Abend im Netz gezappelt hatten, gingen sie dem Computerfreak unauffällig aus dem Weg. Ja, überhaupt kannten sie nach einer Woche den ganzen Laden und die Leute recht gut, und man kannte sie. Sie wurden nicht mehr ignoriert, sondern ziemlich nett behandelt, doch richtig dazu gehörten sie nicht, noch nicht. Denn dazu genügte es nicht, die Money-Kneipe zu besuchen, dazu musste man in den Money-Club aufgenommen sein. Und das erforderte, sich einer Aufnahmeprüfung, vielmehr einem Initiations-Ritual zu unterwerfen. Als Karin Charly fragte, wie sie sich auf die Prüfung vorbereiten könnten, bekam sie das Buch "Wie man Freude gewinnt" von Male Barnegie in die Hand gedrückt. Frank versuchte, Wissen zu demonstrieren. "Ach, nach dem ist doch die Barnegie-Hall benannt." Aber er musste sich eines Besseren belehren lassen. "Nein, die heißt nach Andrew Barnegie, dem bekannten 'Stahlkönig''', korrigierte Charly. Um schnell über seinen Irrtum wegzugehen, fragte Frank weiter. "Kannst du uns nicht noch etwas Genaueres über die Prüfungsaufgaben verraten?" "Na ja, eins kann ich ausplaudern. Jeder von Euch muss so laut 'Money' schreien, dass ein Klirrfaktor von 3 erreicht wird. Das bedeutet, dass eine Reihe von Champagnergläsern mindestens 3 Sekunden lang klirren." Einigermaßen verstört gingen Karin und Frank an diesem Abend nach Hause. Zwar hatten sie sich längst angewöhnt, beim 24-Uhr-Money-Cry im Chor mitzubrüllen (oder wenigstens so zu tun), aber alleine vor versammelter Mannschaft den heiligen Money- Maker-Schrei loszulassen, das war eine echte Härte.
Das Barnegie-Buch machte Frank und Karin als "ausgelesenen" Kennern der Positiv-Literatur wenig Arbeit, aber ab heute übten sie täglich Schreien. Am Anfang noch recht zaghaft. Vor allem Karins "Money!" klang verdächtig wie ein Hilferuf "Mami!". Doch nach schon einer Woche gröhlten sie so überzeugend, dass die Nachbarn mit einer Anzeige wegen Ruhestörung, Lärmbelästigung und Hausfriedensbruch drohten.
Endlich war der große Tag der Aufnahmeprüfung gekommen. Eine ausgewählte Runde von Positivisten versammelte sich in einern Nebenraum der Starmmkneipe; nach quälend langen fünfzehn Minuten wurden die beiden Prüflinge hereingeholt. Ihre erste Aufgabe bestand darin, fünf Minuten durchgängig zu lächeln, während sie von allen Seiten mit traurigen, ärgerlichen, unappetitlichen oder beleidigenden Äußerungen bombardiert wurden. Karin überstand diese Prüfung mit Bravour, ihr Gesicht war aber auch fürs Lächeln wie geschaffen. Frank tat sich etwas schwerer, jetzt kam ihm das "Tiger-Lächel-Training'' vom Anfang seiner Positiv-Karriere zustatten. So rettete er ein starres Lächeln über die Zeit, nur bei Beschimpfungen wie Fettwanst oder Dickerchen zitterten seine Mundwinkel bedrohlich. Doch der oberste Punktrichter für die Lächel-Aufgabe - wer anders als Smiling-Freddy - hob den Daumen. Geschafft! Als zweites wurde die Frage gestellt: "Möchtest du lieber positiver aussehen als du bist oder lieber positiver sein als du aussiehst?" Frank antwortete: "lieber positiver sein", Karin antwortete: "lieber positiver aussehen". Beide Antworten wurden als richtig akzeptiert. Wie sie später erfuhren, fiel nur jemand durch, der diese Frage als unsinnig kritisierte.
Der dritte Teil der Prüfung hieß "Assoziationstest". Es wurde ein Begriff genannt, und der Prüfling musste jeweils einen dazu passenden Begriff assoziieren, und zwar blitzschnell. Das Tückische daran: Es wurde ein positiver Begriff vorgegeben, zu dem einem normalerweise der negative Gegenbegriff einfiel, also zum Beispiel reich - arm, gesund - krank. Aber man musste sich augenblicklich einen positiven Gegenbegriff einfallen lassen. Hier erwies sich Frank als beinahe meisterhaft, seine Assoziationen kamen rasant und treffend: Glück - Glückspfennig (anstatt Glück - Unglück), Reich - Schweinereich, Gewinn - Vor Steuern, Mut - Mutter, Geil - Oberaffengeil, Sex - Pille, Leben - Lebensversicherung usw. Nur zwei von dreißig Begriffen wurden moniert. Pinky meinte, "Mutter" sei kein positiver Begriff, wenn er an seine Mutter dächte ... Aber das wurde überstimmt - "Mutter" sei genauso positiv wie "Pille". Und die "Lebensversicherung" ließ man Frank als berufsbedingte Fehlassoziation durchgehen.
