Als der Wüstengeher auszog quer gegen den Strom zu schwimmen (Traktat einer polemischen Querulanz)

Tim Weber

Mitglied
Der neuzeitliche Höhenflug des Ikarus

Das metabolische Fabelwesen digitale Vernetzung hat weniger zugunsten eines im bildlich Wagen gelegenen Sprachkonvoluts seine anthropomorphen Flügel ausgebreitet, als vielmehr für seinen Gegenspieler, dem auf einer sprachkonzeptionellen Wirkungssphäre antipodisch zu lokalisierenden Gegenbegriffs. Gemeint ist der Vorzug des Herdentriebs gegenüber einer wie auch immer gearteten Schwarmintelligenz, welchem die digitale Vernetzung Tür und Tor zu einer Himmelsgroteske mit fatalistischen Direktiv-Befugnissen öffnete, ihm unter der Geste einer Dienerschaft zum Heraustreten aus seinem bis dato im Halbschatten psycho-soziologischer Studien gelegenen Daseins durch Verheißung eines ikaräischen Vertikalfluges zur Sonne ermunterte. Stereotype Agitatoren, sanguinische Apologeten eines antiseptischen Zeitalters schreiten seither durch die Himmelspforte. Ihr moralisches Anecken an den Keilschriften der arkadischen Pforte erweist sich im Zuge ihres Gewaltmarsches immer mehr zu einem Anecken der reinen, körperlichen Existenz. Es kristallisiert sich ein Ungetüm aus selbstreferentiell gemünzten Programmaffen heraus, deren Dasein es mit der Homogenität des den Affen umgebenden Raumes jederzeit aufnehmen kann. Der aus dem romantischen Traumbild Herausgefallene stellt nach ungewollter Landung auf dem Boden des Faktischen ernüchternd fest, dass das Nachahmen von Fratzen einer ideokratischen Kognitionschimäre so ein unerträgliches Maß unter allen Akteuren erreicht hat, wie es im historischen Kontext gesehen, wohl keiner freiheitlichen Gesellschaftsform jemals gelingen konnte. Das Nachreden von Meinungen wurde a posteriori in den Stand des Apodiktischen gehoben. Innerhalb der Ausübung besagter Chimäre erfährt es seine königliche Weihe durch die Infektion des Willens zur Übersteigerung eines Wettstreites um die beste aller als salonfähig angesehenen Künste eines habituellen Gestikulierens im öffentlichen Raume, dessen hervorragendstes Beispiel wohl der vorwurfsvolle Blick von Helikoptereltern sein dürfte. Ein Blick, der immer dann fällt, wenn es gilt mit einer an die Durchschlagskraft einer geschärften Axt erinnernden Ansprache die Meinung des Gegenübers wie einen morschen Baum zu fällen. Und dies geschieht unter der hehren Zielsetzung, die Interessen ihres posthum aus dem Inkubator heraus in den Adelsstand gesetzten Kindes gegen ein jegliches als falsch, gar verwerflich abgestempeltes Gegeninteresse durchzuboxen. Unter moralgeschwängerter Berufung auf das Humanistische, und dem einkalkulierten Applaus aller Gleichgesinnten, vollzieht sich die Demontage, indem man aus einer Haltung der Überlegenheit die ideokratischen Wurzeln des dem eigenen Wertesystem Entgegengesinnten als postfaktisches Unkraut der Geschichte entlarvt, bzw. zu entlarven meint. Viel zu bereitwillig vergisst man darüber, dass Kinder nicht nur die Zukunft, sondern auch die Despoten kommender Tage sind, mindestens aber als Mitzerstörer der Umwelt angesehen werden müssen, verwiesen sei beispielhaft auf die Neigung junger Generationen zur überbordenden Vielfliegerei.


