All He Needs Is Love - Ein Mann sucht sein Glück 8

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Beim nächsten Treffen der Coué-Suggestions-Gruppe war eine neue Frau dabei. Sie hieß Rita, wie Frank bei der
Vorstellungsrunde erfuhr. Rita war lustig und unbefangen. Dadurch wurde Frank erst bewusst, wie verspannt doch die anderen wirkten. Sie gaben sich zwar positiv, aber das kam ihm aufgesetzt und erzwungen vor. Sie nahmen das "Sich-Positivieren" tierisch ernst, es war für sie harte "Gedanken-Arbeit". Und ihre "Immer-besser-und-besser"-Suggestionen plapperten sie stur wie Automaten herunter, unter Anleitung des Vorbeters Meier-Meyer. Rita nahm's dagegen locker und leicht, sie war einfach gut drauf. Bei der Vorstellung zwinkerte sie Frank kurz zu. Und der zwinkerte spontan zurück, obwohl das eigentlich nicht seine Art war. Aber sie gefiel ihm. Zwar fand er sie ein bisschen zu rund, aber wenn er genau hätte sagen sollen, wo sie abnehmen sollte, wüsste er nicht wo und hätte lieber alles so belassen. Beim gemeinsamen - andächtigen – l0maligen Sprechen der Hauptformel "Es geht mir mit jedem Tag immer besser und besser" kicherte sie einmal vernehmlich und gähnte außerdem ungeniert, was Meier-Meyer zunächst mit einem mahnenden Räuspern, dann mit einem warnenden Hüsteln quittierte.
Als Rita mit ihrer Individualübung dran kam, sagte sie: "Ich werde mit jedem Tag immer mehr sexy und sexy." Dabei lachte sie Frank zu und fuhr sich mit der Zunge über die geöffneten Lippen, ohne sich durch einen - drohend gemeinten - Hustenanfall von Meier-Meyer beirren zu lassen. Frank war etwas verlegen. Wenn eine Frau ihn zu aktiv anflirtete, verunsicherte ihn das meistens. Aber er lachte mutig zurück.

Als die Sitzung zu Ende war, kam Rita schnurstracks auf ihn zu. "Hallo, hast du Lust, noch auf ein Glas Wein mit zu mir zu kommen? Ich wohne direkt um die Ecke." Frank nickte zwar, allerdings hatte Rita eine Antwort gar nicht erst abgewartet, sondern ihn direkt untergehakt. "Abschleppen" nannte man das wohl. Aber bei ihr wirkte das völlig natürlich, ebenso wie es Frank ganz normal vorkam, dass sie ihn direkt dutzte, obwohl man sich sonst in dieser Gruppe siezte. Das "um die Ecke" erwies sich als etwas untertrieben. Es ging bzw. sie gingen um vier Ecken und dann an einem großen Haus vorbei in dessen Garten, wo ein besseres Gartenhäuschen stand. Dort wohnte Rita, sehr originell. Unterwegs erzählte sie viel von sich. Sie hatte ein Studium und eine Lehre angefangen, beides aber wieder abgebrochen. Sie hatte geheiratet und sich wieder scheiden lassen, war nach Frankreich gezogen und wieder nach Deutschland zurückgekommen. Derzeit jobbte sie in einer Werbeagentur. Obwohl es in ihrem Leben also durchaus Niederlagen und Misserfolge gegeben hatte, schien das keine Narben oder gar unverheilte Wunden hinterlassen zu haben. Sie machten es sich in der Wohnküche des Hauses bequem. Rita holte einen Weißwein aus dem Kühlschrank, etwas zu lieblich für Franks Geschmack. Dann setzte sie sich neben ihn auf das Sofa, etwas näher als schicklich, fand er, zumal dieses Sofa - wie er sofort erkannte - ein Bettsofa war, das mit einem Griff umgeklappt werden konnte.
Damit das, was wohl kommen würde, kommen musste, nicht allzu schnell ging, brachte er das Gespräch auf die Gruppe. "Wie kommst du eigentlich zu diesen Positiv-Denkern? Du bist doch offensichtlich ohnehin gut drauf, mit dir und der Welt zufrieden."
