- überarbeitete Fassung in der Vergangenheitsform -
Kapitel 2 – Iliahs Opfer
Unruhig ging Andero in der Gaststube auf und ab. Es waren kaum zwanzig Schritte von einer Wand zur nächsten. Er kannte die Länge des Raumes bereits genau, da er seit Stunden wie ein Tier in seinem Käfig auf und ab gelaufen ist. In der Mitte des Raumes blieb er stehen und schaute mit sorgenvoller Miene zur Tür, die links von ihm lag. Nichts war zu hören, kein Schrei, kein Wort drang nach draußen.
Drei Stunden befand sich Iliah nun schon dort drin. Seit drei Stunden lag sie bereits in den Wehen. Eine Geburt lief doch unter großem Geschrei ab. So war es zumindest in Dara immer gewesen. Doch Iliah war ganz still. Wahrscheinlich verlief bei Elben die Geburt etwas anders. Vielleicht hatten sie gar nicht solche Schmerzen wie menschliche Frauen, dachte sich Andero.
Er schüttelte den Kopf und begann erneut seine Wanderung. Plötzlich ging die Tür auf, so dass er in seinem Lauf inne hielt. Die Amme kam heraus und schloss die Tür sofort hinter sich. Dennoch konnte Andero einen Blick in das Innere des anderen Raumes erhaschen. Was er sah, ließ sein Herz in die Hose rutschen. Sein Gesicht verlor nun vollends die Farbe und konnte sich vortrefflich mit der weißen Kalkwand der Gaststube messen. Iliah, auf dem Bett liegend, das Laken war zerwühlt, ihre Haare lagen kreuz und quer, ihre Brust hebte und senkt sich schwer, als wenn sie nicht atmen könnte. Ihr von Schmerzen verzerrtes Gesicht ließ ihn in diesem Moment alles vergessen. Elben erlebten die Geburt mit mindestens genauso viel Schmerz wie andere Frauen.
Er ging ein paar Schritte zur Tür, um sie zu öffnen, als die Amme ihm den Weg versperrte.
„Ihr könnt hier nicht rein! Das ist Frauensache und nichts für Männer“, sagte sie im energischen Tonfall, so dass jeder Widerspruch zwecklos erschien. Ihr barscher Ton ließ ihn zusammen zucken, machte ihn aber gleichzeitig wütend. Da drin lag seine Frau, die offensichtlich sehr leidet. Dies gab er der leicht untersetzten Frau zu verstehen.
„Es ist mein gutes Recht, an der Seite meiner Frau, ich wiederhole, meiner Frau“, dabei tippte er mit dem Finger auf seine Brust, „zu stehen, ihre Hand zu halten, um ihr beizustehen. Das könnt und werdet Ihr mir nicht verwehren. Und nun geht mir aus dem Weg, Amme“.
Doch die rundliche Frau zeigte sich wenig beeindruckt und rührte sich keinen Millimeter von der Stelle. Anderos Zorn prallte an ihr ab, sie verzog keine Miene.
„Junger Mann“, versuchte sie ihn zu beruhigen und setzte eine mildere Miene auf, „es ist mir klar, dass Ihr Euch um Eure Frau sorgt. Doch hierbei könnt Ihr nicht helfen. Ihr müsst bitte draußen bleiben.“
Damit wollte Andero sich nicht abspeisen lassen. Er legte sanft seine Hand auf die Schulter der Amme und blickte ihr in die Augen.
„Sagt mir ehrlich, wie es um Iliah steht. Sie sieht so schlecht aus, als..., na ja, als wenn sie die Nacht nicht überleben würde.“
Eine Weile schwieg sie. Man sah ihr an, dass sie mit sich rang.
„Nun gut, junger Mann. Es steht nicht so gut um Eure Frau. Das Fieber hat sie bereits sehr geschwächt, auch wenn sie es noch nicht lange hat. Der lange Ritt tat sein Übriges. Zwillinge zur Welt zu bringen, ist ein sehr schwieriges Unterfangen. Dazu kommt, dass sie Elbin ist und ich leider keinerlei Erfahrung mit Geburten bei elbischen Frauen habe. Ihre Anatomie ist etwas anders. Es ist...“ Sie unterbrach sich und fuhr mit einer Hand durch ihr ergrautes Haar. „Nun, sie ist sehr schwach. Es sieht schlecht aus.“ Ihr Gesicht war von Sorge gezeichnet. „Es tut mir leid. Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht.“
Sie senkte den Blick und streifte Anderos Hand von ihrer Schulter.
„Ich will noch heißes Wasser holen und ein paar saubere Tücher. Entschuldigt mich bitte.“
Sie drehte sich um und entschwand aus dem Raum Richtung Küche. Andero blieb allein zurück, rührte sich nicht von der Stelle. Mit hängenden Schultern blickte er auf die Tür vor ihm, auf deren anderer Seite Iliah lag, vielleicht schon im Sterben. Vieles ging ihm durch den Kopf und er stellte sich immer wieder die Frage nach dem Warum. Eine Hand legte sich leicht auf seine Schulter. Er drehte sich nach deren Besitzer um. Tanako war an ihn herangetreten, doch er hatte dies nicht bemerkt.
„Habt nur Vertrauen, Andero. Die Amme weiß schon, was sie tut. Sie wird Iliah helfen.“ Mit der freien Hand zeigte er auf den Tisch, wo einige Männer saßen.
„Setzt Euch doch zu uns und esst etwas.“ Er verstärkte den Druck auf Anderos Schultern und zog ihn mit sich Richtung Tisch. Dort angekommen ließ er sich schwer auf seinen Stuhl fallen und blickte missmutig seine Gefährten an.
Insgesamt bestand die Gruppe aus neun Personen. Andero saß neben Sindor, dem Kundschafter, der ihm die schreckliche Nachricht aus Tharul überbrachte. Rechts von ihm nahm Tanako seinen Platz wieder ein. Neben Sindor saß Lordor, ein Gefährte von Tanako. Auf der anderen Seite des Tisches hatte Denir Platz genommen, ebenfalls ein Gefährte Tanakos. Neben Denir saß Enord, der Befehlshaber der Elbenkrieger. An deren linke Seite hat soeben Sertor Platz genommen, der Elbenmagier und versuchte, Andero mit einem Lächeln aufzumuntern. Doch das Lächeln missglückte kläglich und so senkte der Magier den Blick und fing an, sein bereits kaltes Essen zu vertilgen. Als letzter an diesem Tisch saß Lernordo, ein Elbenkrieger, der mit Sindor aus Tharul kam. Der Elbenkrieger sollte angeblich in der Kampfgunst genauso gut sein wie die beiden Gefährten Tanakos, Lordor und Denir.
Eine feine Gesellschaft saß da als einzige Gäste in der Gaststube. Ein Kaufmann, der in Wahrheit ein enger Vertrauter König Mareks war, ein Kundschafter mit einem Todesurteil in der Tasche, drei der besten Elbenkrieger laut Enord Na’ Rosnero. Dieser hatte sich von seinem Posten als Oberbefehlshaber der elbischen Armee entfernt, um Iliah zu schützen und ein Elbenmagier, der helfen sollte, es jedoch nicht geschafft hatte. Tolle Gesellschaft, dachte Andero bei sich. Hätte es nicht besser treffen können. Er war der einzige Mensch in der holden Runde.
Andero saß grübelnd am Tisch, immer mal einen Blick auf die Tür werfend, und stocherte lustlos in seinem Essen herum. Der Wirt hatte es ihm bereits vor einer Weile gebracht, nachdem Tanako es für ihn bestellt hatte.
Wieder kam er auf seine Frage zurück: Warum? Wieso musste das ausgerechnet uns passieren?
Noch vor gut drei Tagen war alles in Ordnung gewesen. Er hatte sich so sehr auf die bevorstehende Geburt gefreut, dass das Fest der Kanabha völlig in den Hintergrund getreten war. Doch es sollte nicht so kommen, wie er es wollte.
Vor drei Tagen begann es.
Eines Morgens klopfte es an seiner Haustür. Andero war gerade erst aufgestanden, die Sonne hatte vor ein paar Minuten den Tag eröffnet. Er hatte sich gefragt, wer so zeitig vor seiner Tür stand. Iliah lag noch im Bett, friedlich schlummernd hatte sie wie ein Engel ausgesehen. Er wollte sie nicht wecken, obwohl es Zeit zum Aufstehen war und viel Arbeit vor ihnen lag. Doch als er sie neben sich liegen sah, ihr Gesicht entspannt, die aufgehende Sonne umspielte sanft ihr Gesicht, da konnte er es nicht übers Herz bringen, sie zu wecken. Doch das energische Klopfen an seiner Tür störte diese schöne Ruhe, machte den einzigartigen Moment zunichte . Wütend über diese Störung ging er Richtung Tür. Noch einmal drehte er sich um, doch Iliah war wohl nicht geweckt worden.
Mit einem schnellen Griff öffnete er die Tür und sah sich unverhofft dem Kaufmann Tanako gegenüber. Normalerweise freute sich Andero, wenn Tanako ihn besuchte, doch dieses Mal war es kein Freundschaftsbesuch, das sah er dem Kaufmann an.
„Guten Morgen, Andero. Tut mir leid, dass ich so zeitig bei euch störe,“ entschuldigte sich Tanako „aber ich muss dringend mit euch sprechen.“
Andero sah ihn unschlüssig an, trat dann aber beiseite und ließ ihn rein. Direkt hinter Tanako stand ein weiterer Mann, den Andero zuerst gar nicht bemerkt hatte. Dieser reichte ihm sogleich die Hand und stellte sich als Sindor Da’ Rysin vor, Kundschafter aus Tharul. Dieser trat nach Tanako ein und Andero schloss hinter den beiden die Tür. Der Kaufmann aus Dara drehte sich zu dem Hausherrn um.
