Am Frankfurter Flughafen

Frankfurt, Sommer 2044

Es war soweit, alle ohne deutsche Staatsbürgerschaft, und zwar als einzige Staatsbürgerschaft, mussten raus aus dem Land. Die PdE (Partei der Einheimischen) hatte ganze Arbeit geleistet und ihr Wahlversprechen durchgesetzt, nachdem sie dieses Jahr zum ersten Mal die Regierung stellte. Layla und ich standen in einer langen Schlange auf dem Frankfurter Flughafen. Sie war vor zehn Jahren als Jugendliche aus Damaskus gekommen, hatte in Deutschland das Abitur gemacht und befand sich im Studium zur Ärztin. Sie hatte gerade ihr praktisches Jahr im Krankenhaus angefangen. Wir wussten beide nicht, wie es weitergehen sollte. Ich hatte bei der Flüchtlingshilfe gearbeitet. Unsere Abteilung war vor kurzem vom Staat aufgelöst worden, mit der Begründung, nun kämen keine Flüchtlinge mehr, und unsere Abteilung sei überflüssig. Ich hatte mich arbeitslos melden müssen. Daher hatte ich Zeit, Layla zu begleiten und mich von ihr zu verabschieden. Wir kannten uns seit Jahren.

Auf dem Flughafen herrschte ziemlicher Lärm. Viele Familien mit kleinen Kindern standen in der Schlange. Die Kinder krakeelten. Einige Mütter weinten. Die Väter schwiegen mit steinernem Gesichtsausdruck. Andere Familien lachten und plapperten. Das waren vermutlich die, die in den Urlaub flogen.
Gestern hatte man in den Nachrichten gemeldet, dass die Einwohnerzahl von Frankfurt seit Beginn dieser Ausreisewelle, wie die Regierung es nannte, bereits um 5000 zurückgegangen und endlich wieder Platz in der Stadt sei. Näheres wurde nicht mitgeteilt, z. B. wo die Abgeschobenen gearbeitet hatten. Aber ich wusste von Layla, dass in dem Krankenhaus, in dem sie ihr praktisches Jahr angefangen hatte, bereits jetzt zwanzig Ärzte fehlten. Patienten, die nicht direkt behandelt werden konnten, wurden mit einem Schulterzucken weggeschickt: „Ist heute keiner da, kommen Sie morgen wieder." Aber das Spiel wiederholte sich am nächsten und am übernächsten Tag und den darauf folgenden. Manche Patienten gaben es dann von selbst einfach auf.

„Caro!" Jemand rief meinen Namen. Ich drehte mich um und erblickte Yusuf, einen früheren Arbeitskollegen von mir, der oft als Übersetzer fungiert hatte. Er stand weiter hinten in der Schlange und hatte einen Koffer bei sich. Wollte er in den Urlaub fliegen? Yusuf war in Deutschland geboren, er musste doch nicht ausreisen? Ich ging zu ihm.
„Was ist passiert, wieso bist du hier?"
„Ich habe eine Nachricht bekommen, dass ich nicht bleiben kann."
„Aber du hast doch die deutsche Staatsbürgerschaft?"
„Ja. Aber keinen deutschen Pass mehr. Ich wurde vor kurzem in der Straßenbahn beklaut. Alle Papiere waren weg. Ich war auf dem Amt, um mir neue ausstellen zu lassen. Dort hat man behauptet, sie wären so überlastet, dass dies sechs Wochen dauern könnte. Die sind noch nicht um, und ich habe nur einen vorläufigen Pass, den sie mir ausgestellt haben. Der reicht zum Ausreisen, aber nicht zum Bleiben. Ich war gestern nochmal auf dem Amt. Sie haben gesagt, sie würden mich informieren, sobald mein Pass fertig ist. Aber erstmal müsste ich ausreisen. Ich kann nicht bleiben, weil ich meine Staatsbürgerschaft nicht nachweisen kann."
„Das ist vollkommen irre", sagte ich. „Wer kommt auf so etwas?" Die Frage war überflüssig; wir wussten es natürlich beide.
„Und wo willst du jetzt hin?"
„Zunächst nach Marokko. Ich habe einen Onkel dort. Dann sehen wir weiter."
„Hoffentlich kommst du bald zurück."
Wir verabschiedeten uns, und ich ging zu Layla zurück. Ich überreichte ihr ein Abschiedsgeschenk, ein buntes Kopftuch.
„Oh Caro, wie schön! Danke!" Sie steckte es in die Handtasche. „In Syrien werde ich es anziehen. Du weißt ja, hier ist Kopftuchverbot."

Laylas Flug wurde aufgerufen. Meine Augen wurden feucht. Wie würde es ihr ergehen, und würden wir uns je wiedersehen?
Wir umarmten uns zum Abschied. Sie ging durch das Gate, und ich strebte dem Ausgang zu. Dabei fiel mir von weitem ein bekanntes Gesicht auf. Hakim, mein Friseur, stand ebenfalls in der Schlange, neben ihm seine Frau. Also mussten auch sie weg. Ich winkte, doch sie reagierten gar nicht. Suchend schaute ich mich um und sah noch mehr Bekannte, die ausreisen mussten, zwei davon waren Busfahrer, die mich oft zur Arbeit hin- und zurückgebracht hatten.

Über kurz oder lang würde im Land nichts mehr funktionieren.
Und so kam es dann auch.
 



 
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