"Ja, meistens schon, aber auch nicht immer. Ich gehe halt ab und zu dorthin, wenn ich gerad' meinen Moralischen habe. Nicht wegen dieser Suggestionsformeln, die bringen mir nichts. Aber ich finde diese Typen so komisch, wie die da verkrampft rumsitzen und ihre Sprüche runterleiern. Über die kann ich mich kaputtlachen, und danach bin ich wieder bester Laune." Wie zur Bestätigung kicherte sie ausgiebig.
Jetzt rückte sie noch näher, Frank direkt auf die Pelle, und schmiegte sich an ihn. Er betrachtete sie. Mit ihren etwas rundlichen Formen und ihrem rosigen Teint erinnerte sie ihn ein bisschen an ein Ferkel, allerdings ein sehr appetitliches und niedliches Ferkelchen. Aber Rita sah es offenbar umgekehrt, und sie sprach ungeniert aus, was er nicht zu sagen gewagt hätte. "Du bist mein Glücksschweinchen", schmeichelte sie, "mein Schweinchen Dick." Frank war unangenehm berührt. Das waren nicht gerade die Koseworte, die er gerne hörte. Sie kühlten ihn eher ab, als dass sie ihn anheizten. Und dann legte sie ausgerechnet noch "Bolero" auf, zwar ein schönes Musikstück, aber seit dem Film „Die Traumfrau“ allgemein zur Bums-Musik degradiert. Doch jetzt war es zu spät, "nein" zu sagen.
Sie kippte das Sofa - wie vorausgesehen - mit einem Griff zum Bett. Dann begann sie, sich in einem Striptease-Tanz auszuziehen. Dabei tanzten auch ihre prallen Brüste wie zwei hüpfende Möpse, auf und nieder. Wenn sie unten anschlugen, gab es ein lautes Klatschen. Als Rita ganz nahe an Frank herantanzte, erschienen ihm die Möpse allerdings mehr wie bedrohliche Bulldoggen. Während er ihr zusah, zog sich Frank ebenfalls aus, allerdings etwas abgewandt. Kaum ganz nackt, wollte er sofort unter die Decke schlüpfen; aber Rita erwischte ihn und umrundete ihn mit ihren weichen Rundungen. Er merkte, wie sich bei ihm nun doch ein sexuelles Hochgefühl einstellte, eine seelische wie körperliche Erhebung. Aber dann kam Rita mit "Ab in die Heia - Wir bumsen mit jedem Tag immer besser und besser." Während sie sich vor Lachen ausschüttete, fiel Frank die Kinnlade runter, aber nicht nur diese. Das waren einfach nicht die Worte, die ihn sexuell anmachten, nicht die erotische Atmosphäre, die ihn in Stimmung brachte. Ganz im Gegenteil. Dennoch wollte, ja musste er jetzt seinen Mann stehen. Aber obwohl (oder gerade weil) sich Rita wirklich rührend um "ihn" - unter der Gürtellinie - bemühte, es rührte sich nichts. "J'ai couché avec Coué", reimte Rita und setzte ihre Bemühungen fort. Richtig: Coué, das war - hoffentlich - der rettende Engel. Blitzschnell überlegte sich Frank eine in dieser Bredouille passende Coué-Formel; allerdings durfte sich die Wirkung keinesfalls erst von Tag zu Tag verbessern, sondern musste sich von Sekunde zu Sekunde buchstäblich erhöhen. Er kam auf: "Ich werde mit jeder Sekunde immer standfester." Beschwörend murmelte er diesen Satz innerlich vor sich hin, aber ohne Erfolg, ohne Aufwärtsbewegung, nicht einmal eine steigende Tendenz. Jetzt formulierte er noch direkter: "Ich stehe mit jeder Sekunde immer fester." Fast betete er das. Umsonst. Rien ne vas plus. Je mehr er sich oben, im Kopf, darauf versteifte, desto weniger versteifte sich unten. Wie peinigend und peinlich! Und was tat Rita? Sie kicherte. Aber wenigstens nahm sie dieses Malheur ganz locker. "Tja, schwach anfangen und stark durchhängen, wie? Macht nichts, wir können auch anders unseren Spaß haben." Sie ging zum Plattenspieler und legte eine andere CD auf. Franks Erleichterung wandelte sich schnell zu neuem Frust. Ausgerechnet eine Platte von den "Toten Hosen".