„Anderr, heute Morgen kam Sindor mit einer wichtigen Nachricht zu mir. Er kam direkt aus Tharul, von König Marek Tal’ en Essyndiell persönlich entsendet.“
Tanako legte eine dramatische Pause ein. Es war ihm anzusehen, dass ihm nicht ganz wohl bei dem war, was er jetzt zu sagen hatte. Sindor gab ihm eine Schriftrolle, die allein schon durch das Siegel sehr wichtig aussah.
„Das hier ist ein Brief von König Marek, direkt an euch beide adressiert. Vielleicht lest ihr ihn erst einmal.“
Er hielt Andero die Schriftrolle hin. Dieser nahm sie zögernd entgegen, bereits ein mulmiges Gefühl im Magen. Er brach das königliche Siegel entzwei, das den Inhalt des Briefes vor neugierigen Blicken schützen sollte. Vorsichtig entrollte er das Schriftstück und begann zu lesen. Der Inhalt ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren.
Dieser Moment sollte sein ganzes Leben verändert. Wenn er jetzt so darüber nachdenkt, dann waren es tatsächlich diese Minuten, wo seine heile Welt zusammenbrach. Seine Hoffnung, dass die Zwillinge ganz normale Kinder seien, sie eine normale glückliche Familie werden könnten, wurde jäh enttäuscht.
Wie ernst die Situation bereits war, erfuhr er aus dem Brief. So unglaublich es war, sprach über die Gefährlichkeit der Situation Tanakos Gesichtsausdruck Bände. Andero laß den Brief zwei Mal.
Er senkte die Schriftrolle und schaute Tanako ratlos an.
„Was soll das heißen?“, stellte er dem Kaufmann seine Frage. „Das kann doch nicht Euer Ernst sein, oder?“
„Ihr müsst augenblicklich fliehen, bevor Perdur, der Anführer der Söldnergruppe, in Dara ist.“, sprach Tanako beschwörend auf ihn ein. „Wir sind zu wenige Krieger, um gegen eine Horde Söldner anzukommen. Nicht, wenn wir das Leben Iliahs nicht gefährden wollen. Normalerweisen bräuchten wir eine ganze Armee, aber das wäre zu auffällig.“
Andero hob die Hand und brachte sein Gegenüber damit zum Schweigen .
„Moment mal, Tanako. Erstens, warum brauchen wir eine ganze Armee, um mit einem Dutzend Söldner fertig zu werden? Und zweitens, was habt Ihr , ein Kaufmann, damit zutun? Woher wisst Ihr von dieser Prophezeiung? Und...“ Andero wusste nicht weiter, seine Verwirrung wuchs mit jeder Minute. Und seine Angst um Iliah und die ungeborenen Zwillinge kam allmählich einem kritischen Punkt nahe.
„Andero, bitte, beruhigt Euch wieder. Ich kann alles erklären.“
Der werdende Vater verschränkte die Arme vor der Brust und wartete geduldig auf eine Erklärung.
„Wie Ihr ja wisst, bin ich als Kaufmann nach Dara gekommen. Doch eigentlich bin ich keiner. Auch nicht Lordor und Denir, meine Gehilfen.“ Er setzte imaginäre Anführungsstriche beim dem Wort Gehilfen.
„Nun sind wir drei Krieger aus Tharul. König Marek entsendete uns, als er die Kunde über Iliahs Schwangerschaft erhielt. Wir sollten für Eure Sicherheit sorgen und bei Gefahr schnell handeln. Damit Ihr Euch keine Sorgen macht, gaben wir uns nicht zu erkennen. Es war nur zu Eurem Besten.“
Andero schaute ihn zweifelnd an. Er überlegte fieberhaft, was diese Offenbarung für seine Familie bedeutet .
„Und nun denkt Ihr , wir könnten mit Euch fliehen?“
„Ja, Euch bleibt nichts anderes übrig, wollt ihr nicht das Leben Iliahs und der Kinder riskieren.“
„Aber genau das tue ich, wenn sie mit Euch geht. Tanako, sie ist hochschwanger, kurz vor der Niederkunft hatte die Heilerin gesagt. Sie kann nicht reisen, geschweige denn reiten“, brachte Andero wütend heraus.
„Nie werde ich das befürworten. Das...“
„Ich gehe mit ihm, Liebster“, erklang plötzlich eine Stimme im Hintergrund. Andero drehte sich um und sah sich unvermittelt Iliah gegenüber stehen. Er hatte gar nicht bemerkt, dass sie aufgestanden und hinter ihn getreten war. Nur mit ihrem Nachtkleid stand sie barfuss in der Tür.
„Aber Iliah...“, brachte Andero heraus, „du kannst doch nicht. Das wirst du nicht schaffen.“
„Doch, das werde ich, Andero.“ Dass sie nun seinen Namen gebrauchte, zeigte, wie ernst es ihr war und dass sie nicht umzustimmen war.
„Nicht nur Lordor, Denir und ich werden Iliah beschützen. Sindor bringt uns zum Wykportal und draußen warten Enord und Lernordo, sehr gute Kämpfer, auf uns. Für Iliahs Gesundheit ist Sertor zuständig. Er ist Magier und sehr erfahren in Heilmagien. Das Risiko... ist überschaubar.“
„Wir müssen es nur bis zum Wykportal schaffen“, meldete sich Sindor zu Wort. Doch Andero ist sich nicht sicher.
„Und wieso, Tanako, bringt Ihr nur eine Handvoll Elbenkrieger mit, wenn Iliah in solcher Gefahr schwebt?“
„Wäre eine ganze Armee gekommen, hätte dies nur unnötig Aufmerksamkeit erregt“, antwortet ihm Tanako ruhig.
„Unnötig Aufmerksamkeit? Tanako, zum Wykportal sind es gut zweihundertfünfzig Meilen quer durch das Yanuzi Gebirge mit einer Frau, die kurz vor der Niederkunft steht. Ich sage nein.“ Andero schüttelte den Kopf, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen.
„Damit nehmen wir ja diesem Perdur die Arbeit ab“, meinte er sarkastisch.
„Ich werde meine Familie zu schützen wissen“, donnerte er, doch da legte Iliah ihm schon ihre rechte Hand auf seine geballte Faust.
„Liebster, ich weiß, du willst uns nur schützen. Doch gegen diese Söldner hast du keine Chance, nachdem, was Tanako gesagt hat.“ Sie schaute ihm tief in die Augen.
„Denk doch auch an die Bewohner Daras. Wir würden sie nur unnötig in Gefahr bringen. Das willst du doch sicherlich auch nicht.“ Andero schüttelte den Kopf.
„Siehst du, ich auch nicht. Wir werden es schon schaffen. Ich vertraue auf Tanako. Das solltest du auch tun.“ Tief schaute er in ihre Augen. Sie konnte seine Zweifel sehr gut verstehen. Doch wusste sie, was zu tun war. Hier ging es nicht um ihr Leben, sondern um das der Kinder. Nur das allein zählte
„Wieso sprichst du dich für diese Reise aus? Die ganze Zeit misstraust du Tanako und jetzt legst du sein Leben und das unserer ungeborenen Kinder in seine Hände“, versucht Andero von seiner Frau eine Erklärung zu erhalten. Dabei schaut er ihr in die schönen Augen. Tiefe Traurigkeit findet er dort. Aber auch eine feste Entschlossenheit.
„Liebster, als Tanako vor unserer Tür stand, wusste ich, dass sich meine Befürchtungen bewahrheitet hatten. Ich denke, unsere Kinder sind in großer Gefahr. Ich will sie unbedingt beschützen und das kann ich nur, wenn ich Tanako begleite.“
„Ich will dich nicht verlieren“, schluchzte Andero Iliah zu und zog sie an sich, um sie zu umarmen und festzuhalten. Seine Liebe zu ihr war grenzenlos. Doch ebenso seine Angst um ihr Leben. Doch er wusste selbst, dass sie nach Anagard mussten.
Andero wandte sich Tanako zu.
„Könnt Ihr mir versprechen, dass Iliah nichts geschehen wird, Tanako?“
„Das ist nicht so einfach...“
„Könnt Ihr , ja oder nein?“ Tanako wusste, dass er Andero nicht belügen durfte. Nicht mehr.
„Ja, ich kann für ihre Sicherheit garantieren. Sie wird unbeschadet Anagard erreichen.“
Doch Andero gab sich damit nicht zufrieden.
„Schwört es.“
Tanako hob feierlich die Hand und sagte: „Ich schwöre es.“
„Schützt Iliah und die Zwillinge bei Eurem Leben“, sagte Andero und reichte Tanako die Hand. Dieser besiegelte den Schwur, in dem er einschlug.
„Ihr habt mein Wort.“
Andero gab sein Einverständnis, nachdem er sich noch einmal bei Iliah versichert hatte, dass es ihr gut ging und sie sich diese Reise zutraute.
Zwei Stunden später brachen sie auf. Sie waren dem einzigen Weg gefolgt, der ohne Schwierigkeiten durch das Gebirge führte. Zwei Tage ging alles gut. Sie kamen schnell voran, das Wetter hielt sich beständig und Iliahs Zustand blieb stabil, was auch ein Verdienst des Magiers Sertor war. Am dritten Tag änderte sich alles. Morgens bereits regnete es in Strömen, so dass sie alle bis auf die Knochen nass wurden. Iliah ging es zusehends schlechter. Sie bekam Fieber und fiel beinahe vom Pferd. Andero war es gerade noch gelungen, sie vor einem Sturz zu bewahren. Halb bewusstlos hatte er seine Frau in ein Gasthaus gebracht, das zum Glück nicht weit entfernt war. Das Dorf, in dem das Gasthaus stand, hieß Rali. Ein Kellner aus dem Gasthof holte schnell eine Heilerin, die in Rali ansässig war. Sertor konnte gegen das Fieber nicht viel ausrichten. Eine Heilerin kam sofort und untersucht Iliah eingehend. Nachdem die Untersuchung beendet war, verordnete sie Bettruhe. Es stehe nicht gut um sie, da ihr das hohe Fieber zu schaffen mache und die Schwangerschaft ebenso.
