Dichter Erdling
Mitglied
Als das mit euch angefangen hat, habe ich euch zunächst sehr bewusst wahrgenommen.
Das war in dieser seltsamen Corona-Zeit.
> Zuhause bleiben! < war die Losung, die man ausgegeben hatte. Die Restaurants waren geschlossen. Wer zuhause bleiben musste und trotzdem Pizza, Pasta und Burger essen wollte, brauchte auf einmal: Liefersklaven.
Der Hype um das ausbeuterische Geschäftsmodell, das euch umfängt, stammt also aus dieser ungesunden Zeit.
Plötzlich wart ihr überall. Ihr konntet, ihr solltet eben NICHT zu Hause bleiben. Ihr musstet raus, musstet ran. Was mit euch ist, hat noch nie interessiert.
Am Anfang stacht ihr hervor in euren knallbunten Uniformen und den überdimensionierten Rucksäcken hinten drauf, in denen anderer Leute Essen warm oder kalt gehalten wird. Je nachdem, welches Unternehmen euch ausbeutete, waren diese neongrün, pink oder orange. In der Zwischenzeit haben sich die Unternehmen auch schon wieder gegenseitig gefressen, sodass derzeit hauptsächlich die Farben Pink und Orange als Quasi-Monopolisten übrig sind.
Im Jänner 2021 notierte ich zu einem Spaziergang noch Folgendes in eurer Sache:
„…Auf meinem Weg in die Stadt kommen mir ganze 16 dieser Liefersklaven unter, dabei ist jetzt noch gar keine Essenszeit. Sechzehn.
Schon von weitem erkennt man sie an ihrer meist knallorangenen wetterfesten Uniform und am klobigen Rucksack mit den auszuliefernden Speisen drin, sowie am nimmermüden Tempo, in dem sie eiligst strampeln und jene Radfahrer abhängen, die nur so zum Spaß durch die Gegend düsen.
Wenn man bösartig sein will, könnte man sagen: Orange wie die Müllabfuhr, nur dass hier der Müll geliefert und nicht abgeholt wird.
Ist aber ein schlechter Witz und außerdem gibt es da noch die giftgrünen und andere Uniformen der anderen Lieferservice-Firmen auch.
Gibt wirklich haufenweise von denen.
Ich finde ja, es sollte einen eingeschworenen Gruß geben, den man grüßen kann, wenn so ein schändlich ausgebeuteter Lohnsklave auf der Straße vorbeikommt.
Irgendeine Handbewegung oder eine Parole, die zum Ausdruck bringt, dass man wenigstens in der Theorie solidarisch ist mit den schlechtbezahlten Lieferanten, die sich für anderer Leute Hunger über Stock und Stein, durch den Verkehr und jüngst über Glatteis jagen lassen…“
Seither ist schon wieder viel Zeit ins Land gezogen.
Auf meinen Wegen durch die Stadt begegnen wir uns nun dauernd.
So nebenbei sehe ich eure chronisch abgehetzten Gesichter, in denen der Stress und die Frage geschrieben steht, ob ihr auch in einer vorgegebenen Zeit liegt?
Die Zeit ist knapp kalkuliert. Jede eurer Bewegungen wird vermessen, überwacht, bewertet. Ihr werdet getrackt. Digitalisierung als Fluch, der ständig und schwer auf euch lastet.
Ich sehe euch in der sommerlichen Affenhitze unter der neonfarbenen Uniform schwitzen. Der riesige Rucksack klebt auch am Rücken. Ihr müsst wohl immer langärmelige Jacken tragen? Ich frage mich.
Und ich weiß: Im Regen, im Winter ist auch nicht besser.
Frieren, schwitzen, gegen den Wind anradeln… Ihr seid den Elementen ausgeliefert, während ihr ausliefert. Dem Verkehr. Den Abgasen. Vermutlich deshalb haben einige von euch diese Mundschutzmasken oder Tücher im Gesicht.