War das Zufall oder machte sie sich über ihn lustig? Jedenfalls reichte es ihm. Noch ehe Rita zum Bett zurückgetänzelt war, sprang er auf und zog in Windeseile seine Kleider an. Er entschuldigte sich bei ihr, dass er heute einfach völlig kaputt wäre und in den nächsten Tagen, ja schon morgen wiederkommen würde. "Komm dann aber wirklich", verabschiedete ihn Rita. Und als er durch die Tür stürzte, rief sie ihm noch laut nach: "Halt die Ohren steif und ... du weißt schon!" Frank glaubte, sie noch kichern zu hören. Wütend und enttäuscht stapfte er zu seinem Auto zurück. "Schlappschwanz", schalt er sich selbst. "Das kannst du also auch nicht. Oder auch nicht mehr." Denn dieses Problem war bisher bei ihm noch nie aufgetreten. „Alles geht bergab“, dachte er betrübt. Einen Moment versuchte er zwar, sich zu trösten. "Die Schwerkraft ist schuld", murmelte er vor sich hin. Doch er wusste, dass dies die dümmste Erklärung war, die je ein Mann für seine "Unpässlichkeit", verdammt für seine Impotenz abgegeben hatte.

Am nächsten Morgen im Büro war Frank noch sehr niedergeschlagen. Diese Kränkung seiner männlichen Würde hatte ihn hart getroffen. Er türmte jede Menge Aktenordner und Papierstapel auf den Schreibtisch und versteckte sich dahinter. Heute wollte er nur in Ruhe gelassen werden. Allerdings übertrieb er beim Bauen seiner Aktenberge zu sehr - mit entgegengesetzter Wirkung. Denn das Grundgesetz für's Überleben im Büro lautet: Lasse deinen Schreibtisch immer mindestens halbvoll und stöhne, wieviel Arbeit du noch hast. Denn wenn dein Schreibtisch leer ist, bekommst du sofort vom Vorgesetzten neue Arbeit draufgeknallt, egal ob du dein Tagespensum längst erledigt hast. Überhäufe deinen Schreibtisch aber auch nicht zu krass, sonst glaubt der Chef, du schaffst deine Arbeit nicht, du bist zu wenig leistungsfähig und belastbar.
Als Frank sich gerade hinter einem Papierhaufen, den er aus dem Papierkorb geklaubt hatte, "zur Ruhe setzen" wollte, erschien sein Gruppenführer, der - mit frisch frisierter Zweitfrisur - seinem Spitznamen "Toupet" alle Ehre machte. "Herr Fröhlich, Sie machen mir Sorgen, anscheinend sind Sie mit Ihrer Arbeit überfordert. Vielleicht wäre es besser, wir versetzten Sie in eine andere Abteilung; in der Poststelle ist gerade etwas frei." Den ganzen lieben Tag Briefe sortieren, abholen oder austeilen, das fehlte Frank noch. "Ich fühle mich bestens und der Arbeitsmenge völlig gewachsen", beeilte er sich zu erwidern. "Ich habe Akten so aufgestapelt, um sie neu zu ordnen und so meine Arbeit noch effektiver zu gestalten." "Das hört man gerne", meinte Toupet, und prüfte mit der Hand den Sitz seiner Zweithaare. Das Ergebnis war offensichtlich zufriedenstellend, denn er wirkte danach doppelt erleichtert, wegen Frank und seiner Haare. "Warum bin ich eigentlich zu Ihnen gekommen?" Kopfschüttelnd ging er wieder raus. Vielleicht kam er gleich zurück, wenn es ihm wieder einfiel. So musste Frank jetzt wirklich ranklotzen. Als erstes räumte er alle überflüssigen Akten - etwa 90% - wieder vom Schreibtisch runter, begleitet von Kollegen Karlos wieherndem Gelächter. "Guten Morgen, Herr Fröhlich, ach, Sie sind unser neuer Postler! Wie reizend!" Ja, dieser Karlo war wirklich "reizend", er reizte einen leicht bis zur Weißglut. Da gab es nur eins: cool bleiben. Denn er wusste aus leidvoller Erfahrung: Je mehr er "Wirkung" zeigte, je mehr er seinen Ärger offenbarte, desto begeisterter stichelte Karlo weiter. So war der eben. Da muss ich jetzt durch, sagte sich Frank. Ich bin es ja auch selber schuld.