Doch bevor Andero etwas darauf erwidern konnte, kam ein markerschütternder Schrei aus Iliahs Zimmer. Andero und die Heilerin stürmten sofort hinein . Ein kurzer Blick genügte und die Heilerin ließ nach der Ammer schicken. Blutflecken waren auf dem Bettlaken zu sehen Die Geburt stand unmittelbar bevor. Sie hatte ihn unter lautem Geschimpfe hinausgeworfen, wo er zum Warten verdammt war.
Seitdem wartete Andero. In regelmäßigen Abständen blickte er zur Tür.
Nach einer Weile wurde das Mittagessen serviert. Andero starrte das Essen an, als wäre es irgendetwas Ekliges . Er bekam einfach keinen Bissen herunter.
„Ihr müsst was essen, Andero. Iliah ist nicht damit geholfen, wenn Ihr weiter so lustlos in Eurem Essen herum stochert.“ Damit deutete Tanako mit seiner Gabel auf Anderos Essen und blickte ihn fragend an. Dieser schüttelte den Kopf und schob nach einer Weile mutlosem Herumstochern sein Essen beiseite. Wieder schweiften seine Gedanken ab.
Heute wurde das Fest der Kanabha begangen. Eigentlich wollte er dies mit Iliah feiern. Doch würde das wohl nichts mehr werden.
Sein Blick ruhte auf dem Fenster. Draußen war endlich die Wolkendecke aufgerissen und die Sonne versuchte, die Tristesse zu vertreiben und etwas Freundlichkeit und Wärme in die Häuser zu bringen. Andero lächelte ein wenig. Ja, ein schöner Tag hätte das heute werden können. Im gleichen Moment, wo er seinen Gedankengang zu Ende brachte, wurde es plötzlich wieder dunkler. Andero schaute verwundert nach draußen, doch keine Wolke hatte sich vor die Sonne geschoben. Warum wurde es dunkel?
Sertor, der dies ebenfalls bemerkt hatte, stand so schnell auf, dass sein Stuhl nach hinten kippte. Doch er bekam dies gar nicht mit.
„Es ist soweit“, presste er heraus. „Die Prophezeiung erfüllt sich, die Sonnenfinsternis naht.“
In seiner Stimme schwang sowohl Hoffnung als auch Verzweiflung mit, die Andero einen Schauer über den Rücken jagte. Er schaute den Magier an.
„Jetzt?“, fragte Andero, doch noch bevor er das Wort zu Ende bringen konnte, stürmte Sertor hinaus. Augenblicklich waren die übrigen Elben auf den Beinen und folgten dem Elbenmagier. Als Andero sich auf der anderen Seite der Eingangstür befand, erlebt eer ein Naturschauspiel, das Seinesgleichen suchte. Die plötzlich beginnende Dunkelheit wurde tatsächlich nicht durch eine Wolke hervorgerufen, die die Sonne verdeckte. Nein, was es genau war, konnte Andero nicht sagen, aber irgendetwas schob sich genau vor die Sonne und verdeckte sie. Binnen Minuten war erst ein kleiner Teil, dann die Hälfte und zum Schluss die ganze Sonne verdeckt. Nur ein Kranz der Sonnenkorona war noch zu sehen. Mittlerweile war es ganz dunkel geworden. Oder besser gesagt, die Welt befand sich in einem Zwielicht, nicht richtig dunkel, aber auch nicht hell. Das Zwielicht sah unecht aus, als wenn eine Kerze die Welt erleuchten würde.
Es war mitten am Tag Nacht. Dieser Gedankengang kam ihm durch die Prophezeiung so vertraut vor, kann es aber immer noch nicht glauben. Immer hatte er gehofft, dass sie sich nicht erfüllen würde, dass es sich nicht um seine Kinder handeln würde.
„Die Sonnenfinsternis“, murmelte Sertor voller Ehrfurcht. Und da kam auch für den werdenden Vater die Erkenntnis.
„Wenn Tag gleich Nacht und Nacht gleich Tag, er wird geboren, gebet Acht“, zitierte er einen Teil der Prophezeiung. Sertor schaute in verstehend an.
„Ja, das ist die Sonnenfinsternis“, sagte der Magier bestimmend und zeigte auf die verdeckte Sonne. Die daraus resultierende Schlussfolgerung lag auf der Hand und sie rissen sich von dem einzigartigen Naturschauspiel los.
„Iliah“ sprachen beide gleichzeitig aus und Andero stürmten sofort zurück zum Gasthaus, zu Iliah.
Als er das dunkle Haus betrat, hörte er einen Schrei, der ihn sofort inne halten ließ. Sein Herz schlug sehr schnell, pumpte sein Blut so stark durch seinen Körper, dass er glaubte, seine Adern müssten platzen. Dumpf rauschte es in den Ohren, sein Herz schlug hart gegen seinen Brustkorb. Er lauschte in die plötzlich Stille. Dann noch ein Schrei und danach sofort ein Geschrei von einem Baby. Andero erwachte aus seiner Erstarrung und rannte zu der Tür, hinter der Iliah lag. Er klopfte an, zuerst zaghaft, dann stärker und fordernder.
„Macht die Tür auf!“, verlangte er Einlass, doch niemand antwortete.
Im nächsten Moment hörte er ein zweites Babygeschrei.
Was er nicht mit bekam, dass dies alles binnen Minuten geschehen war.
Der Schatten ließ von der Sonne ab. Das Licht wurde heller, die Dunkelheit schwand und die Welt erstrahlte in neuem Glanz, als wolle sie aufatmen. Die Sonnenfinsternis war vorbei, der Asranyias geboren.
Endlich sind meine Kinder auf der Welt, dachte sich der frisch gebackene Vater. Ein kleines Lächeln umspielte seine Mundwinkel und ein glückliches Gefühl der Freude breitete sich in ihm aus. Er erlaubte sich einen kleinen Hoffnungsschimmer, dass jetzt alles gut werden würde.
Doch dies wurde jäh enttäuscht, als plötzlich die Tür aufgerissen wurde. Andero musste sich mit einem Schritt in Sicherheit bringen, damit er nicht die Tür an den Kopf bekam. Silja, die Heilerin des Dorfes, stand vor ihm, ihre Hände waren blutverschmiert, genauso ihre Schürze. Ihr Gesicht wirkte übermüdet, der Ausdruck ihrer Augen voller Traurigkeit.
„Iliah verlangt nach Euch, junger Mann.“ Mehr sagte sie nicht, senkte den Kopf, schaute ihm nicht mehr in die Augen und ging in Richtung Küche. Andero betrat mit weichen Knien das Zimmer. Er hatte ein ungutes Gefühl. Und dieses wurde bestätigt, als er seine geliebte Frau entdeckte. Nun wusste er, wie es um sie stand. Nun wusste er, dass sie diesen Tag nicht überleben würde.
Iliah sah in Anderos Augen, dass die unwiderrufliche Erkenntnis ihres Todes auch ihn getroffen hatte. Ihr Körper hatte alles gegeben, um ihre Kinder zu retten, ihnen das Leben zu schenken.
Vor drei Tagen, als sie aufgebrochen waren, wusste sie bereits, dass sie das Ziel der Reise nicht erreichen wird. Ihr ging es zur damaligen Zeit schlechter, als sie Andero glauben ließ. Dennoch hätte sie sich eine solche Reise zugetraut. Wäre da nicht ihre Vision gewesen.
Eines Nachts träumte sie, Tanako wäre tatsächlich kein Kaufmann, sondern Krieger aus Tharul. Er stand morgens vor ihrer Tür, brachte unbekannte Elben mit und überreichte Andero einen Brief König Mareks. Dann sah sie sich auf der Flucht, Schmerzen begleiteten ihren Weg. Und schließlich sah sie sich in diesem Gasthaus in einem Dorf Namens Rali, wie sie die Kinder bekam und anschließend starb.
Als ein paar Tage später dann Tanako wirklich bei ihnen erschien und genau das passierte, was sie geträumt hatte, wusste sie, dass es sich um eine Vision gehandelt hatte . Doch sie hatte keine Angst, da ihr bewusst war, dass ihre Kinder leben würde. Sie war nur traurig, dass sie niemals sehen würde, wie sie aufwachsen, dass sie nie für sie da sein würde, dass sie ihren geliebten Mann verlieren würde, ihn alleine lassen musste.
Damals in ihrer Stube, als Tanako ihr gegenüber stand, sah sie die stille Trauer in seinen Augen. Sie stand lang schon in der Tür und gab dem Elbenkrieger mit einem kurzen Nicken ihr Einverständnis, wodurch er versuchte, Andero zu überreden. Eine seltsame Ruhe hatte von ihr Besitz ergriffen. Deren Quelle war die Gewissheit um das Leben ihrer Kinder.
Als Silja ihr sagte, dass entweder sie oder die Kinder leben würden, hatte sie die Entscheidung schon längst getroffen.
Es war die richtige Entscheidung gewesen, überlegte sie, als Andero mit sorgenvoller Miene an ihr Lager trat. Im Hintergrund hörte sie das Schreien beider Kinder, ein gesundes und kräftiges Weinen. Vorsichtig setzte er sich auf ihr Bett, als ob jede kleine Erschütterung ihr Schmerzen bereiten könnte. Er nahm ihre Hand, die heiß und vom Schweiß nass war und bettet sie zärtlich in seine.