Der Wüstengeher

Um ein weiteres Bild zu bemühen, dessen Tragweite der Tragweite eines Gestrandeten in einer Wüste nahe kommt, bedarf es der Vorliebe des Hermeneutikers für das dystopisch Zirkuläre. Denn der in einer Wüste Gestrandete, ob er sich nun aufgrund seiner Entbehrungen (Hitze und Wassermangel) schon in einem fortgeschrittenen Stadium eines Deliriums befinden mag oder nicht, neigt zu einer Art inkrementellen Selbstverfolgung, welche sich dahingehend äußert, dass er, basierend auf einer geringfügigen Symmetriebrechung seines Bewegungsapparates zu Lasten einer Seite, unter dem Eindruck der scheinbar koordinatenfreien Wüstenlandschaft und im Modus einer Apathie des Vorankommen Müssens, seinen Fuß in den im Sand verlaufenden Abdruck seines vorherigen Umlaufes setzt, womit es dem Wüstengeher bestimmt ist, mit geringfügigen Variationen in einer Art Dauerschleife im Kreise zu laufen. Die Parabel des Wüstengehers findet ihren modernen Widerläufer im Diktum, dass die bestimmende Schwere der analogen Jahrhunderte einer vernetzten Leere gewichen ist, deren bedeutendster Agent das Internet und seine sozialen Netzwerke ist. Für den modus vivandi des digital Naiven wollen wir somit das kontemplative Bild des Wüstengehers verwenden.

Obschon der Begriff der Isolation für das Dasein des vernetzten Users recht stimmig scheint, kann es fruchtbar sein, ein weiteres Bild zu bemühen, das zwar weniger durch die sich aufdrängende Isolation innerhalb einer koordinatenfreien Landschaft gekennzeichnetes ist, dessen inhärenten Züge jedoch kaum zirkulär freier ausgestaltet sein könnten, als es für die Öde eines Ganges durch die Wüste zutrifft. Pars pro totum wollen wir an den Fernsehmoderator Frank Plasberg denken, der in seiner Polit-Talk-Sendung „Hart aber Fair“ sein postfaktisches Gegenüber dadurch outen möchte, indem er unter dramaturgischer Beseelungs-Geste und dem Beiwerk von spannungsgeladenen Musikeinspielern (derer sich in journalistischen Kreisen zur Untermauerung des Vorhabens seit geraumer Zeit schon bedient wird), Informationen in die Runde der Disputanten wirft. Dieses den Stand des in aufklärerischer Mission unterwegs seienden Info-Entertainment-Menschen so typisierende Hinwerfen von Fakten (im angesprochenem Falle in die sakrale Arena eines Studiogeschehens hinein), vollzieht sich nicht selten unter dem herrschaftlichen Duktus eines moralischen Fingerzeigs. Eine Attitüde, wie sie zu Zeiten des antiken Roms die autokratischen Herrscher durch die folgenschwere Geste eines sich dem Himmel, bzw. dem Erdreich zugewandten Daumens exerzierten. Das dualistische Pendant, den „Nichts ist wie es scheint“ Menschen, kann das inflationäre „Um sich werfen“ mit Informationen, die in Ausübung des Fernsehamtes für das richtungsweisende Apodikt besagter Geste stehen sollen, nur verstören. Informationen per Zurufe mit dem postulierten Wahrheitsgehalt von Fakten Checks, die dem Großinquisitor in seinem Scheinwerferlicht durchfluteten Kontor von grauen Eminenzen aus dem Backstage Bereich durch die technischen Überbringungsmöglichkeiten eines in seiner Ohrmuschel sich befindlichen Kleinstwellenüberträgers übermittelt werden. Diese richtigstellenden, gleichzeitig auch richtungsweisenden Informationen, die von den grauen Eminenzen, während der haarspalterischen Spanne von nur ein paar wenigen, im Disputanten-Outdoor-Bereich vollzogenen Kameraschwenks, zeitlich simultan aus der medialen Konklave ihres Backstage Zonenbereiches heraus gegoogelt werden, stellen alles in Frage (bzw. alles richtig), nur nicht ihre Vorgehensweise. Denn die Richtigkeit der Methode eines gegoogelten Soufflierens (gleichwohl der Bedeutung der „gegoogelten Soufflage“), wird nicht zuletzt dadurch anerkannt, dass die Richtigkeit der „gegoogelten Soufflage“ durch das Plasbergsche Plenum unisono bekundet wird, somit nicht nur der Geltungsbereich von Wikipedia Gelehrtenmeinungen vom Plenum als universell angesehene wird, sondern im gespiegelten Kosmos der medialen Meinungsmache seine gegoogelte (vormals natürliche) Erweiterung findet, woraufhin der Mechanismus einer Spektralanalyse in Gestalt von grauen Eminenzen an sich nicht mehr hinterfragt werden kann, da ein erkenntnistheoretisches Durchdringen der Erweiterung zumindest mal eine (Wikipedia?) Gelehrtenmeinung voraussetzten würde. Kurz: Der Mensch setzt stets auf das auf, was er vorfindet. Dass sich dem Individuum angesichts dieser selbstreferentiellen Staffage im Plasbergschen Plenums Universum das ontologische Sein wie ein epistemologisches Dauer-Dejavus offenbaren mag, will folgerichtig sein.