Wie um sich zu bestrafen, griff er einen besonders unangenehmen Fall heraus, den er bislang immer wieder weggeschoben hatte. Es handelte sich um einen gewissen Herrn Karl, einen Hypochonder par excellence, den Meister aller eingebildeten Kranken. Herr Karl glaubte offensichtlich, jede Woche mehrere schwerere Krankheiten zu haben, und zwar immer wieder andere. Jedenfalls ging er mindestens dreimal pro Woche zum Arzt, manchmal aber auch an einem Tag zu drei verschiedenen Ärzten. Frank hatte nicht nur viel Arbeit mit den unzähligen Rechnungen, sondern zudem die unangenehme Pflicht, Herrn Karl stets von neuem auf die Versicherungsbedingungen hinzuweisen und mit Androhung von Risikoprämien und dergleichen seinen Medizinerverschleiss einzudämmen. Herr Karl rächte sich dafür, indem er Frank am Telefon mit seiner unendlichen Krankengeschichte langweilte. Dabei erbrachten fast alle ärztlichen Untersuchungen keinen Befund. Es war schon ein Kreuz mit diesem gesunden Kranken. Da war ihm sogar ein anderer Kunde noch lieber, der bei dem Versicherungskonzern, für den Frank arbeitete, nur eine Autohaftpflichtversicherung abgeschlossen hatte, aber dennoch hartnäckig auch seine Arztrechnungen einreichte. Das Telefon klingelte. Frank hob den Hörer ab. Noch ehe er etwas sagen konnte, ging es los:

- Herr Fröhlich, sind Sie's? Na ja, macht nichts.
- Wenn man an den Teufel denkt ...
- Wie bitte?
- Gar nichts, Herr Karl. Was kann ich für Sie tun?
- Sie können mir endlich die Erstattung für die letzten 30! eingereichten Rechnungen überweisen. Ich habe ja so kaum noch Geld, um neue Arztbesuche zu bezahlen.
- Wie bedauerlich.
- Allerdings, Herr Fröhlich. Sie wissen bestimmt nicht, wie mies es mir geht. Stellen Sie sich vor, seit drei Tagen habe ich jetzt durchgehend Kopfschmerzen. Meine Mutter meint zwar, das läge nur am Wetterwechsel, aber weiß man das genau? Wie ich neulich in einer lllustrierten beim Arzt gelesen habe, können Kopfschmerzen ganz verschiedene Ursachen haben. Ich werde zumindest zum Internisten, Neurologen, Orthopäden, HNO-Arzt und Zahnarzt gehen müssen. Am sichersten wäre natürlich eine Computertomographie, obwohl ich dabei befürchte, dass ...
(Frank legte den Hörer genervt neben das Telefon und nahm ihn erst nach fünf Minuten wieder auf.)
... Sie fragen, ob Sie vielleicht ein Hausmittel gegen Kopfschmerzen empfehlen können, natürlich nur etwas ohne Nebenwirkungen.
- Herr Karl, ich habe Ihnen schon öfters erklärt, dass wir als Versicherungs angestellte keinen ärztlichen Rat geben können. Aber versuchen Sie es doch mal mit kalten Kompressen auf der Stirn. Mir hilft das immer.