„Du brauchst nur noch etwas Ruhe, dann bist du wieder ganz gesund, Liebste“, versuchte er seine Frau aufzumuntern. Doch seine Stimme zitterte, Angst schwang mit und machte diesen Satz alles andere als glaubhaft.
„Ich werde sterben, Liebster, noch bevor sich der Tag dem Ende neigt. Meine Aufgabe habe ich erfüllt.“ Sie hielt kurz inne, sammelte neue Kraft. „Ich danke dir für all die schöne Zeit, die wir erleben durften. Danke für deine ewige Liebe, für jeden Tag, den du so bereichert hast“, flüsterte Iliah ihm zu. Andero konnte seine Tränen nicht mehr zurück halten. Er nahm ihre Hand und führte sie zu seiner Wange. Er legte sein Gesicht in ihre Hand, seine Tränen rollten über ihren Handrücken und tropften einsam zu Boden.
„Nein, du darfst nicht sterben“, begehrte er mit tränenerstickter Stimme auf. „Das lasse ich nicht zu, hörst du. Du musst kämpfen. Bitte, lass mich nicht allein.“
Iliah lächelte schwach. Einem Impuls folgend zog sie ihren Geliebten sanft zu sich heran und küsste ihn. Doch ihre Zweisamkeit war nur von kurzer Dauer und die Amme erschien. Sie trug beide Kinder auf den Armen und trat an Iliahs Bett. Diese musste sofort lächeln, als sie ihre Zwillinge das erste mal richtig sah.
„Es sind zwei aller liebste Kinder“, meinte die Amme nicht ohne Stolz. „Dieses süße Etwas“ und damit deutete sie mit einem Nicken auf das Baby zu ihrer Rechten. „ist ein wunderschönes Mädchen. Sie wird eine genauso strahlende Schönheit wie ihre Mutter. Und dieser kleine Wurm“ sie deutete auf das Baby zu ihrer Linken, „ist ein hübscher Bursche. Er kommt ganz nach seinem Vater. Ihr könnt stolz auf beide sein!“
Sie kam auf Andero zu und gab ihm den Knaben. Der Mutter legte sie vorsichtig das Mädchen in die Arme. Iliah betrachtete ihre Tochter voller Liebe und Zuneigung. Das Baby hatte die typischen körperlichen Merkmale der Elben. Man sah jetzt schon, dass sie ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten war. Große blaue Augen strahlten sie an, die bereits scharf geschnittenen Züge ihres Gesichtes wirkten trotzdem sehr weich. Sie hatte ein einnehmendes Wesen, eine starke Aura, bereits jetzt, wo sie erst ein paar Minuten alt war. Auf ihrem Köpfchen war bereit ein kleiner Haarflaum zu sehen, der der silbernen Haarfarbe von Iliah glich. Bereits jetzt besaß die Kleine einen sehr feingliedrigen Körper, der gleichzeitig Zerbrechlichkeit und Kraft ausstrahlte.
Iliah fuhr dem Baby mit einer Hand über das Gesicht, vorbei an den spitzen Ohren.
„Sie soll Anysa heißen. Den Namen habe ich mir schon lang ausgesucht.“ Iliah sah Andero an.
„Ja, Schatz, Anysa ist ein schöner Name“, meinte er bestätigend.
„Den Namen für unseren Sohn darfst du aussuchen.“
Andero senkte den Kopf und blickte seinen Burschen an. Er nahm den kleinen Kerl genauer in Augenschein. Er kommt voll nach mir, denkt sich der frisch gebackene Vater. Das Baby hatte keinerlei körperliche Merkmale der Elben, wie es bei seiner Schwester der Fall war. Es sah wie ein Mensch aus. Selbst seine Ohren hatten nicht diese leicht spitze Form. Man könnte meinen, er wäre nicht der Bruder seiner Schwester, wäre da nicht dieselbe starke Aura, die Andero auch bei Anysa gespürt hatte. Als seine Kinder nicht in seiner unmittelbaren Nähe waren, hatte er diese Aura kaum gespürt, aber jetzt war sie vorhanden und das sehr stark.
Sein Sohn strampelte kräftig in seinen Armen, war kaum zu bändigen. Seine braunen Äuglein strahlten die Welt an und er musterten voller Interesse seine Umgebung, auch wenn er sie kaum erkennen konnte. Auch er hatte bereits einen kleinen Flaum auf seinem Kopf, allerdings in einem blonden Farbton.
„Was hältst du von Aris? Klingt doch sehr schön. Anysa und Aris, das ist gut, oder?“
Fragend blickte er seine Frau an. Diese nickte und gab ihm zu verstehen, dass sie einverstanden war. „Ein sehr schöner Name. Dann sollen sie ab heute so heißen.“
Iliah war glücklich. Kurz war ihre Traurigkeit vergessen. Und es bestätigte sich nun unwiderruflich ihr Verdacht und wurde zur Gewissheit. Beide Kinder strahlten eine mächtige magische Aura aus. Doch damit kam auch die erschreckende Erkenntnis, dass andere diese Aura spürten. An Anderos Blick sah sie, dass auch er sie spürte. Jeder Magier könnte die Kinder finden. Diese Befürchtung teilte sie ihrem Mann mit.
Die Amme nahm beide Kinder wieder zu sich und verließ den Raum, damit Andero mit seiner Iliah noch allein sein konnte. Er ließ seinen Tränen freien Lauf, gab sich seiner Traurigkeit hin. Doch Iliah wäre nicht Iliah, wenn sie selbst in dieser schweren Stunde nicht es schaffen würde, ihn aufzumuntern. So begann sie, ihre Erinnerungen aufzufrischen. Erzählte von den schönen Momenten mit ihm, den lustigen, den ernsten, den romantischen und den zärtlichen. Sie merkten nicht, dass es bereits dämmert, sich der Tag dem Ende neigte. Mit der Zeit verlor Iliah immer mehr an Kraft, konnte kaum noch reden. Ihr Brustkorb bewegte sich nur noch ganz schwach. Selbst das Luft holen wurde zur Qual. Dennoch lag ihr etwas auf der Seele.
„Andero, mein Liebster. Versprich mir, immer für Anysa und Aris da zu sein. Schütze sie, liebe sie und kümmere dich um sie. Tue alles, was in deiner Macht steht, um sie zu schützen. Lass sie niemals allein. Das musst du mir versprechen“, sagte Iliah und kurz schien es, als sei ihre alte Kraft wieder in sie zurückgekehrt.
„Iliah, bitte...“, wollte er sie beschwichtigen, doch sie wiederholte ihre Forderung noch energischer. „Ich verspreche dir, immer für unsere Kinder da zu sein. Sie zu schützen, zu lieben und niemals allein zu lassen . Das schwör ich dir, meine Liebste.“
Iliah, glücklich über dieses Versprechen, legte sich wieder hin und fiel in sich zusammen. Andero nahm augenblicklich wieder ihre Hand, wollte sie nicht mehr los lassen.
„Ich liebe dich, mein Schatz. Ich werde dich immer lieben“, sagte sie in die Stille hinein.
„Ich liebe dich doch auch. Ich werde dich immer lieben und nur dich.“
„Nein, Andero. Wenn ich nicht mehr bin, möchte ich, dass du dir irgendwann eine neue Frau suchst.“ Andero wollte Einwände erheben, doch Iliah brachte ihn mit einer Geste zum schweigen.
„Ich meine es ernst. Du sollst ja nicht direkt nach meiner Beerdigung damit anfangen. Aber das Leben geht weiter, auch ohne mich. Suche dir eine gütige Frau, die du auf deine Weise lieben kannst. Sie muss eine gute Mutter für unsere Zwillinge sein. Geh nicht in deiner Trauer ein, fang irgendwann wieder an zu leben. Das versprich mir bitte.“
„Iliah, wie kann ich dir das versprechen? Du weißt doch gar nicht, was das für mich bedeutet.“
„Doch, das weiß ich und trotzdem tu ich das. Dies ist mein letzter Wunsch. Schlag ihn mir nicht ab.“
Andero rang eine Weile mit sich.
„Also gut. Ich verspreche dir, nach meiner Trauerzeit, die ich bestimme, eine neue Frau als Weib zu nehmen. Die Kinder brauchen eine Mutter. Aber ich kann sie niemals so lieben, wie ich dich liebe. Diese Liebe bleibt für immer dein.“
Iliah dankte ihm mit einem Kuss für sein Versprechen. Nach einer kurzen Pause sprach sie leise weiter: „Liebster, ich muss dich noch um etwas bitten, da ich selber dazu nicht mehr in der Lage bin.“
Iliah seufzte, schloß kurz die Augen. Sie tastete hinter ihren Hals und öffnete den Verschluss ihrer Kette.
„Kannst du diese Kette Anysa geben? Ich hatte schon immer vor, meiner Tochter die Kette zu schenken. Ich bekam sie von meiner Mutter und will sie nun an Anysa weiter reichen. Dies ist mein Erbe.“
Andero wollte ihr widersprechen, wie so oft an diesem Tag.
„Ich werde deinem Wunsch entsprechen. Anysa wird die Kette erhalten, Liebste.“
„Ich liebe dich so sehr, Iliah“, sagte Andero erneut. Doch er erhielt keine Antwort mehr. Panik ergriff ihn und er schaute in ihr Gesicht. Gebrochene Augen starrten ihn an, tote Augen. Iliah war gestorben, in seinen Armen. Er schloß ihre Augen, drückte seine Frau fest an sich und gab ihr einen letzten Kuss auf die noch warmen Lippen. Er wiegte sich mit ihr hin und her, konnte nicht glauben, dass sie tatsächlich tot war.
In dem Augenblick ihres Todes erlöschten die letzten Sonnenstrahlen und die Welt versank in tiefe Dunkelheit. Die Nacht brach endgültig herein.