So sehen sie aus, die vielen Arbeitsplätze, die „geschaffen“ werden von irgendwem.
In den Werbespots schaut das immer ganz anders aus.
Ein Schauspieler, der sich eure Uniform angezogen hat, schlendert entspannt zu hübschen Vorzeigehäusern, dingdong, auf der anderen Seite der Tür freut man sich über eueren Service, der ja fast nichts kostet, hurra. Alle sind fröhlich, wenn sie nicht sogar singen und tanzen und alles ist wonnig bunt.
Werbung eben.
Kein enges, versifftes Treppenhaus, keine tausend Stufen hinauf zur Wohnung im xten Stock, kein gefährlicher Slalom durch den Autoverkehr, kein Abhetzen über grauen Asphalt, kein Graupelregen im Gesicht, kein unwürdiger Lohn für die Mühen, kein Schweißgeruch – euere Realität wird nicht gezeigt.
Ihr seid schon so viele!
Bei meinen Spaziergängen zähle ich schon lang nicht mehr mit, ob ich zehn oder zwanzig von euch treffe.
Ich gebe es zu: Ich sehe euch wohl, aber ich sehe nicht mehr hin. Ihr seid fast schon Kulisse. Symbol für diese Moderne.
Wirklich, würde ein Maler ein Stadtportrait anfertigen, es müssten zwei oder drei von euch drauf sein. Am unteren Rand vielleicht. Unscharfe Bewegungslinien. Ein bunter Schatten, der durchs Bild huscht.
Kaum noch denk ich dran, euch einen solidarischen Gruß zu zeigen oder wenigstens ein Lächeln, wenn ich euch sehe.
Das mit dem Lächeln ist sowieso heikel. Wenn ich euch anlächle, könntet ihr gar noch glauben, ich lachte euch aus. Diese Befürchtung habe ich.
Immerhin, ihr seid in dieser kapitalistischen Nahrungskette ganz unten. Der Diener, der serviert und sich verbeugend im Rückwärtsgang davonschleicht ohne seinerseits Ansprüche zu haben - so sieht euch diese Welt, so ist sie. Den Diener lächelt man nicht auf Augenhöhe an, man lacht von oben auf ihn herab.
So steht das zurzeit mit uns. Wir leben aneinander vorbei, auf verschiedenen Ebenen.
Wir gehen uns gegenseitig nichts an, eigentlich.
Persönlich kennen wir uns nicht, denn: Ich habe noch nie bei euch bestellt. Das muss ich gestehen.
Wie findet ihr das?
Gut, weil ich mich an eurer Ausbeutung nicht beteilige?
Oder schlecht, weil ich euren Arbeitsplatz nicht durch zahlreiche Bestell-Klicks sichere?
Stört es euch, wenn ich euch „Liefersklaven“ nenne? Kränkt euch das in eurer Ehre, in eurem Selbstbild, das ihr anders zeichnen wollt – oder findet ihr, das passt ganz gut?
Für viele Überlegungen und all sowas habt ihr vermutlich gar keine Zeit.
Auftrag erhaschen, schneller radeln als die Konkurrenz, den Navigationsbefehlen gehorchen.
Dass ihr euch selber solidarisch engagiert, verhindert man konsequent. Wo ihr streiken wollt oder Gewerkschaften gründet, seid ihr schnell ersetzt und rausgeklickt.
Muss schon so sein, wie es ist. Sonst wärt ihr ja nicht mehr die billigen willigen Liefersklaven und das ganze Geschäftssystem würde erodieren.
Muss alles so bleiben, nur noch ein bisschen unfairer jeden Tag. Noch ein bisschen schneller, billiger.
Die ganze Welt hastet ja nur noch vorwärts und weiß nicht, wohin.
Ich merke es an mir selbst.
Ich habe noch nicht mal die Muße, die Energie oder sonst was, um euch auf der Straße zu grüßen.