- Wenn Sie meinen, Herr Fröhlich. Allerdings habe ich neulich im Gesundheits-Ratgeber gehört, dass kalte Umschläge auch zu einer Verkrampfung führen können. Wüssten Sie noch etwas anderes?
- Tut mir leid, Herr Karl, ich muss dringend zu einer Konferenz. Rufen Sie uns nicht an, wir rufen Sie wieder an.

Frank legte einfach den Hörer auf. Er war fertig. Ein bisschen Hy pochondrie war ganz o.k., das kannte er bei sich selbst auch. Aber der Herr Karl übertrieb es nun wirklich. Er durfte sich bloß nicht davon "anstecken" lassen. Schon merkte er, wie sein Kopf anfing, ebenfalls weh zu tun. Wenn er richtig hinfühlte, war da ein deutlicher Schmerz. Vielleicht habe ich schon seit langem Kopfschmerzen, ohne es zu merken, überlegte er. Ob ich auch mal wieder zum Arzt gehen sollte? Aber wozu denke ich positiv oder versuche es jedenfalls! In einem der Ratgeberbücher hatte er gelesen: "Positive Gedanken sichern und steigern unsere Gesundheit." Na also. Am besten würde er direkt mal eine kleine Heilungsübung machen. Die Gelegenheit war günstig, denn Karlo hatte sich für eine Zigarettenpause verabschiedet, und die dauerte bei ihm mindestens 15 Minuten. Spontan fiel Frank der Spruch ein: "Mein Kopf ist frei." Er ging im Zimmer hin und her und sprach dabei laut vor sich hin: "Mein Kopf ist frei." Er war so konzentriert, dass er Gruppenleiter Dr. Toupet erst bemerkte, als dieser ihn ansprach:

"Herr Fröhlich, wenn ich Sie vielleicht bei Ihrem Spaziergang kurz stören dürfte."
Frank zuckte zusammen. Wie lange mochte Toupet schon da sein und ihm zugesehen haben?
"Was meinen Sie mit 'mein Kopf ist frei'? Wollen Sie damit ausdrücken, dass Ihr Kopf leer ist?"
Er betrachtete ihn mit einer Miene, die verriet, dass er erhebliche Zweifel an Franks Geisteszustand hegte.
"Überlegen Sie sich das doch einmal mit der Poststelle. Da können Sie auch viel mehr herumlaufen und haben den Kopf frei. - Mein Gott, nun habe ich schon wieder vergessen, warum ich gekommen bin ..."

Frank war heilfroh, als er endlich nach Hause gehen konnte. Doch als er es sich gerade gemütlich machen wollte, überfielen ihn die peinlichen Erinnerungen an gestern; davon hatten ihn die Arbeit und der Büroärger wenigstens abgelenkt. Er musste sich, ob er wollte oder nicht, mit seinem "sexuellen Versagen" auseinandersetzen. Aber nicht nur er hatte versagt, sondern auch Coué. Als er ihn wirklich gebraucht hätte, da wurde er versetzt, die Besser-und-Besser-Formel nutzte nichts. Womöglich war dieser Herr doch zu betagt bzw. viel zu lange tot, um in Sachen Sex noch auf der Höhe der Zeit zu sein.