Kapitel 2 – Iliahs Opfer
Unruhig ging Andero in der Gaststube auf und ab. Es waren kaum zwanzig Schritte von einer Wand zur nächsten. Er kannte die Länge des Raumes bereits genau, da er seit Stunden wie ein Tier in seinem Käfig auf und ab gelaufen ist. In der Mitte des Raumes blieb er stehen und schaute mit sorgenvoller Miene zur Tür, die links von ihm lag. Nichts war zu hören, kein Schrei, kein Wort drang nach draußen.
Drei Stunden befand sich Iliah nun schon dort drin. Seit drei Stunden lag sie bereits in den Wehen. Eine Geburt lief doch unter großem Geschrei ab. So war es zumindest in Dara immer gewesen. Doch Iliah war ganz still. Wahrscheinlich verlief bei Elben die Geburt etwas anders. Vielleicht hatten sie gar nicht solche Schmerzen wie menschliche Frauen, dachte sich Andero.
Er schüttelte den Kopf und begann erneut seine Wanderung. Plötzlich ging die Tür auf, so dass er in seinem Lauf inne hielt. Die Amme kam heraus und schloss die Tür sofort hinter sich. Dennoch konnte Andero einen Blick in das Innere des anderen Raumes erhaschen. Was er sah, ließ sein Herz in die Hose rutschen. Sein Gesicht verlor nun vollends die Farbe und konnte sich vortrefflich mit der weißen Kalkwand der Gaststube messen. Iliah, auf dem Bett liegend, das Laken war zerwühlt, ihre Haare lagen kreuz und quer, ihre Brust hebte und senkt sich schwer, als wenn sie nicht atmen könnte. Ihr von Schmerzen verzerrtes Gesicht ließ ihn in diesem Moment alles vergessen. Elben erlebten die Geburt mit mindestens genauso viel Schmerz wie andere Frauen.
Er ging ein paar Schritte zur Tür, um sie zu öffnen, als die Amme ihm den Weg versperrte.
„Ihr könnt hier nicht rein! Das ist Frauensache und nichts für Männer“, sagte sie im energischen Tonfall, so dass jeder Widerspruch zwecklos erschien. Ihr barscher Ton ließ ihn zusammen zucken, machte ihn aber gleichzeitig wütend. Da drin lag seine Frau, die offensichtlich sehr leidet. Dies gab er der leicht untersetzten Frau zu verstehen.
„Es ist mein gutes Recht, an der Seite meiner Frau, ich wiederhole, meiner Frau“, dabei tippte er mit dem Finger auf seine Brust, „zu stehen, ihre Hand zu halten, um ihr beizustehen. Das könnt und werdet Ihr mir nicht verwehren. Und nun geht mir aus dem Weg, Amme“.
Doch die rundliche Frau zeigte sich wenig beeindruckt und rührte sich keinen Millimeter von der Stelle. Anderos Zorn prallte an ihr ab, sie verzog keine Miene.
„Junger Mann“, versuchte sie ihn zu beruhigen und setzte eine mildere Miene auf, „es ist mir klar, dass Ihr Euch um Eure Frau sorgt. Doch hierbei könnt Ihr nicht helfen. Ihr müsst bitte draußen bleiben.“
Damit wollte Andero sich nicht abspeisen lassen. Er legte sanft seine Hand auf die Schulter der Amme und blickte ihr in die Augen.
„Sagt mir ehrlich, wie es um Iliah steht. Sie sieht so schlecht aus, als..., na ja, als wenn sie die Nacht nicht überleben würde.“
Eine Weile schwieg sie. Man sah ihr an, dass sie mit sich rang.
„Nun gut, junger Mann. Es steht nicht so gut um Eure Frau. Das Fieber hat sie bereits sehr geschwächt, auch wenn sie es noch nicht lange hat. Der lange Ritt tat sein Übriges. Zwillinge zur Welt zu bringen, ist ein sehr schwieriges Unterfangen. Dazu kommt, dass sie Elbin ist und ich leider keinerlei Erfahrung mit Geburten bei elbischen Frauen habe. Ihre Anatomie ist etwas anders. Es ist...“ Sie unterbrach sich und fuhr mit einer Hand durch ihr ergrautes Haar. „Nun, sie ist sehr schwach. Es sieht schlecht aus.“ Ihr Gesicht war von Sorge gezeichnet. „Es tut mir leid. Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht.“
Sie senkte den Blick und streifte Anderos Hand von ihrer Schulter.
„Ich will noch heißes Wasser holen und ein paar saubere Tücher. Entschuldigt mich bitte.“
Sie drehte sich um und entschwand aus dem Raum Richtung Küche. Andero blieb allein zurück, rührte sich nicht von der Stelle. Mit hängenden Schultern blickte er auf die Tür vor ihm, auf deren anderer Seite Iliah lag, vielleicht schon im Sterben. Vieles ging ihm durch den Kopf und er stellte sich immer wieder die Frage nach dem Warum. Eine Hand legte sich leicht auf seine Schulter. Er drehte sich nach deren Besitzer um. Tanako war an ihn herangetreten, doch er hatte dies nicht bemerkt.
„Habt nur Vertrauen, Andero. Die Amme weiß schon, was sie tut. Sie wird Iliah helfen.“ Mit der freien Hand zeigte er auf den Tisch, wo einige Männer saßen.
„Setzt Euch doch zu uns und esst etwas.“ Er verstärkte den Druck auf Anderos Schultern und zog ihn mit sich Richtung Tisch. Dort angekommen ließ er sich schwer auf seinen Stuhl fallen und blickte missmutig seine Gefährten an.
Insgesamt bestand die Gruppe aus neun Personen. Andero saß neben Sindor, dem Kundschafter, der ihm die schreckliche Nachricht aus Tharul überbrachte. Rechts von ihm nahm Tanako seinen Platz wieder ein. Neben Sindor saß Lordor, ein Gefährte von Tanako. Auf der anderen Seite des Tisches hatte Denir Platz genommen, ebenfalls ein Gefährte Tanakos. Neben Denir saß Enord, der Befehlshaber der Elbenkrieger. An deren linke Seite hat soeben Sertor Platz genommen, der Elbenmagier und versuchte, Andero mit einem Lächeln aufzumuntern. Doch das Lächeln missglückte kläglich und so senkte der Magier den Blick und fing an, sein bereits kaltes Essen zu vertilgen. Als letzter an diesem Tisch saß Lernordo, ein Elbenkrieger, der mit Sindor aus Tharul kam. Der Elbenkrieger sollte angeblich in der Kampfgunst genauso gut sein wie die beiden Gefährten Tanakos, Lordor und Denir.
Eine feine Gesellschaft saß da als einzige Gäste in der Gaststube. Ein Kaufmann, der in Wahrheit ein enger Vertrauter König Mareks war, ein Kundschafter mit einem Todesurteil in der Tasche, drei der besten Elbenkrieger laut Enord Na’ Rosnero. Dieser hatte sich von seinem Posten als Oberbefehlshaber der elbischen Armee entfernt, um Iliah zu schützen und ein Elbenmagier, der helfen sollte, es jedoch nicht geschafft hatte. Tolle Gesellschaft, dachte Andero bei sich. Hätte es nicht besser treffen können. Er war der einzige Mensch in der holden Runde.
Andero saß grübelnd am Tisch, immer mal einen Blick auf die Tür werfend, und stocherte lustlos in seinem Essen herum. Der Wirt hatte es ihm bereits vor einer Weile gebracht, nachdem Tanako es für ihn bestellt hatte.
Wieder kam er auf seine Frage zurück: Warum? Wieso musste das ausgerechnet uns passieren?
Noch vor gut drei Tagen war alles in Ordnung gewesen. Er hatte sich so sehr auf die bevorstehende Geburt gefreut, dass das Fest der Kanabha völlig in den Hintergrund getreten war. Doch es sollte nicht so kommen, wie er es wollte.
Vor drei Tagen begann es.
Eines Morgens klopfte es an seiner Haustür. Andero war gerade erst aufgestanden, die Sonne hatte vor ein paar Minuten den Tag eröffnet. Er hatte sich gefragt, wer so zeitig vor seiner Tür stand. Iliah lag noch im Bett, friedlich schlummernd hatte sie wie ein Engel ausgesehen. Er wollte sie nicht wecken, obwohl es Zeit zum Aufstehen war und viel Arbeit vor ihnen lag. Doch als er sie neben sich liegen sah, ihr Gesicht entspannt, die aufgehende Sonne umspielte sanft ihr Gesicht, da konnte er es nicht übers Herz bringen, sie zu wecken. Doch das energische Klopfen an seiner Tür störte diese schöne Ruhe, machte den einzigartigen Moment zunichte . Wütend über diese Störung ging er Richtung Tür. Noch einmal drehte er sich um, doch Iliah war wohl nicht geweckt worden.
Mit einem schnellen Griff öffnete er die Tür und sah sich unverhofft dem Kaufmann Tanako gegenüber. Normalerweise freute sich Andero, wenn Tanako ihn besuchte, doch dieses Mal war es kein Freundschaftsbesuch, das sah er dem Kaufmann an.
„Guten Morgen, Andero. Tut mir leid, dass ich so zeitig bei euch störe,“ entschuldigte sich Tanako „aber ich muss dringend mit euch sprechen.“
Andero sah ihn unschlüssig an, trat dann aber beiseite und ließ ihn rein. Direkt hinter Tanako stand ein weiterer Mann, den Andero zuerst gar nicht bemerkt hatte. Dieser reichte ihm sogleich die Hand und stellte sich als Sindor Da’ Rysin vor, Kundschafter aus Tharul. Dieser trat nach Tanako ein und Andero schloss hinter den beiden die Tür. Der Kaufmann aus Dara drehte sich zu dem Hausherrn um.
