Stiftsteller
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Mein Körper signalisiert mir: Stopp! Lebensgefahr!
Und trotzdem mache ich weiter, hilft ja nichts, eine Umkehr ist schließlich ausgeschlossen. Und bezahlt habe ich auch, oder genauer gesagt, meine Freundin.
Dennoch. In der ersten halben Minute meines Paragliding-Fluges hätte ich ihr die vollen 159 Euro sofort zurückgezahlt, und noch mal so viel draufgelegt, um nur aussteigen zu können. Nein! Nicht aussteigen, um Gottes Willen, umkehren ist hier die richtige Wortwahl. Den erfahrenen Tandem-Fluglehrer hinter mir bitten, wieder zum grasigen Abflughang neben dem Gipfel des Braunecks zurückzufliegen, von mir aus in einem Kuhfladen zu landen, mein Gurtzeug vom Rücken loszuschnallen, „danke“, „servus“, „ist nicht meins“, und zusammen mit Freundin und Sohn zur Gondel-Bergstation zu taumeln. Den Boden unter den Füßen zu spüren, mein Leben, das dann nicht mehr am bunten Faden hängt, an vielen bunten Fäden, die den Flugschirm tragen.
Aber leider ist es jetzt dafür zu spät, mitgehangen, mitgefangen.
Darum schweige ich und blicke nach unten, an meiner vertrauten, dunklen Uralt-Jeans vorbei. Auf etwas absolut Unvertrautes. Normalerweise sehe ich dann den dunkelgrauen Teppich meines Büros oder das Polster meiner Hollywoodschaukel. Jetzt blicke ich in die Tiefe, während wir an Höhe gewinnen, einzelne Fichten, die innerhalb von Sekunden nur noch die Größe von Bäumchen auf dem Pressspanbrett einer Modeleisenbahn haben. Unwirklich.
Auf der Fahrt mit der Gondel nach oben hatte der Fluglehrer erzählt, dass man beim Paragliding keine Höhenangst habe, weil alles wackelt. Und da wir von den Affen abstammen, die auf den wackelnden Spitzen der Bäume auch keine Angst haben, geht es uns Menschen ebenso.
Ich hatte da in meiner Vorfreudenangst genau zugehört. Und ihm geglaubt.
Mein Magen aber scheinbar nicht, der fühlt sich zunehmend flau an, so dass ich meinen Blick vom Abgrund losreiße und nach vorne richte, zu den Bergketten am Horizont, hintereinander gestaffelt, je weiter weg, desto heller grau, darüber weiße Wattewölkchen. Die Ohren kann ich mir leider nicht zuhalten, darum höre ich beständig die gedehnten Piepstöne des Höhenmessers hinter mir, ein billiger Klang, wie bei einem Arcade-Spiel aus den Achtzigerjahren. Hohe Töne, wenn es nach oben geht, tiefe auf dem Weg nach unten, und gerade die tiefen Töne legen sich wie Wackersteine in meinen Magen.
„Downhill mit dem Fahrrad wäre nichts für mich“, sagt mein Fluglehrer gerade und ich denke mir: Down mit dem Paragliding-Schirm ist nichts für mich!
Mein ganzer Körper, mein Gehirn (und dort die Amygdala), mein Magen signalisieren mir also: „Stopp!“
Aber ich stoppe nicht, bleibe auf Kurs, muss ich ja.
Aber in welchen meiner anderen Lebensbereiche könnte ich den Kurs ändern, tue es aber nicht?
Wo sagt mein Körper noch „Stopp“, anfangs noch frisch und laut? Wie gerade eben, als ich mit Fluglehrer und Schirm hinter mir den Hang hinab gelaufen bin, mitten ins Verderben.
Wochen und Monate später spricht mein Körper vielleicht schon leiser, hoffnungsloser, weil ich ja eh nicht auf ihn höre, weder auf mein Bauchgefühl, noch auf meine Amygdala.
Wenn dich nur der dünne Stoff, auf dem du sitzt, von einem Sturz 800 Meter in die Tiefe trennt, schreit dein Organismus: „Stopp!“
Wenn ein Freund sage und schreibe 56 Minuten braucht, um sich von dir zu verabschieden, während du dich innerlich schon längst verabschiedet hast, ruft dein Körper „Stopp!“
Wenn dein Vollzeit-Job dich voll schafft, seit Jahren schon: „Stopp!“
Wenn Staat, Medien und Mitmenschen dir monatelang einreden, dass du ihr Leben gefährdest und darum nicht mehr dazu gehörst: „Stopp!“
Ansonsten pfeift der Tinnitus fröhlich in deinen Ohren, engt ein Flimmern dein Blickfeld ein, knirschst du dir die Zähne in der Nacht kaputt.
Darum sagt dein Körper: „Stopp!“
Zumindest anfangs. Später bitten dich Menschen, denen du etwas bedeutest: „Sag Stopp!“
Du fällst durch kein Liebesraster, wenn du dem Freund schon nach 5 Minuten entschieden Ciao sagst.
Du fällst nicht aus dem Hamsterrad, wenn du nur noch Teilzeit arbeitest, Gott bewahre! Das Rad dreht sich nur langsamer.
Du fällst zwar durch ein Moralnetz, wenn du nicht tust, was alle tun, aber dennoch sagt dein Körper „Stopp“.
Klarheit ist keine Grobheit. Schweigen oder Untätigkeit, wenn du weißt, was du sagen oder tun musst, ist grob. Deinem eigenen Körper gegenüber, der vielleicht nur noch ganz leise „Stopp“ wispert.