Plötzlich fiel ihm das Buch "Ultra-Sex durch Ultra-Gedanken" ein. Das hatte er sich damals doch nicht zu kaufen getraut. Aber jetzt traute er es sich zu. Sein Selbstbewusstsein war also dank dem Positiven Denken schon gestiegen. Allerdings wagte er sich dafür nicht in die Buchhandlung, wo er seinerzeit seine Käufe getätigt hatte. Die Buchhändlerin - wie hieß die doch noch? Richtig, Karin - mokierte sich ja ohnehin schon über ihn. So machte er sich auf die Fahrt zu einer kleineren Buchhandlung, die aber, wie er gehört hatte, besonders viel Auswahl an Psycho-Literatur bieten sollte. Unterwegs wiederholte Frank innerlich immer wieder: "Ich kaufe das Sex-Buch ganz locker und entspannt." Doch je näher er der Buchhandlung kam, desto verspannter wurde er. Es war ihm einfach unangenehm, nach einem Sex-Titel zu fragen. Was würden die Leute von ihm denken? Würden Sie etwa glauben, dass es bei ihm nicht so richtig funktioniere? Dass er ein solches Buch nötig habe? Das Schlimmste dabei war: Sie würden sogar recht haben, wenn sie das von ihm dächten. Doch da kam ihm der rettende Einfall: Er könnte sich das Buch selbst aus dem Regal rausnehmen, dann blitzschnell zahlen und ab durch die Mitte. Wohlgemut betrat er den gut besuchten Laden. Er hatte Glück, es lief genau wie vorgesehen - jedenfalls zunächst. Schon nach kurzem Suchen fand er sein Wunschbuch. Nun schnell zur Kasse, und gleich würde er es hinter sich haben.

"Mist, der Preis ist nicht ausgezeichnet", schimpfte der Mann an der Kasse.
"Emma, was kostet der 'Ultra-Sex'?" schrie er durch das ganze Geschäft.
Mehrere Leute drehten sich um, aber Frank schien es, als schauten sich alle nach ihm um.
"Ich bin ganz gelockert, gelöst und gelassen", mumelte er innerlich, aber tatsächlich stand ihm der Schweiß
auf der Stirn, und er umkrampfte seinen Schirm so, dass die Fingerknöchel hervortraten.
Endlich brüllte Emma, eine kleine, dafür pralle Person zurück.
"Ist das dieses Buch über geile Gedanken?"
Frank machte sich kleiner und kleiner.
"Ja", trompetete der Kassierer zu Emma, "das Geistbumsen".

Frank versank im Erdboden. Schließlich erklang aus Emmas Ecke das erlösende 16,90 Euro. Frank zahlte in Windeseile. Er hätte auch ohne zu zögern einen Preis von 100 Euro bezahlt, nur um schnell herauszukommen.
Auf dem Rückweg schämte er sich. Er schämte sich, weil er sich im Buchladen geschämt hatte. Was war denn schon dabei, ein Buch über Sex zu kaufen?! Und was ging es andere Menschen an, was er machte?! Und überhaupt: Wieso kümmerte er sich darum, was andere vielleicht von ihm denken würden?! Doch jetzt musste er sich auf ein viel größeres und schwierigeres Problem konzentrieren: Wie finde ich einen Parkplatz, in der Nähe meiner Wohnung oder jedenfalls nicht weiter als 10 Minuten Fußweg? Das setzte er sich als Limit - denn sonst hätte er besser zu der (12 Gehminuten entfernten) Buchhandlung zu Fuß spazieren können. Da fiel ihm etwas ein, was er bei Montag gelesen hatte. "Parkplatz-Visualisierung" nannte der das. Man solle sich genau so einen Parkplatz vorstellen, wie man ihn wünsche, und fest an den Erfolg glauben - dann fiel einem, wie er sich nicht ganz gelungen ausdrückte, dieser Parkplatz in den Schoß. Angeblich hatte der immerhin im Verkehrschaos von München lebende und fahrende Montag mit dieser Methode quasi immer eine geistige Garage dabei, die er überall aufstellen konnte. Was in München klappte, sollte doch auch in Franks 500.000-Einwohner-Stadt möglich sein. Also, Frank visualisierte seinen Lieblingsparkplatz: 10 Meter vor seiner Wohnung, neben der Laterne, groß genug, um ohne Mühen reinzukommen und auch noch nicht als Hundeklo missbraucht. Und - genau diesen Parkplatz fand er! Frank hatte das ehrlich gesagt selbst nicht geglaubt, er war sogar dermaßen überrascht, dass er fast an der Lücke vorbeigefahren wäre. Um so größer seine Freude. "Und sie bewegt sich doch", flüsterte er beinahe andächtig. Das Positive Denken bewegte doch etwas. Vielleicht nicht gleich die ganze Erde, aber immerhin verhalf es ihm um 17:15 Uhr, Hauptverkehrszeit, zu einem Superparkplatz, das war auch ein Wunder. Und das war außerdem genau der Erfolg, den er nach seinen zwei Niederlagen dringend brauchte, nach dem seine Seele so sehnlichst gelechzt hatte wie ein Dürstender in der Wüste nach Wasser.