„Anderr, heute Morgen kam Sindor mit einer wichtigen Nachricht zu mir. Er kam direkt aus Tharul, von König Marek Tal’ en Essyndiell persönlich entsendet.“
Tanako legte eine dramatische Pause ein. Es war ihm anzusehen, dass ihm nicht ganz wohl bei dem war, was er jetzt zu sagen hatte. Sindor gab ihm eine Schriftrolle, die allein schon durch das Siegel sehr wichtig aussah.
„Das hier ist ein Brief von König Marek, direkt an euch beide adressiert. Vielleicht lest ihr ihn erst einmal.“
Er hielt Andero die Schriftrolle hin. Dieser nahm sie zögernd entgegen, bereits ein mulmiges Gefühl im Magen. Er brach das königliche Siegel entzwei, das den Inhalt des Briefes vor neugierigen Blicken schützen sollte. Vorsichtig entrollte er das Schriftstück und begann zu lesen. Der Inhalt ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren.
Dieser Moment sollte sein ganzes Leben verändert. Wenn er jetzt so darüber nachdenkt, dann waren es tatsächlich diese Minuten, wo seine heile Welt zusammenbrach. Seine Hoffnung, dass die Zwillinge ganz normale Kinder seien, sie eine normale glückliche Familie werden könnten, wurde jäh enttäuscht.
Wie ernst die Situation bereits war, erfuhr er aus dem Brief. So unglaublich es war, sprach über die Gefährlichkeit der Situation Tanakos Gesichtsausdruck Bände. Andero laß den Brief zwei Mal.
Er senkte die Schriftrolle und schaute Tanako ratlos an.
„Was soll das heißen?“, stellte er dem Kaufmann seine Frage. „Das kann doch nicht Euer Ernst sein, oder?“
„Ihr müsst augenblicklich fliehen, bevor Perdur, der Anführer der Söldnergruppe, in Dara ist.“, sprach Tanako beschwörend auf ihn ein. „Wir sind zu wenige Krieger, um gegen eine Horde Söldner anzukommen. Nicht, wenn wir das Leben Iliahs nicht gefährden wollen. Normalerweisen bräuchten wir eine ganze Armee, aber das wäre zu auffällig.“
Andero hob die Hand und brachte sein Gegenüber damit zum Schweigen .
„Moment mal, Tanako. Erstens, warum brauchen wir eine ganze Armee, um mit einem Dutzend Söldner fertig zu werden? Und zweitens, was habt Ihr , ein Kaufmann, damit zutun? Woher wisst Ihr von dieser Prophezeiung? Und...“ Andero wusste nicht weiter, seine Verwirrung wuchs mit jeder Minute. Und seine Angst um Iliah und die ungeborenen Zwillinge kam allmählich einem kritischen Punkt nahe.
„Andero, bitte, beruhigt Euch wieder. Ich kann alles erklären.“
Der werdende Vater verschränkte die Arme vor der Brust und wartete geduldig auf eine Erklärung.
„Wie Ihr ja wisst, bin ich als Kaufmann nach Dara gekommen. Doch eigentlich bin ich keiner. Auch nicht Lordor und Denir, meine Gehilfen.“ Er setzte imaginäre Anführungsstriche beim dem Wort Gehilfen.
„Nun sind wir drei Krieger aus Tharul. König Marek entsendete uns, als er die Kunde über Iliahs Schwangerschaft erhielt. Wir sollten für Eure Sicherheit sorgen und bei Gefahr schnell handeln. Damit Ihr Euch keine Sorgen macht, gaben wir uns nicht zu erkennen. Es war nur zu Eurem Besten.“
Andero schaute ihn zweifelnd an. Er überlegte fieberhaft, was diese Offenbarung für seine Familie bedeutet .
„Und nun denkt Ihr , wir könnten mit Euch fliehen?“
„Ja, Euch bleibt nichts anderes übrig, wollt ihr nicht das Leben Iliahs und der Kinder riskieren.“
„Aber genau das tue ich, wenn sie mit Euch geht. Tanako, sie ist hochschwanger, kurz vor der Niederkunft hatte die Heilerin gesagt. Sie kann nicht reisen, geschweige denn reiten“, brachte Andero wütend heraus.
„Nie werde ich das befürworten. Das...“
„Ich gehe mit ihm, Liebster“, erklang plötzlich eine Stimme im Hintergrund. Andero drehte sich um und sah sich unvermittelt Iliah gegenüber stehen. Er hatte gar nicht bemerkt, dass sie aufgestanden und hinter ihn getreten war. Nur mit ihrem Nachtkleid stand sie barfuss in der Tür.
„Aber Iliah...“, brachte Andero heraus, „du kannst doch nicht. Das wirst du nicht schaffen.“
„Doch, das werde ich, Andero.“ Dass sie nun seinen Namen gebrauchte, zeigte, wie ernst es ihr war und dass sie nicht umzustimmen war.
„Nicht nur Lordor, Denir und ich werden Iliah beschützen. Sindor bringt uns zum Wykportal und draußen warten Enord und Lernordo, sehr gute Kämpfer, auf uns. Für Iliahs Gesundheit ist Sertor zuständig. Er ist Magier und sehr erfahren in Heilmagien. Das Risiko... ist überschaubar.“
„Wir müssen es nur bis zum Wykportal schaffen“, meldete sich Sindor zu Wort. Doch Andero ist sich nicht sicher.
„Und wieso, Tanako, bringt Ihr nur eine Handvoll Elbenkrieger mit, wenn Iliah in solcher Gefahr schwebt?“
„Wäre eine ganze Armee gekommen, hätte dies nur unnötig Aufmerksamkeit erregt“, antwortet ihm Tanako ruhig.
„Unnötig Aufmerksamkeit? Tanako, zum Wykportal sind es gut zweihundertfünfzig Meilen quer durch das Yanuzi Gebirge mit einer Frau, die kurz vor der Niederkunft steht. Ich sage nein.“ Andero schüttelte den Kopf, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen.
„Damit nehmen wir ja diesem Perdur die Arbeit ab“, meinte er sarkastisch.
„Ich werde meine Familie zu schützen wissen“, donnerte er, doch da legte Iliah ihm schon ihre rechte Hand auf seine geballte Faust.
„Liebster, ich weiß, du willst uns nur schützen. Doch gegen diese Söldner hast du keine Chance, nachdem, was Tanako gesagt hat.“ Sie schaute ihm tief in die Augen.
„Denk doch auch an die Bewohner Daras. Wir würden sie nur unnötig in Gefahr bringen. Das willst du doch sicherlich auch nicht.“ Andero schüttelte den Kopf.
„Siehst du, ich auch nicht. Wir werden es schon schaffen. Ich vertraue auf Tanako. Das solltest du auch tun.“ Tief schaute er in ihre Augen. Sie konnte seine Zweifel sehr gut verstehen. Doch wusste sie, was zu tun war. Hier ging es nicht um ihr Leben, sondern um das der Kinder. Nur das allein zählte
„Wieso sprichst du dich für diese Reise aus? Die ganze Zeit misstraust du Tanako und jetzt legst du sein Leben und das unserer ungeborenen Kinder in seine Hände“, versucht Andero von seiner Frau eine Erklärung zu erhalten. Dabei schaut er ihr in die schönen Augen. Tiefe Traurigkeit findet er dort. Aber auch eine feste Entschlossenheit.
„Liebster, als Tanako vor unserer Tür stand, wusste ich, dass sich meine Befürchtungen bewahrheitet hatten. Ich denke, unsere Kinder sind in großer Gefahr. Ich will sie unbedingt beschützen und das kann ich nur, wenn ich Tanako begleite.“
„Ich will dich nicht verlieren“, schluchzte Andero Iliah zu und zog sie an sich, um sie zu umarmen und festzuhalten. Seine Liebe zu ihr war grenzenlos. Doch ebenso seine Angst um ihr Leben. Doch er wusste selbst, dass sie nach Anagard mussten.
Andero wandte sich Tanako zu.
„Könnt Ihr mir versprechen, dass Iliah nichts geschehen wird, Tanako?“
„Das ist nicht so einfach...“
„Könnt Ihr , ja oder nein?“ Tanako wusste, dass er Andero nicht belügen durfte. Nicht mehr.
„Ja, ich kann für ihre Sicherheit garantieren. Sie wird unbeschadet Anagard erreichen.“
Doch Andero gab sich damit nicht zufrieden.
„Schwört es.“
Tanako hob feierlich die Hand und sagte: „Ich schwöre es.“
„Schützt Iliah und die Zwillinge bei Eurem Leben“, sagte Andero und reichte Tanako die Hand. Dieser besiegelte den Schwur, in dem er einschlug.
„Ihr habt mein Wort.“
Andero gab sein Einverständnis, nachdem er sich noch einmal bei Iliah versichert hatte, dass es ihr gut ging und sie sich diese Reise zutraute.
Zwei Stunden später brachen sie auf. Sie waren dem einzigen Weg gefolgt, der ohne Schwierigkeiten durch das Gebirge führte. Zwei Tage ging alles gut. Sie kamen schnell voran, das Wetter hielt sich beständig und Iliahs Zustand blieb stabil, was auch ein Verdienst des Magiers Sertor war. Am dritten Tag änderte sich alles. Morgens bereits regnete es in Strömen, so dass sie alle bis auf die Knochen nass wurden. Iliah ging es zusehends schlechter. Sie bekam Fieber und fiel beinahe vom Pferd. Andero war es gerade noch gelungen, sie vor einem Sturz zu bewahren. Halb bewusstlos hatte er seine Frau in ein Gasthaus gebracht, das zum Glück nicht weit entfernt war. Das Dorf, in dem das Gasthaus stand, hieß Rali. Ein Kellner aus dem Gasthof holte schnell eine Heilerin, die in Rali ansässig war. Sertor konnte gegen das Fieber nicht viel ausrichten. Eine Heilerin kam sofort und untersucht Iliah eingehend. Nachdem die Untersuchung beendet war, verordnete sie Bettruhe. Es stehe nicht gut um sie, da ihr das hohe Fieber zu schaffen mache und die Schwangerschaft ebenso.