Der vorinformelle Charakter eines technikaffinen Googelns ist der autokratische Wandel, dem sich nicht nur die Auguren einer Kryptologie des Vernetzten unfreiwillig ausgeliefert sehen, sondern mit ihnen die gesamte Welt. Wir müssen allerdings nicht erst auf das Plasbergsche Plenums Universum verweisen (und deren grauen Eminenzen als Drahtzieher des Informellen), um das Dauer-Dejavus Erlebnis für den Leser exemplarisch zu beleuchten. Auch nicht darauf, dass nahezu an jedem Tag der Woche ein Plenum von bestechend ähnlichem Formate uns die Geschicke der politischen Welt aus der anheimelnden Atmosphäre eines wohltemperierten Fernsehstudios heraus näher bringen möchte. Denn wenn wir uns ehrlich machen, so müssen wir uns eingestehen, dass wir es selbst beim Lesen zeitgenössischer Literatur schon erleben können. Man denkt sich nur: „Das hier habe ich doch schon mal gelesen.“

Warum aber selbstreferentiell? Nun, schlicht und ergreifend deshalb, weil das als postfaktisch zu outen geltende Frank Plasbergsche Gegenüber, in seinen Bemühungen die eigenen Ansichten zu vertreten, vielleicht nicht einmal gelogen hatte, sondern einfach nur ungeschickt gegoogelt, sich also auf die falschen Quellen bezogen hatte. Quellen zumal, welche sich ihrerseits (über diverse Umwege) wiederum auf den Fakten Check einer zurückliegenden Hart aber Fair Sendung berufen könnten. Über die Umwege digitaler Beiträge von journalistischen Influencern und politischen Usern also, unter denen sich das postfaktische Frank Plasbergsche Gegenüber sogar selbst befinden könnte, so dass das Bild des im Kreise laufenden Wüstengehers dem Erscheinungsbild der medialen User unserer Tage dann doch frappierend nahe kommt, und somit gute Aussichten hat, seinen Geltungsanspruch als Passionsbild des vernetzten Menschen befriedigend zu bedienen. Damit wäre dem gewöhnlichen User nicht nur ein treffsicheres Gegenüber zum Spiegeln seines einseitigen Daseins an die Hand gelegt, sondern es schälte sich auch die Passionsfrucht seiner Agenten heraus. Um nur ein paar wenige beim Namen zu nennen: Journalisten, Politiker, Kommunikationswissenschaftler, Manager, bis weil sogar Künstler. Die Zunft der Informatiker als operative Realisierer natürlich nicht zu vergessen. Allesamt Agenten einer Vernetzungsapologetik, die, um den Terminus des kapitalistischen Sprachkonvoluts Adams Smiths wiederzubeleben (und ihm damit zur neuen Größe zu verhelfen), an eine wirkmächtige Geisterhand glauben, welche das Leben der digitalen Operanden zu einem ontologischen Dasein beflügelt, dessen vornehmstes Attribut die Schwarmintelligenz ist.



