Am Rande eines Zustands namens Schicksal

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Walther

Mitglied
Am Rande eines Zustands namens Schicksal
Begrub ich einen Traum und ging in mich.
Der Zufall, der mich traf, an und für sich,
Entpuppte sich als gottgesandte Erbqual,

Die traf, weil einer ist, den’s eben trifft,
Egal, wer’s ist, er steht im Bannstrahl, leidet,
Für alle andren mit. Das Leiden kleidet:
Es adelt, und es ist ein süßes Gift,

Das Fratzen malt in strahlende Gesichter.
Wer will der Täter sein und wer sein Richter,
Wenn aus dem Nichts ein Sein zerschellt?

Ich saß und trauerte. Dann sah ich auf,
Erkannte tief und klug der Welten Lauf,
Im Wissen, dass die Fragen jeder stellt.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Es ist das Schicksal, dass sich dem echten Reim verweigert und quält. Das ist eine schöne verborgene Selbstreferenz.
Und durch diese Qual stellt es Fragen. Fragen nach der Existenz, nach dem Sinn, nach sich selbst.
Und das Schicksal kann durchaus zuschlagen, wie Voland dereinst erklärte, hatte Anjuschka eine Flasche Sonnenblumenöl verschüttet, und der, der nie ans Schicksal glaubte, geriet unter die Räder. EIner Straßenbahn. (Entguttenbergen: Meister und Margarita von Bulgakow).

Das Gedicht stellt die Frage nach dem Schicksal, zeigt, welche Fratzen die Gedanken hervorbringen, und lässt die Fragen aber doch offen.

Es ist jemand gestorben. Warum? Wird es leichter, wenn es Schicksal ist? oder Zufall?
 

Walther

Mitglied
lb bernd,

vielen dank dafür, daß du ausgerechnet dieses - vielleicht zu sperrige? - sonett beehrst. ja, ich habe es bewußt traditionell gestaltet, weil ich dachte, das sei dem thema angemessen.

letztlich ist die vanitas, das leiden, die vergeblichkeit, das sujet des barocken sonetts. ich habe zwar nicht den sechshebigen jambus bemüht, aber die ton- und gangart ist schon trauernd, langsam, fast mit gebeugten schultern schlürfend.

das lyrich trägt schwer.

in der tat gibt es keinen reim auf "schicksal". das liegt am takt, den es hat (Xx), es bildet eine weibliche kadenz am versende, und daher sind alle anderen reime immer "falsch", da auf -al endend und X, also männlich. aber, es gibt da einen kniff, der wunderbar paßt, den neologismus erbqual (Xx), dem die erbsünde innerwohnt, und zwar in ihrer mordernen, verweltlichten form, die den gottesbezug nicht mehr kennt.

und weil es diesen gottesbezug nicht mehr gibt, ist das schicksal auch so schwer.

der rest ist über die metaphern in seinen bedeutungsebenen nachfühlbar. schön, daß du es gewagt hast, dem text nachzufahren.

lg w.
 



 
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