Jetzt fühlte er neuen Auftrieb, jetzt hatte er auch Lust, das "Ultra-Gedanken-Sex-Buch" zu lesen, was ihm durch die peinlichen Umstände beim Kauf schon halb verleidet gewesen war. "Also, direkt damit anfangen. Na warte Rita, du wirst dich noch wundern!" Hatte er sich unter "Ultra-Gedanken" etwas ganz Besonderes vorgestellt, so wurde er enttäuscht. Was er las, kam ihm sehr bekannt vor. Positives Denken und nochmal Positives Denken. Nur dass dieser Autor, wohl um sich von anderen abzusetzen, eben von "Ultra-Denken" sprach, so wie andere Autoren (um sich von ihm abzusetzen) von "Mega-Denken" oder "Super-Denken" sprachen oder wie auch immer. Und, dass dieser "Herr Ultra" sein Hauptaugenmerk auf die Sexualität richtete. "Unterleibs-Gedanken" bzw. "Ultra-Unterleibs-Gedanken", wie er etwas überdeutlich formulierte. Nach seiner "Schwäche" bei Rita interessierte Frank vor allem, was der ultröse Schreiber über Impotenz - furchtbares Wort - offenbarte. Und da schrieb der doch Erstaunliches, in unverblümter Direktheit: "Impotenz hat nichts mit den Genitalien, sondern mit dem Kopf zu tun. Man(n) versagt nicht unter dem Gürtel, sondern über dem Schlips. Folglich geht es primär auch nicht darum, in der Hose, sondern unter dem Hut seinen Mann zu stehen. Ist die Erektion im Kopf geschafft, folgt die vorm Bauch automatisch." Um das (wieder) zu lernen, sei jedes Mittel recht. Hier zeigte der Autor allerdings eine merkwürdig gespaltene Auffassung. Einerseits ermutigte er den Mann, sich - zur Anhebung seiner Potenz - hemmungslos sexuell auszuleben, mit welchen vielen Frauen auch immer, bei jeder Sex-Orgie mitzumischen, wenn "geilheitsfördernd", sich sogar auf alle denkbaren Perversionen einzulassen. - Aber nur in der Phantasie, nur in Gedanken! Denn andererseits verlangte er als praktizierender Laienprediger unbedingte körperliche Treue, nicht nur in der Ehe, sondern in jeder Partnerschaft. Der erschlaffte Mann durfte sich zwar sogar beim Zusammenschlafen mit seiner Partnerin eine andere vorstellen, aber eben nur vorstellen. Das Umgekehrte empfahl der "Ultra-Man" geschlechtskalten oder geschlechtskühlen Frauen. Sie sollten in der Phantasie ihren Gatten oder Freund gegen einen Traummann austauschen, das helfe immer (außer bei "geschlechtseiskalten" Frauen). Fremdgehen nein, fremddenken ja, das war sein Motto.
Frank versuchte sich vorzustellen, wie dies in einer Ultra-Ehe ablaufen könnte. Während es realiter Herr und Frau Müller trieben, vereinigten sich in der Phantasie vielleicht Humphrey Bogart und Ingrid Bergmann oder bei Jüngeren Robert Pattison und Miley Cyrus. Falls Herr Müller verschwiegene Neigungen besaß, mochte es auch zu einem "mind-fucking" zwischen seinem Liebling Tom Selleck und ihrem Liebling Richard Chamberlain kommen. Oder falls die schöne Müllerin auch verschwiegene Neigungen besaß, konnte ein mentaler Sex von ihrem Schwarm Madonna mit seinem Schwarm, nämlich Lady Gaga stattfinden. Und wenn einer von den Müllers extrem abweichende Vorlieben in seinem Inneren hütete, dann mochten auch Rin Tin Tin, Fury, Micky Maus, King Kong, oder „Meister Proper“ zum Einsatz kommen. Da drohte wirklich ein schönes Durcheinander in den geistigen Betten.
