Alltag 2

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Alltag 2


Ein junger Mann kommt in den Bus, hält mir sein Smartphone vor die Nase und sagt: „Da möchte ich hin. Bin ich da richtig bei ihnen?“
Zum Lesen von Kleingedrucktem brauche ich eine Brille. Und das, was er mir da zeigt, ist definitiv zu klein. „Sagen Sie mir doch einfach, wo Sie hinwollen. Ich kann das ohne Brille nicht lesen“, sage ich deshalb.
„Karl-Winkler-Straße 9.“
Sagt mir leider gar nichts. „Wo soll die denn sein?“, erkundige ich mich daher.
„Man hat mir gesagt, dass ich mit dieser Linie fahren muss. Wo muss ich denn aussteigen?“
Er hat es noch nicht kapiert. „Ich kenne diese Straße nicht“, sage ich.
„Warum kennen Sie die nicht?“
„Weil ich Busfahrer bin und kein Taxifahrer.“ Ich kenne den Linienweg, die Namen der Straßen, die ich befahre oder kreuze, aber irgend so eine Straße weit ab des Linienweges muss ich nicht kennen. Auch wenn ich mich ganz gut in meiner Heimatstadt auskenne, muss ich nicht alle Straßen kennen.
Ich frage mich, warum die Leute ihr blödes Smartphone nicht mal benutzen, um an diese Informationen zu kommen. Google zeigt alles an, wenn man das Richtige eingibt. Alles! Auch die Haltestellen, die in der Nähe wären. Aber wahrscheinlich hapert es schon daran, die Eingabe der Suche korrekt zu formulieren ...
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
„Man hat mir gesagt, dass ich mit dieser Linie fahren muss. Wo muss ich denn aussteigen?“

Tja, das wäre der Preis gewesen ... :) Das hätte er tatsächlich auf dem Smartphone ermitteln können ...

Nervige Fahrgäste! Aber ich muss zugeben, es gibt auch Busfahrer, die einen einschüchtern können. Ich bin immer froh, wenn sie grüße und lächeln. Oder ich lächele direkt.
:)

Schöne Alltagsskizze!
 
Hallo DocSchneider,

klar, es gibt solche und solche. Ich bin immer derjenige, der die Fahrgäste beim Einstieg an der ersten Tür zumindest freundlich ansieht, damit sie sich im Zweifelsfalle genötigt fühlen (so kommt es mir bei manch einem wirklich vor), selbst zu grüßen, wie es sich gehört.
Im Moment haben wir ja keinen Einstieg an der ersten Tür. Wir sind die Einzigen, die noch die komplette Abtrennung vom Fahrgastraum mit Folie haben. Da ist zumindest der Abstand gewährt, wenn es auch nicht zu 100 % schützen mag.

Schöne Grüße,
Rainer Zufall
 

Ji Rina

Mitglied
Hallo Rainer,
Musste lachen....allein schon beim ersten Satz:
hält mir sein Smartphone vor die Nase und sagt: „Da möchte ich hin. Bin ich da richtig bei ihnen?“
Also ich habe immer Glück mit Busfahrern. Bin aber auch immer ganz nett und höflich und dann sind sie es auch. Bei Txifahrern erwischt man manchmal ganz langweilige, wortlose...
Anstatt Alltag1, Alltag2, etc.... könntest du einen Thread mit dem Titel "Alltag" eröffnen und hin und wieder hintereinander solch eine Anekdote posten.
Mich hättest du.
Liebe Grüsse,
Ji
 
Hallo Ji,

klar, es gibt auch viele nette BusfahrerInnen. Ich habe auch ein paar Kollegen, die waren vorher Taxifahrer. Die sind aber alles andere, als langweilig und wortlos. Das sind regelrechte Schwatzköppe.
Ja, einen Thread mit der Allgemeinüberschrift "Alltag" hätte ich machen können. Da hätte ich noch ein paar Anekdoten, die ich allerdings in einer anderen Geschichte schon in einer Stammtischszene zusammengeführt hatte ("Und sowas im Bus ..."). Ist schon ein paar Wochen her.
Schön, dass ich Dich hiermit erheitern konnte.