Karin tappte leider einige Male in die Falle. Zwar vermied sie direkte Fehler wie Lust - Unlust, aber sie schoss trotzdem schwere Böcke, wie Freude - Frust, Lust - Last oder Heiraten - Müssen. Bei der letzten Antwort zuckte Frank zusammen. War etwas schiefgelaufen? Blickte er Vater(un)freuden entgegen? Aber Karins Begriffskette "Pille - Immer" beruhigte ihn wieder. Gottseidank bestand Karin dennoch diesen Prüfungsteil, wenn auch verdammt knapp.
Wahrscheinlich war sie durch die (Beinahe-) Panne so geladen, dass sie bei der letzten Aufgabe, dem Money-Schrei, wie am Spieß losbrüllte und einen beachtlichen Klirrfaktor von 4,1 erreichte.
Frank fühlte beträchtliche Hemmungen loszuschreien, trotz des intensiven Trainings. Er genierte sich einfach, hatte Angst, sich lächerlich zu machen. "Sei selbstbewusst!" brüllte er sich innerlich zu, aber nach außen blieb er ruhig, von mehrfachem Räuspern abgesehen. Schon wurden die ersten Prüfer unruhig, ihm blieb nicht mehr viel Zeit. Da hatte er die rettende Idee. Er stellte sich vor, alle Prüfer bzw. Prüferinnen säßen rundum mit runtergezogener Hose bzw. hochgezogenem Rock auf dem Klo. Jetzt waren sie es, die lächerlich aussahen, ja sie sahen zum Schreien komisch aus. Und so schrie er, nein prustete er los. Eigentlich war es mehr ein Lachanfall als ein korrektes "Crying'', aber vor allem war es laut. Frank erzielte einen außerordentlichen Klirrfaktor von 5,7, was zu spontanem Beifallklatschen der PrüferInnen führte.
Nach der mit Bravour bestandenen Prüfung gehörten Frank und Karin wirklich zu den Posi-Moneys hinzu. Wirklich? Nein, sie spürten ganz deutlich: Auf Dauer wurden sie nur akzeptiert oder konnten jedenfalls nur in der Hierarchie aufsteigen, wenn sie über die notwendigen Statussymbole verfügten. Reichlich Bares bzw. mindestens fünf Kreditkarten, edle Klamotten und Klunker, ein ultra-tolles Gefährt, besser noch einen Privatjet. Darüber sprachen sie, als sie mal wieder - wie fast täglich - zusammen im Bett lagen. Nach der langen Anlaufphase war ihre Beziehung erstaunlich schnell ganz eng geworden. Aber trotz Sex und Zärtlichkeit, trotz Innigkeit und Liebe blieb eine gewisse Konkurrenz zwischen ihnen, wer erfolgreicher im Positiven Denken sei. So auch diesmal.

Karin eröffnete: "Gestern war ich 14 Minuten und 23 Sekunden durchgehend absolut negativ-frei."
Frank war echt beeindruckt. 14 Minuten, das klang zwar nicht viel, aber jeder Possitivdenker wusste, wie schwer es war, den begehrten "Total-Clean-Zustand" durchzuhalten, auch nur für eine kurze Zeitspanne ohne einen Hauch von Negativität zu sein. "Hört sich gut an, ist allerdings schwerer beweisbar", meinte er, Zweifel vorgebend. "Übrigens habe ich kürzlich den Positiv-Assoziationstest mit mir selbst gespielt und bin dabei in einem Zug auf 17 Begriffe gekommen."
"Nicht schlecht, wenn es nicht 'Trick 17 mit Selbstüberlistung' war", konterte Karin. Und dann setzte sie einen drauf, ein Geschoss von anderem Kaliber: "Ich überlege, neben dem Buchhandel-Job einen privaten Online-Versandhandel mit Positiv-Büchern und Positiv-CDs aufzumachen. Da könnte ich bestimmt einen Batzen Geld verdienen."