Als Frank weiterlas, kam er zu einem Satz, der ihn elektrisierte. Und zwar schrieb der Autor: "In bestimmten Fällen nützt die tollste Phantasie-Traumfrau nichts." Aber in welchen Fällen? "Immer dann, wenn die reale Geschlechtspartnerin dem Mann erotisch widerspricht, für ihn eine Alptraumfrau ist. Dann erweist sich die - negative - Realität stärker als die - positive - Phantasie." In einem solchen Fall "alptraumfraulich bedingter Impotenz" sollte er sich doch besser eine andere Partnerin suchen. Genau das war es: „Deshalb hat es mit Rita nicht geklappt. Sie ist sexuell absolut nicht mein Typ, eher mein Anti-Typ. Sicher, ich finde sie ganz nett. Aber ihre Schweinchen-Sprüche haben mich total abgeturnt. Überhaupt bin ich eigentlich nur mitgegangen, weil sie mich gedrängt hatte. Und weil ich von ihr etwas in Sachen Positivität lernen wollte. Denn sie besitzt ohne Zweifel eine Lebensfreude und Unbefangenheit, an der es mir mangelt. Doch dies ist nicht die positive Ausstrahlung, die ich suche. Rita hat die Lustigkeit eines 16-jährigen kichernden Backfisches. Gut, vielleicht bin ich auch nicht locker genug, um mich darauf einzulassen; vielleicht halte ich ihr Positivsein einfach nicht aus. Rita ist aber unreif und etwas dümmlich. Sie ist wohl einfach zu naiv, um sich überhaupt Sorgen zu machen, zu bequem, um sich überhaupt aufzuregen oder zu ärgern. Auf diese Weise positiv zu sein, das kann und will ich nicht. Und so hat es auch keinen Sinn mehr, sich weiter mit Rita zu treffen."
Das könnte schwierig werden, wenn er weiter zu der Coué-Gruppe ginge. Aber er wollte sich auch von dieser Gruppe trennen. Denn etwas hatte er doch von Rita gelernt, gerade durch ihre Lockerheit erkannt: nämlich wie unnatürlich und verkrampft es bei den Coué-Anhängern, unter dem Regime von Meier-Meyer zuging. So mechanisch positiv zu plappern, wie eine Maschine, das war auch nicht die Positivität, die ihm vorschwebte. In engen Grenzen wollte er zwar die Methoden von Coué weiterhin für sich nutzen, aber nicht als alleinseligmachende Ideologie. Couéismus, nein danke. Als Frank schließlich - allein - zu Bett ging, musste er wieder an Yvonne denken: Vielleicht legt sie sich auch gerade in diesem Moment ins Bett, mit einem zarten, blütenweißen Nachthemd – oder ganz nackt. Nur 3 Meter über mir, so nah und doch so fern. "Ja, wenn es Yvonne, diese Traumfrau, gewesen wäre anstatt der Kichererbse Rita, dann wäre ich bestimmt sexuell zur Superform aufgelaufen, dann hätte ich meinen Supermann gestanden ... "

(Die Klicks für meine mehrteilige Geschichte sind ständig zurückgegangen. Ich denke, der Text findet bei der LL nicht die Zielgruppe, an die er sich vor allem wendet. Daher habe ich überlegt, die Veröffentlichung zu stoppen. Aber vielleicht gibt es doch einige Leser, die gerne erfahren wollen, wie es weitergeht, und die möchte ich nicht durch einen Abbruch enttäuschen. Wenn allerdings die Klicks noch weiter abnehmen, muss ich doch an eine Beendigung oder wenigstens eine Pause denken. Es ist wie bei einer TV-Sendung, die nicht die notwendigen Quoten erreicht, man stellt sie ein.)
 



 
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