Doch bevor Andero etwas darauf erwidern konnte, kam ein markerschütternder Schrei aus Iliahs Zimmer. Andero und die Heilerin stürmten sofort hinein . Ein kurzer Blick genügte und die Heilerin ließ nach der Ammer schicken. Blutflecken waren auf dem Bettlaken zu sehen Die Geburt stand unmittelbar bevor. Sie hatte ihn unter lautem Geschimpfe hinausgeworfen, wo er zum Warten verdammt war.
Seitdem wartete Andero. In regelmäßigen Abständen blickte er zur Tür.
Nach einer Weile wurde das Mittagessen serviert. Andero starrte das Essen an, als wäre es irgendetwas Ekliges . Er bekam einfach keinen Bissen herunter.
„Ihr müsst was essen, Andero. Iliah ist nicht damit geholfen, wenn Ihr weiter so lustlos in Eurem Essen herum stochert.“ Damit deutete Tanako mit seiner Gabel auf Anderos Essen und blickte ihn fragend an. Dieser schüttelte den Kopf und schob nach einer Weile mutlosem Herumstochern sein Essen beiseite. Wieder schweiften seine Gedanken ab.
Heute wurde das Fest der Kanabha begangen. Eigentlich wollte er dies mit Iliah feiern. Doch würde das wohl nichts mehr werden.
Sein Blick ruhte auf dem Fenster. Draußen war endlich die Wolkendecke aufgerissen und die Sonne versuchte, die Tristesse zu vertreiben und etwas Freundlichkeit und Wärme in die Häuser zu bringen. Andero lächelte ein wenig. Ja, ein schöner Tag hätte das heute werden können. Im gleichen Moment, wo er seinen Gedankengang zu Ende brachte, wurde es plötzlich wieder dunkler. Andero schaute verwundert nach draußen, doch keine Wolke hatte sich vor die Sonne geschoben. Warum wurde es dunkel?
Sertor, der dies ebenfalls bemerkt hatte, stand so schnell auf, dass sein Stuhl nach hinten kippte. Doch er bekam dies gar nicht mit.
„Es ist soweit“, presste er heraus. „Die Prophezeiung erfüllt sich, die Sonnenfinsternis naht.“
In seiner Stimme schwang sowohl Hoffnung als auch Verzweiflung mit, die Andero einen Schauer über den Rücken jagte. Er schaute den Magier an.
„Jetzt?“, fragte Andero, doch noch bevor er das Wort zu Ende bringen konnte, stürmte Sertor hinaus. Augenblicklich waren die übrigen Elben auf den Beinen und folgten dem Elbenmagier. Als Andero sich auf der anderen Seite der Eingangstür befand, erlebt eer ein Naturschauspiel, das Seinesgleichen suchte. Die plötzlich beginnende Dunkelheit wurde tatsächlich nicht durch eine Wolke hervorgerufen, die die Sonne verdeckte. Nein, was es genau war, konnte Andero nicht sagen, aber irgendetwas schob sich genau vor die Sonne und verdeckte sie. Binnen Minuten war erst ein kleiner Teil, dann die Hälfte und zum Schluss die ganze Sonne verdeckt. Nur ein Kranz der Sonnenkorona war noch zu sehen. Mittlerweile war es ganz dunkel geworden. Oder besser gesagt, die Welt befand sich in einem Zwielicht, nicht richtig dunkel, aber auch nicht hell. Das Zwielicht sah unecht aus, als wenn eine Kerze die Welt erleuchten würde.
Es war mitten am Tag Nacht. Dieser Gedankengang kam ihm durch die Prophezeiung so vertraut vor, kann es aber immer noch nicht glauben. Immer hatte er gehofft, dass sie sich nicht erfüllen würde, dass es sich nicht um seine Kinder handeln würde.
„Die Sonnenfinsternis“, murmelte Sertor voller Ehrfurcht. Und da kam auch für den werdenden Vater die Erkenntnis.
„Wenn Tag gleich Nacht und Nacht gleich Tag, er wird geboren, gebet Acht“, zitierte er einen Teil der Prophezeiung. Sertor schaute in verstehend an.
„Ja, das ist die Sonnenfinsternis“, sagte der Magier bestimmend und zeigte auf die verdeckte Sonne. Die daraus resultierende Schlussfolgerung lag auf der Hand und sie rissen sich von dem einzigartigen Naturschauspiel los.
„Iliah“ sprachen beide gleichzeitig aus und Andero stürmten sofort zurück zum Gasthaus, zu Iliah.
Als er das dunkle Haus betrat, hörte er einen Schrei, der ihn sofort inne halten ließ. Sein Herz schlug sehr schnell, pumpte sein Blut so stark durch seinen Körper, dass er glaubte, seine Adern müssten platzen. Dumpf rauschte es in den Ohren, sein Herz schlug hart gegen seinen Brustkorb. Er lauschte in die plötzlich Stille. Dann noch ein Schrei und danach sofort ein Geschrei von einem Baby. Andero erwachte aus seiner Erstarrung und rannte zu der Tür, hinter der Iliah lag. Er klopfte an, zuerst zaghaft, dann stärker und fordernder.
„Macht die Tür auf!“, verlangte er Einlass, doch niemand antwortete.
Im nächsten Moment hörte er ein zweites Babygeschrei.
Was er nicht mit bekam, dass dies alles binnen Minuten geschehen war.
Der Schatten ließ von der Sonne ab. Das Licht wurde heller, die Dunkelheit schwand und die Welt erstrahlte in neuem Glanz, als wolle sie aufatmen. Die Sonnenfinsternis war vorbei, der Asranyias geboren.
Endlich sind meine Kinder auf der Welt, dachte sich der frisch gebackene Vater. Ein kleines Lächeln umspielte seine Mundwinkel und ein glückliches Gefühl der Freude breitete sich in ihm aus. Er erlaubte sich einen kleinen Hoffnungsschimmer, dass jetzt alles gut werden würde.
Doch dies wurde jäh enttäuscht, als plötzlich die Tür aufgerissen wurde. Andero musste sich mit einem Schritt in Sicherheit bringen, damit er nicht die Tür an den Kopf bekam. Silja, die Heilerin des Dorfes, stand vor ihm, ihre Hände waren blutverschmiert, genauso ihre Schürze. Ihr Gesicht wirkte übermüdet, der Ausdruck ihrer Augen voller Traurigkeit.
„Iliah verlangt nach Euch, junger Mann.“ Mehr sagte sie nicht, senkte den Kopf, schaute ihm nicht mehr in die Augen und ging in Richtung Küche. Andero betrat mit weichen Knien das Zimmer. Er hatte ein ungutes Gefühl. Und dieses wurde bestätigt, als er seine geliebte Frau entdeckte. Nun wusste er, wie es um sie stand. Nun wusste er, dass sie diesen Tag nicht überleben würde.
Iliah sah in Anderos Augen, dass die unwiderrufliche Erkenntnis ihres Todes auch ihn getroffen hatte. Ihr Körper hatte alles gegeben, um ihre Kinder zu retten, ihnen das Leben zu schenken.
Vor drei Tagen, als sie aufgebrochen waren, wusste sie bereits, dass sie das Ziel der Reise nicht erreichen wird. Ihr ging es zur damaligen Zeit schlechter, als sie Andero glauben ließ. Dennoch hätte sie sich eine solche Reise zugetraut. Wäre da nicht ihre Vision gewesen.
Eines Nachts träumte sie, Tanako wäre tatsächlich kein Kaufmann, sondern Krieger aus Tharul. Er stand morgens vor ihrer Tür, brachte unbekannte Elben mit und überreichte Andero einen Brief König Mareks. Dann sah sie sich auf der Flucht, Schmerzen begleiteten ihren Weg. Und schließlich sah sie sich in diesem Gasthaus in einem Dorf Namens Rali, wie sie die Kinder bekam und anschließend starb.
Als ein paar Tage später dann Tanako wirklich bei ihnen erschien und genau das passierte, was sie geträumt hatte, wusste sie, dass es sich um eine Vision gehandelt hatte . Doch sie hatte keine Angst, da ihr bewusst war, dass ihre Kinder leben würde. Sie war nur traurig, dass sie niemals sehen würde, wie sie aufwachsen, dass sie nie für sie da sein würde, dass sie ihren geliebten Mann verlieren würde, ihn alleine lassen musste.
Damals in ihrer Stube, als Tanako ihr gegenüber stand, sah sie die stille Trauer in seinen Augen. Sie stand lang schon in der Tür und gab dem Elbenkrieger mit einem kurzen Nicken ihr Einverständnis, wodurch er versuchte, Andero zu überreden. Eine seltsame Ruhe hatte von ihr Besitz ergriffen. Deren Quelle war die Gewissheit um das Leben ihrer Kinder.
Als Silja ihr sagte, dass entweder sie oder die Kinder leben würden, hatte sie die Entscheidung schon längst getroffen.
Es war die richtige Entscheidung gewesen, überlegte sie, als Andero mit sorgenvoller Miene an ihr Lager trat. Im Hintergrund hörte sie das Schreien beider Kinder, ein gesundes und kräftiges Weinen. Vorsichtig setzte er sich auf ihr Bett, als ob jede kleine Erschütterung ihr Schmerzen bereiten könnte. Er nahm ihre Hand, die heiß und vom Schweiß nass war und bettet sie zärtlich in seine.