Nun musste Frank nachziehen. "Ich plane, bei der Versicherung zusätzlich zum Innendienst noch als Außendienstler auf Provisionsbasis zu arbeiten. Die Büroarbeit füllt mich nicht aus, und meine Brieftasche füllt sie schon gar nicht aus; im Außendienst dagegen sind meine Verdienstmöglichkeiten nach oben völlig offen, und sie hängen nur von meinen positiven Fähigkeiten ab."
"Vielleicht erweist sich gerade das als Problem", stichelte Karin. "Vergiss nicht, auch nach unten sind deine Verdienstmöglichkeiten offen, jedenfalls bis zur 0."
"Du wirst mich noch beneiden, mit deinem Versandhändelchen", trumpfte Frank auf. "Aber keine Sorge, ich werde dir unter die Arme greifen. Pass mal auf, so mache ich das." Er griff ihr von hinten unter die Arme, wobei seine beiden Hände wie selbstverständlich auf ihren beiden Brüsten landeten. "Die liegen wirklich toll in der Hand", stellte er anerkennend fest. "Und jetzt möchte ich bei dir gerne mal woanders runtergreifen, wo es bei dir unten offen ist ... "

Damit waren sie wieder bei ihrer Lieblingsbeschäftigung angelangt, genauer bei ihrer zweitliebsten Beschäftigung.
"Nur Positiv-Denken ist schöner", stöhnte Karin wollüstig, und dann war alles Konkurrieren vergessen und vergeben.
Die nebenberuflichen Aktivitäten liefen bei beiden erstaunlich gut an. Karin plazierte originelle Anzeigen für ihren "Glücks-Versand" in einschlägigen Zeitschriften, warb aber auch in Online-Foren mit einem Foto von sich selbst. Und schon bald flatterten ihr jede Menge Bestellungen ins Haus. Als gelernte Buchhändlerin gingen ihr auch die notwendigen Arbeiten wie Rechnungserstellung oder Buchführung leicht von der Hand. Ihre beste Idee war allerdings, in der Positron-Kneipe die Werbetrommel zu schlagen. Die Moneys überboten sich darin, "unserer reizenden Positiv-Novizin" mit umfangreichen Aufträgen zu helfen, denn diese Geschäftsidee fanden sie natürlich einfach "mega-in".
Auch bei Frank ging es ganz gut los. Als er dem Gruppenleiter Toupet verkündete, er wolle nebenher noch Versicherungen verkaufen, war der voll des Lobes über solche "Tüchtigkeit". Von der Freundlichkeit verführt, fragte Frank Toupet, ob dieser denn selbst schon eine Lebensversicherung besitze.
"Sicher, sicher", antwortete der merklich abgekühlt.
"Und wie sieht es aus mit einer Sterbeversicherung?"
"Junger Mann, jetzt sind Sie mir doch allzu tüchtig. Ihren ersten Kunden müssen Sie sich schon woanders suchen."
Und das machte Frank dann auch. Sein erstes Opfer war die alte Frau Lechenich, die bei ihm im Haus im 4. Stock wohnte. Ihr hatte er schon öfters die Einkaufstaschen nach oben und auch schon mal den Müll nach unten getragen. So durfte sie ihm kaum eine Versicherung ausschlagen. Allerdings beschloss er, ihr nur etwas anzubieten oder notfalls aufzuquatschen, was sie wirklich gebrauchen könnte. Sonst bekäme er nachher noch Gewissensbisse. Wie sich herausstellte, hatte die gute Frau noch keine Krankenhauszusatzversicherung. "Das brauchen Sie aber unbedingt, Frau Lechenich. Dann liegen Sie im 2-Bett-Zimmer und haben den Chefarzt ganz für sich, na ja, wenn er gerade mal Zeit hat."
Nach diesem ersten Erfolg rief er sofort Karin an und erzählte stolz: "Ich habe einen dicken Fisch an Land gezogen." "Wer ist es denn?" fragte Karin halb neugierig, halb misstrauisch. "Tut mir leid, aber das unterliegt meiner Schweigepflicht als Versicherungsvertreter", wich Frank aus. Er konnte ihr doch unmöglich verraten, dass sein "dicker Fisch" die altersdürre Nachbarin war, ein Muttchen, das kaum 45 kg wiegen mochte.