Liebe Grüße,
Rainer Zufall
 
Hallo hein,

oh, das mag sein. Vielleicht nicht jeden Tag, aber oft sind es Kleinigkeiten, die einem ins Auge fallen. Viel häufiger sind leider die teils aggressiven Aktionen der anderen Verkehrsteilnehmer, egal ob zwei oder vier Räder.
Aber bis Weihnachten passiert da bei mir erstmal gar nix. Ich habe nämlich Urlaub. Aber ich habe mir in den über elf Jahren als Busfahrer schon ein paar Notizen gemacht. Da werde ich mal stöbern. Das reicht dann jedoch von witzig bis dramatisch oder gar gemeingefährlich.

Liebe Grüße,
Rainer Zufall
 
Hallo Ji Rina, hallo hein,

okay, Ihr habt mich drangekriegt ...

Es gab in all der Zeit sicher viele nette oder auch dramatische Geschichten, aber die verrückteste war sicher die folgende (die allerdings auch schon in meiner oben erwähnten Geschichte eingebaut ist), mit der ich die Sammlung jetzt starte:


Wollten wir das wirklich wissen?

Die Telefongespräche mancher Fahrgäste geben zuweilen einen tiefen Einblick in ihr Privatleben. So stand da mal ein junger Mann an der zweiten Tür, um an der nächsten Haltestelle, die ich in diesem Augenblick anfuhr, auszusteigen. Die letzten Worte, die er sagte, bevor die Tür öffnete, waren: „Ja, ja, ein Kondom hab‘ ich. Ich komme gleich.“
Zum Glück war ich schon vollständig in die Haltestelle eingeschwenkt, sonst hätte ich, wäre dieser Spruch etwas früher gekommen, womöglich das Lenkrad verrissen.
Außerdem war der Bus sehr gut gefüllt und mit mir lachten eine Menge der anwesenden Fahrgäste über diesen wirklich peinlichen Spruch.
Und als sich alle wieder erholt hatten, sprach die alte Dame, die vorne rechts auf dem ersten Platz saß, zu mir: "Sie müssen sich ja Sachen anhören ..."



Manchmal muss ich mir wirklich Dinge anhören, die ich gar nicht wissen will.

Liebe Grüße,
Rainer Zufall
 
Und weiter geht's ...


Adel verpflichtet


Ein freundlicher älterer Herr, der schon häufiger mit mir auf einer bestimmten Buslinie gefahren ist, mich auch an diesem Tag höflich grüßte, saß vorn rechts auf dem ersten Platz.
Kurze Zeit später stieg eine wohl recht alte Dame ein und forderte forsch von ihm, den Platz für sie zu räumen. Da der Bus fast leer war, sah er dazu keinerlei Veranlassung, was er ihr auch sehr höflich entgegnete.
Sie grummelte daraufhin irgendwas von „unerhört“ und „kein Respekt“ und setzte sich woanders hin. Da sie auch vor ihm wieder ausstieg, kam sie dazu nach vorne und meinte dann zu ihm: „Ich bin eine alte Gräfin, da hätten Sie ja mal ...“
Der vorwurfsvolle Ton dabei veranlasste ihn sofort, noch bevor sie den Satz beenden konnte, zu der sehr süffisanten Aussage: „Ja, hätte ich das gewusst, hätte ich für Sie natürlich sofort Platz gemacht.“
 

hein

Mitglied
Da ich hier ja anonym unterwegs bin kann ich eine Begebenheit gestehen, über die ein Hamburger Busfahrer auch berichten könnte:

Ich war mit einer Gruppe von Gartenfreunden aus der Provinz unterwegs zum Hamburger Dahlien-Garten. Da ich einer der Jüngsten war hatte man mich zum Führer durch den Großstadtdschungel bestimmt. Also leitete ich sie durch den Altonaer Bahnhof und fand auf dem Vorplatz auch die richtige Buslinie. Als der Bus kam scheuchte ich alle meine Schützlinge hinein, stieg dann auch ein und bat den Busfahrer: "Können sie bitte ansagen wenn wir beim Dahlien-Garten sind?" Der Fahrer sah mich etwas merkwürdig an, nickte aber und fuhr los.