Jetzt ist es halt so.
Da seid ihr. Man sieht sich.
Das war in dieser seltsamen Corona-Zeit.
> Zuhause bleiben! < war die Losung, die man ausgegeben hatte. Die Restaurants waren geschlossen. Wer zuhause bleiben musste und trotzdem Pizza, Pasta und Burger essen wollte, brauchte auf einmal: Liefersklaven.
Der Hype um das ausbeuterische Geschäftsmodell, das euch umfängt, stammt also aus dieser ungesunden Zeit.
Plötzlich wart ihr überall. Ihr konntet, ihr solltet eben NICHT zu Hause bleiben. Ihr musstet raus, musstet ran. Was mit euch ist, hat noch nie interessiert.
Am Anfang stacht ihr hervor in euren knallbunten Uniformen und den überdimensionierten Rucksäcken hinten drauf, in denen anderer Leute Essen warm oder kalt gehalten wird. Je nachdem, welches Unternehmen euch ausbeutete, waren diese neongrün, pink oder orange. In der Zwischenzeit haben sich die Unternehmen auch schon wieder gegenseitig gefressen, sodass derzeit hauptsächlich die Farben Pink und Orange als Quasi-Monopolisten übrig sind.
Im Jänner 2021 notierte ich zu einem Spaziergang noch Folgendes in eurer Sache:
„…Auf meinem Weg in die Stadt kommen mir ganze 16 dieser Liefersklaven unter, dabei ist jetzt noch gar keine Essenszeit. Sechzehn.
Schon von weitem erkennt man sie an ihrer meist knallorangenen wetterfesten Uniform und am klobigen Rucksack mit den auszuliefernden Speisen drin, sowie am nimmermüden Tempo, in dem sie eiligst strampeln und jene Radfahrer abhängen, die nur so zum Spaß durch die Gegend düsen.
Wenn man bösartig sein will, könnte man sagen: Orange wie die Müllabfuhr, nur dass hier der Müll geliefert und nicht abgeholt wird.
Ist aber ein schlechter Witz und außerdem gibt es da noch die giftgrünen und andere Uniformen der anderen Lieferservice-Firmen auch.
Gibt wirklich haufenweise von denen.
Ich finde ja, es sollte einen eingeschworenen Gruß geben, den man grüßen kann, wenn so ein schändlich ausgebeuteter Lohnsklave auf der Straße vorbeikommt.
Irgendeine Handbewegung oder eine Parole, die zum Ausdruck bringt, dass man wenigstens in der Theorie solidarisch ist mit den schlechtbezahlten Lieferanten, die sich für anderer Leute Hunger über Stock und Stein, durch den Verkehr und jüngst über Glatteis jagen lassen…“
Seither ist schon wieder viel Zeit ins Land gezogen.
Auf meinen Wegen durch die Stadt begegnen wir uns nun dauernd.
So nebenbei sehe ich eure chronisch abgehetzten Gesichter, in denen der Stress und die Frage geschrieben steht, ob ihr auch in einer vorgegebenen Zeit liegt?
Die Zeit ist knapp kalkuliert. Jede eurer Bewegungen wird vermessen, überwacht, bewertet. Ihr werdet getrackt. Digitalisierung als Fluch, der ständig und schwer auf euch lastet.
Ich sehe euch in der sommerlichen Affenhitze unter der neonfarbenen Uniform schwitzen. Der riesige Rucksack klebt auch am Rücken. Ihr müsst wohl immer langärmelige Jacken tragen? Ich frage mich.
Und ich weiß: Im Regen, im Winter ist auch nicht besser.
Frieren, schwitzen, gegen den Wind anradeln… Ihr seid den Elementen ausgeliefert, während ihr ausliefert. Dem Verkehr. Den Abgasen. Vermutlich deshalb haben einige von euch diese Mundschutzmasken oder Tücher im Gesicht.