Frank machte zwar hier und dort einen Abschluss. Aber auch bei ihm ging es erst richtig in die vollen, als er im Positron seinen neuen Nebenjob offenbarte. Natürlich nannte er sich hier nicht "Versicherungsvertreter"; "Insurance-Repräsentant" klang viel besser. Die Moneys ließen sich nicht lumpen. Fast jeder zweite war bereit, eine Versicherung abzuschließen. Allerdings hatten manche recht exotische Wünsche, so dass Frank erst in der Fachabteilung nachfragen musste, ob seine Gesellschaft solches Begehren überhaupt erfüllen konnte. Einer wollte sich zum Beispiel gegen Glatzenbildung versichern, ein anderer gegen fallende Aktienkurse. Auch der Wunsch von Smiling Freddy, sich gegen negative Gedanken zu versichern, rief bei dem zuständigen Sachbearbeiter nur ein nervöses Kopfschütteln hervor - dabei wäre das ein sicheres Geschäft gewesen, denn "Smiley" dachte nie negativ, zumindest war es hinter seinem Permanenz-Lächeln nicht zu entdecken.
Beflügelt von den satten Abschlüssen bei den Moneys machte sich Frank daran, weitere Versicherungskunden aufzutreiben und aufzumischen. Dabei benutzte er vor allem die Methode des Negativen Denkens. Das klingt befremdlich bei einem Liebhaber des Positiv-Denkens, lässt sich aber leicht erklären. Nicht Frank, sondern die Kunden mussten sich erst einmal tüchtig dem Negativen hingeben, ehe er ihnen dann den positiven Rettungsring zuwarf. Denn wenn der Versicherungsnehmer allzu sorglos und optimistisch in die Zukunft schaute, nirgendwo eine Gefahr erblickte, war ihm schwerlich eine Versicherung zu verkaufen. Frank besuchte zunächst die Tante-Emma- bzw. Onkel-Emmerich-Läden in seiner Nähe, wo er schon länger einkaufte. Als ersten Emmerich hatte er sich den Fleischermeister Müller ausgesucht. Eines Tages ging Frank in dessen Laden und sagte einfach:

- Guten Morgen, Herr Müller. Stellen Sie sich vor, Sie werden morgen von der Straßenbahn überfahren. Was würde dann aus Ihrem Geschäft? Wollen Sie nicht besser eine Unfallversicherung abschließen?
- Nein, das ist kein Problem. Wenn ich mal nicht mehr kann, übernimmt mein Schwiegersohn die Metzgerei.
- So? Aber dann sollten Sie eine Lebensversicherung abschließen, damit ihr Schwiegersohn - wenn Sie mal nicht mehr unter uns weilen (Frank bekreuzigte sich) - ein Startkapital zum Ausbau des Ladens bekommt.
- Wozu? Mir hat auch keiner geholfen, ich habe alles allein aufgebaut. Der soll ruhig mal ordentlich ranklotzen.
- Aber Herr Müller, bedenken Sie die hohen Beerdigungskosten. Vielleicht hätte Ihre Familie gar nicht genug Geld, Sie standesgemäß unter die Erde zu bringen. Wollen Sie sich nicht wenigstens hierfür versichern?
- Kein Bedarf. Ich habe hierfür etwas sicher auf die hohe Kante gelegt. Nein, Herr Fröhlich (er grinste tückisch), mich legen Sie mit Ihren Versicherungstricks nicht herein. Nicht mit mir! Übrigens fahre ich sowieso nicht mit der Elektrischen, sondern nur mit meinem Jeep.
Frank horchte auf. Genau, das war die Chance für ihn. Herr Müller fuhr einen Geländewagen, den er abgöttisch liebte. 3mal in der Woche seifte er ihn liebevoll ein, vom Dach bis zu den Reifen, um ihn dann zärtlich abzutrocknen und sanft zu polieren.
- Herr Müller, was ist, wenn zwei böse Buben kommen und machen ritsch-ratsch mit dem Messer einen Kratzer auf Ihren Liebling, die ganze Seite lang?! Ritsch-ratsch!
Jetzt zeigte Herr Müller Wirkung. Sein Mund zuckte, seine Augen waren schreckgeweitet. Aber noch suchte er zu entkommen.
- Ich lasse den Jeep doch meistens in der Garage stehen.
- Ja, aber nicht immer. Kaum sind Sie ausgestiegen, kaum haben Sie sich weggedreht, ist es schon passiert. Und nicht nur der Kratzer! Antenne abgeknickt - Knack! -, Spiegel abgebrochen - Krach! - und die Scheibe ...
- Hören Sie bloß auf. Was soll ich denn tun?
- Schließen Sie eine Vollkasko ab. Sie wissen ja, Teilkasko zahlt nicht bei solchem Vandalismus. Aber die Vollkasko.
- Gut, gut, ich unterschreibe schon. Aber sagen Sie nie mehr so schreckliche Sachen über ihn.
 



 
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