Psychogenese

Der psychologisch versierte Mensch moderner Tage tendiert dazu die Schranken seines Daseins ständig ein Stück weiter durchbrechen zu wollen. Der geistige Überbau, der ihn dazu beflügelt, spiegelt sich nicht selten in der Auffassung, dass alle ihm unliebsam gewordenen Eigenschaften nicht mehr zu ihm gehören sollten, sondern als anthropologische Vorläufer seiner Werdungsgeschichte über den Weg einer verhaltenstechnischen Umschulung modifiziert werden müssten. Man gefällt sich beispielsweise darin, zu erklären, dass Ängste, und deren Reaktionsmechanismen, für den Verhaltenscodex innerhalb eines aufgeklärten Umfeldes nicht mehr zeitgemäß sind, da sie aus einer evolutionären Epoche stammen, wo der Mensch sich noch gegen Säbelzahntiger zu Wehr setzen musste. Ein weit zurück liegendes Zeitalter des Fressen und Gefressen werden, wo der Gegner sich noch als handfestes Gegenüber präsentierte, und nicht als bloße, psychotische Manifestierungen evolutionäre Artefakte im Inneren der Seele. Dagegen setzen Vertreter einer Grenzen überwindenden Psychogenese das Bild eines mit der eigenen Position verschmelzenden Gegenübers, welches sich als Ideenkonstrukt der Zeitgeschichte unter dem Begriff Dualismus einen Namen gemacht hatte. Sie argumentieren, dass man die Verhaltensstrategien zurückliegender Epochen vielleicht noch als Reminiszenz an des Gewesene auf dem gereiften Gaumen des Schöngeistigen verspüre, ansonsten aber in die Verhaltensfallen des Zurückliegenden nicht mehr tappen solle, da ihnen die Grundlage für ihre Daseinsberechtigung entzogen wurden (beispielhaft sei hier wieder der Säbelzahntiger aufgeführt). Im Zuge ihrer Argumentation legen sie nicht selten ein Zeugnis von überhöhter Selbstwahrnehmung ab, welches das Implizite der Abkehr vom besagten Dualismus klarer zum Vorschein treten lässt, wie es ihnen vordergründig lieb und recht sein mag. Angesichts ihrer Berufung auf die domestizierte Natur, gar der domestizierten Menschenseele, könnte man auch sagen: Es tritt eine Arroganz zu Tage, die nicht unwesentlich dadurch bestimmt zu sein scheint, dass das Bewusstsein sich in einer Welt erlebt, dessen vornehmste Eigenschaft darin bestehen dürfte bei Laktose freiem Cappucino über die richtigen Stellungen während des Yogas zu sinnieren. Einer Welt, das sollte man nicht außen vor lassen, deren Grundlagen im letzten Jahrhundert gelegt worden sind, und bei dessen Anblick wohl selbst der ausgestopfte Säbelzahntiger auf seiner Museumsinsel die Yoga Figur eines fliegenden Kranichs zu imitieren versucht.

Diejenigen, die im Kampfmodus ihrer fliegenden Kranich Figuren nun alles anders machen wollen, da sie jegliches ihrem Sein entgegen stehende Sein als verstaubtes Relikt der Geschichte begreifen, nur noch an die das Gegensätzliche auflösende Symmetrie, nicht aber an das Widersetzliche der einzelnen Elemente des Dualismus glauben, geben als modernes Schlachtfeld für ihre forensischen Scharmützel gerne die Studien psycho-soziologischer Denkfabriken an, um als Nachkommen der Säbelzahntiger Bezwinger die Passionsfrucht ihres jetzigen Daseins in die Münder der gereiften Gesellschaft zu legen, auf dass alles mundtot gemacht werde, was die Bürgschaft ihres geistigen Adels mit Pogromen von Fantasten verwechselt.
 



 
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