Als ich auf meinem Platzt saß und mich umsah bemerkte ich es: die große Anzeige, auf der jeweils die nächsten Station angekündigt wurde! Ich sackte in mich zusammen und mied den Blick des Busfahrer und andere Fahrgäste, die den Fauxpas auch mitbekommen hatten.
Und als dann auf der Anzeige unsere Haltstelle erschien hörte ich auch schon die Durchsage mit erkennbar süffisantem Unterton: "Und hier auf besonderem Wunsch: Nächster Halt: Dahliengarten!"

Wir hatten trotzdem einen noch schönen Tag.

Und von hier aus noch einen Dank an alle Busfahrer, die jeden Tag unzählige Menschen sicher an ihr Ziel bringen und dabei wohl so einiges erleben!

LG
hein
 
Hallo hein,

das musste Dir nun wirklich nicht peinlich sein. Hätte ja sein können, dass die Haltestelle gar nicht Dahliengarten geheißen hätte. Was dann? Wer fremd in einer Stadt ist, darf auch "dumme" Fragen stellen. Ich denke, der Busfahrer hatte durchaus Humor.

Liebe Grüße,
Rainer Zufall
 
Heute mal was Dramatisches ...



Gefährliches Überholmanöver


Man stelle sich eine S-Kurve vor, zuerst der Linksbogen, direkt danach der Rechtsbogen, eine Fahrspur für jede Fahrtrichtung, durch eine doppelte durchgezogene Linie getrennt. Selbst mit dem Gelenkbus ist es nicht schwer, die Fahrspur zu halten, die Linien nicht zu berühren und die Geschwindigkeit nicht unter 40 km/h zu reduzieren (50 sind erlaubt). Im Rechtsbogen gehe ich mit der linken Fahrzeugecke nur recht eng an diese doppelte Begrenzungslinie.

Entgegenkommende PKW überfahren fast ausnahmslos diese doppelte Linie. In dem hier beschriebenen Fall kam ein PKW mit definitiv überhöhter Geschwindigkeit entgegen. Wir begegneten uns exakt am Scheitelpunkt des Rechtsbogens. Die Linie auf seiner Seite der Fahrbahn hatte er schon weit vor dem Bogen überfahren. Als er an mir vorbeirauschte, hatte er auch die Linie auf meiner Fahrbahnseite mehr als nur knapp berührt. Das war um Haaresbreite gut gegangen.

Was aber ebenfalls um Haaresbreite gutgegangen ist, war die Vorbeifahrt an einem Radfahrer, der genau im selben Augenblick auf der Gegenfahrbahn unterwegs war. Hätte der PKW also meinen Bus berührt, hätte er durch den Aufprall und die dann meist unvermeidliche reflexartige Lenkbewegung auch diesen Radfahrer erwischt, der er hemmungslos überholt hat. Viel Raum ist dem armen Radler nicht geblieben.

Solchen rücksichtslosen Rasern gehört der Führerschein abgenommen!
 
Ein kleiner Notfall


Ein älteres Ehepaar stieg zu mir in den Bus. Die Fahrt führte danach durch ein kleines Gewerbegebiet, wo nur zu den üblichen Bürozeiten mal Fahrgäste ein- oder aussteigen. Da kamen die beiden zu mir nach vorn.
„Ich müsste mal...“, druckste er herum. Er hatte wohl ein, zwei Bierchen getrunken.
„Solange Sie das nicht hier bei mir im Bus machen, ist alles ok“, meinte ich mit einem wissenden Lächeln.
„Könnten Sie an der nächsten Haltestelle mal anhalten?“
Ich tat ihm den Gefallen. Die Tür war geradeso auf, da sprang er heraus, stürmte auf den nächsten Busch zu, meinte dabei noch: „Meine Frau bleibt solange hier, wenn Sie bitte warten wollen“, und erleichterte sich seiner Not.
Er stieg dann wieder ein und bedankte sich tausendmal für den außergewöhnlichen Service.
 



 
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