„Du brauchst nur noch etwas Ruhe, dann bist du wieder ganz gesund, Liebste“, versuchte er seine Frau aufzumuntern. Doch seine Stimme zitterte, Angst schwang mit und machte diesen Satz alles andere als glaubhaft.
„Ich werde sterben, Liebster, noch bevor sich der Tag dem Ende neigt. Meine Aufgabe habe ich erfüllt.“ Sie hielt kurz inne, sammelte neue Kraft. „Ich danke dir für all die schöne Zeit, die wir erleben durften. Danke für deine ewige Liebe, für jeden Tag, den du so bereichert hast“, flüsterte Iliah ihm zu. Andero konnte seine Tränen nicht mehr zurück halten. Er nahm ihre Hand und führte sie zu seiner Wange. Er legte sein Gesicht in ihre Hand, seine Tränen rollten über ihren Handrücken und tropften einsam zu Boden.
„Nein, du darfst nicht sterben“, begehrte er mit tränenerstickter Stimme auf. „Das lasse ich nicht zu, hörst du. Du musst kämpfen. Bitte, lass mich nicht allein.“
Iliah lächelte schwach. Einem Impuls folgend zog sie ihren Geliebten sanft zu sich heran und küsste ihn. Doch ihre Zweisamkeit war nur von kurzer Dauer und die Amme erschien. Sie trug beide Kinder auf den Armen und trat an Iliahs Bett. Diese musste sofort lächeln, als sie ihre Zwillinge das erste mal richtig sah.
„Es sind zwei aller liebste Kinder“, meinte die Amme nicht ohne Stolz. „Dieses süße Etwas“ und damit deutete sie mit einem Nicken auf das Baby zu ihrer Rechten. „ist ein wunderschönes Mädchen. Sie wird eine genauso strahlende Schönheit wie ihre Mutter. Und dieser kleine Wurm“ sie deutete auf das Baby zu ihrer Linken, „ist ein hübscher Bursche. Er kommt ganz nach seinem Vater. Ihr könnt stolz auf beide sein!“
Sie kam auf Andero zu und gab ihm den Knaben. Der Mutter legte sie vorsichtig das Mädchen in die Arme. Iliah betrachtete ihre Tochter voller Liebe und Zuneigung. Das Baby hatte die typischen körperlichen Merkmale der Elben. Man sah jetzt schon, dass sie ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten war. Große blaue Augen strahlten sie an, die bereits scharf geschnittenen Züge ihres Gesichtes wirkten trotzdem sehr weich. Sie hatte ein einnehmendes Wesen, eine starke Aura, bereits jetzt, wo sie erst ein paar Minuten alt war. Auf ihrem Köpfchen war bereit ein kleiner Haarflaum zu sehen, der der silbernen Haarfarbe von Iliah glich. Bereits jetzt besaß die Kleine einen sehr feingliedrigen Körper, der gleichzeitig Zerbrechlichkeit und Kraft ausstrahlte.
Iliah fuhr dem Baby mit einer Hand über das Gesicht, vorbei an den spitzen Ohren.
„Sie soll Anysa heißen. Den Namen habe ich mir schon lang ausgesucht.“ Iliah sah Andero an.
„Ja, Schatz, Anysa ist ein schöner Name“, meinte er bestätigend.
„Den Namen für unseren Sohn darfst du aussuchen.“
Andero senkte den Kopf und blickte seinen Burschen an. Er nahm den kleinen Kerl genauer in Augenschein. Er kommt voll nach mir, denkt sich der frisch gebackene Vater. Das Baby hatte keinerlei körperliche Merkmale der Elben, wie es bei seiner Schwester der Fall war. Es sah wie ein Mensch aus. Selbst seine Ohren hatten nicht diese leicht spitze Form. Man könnte meinen, er wäre nicht der Bruder seiner Schwester, wäre da nicht dieselbe starke Aura, die Andero auch bei Anysa gespürt hatte. Als seine Kinder nicht in seiner unmittelbaren Nähe waren, hatte er diese Aura kaum gespürt, aber jetzt war sie vorhanden und das sehr stark.
Sein Sohn strampelte kräftig in seinen Armen, war kaum zu bändigen. Seine braunen Äuglein strahlten die Welt an und er musterten voller Interesse seine Umgebung, auch wenn er sie kaum erkennen konnte. Auch er hatte bereits einen kleinen Flaum auf seinem Kopf, allerdings in einem blonden Farbton.
„Was hältst du von Aris? Klingt doch sehr schön. Anysa und Aris, das ist gut, oder?“
Fragend blickte er seine Frau an. Diese nickte und gab ihm zu verstehen, dass sie einverstanden war. „Ein sehr schöner Name. Dann sollen sie ab heute so heißen.“
Iliah war glücklich. Kurz war ihre Traurigkeit vergessen. Und es bestätigte sich nun unwiderruflich ihr Verdacht und wurde zur Gewissheit. Beide Kinder strahlten eine mächtige magische Aura aus. Doch damit kam auch die erschreckende Erkenntnis, dass andere diese Aura spürten. An Anderos Blick sah sie, dass auch er sie spürte. Jeder Magier könnte die Kinder finden. Diese Befürchtung teilte sie ihrem Mann mit.
Die Amme nahm beide Kinder wieder zu sich und verließ den Raum, damit Andero mit seiner Iliah noch allein sein konnte. Er ließ seinen Tränen freien Lauf, gab sich seiner Traurigkeit hin. Doch Iliah wäre nicht Iliah, wenn sie selbst in dieser schweren Stunde nicht es schaffen würde, ihn aufzumuntern. So begann sie, ihre Erinnerungen aufzufrischen. Erzählte von den schönen Momenten mit ihm, den lustigen, den ernsten, den romantischen und den zärtlichen. Sie merkten nicht, dass es bereits dämmert, sich der Tag dem Ende neigte. Mit der Zeit verlor Iliah immer mehr an Kraft, konnte kaum noch reden. Ihr Brustkorb bewegte sich nur noch ganz schwach. Selbst das Luft holen wurde zur Qual. Dennoch lag ihr etwas auf der Seele.
„Andero, mein Liebster. Versprich mir, immer für Anysa und Aris da zu sein. Schütze sie, liebe sie und kümmere dich um sie. Tue alles, was in deiner Macht steht, um sie zu schützen. Lass sie niemals allein. Das musst du mir versprechen“, sagte Iliah und kurz schien es, als sei ihre alte Kraft wieder in sie zurückgekehrt.
„Iliah, bitte...“, wollte er sie beschwichtigen, doch sie wiederholte ihre Forderung noch energischer. „Ich verspreche dir, immer für unsere Kinder da zu sein. Sie zu schützen, zu lieben und niemals allein zu lassen . Das schwör ich dir, meine Liebste.“
Iliah, glücklich über dieses Versprechen, legte sich wieder hin und fiel in sich zusammen. Andero nahm augenblicklich wieder ihre Hand, wollte sie nicht mehr los lassen.
„Ich liebe dich, mein Schatz. Ich werde dich immer lieben“, sagte sie in die Stille hinein.
„Ich liebe dich doch auch. Ich werde dich immer lieben und nur dich.“
„Nein, Andero. Wenn ich nicht mehr bin, möchte ich, dass du dir irgendwann eine neue Frau suchst.“ Andero wollte Einwände erheben, doch Iliah brachte ihn mit einer Geste zum schweigen.
„Ich meine es ernst. Du sollst ja nicht direkt nach meiner Beerdigung damit anfangen. Aber das Leben geht weiter, auch ohne mich. Suche dir eine gütige Frau, die du auf deine Weise lieben kannst. Sie muss eine gute Mutter für unsere Zwillinge sein. Geh nicht in deiner Trauer ein, fang irgendwann wieder an zu leben. Das versprich mir bitte.“
„Iliah, wie kann ich dir das versprechen? Du weißt doch gar nicht, was das für mich bedeutet.“
„Doch, das weiß ich und trotzdem tu ich das. Dies ist mein letzter Wunsch. Schlag ihn mir nicht ab.“
Andero rang eine Weile mit sich.
„Also gut. Ich verspreche dir, nach meiner Trauerzeit, die ich bestimme, eine neue Frau als Weib zu nehmen. Die Kinder brauchen eine Mutter. Aber ich kann sie niemals so lieben, wie ich dich liebe. Diese Liebe bleibt für immer dein.“
Iliah dankte ihm mit einem Kuss für sein Versprechen. Nach einer kurzen Pause sprach sie leise weiter: „Liebster, ich muss dich noch um etwas bitten, da ich selber dazu nicht mehr in der Lage bin.“
Iliah seufzte, schloß kurz die Augen. Sie tastete hinter ihren Hals und öffnete den Verschluss ihrer Kette.
„Kannst du diese Kette Anysa geben? Ich hatte schon immer vor, meiner Tochter die Kette zu schenken. Ich bekam sie von meiner Mutter und will sie nun an Anysa weiter reichen. Dies ist mein Erbe.“
Andero wollte ihr widersprechen, wie so oft an diesem Tag.
„Ich werde deinem Wunsch entsprechen. Anysa wird die Kette erhalten, Liebste.“
„Ich liebe dich so sehr, Iliah“, sagte Andero erneut. Doch er erhielt keine Antwort mehr. Panik ergriff ihn und er schaute in ihr Gesicht. Gebrochene Augen starrten ihn an, tote Augen. Iliah war gestorben, in seinen Armen. Er schloß ihre Augen, drückte seine Frau fest an sich und gab ihr einen letzten Kuss auf die noch warmen Lippen. Er wiegte sich mit ihr hin und her, konnte nicht glauben, dass sie tatsächlich tot war.
In dem Augenblick ihres Todes erlöschten die letzten Sonnenstrahlen und die Welt versank in tiefe Dunkelheit. Die Nacht brach endgültig herein.