So sehen sie aus, die vielen Arbeitsplätze, die „geschaffen“ werden von irgendwem.
In den Werbespots schaut das immer ganz anders aus.
Ein Schauspieler, der sich eure Uniform angezogen hat, schlendert entspannt zu hübschen Vorzeigehäusern, dingdong, auf der anderen Seite der Tür freut man sich über eueren Service, der ja fast nichts kostet, hurra. Alle sind fröhlich, wenn sie nicht sogar singen und tanzen und alles ist wonnig bunt.
Werbung eben.
Kein enges, versifftes Treppenhaus, keine tausend Stufen hinauf zur Wohnung im xten Stock, kein gefährlicher Slalom durch den Autoverkehr, kein Abhetzen über grauen Asphalt, kein Graupelregen im Gesicht, kein unwürdiger Lohn für die Mühen, kein Schweißgeruch – euere Realität wird nicht gezeigt.
Ihr seid schon so viele!
Bei meinen Spaziergängen zähle ich schon lang nicht mehr mit, ob ich zehn oder zwanzig von euch treffe.
Ich gebe es zu: Ich sehe euch wohl, aber ich sehe nicht mehr hin. Ihr seid fast schon Kulisse. Symbol für diese Moderne.
Wirklich, würde ein Maler ein Stadtportrait anfertigen, es müssten zwei oder drei von euch drauf sein. Am unteren Rand vielleicht. Unscharfe Bewegungslinien. Ein bunter Schatten, der durchs Bild huscht.
Kaum noch denk ich dran, euch einen solidarischen Gruß zu zeigen oder wenigstens ein Lächeln, wenn ich euch sehe.
Das mit dem Lächeln ist sowieso heikel. Wenn ich euch anlächle, könntet ihr gar noch glauben, ich lachte euch aus. Diese Befürchtung habe ich.
Immerhin, ihr seid in dieser kapitalistischen Nahrungskette ganz unten. Der Diener, der serviert und sich verbeugend im Rückwärtsgang davonschleicht ohne seinerseits Ansprüche zu haben - so sieht euch diese Welt, so ist sie. Den Diener lächelt man nicht auf Augenhöhe an, man lacht von oben auf ihn herab.
So steht das zurzeit mit uns. Wir leben aneinander vorbei, auf verschiedenen Ebenen.
Wir gehen uns gegenseitig nichts an, eigentlich.
Persönlich kennen wir uns nicht, denn: Ich habe noch nie bei euch bestellt. Das muss ich gestehen.
Wie findet ihr das?
Gut, weil ich mich an eurer Ausbeutung nicht beteilige?
Oder schlecht, weil ich euren Arbeitsplatz nicht durch zahlreiche Bestell-Klicks sichere?
Stört es euch, wenn ich euch „Liefersklaven“ nenne? Kränkt euch das in eurer Ehre, in eurem Selbstbild, das ihr anders zeichnen wollt – oder findet ihr, das passt ganz gut?
Für viele Überlegungen und all sowas habt ihr vermutlich gar keine Zeit.
Auftrag erhaschen, schneller radeln als die Konkurrenz, den Navigationsbefehlen gehorchen.
Dass ihr euch selber solidarisch engagiert, verhindert man konsequent. Wo ihr streiken wollt oder Gewerkschaften gründet, seid ihr schnell ersetzt und rausgeklickt.
Muss schon so sein, wie es ist. Sonst wärt ihr ja nicht mehr die billigen willigen Liefersklaven und das ganze Geschäftssystem würde erodieren.
Muss alles so bleiben, nur noch ein bisschen unfairer jeden Tag. Noch ein bisschen schneller, billiger.
Die ganze Welt hastet ja nur noch vorwärts und weiß nicht, wohin.
Ich merke es an mir selbst.
Ich habe noch nicht mal die Muße, die Energie oder sonst was, um euch auf der Straße zu grüßen.
Jetzt ist es halt so.
Da seid ihr. Man sieht sich.