Schneide die bunten Fäden durch, du fällst nicht!
Und trotzdem mache ich weiter, hilft ja nichts, eine Umkehr ist schließlich ausgeschlossen. Und bezahlt habe ich auch, oder genauer gesagt, meine Freundin.
Dennoch. In der ersten halben Minute meines Paragliding-Fluges hätte ich ihr die vollen 159 Euro sofort zurückgezahlt, und noch mal so viel draufgelegt, um nur aussteigen zu können. Nein! Nicht aussteigen, um Gottes Willen, umkehren ist hier die richtige Wortwahl. Den erfahrenen Tandem-Fluglehrer hinter mir bitten, wieder zum grasigen Abflughang neben dem Gipfel des Braunecks zurückzufliegen, von mir aus in einem Kuhfladen zu landen, mein Gurtzeug vom Rücken loszuschnallen, „danke“, „servus“, „ist nicht meins“, und zusammen mit Freundin und Sohn zur Gondel-Bergstation zu taumeln. Den Boden unter den Füßen zu spüren, mein Leben, das dann nicht mehr am bunten Faden hängt, an vielen bunten Fäden, die den Flugschirm tragen.
Aber leider ist es jetzt dafür zu spät, mitgehangen, mitgefangen.
Darum schweige ich und blicke nach unten, an meiner vertrauten, dunklen Uralt-Jeans vorbei. Auf etwas absolut Unvertrautes. Normalerweise sehe ich dann den dunkelgrauen Teppich meines Büros oder das Polster meiner Hollywoodschaukel. Jetzt blicke ich in die Tiefe, während wir an Höhe gewinnen, einzelne Fichten, die innerhalb von Sekunden nur noch die Größe von Bäumchen auf dem Pressspanbrett einer Modeleisenbahn haben. Unwirklich.
Auf der Fahrt mit der Gondel nach oben hatte der Fluglehrer erzählt, dass man beim Paragliding keine Höhenangst habe, weil alles wackelt. Und da wir von den Affen abstammen, die auf den wackelnden Spitzen der Bäume auch keine Angst haben, geht es uns Menschen ebenso.
Ich hatte da in meiner Vorfreudenangst genau zugehört. Und ihm geglaubt.
Mein Magen aber scheinbar nicht, der fühlt sich zunehmend flau an, so dass ich meinen Blick vom Abgrund losreiße und nach vorne richte, zu den Bergketten am Horizont, hintereinander gestaffelt, je weiter weg, desto heller grau, darüber weiße Wattewölkchen. Die Ohren kann ich mir leider nicht zuhalten, darum höre ich beständig die gedehnten Piepstöne des Höhenmessers hinter mir, ein billiger Klang, wie bei einem Arcade-Spiel aus den Achtzigerjahren. Hohe Töne, wenn es nach oben geht, tiefe auf dem Weg nach unten, und gerade die tiefen Töne legen sich wie Wackersteine in meinen Magen.
„Downhill mit dem Fahrrad wäre nichts für mich“, sagt mein Fluglehrer gerade und ich denke mir: Down mit dem Paragliding-Schirm ist nichts für mich!
Mein ganzer Körper, mein Gehirn (und dort die Amygdala), mein Magen signalisieren mir also: „Stopp!“
Aber ich stoppe nicht, bleibe auf Kurs, muss ich ja.
Aber in welchen meiner anderen Lebensbereiche könnte ich den Kurs ändern, tue es aber nicht?
Wo sagt mein Körper noch „Stopp“, anfangs noch frisch und laut? Wie gerade eben, als ich mit Fluglehrer und Schirm hinter mir den Hang hinab gelaufen bin, mitten ins Verderben.
Wochen und Monate später spricht mein Körper vielleicht schon leiser, hoffnungsloser, weil ich ja eh nicht auf ihn höre, weder auf mein Bauchgefühl, noch auf meine Amygdala.
Wenn dich nur der dünne Stoff, auf dem du sitzt, von einem Sturz 800 Meter in die Tiefe trennt, schreit dein Organismus: „Stopp!“
Wenn ein Freund sage und schreibe 56 Minuten braucht, um sich von dir zu verabschieden, während du dich innerlich schon längst verabschiedet hast, ruft dein Körper „Stopp!“
Wenn dein Vollzeit-Job dich voll schafft, seit Jahren schon: „Stopp!“
Wenn Staat, Medien und Mitmenschen dir monatelang einreden, dass du ihr Leben gefährdest und darum nicht mehr dazu gehörst: „Stopp!“
Ansonsten pfeift der Tinnitus fröhlich in deinen Ohren, engt ein Flimmern dein Blickfeld ein, knirschst du dir die Zähne in der Nacht kaputt.
Darum sagt dein Körper: „Stopp!“
Zumindest anfangs. Später bitten dich Menschen, denen du etwas bedeutest: „Sag Stopp!“
Du fällst durch kein Liebesraster, wenn du dem Freund schon nach 5 Minuten entschieden Ciao sagst.
Du fällst nicht aus dem Hamsterrad, wenn du nur noch Teilzeit arbeitest, Gott bewahre! Das Rad dreht sich nur langsamer.
Du fällst zwar durch ein Moralnetz, wenn du nicht tust, was alle tun, aber dennoch sagt dein Körper „Stopp“.
Klarheit ist keine Grobheit. Schweigen oder Untätigkeit, wenn du weißt, was du sagen oder tun musst, ist grob. Deinem eigenen Körper gegenüber, der vielleicht nur noch ganz leise „Stopp“ wispert.
Schneide die bunten Fäden durch, du fällst nicht!