Kapitel 8 – Anagard
Erfurcht ergriff die elbische Gruppe. Langsam liefen sie den Pfad weiter, der sie seit Tagen durch diesen geheimen Teil des Hyranigebirges geführt hatte. Was sie nun erblickten, hatten vor ihnen nur wenige zu Gesicht bekommen.
Vor ihnen eröffnete sich ein riesiges Tal, dessen Ende nur zu erahnen war. Sie befanden sich eigentlich schon in einer Schlucht, doch ging es hier nochmals mehrer hundert Meter abwärts. Die Berge des Hyranigebirges mussten am unteren Ende dieses Tals mehrere Meilen in die Höhe ragen. Die Sonne schien nur dann in das Tal, wenn sie im Zenit stand. Sonst herrschte dort Zwielicht und ewiger Schatten.
In diesem Tal, umgeben von riesigen Felsformationen, ruhte ein See, dessen Ufer direkt an den Felswänden endete. Es war nicht möglich, den See zu umrunden, da das Ufer nur wenige Zentimeter breit war und nur ein Weg an den Rand des Wassers führte.
Irgendetwas schien eigenartig an diesem See zu sein. Einerseits wirkte er wunderschön und harmonisch, passte perfekt in diese Umgebung. Andererseits lag ein Hauch von Gefahr über dem See, wie eine Warnung, diesen nicht zu betreten.
Sindor sah, wie ein Blatt von einem Baum am Ufer ins Wasser fiel und sich sogleich auflöste. Ein leises Zischen war zu hören und das Blatt wurde zersetzt, als bestünde der See aus Säure. Dieser See, der Gersasee genannt wurde, war nicht nur schön sondern auch überaus tödlich.
In der Mitte des Gerasees lag die Insel Traseb. Sie maß ca. zwei Meilen im Durchmesser und war nur sehr spärlich bewachsen. Ein paar Bäume und Sträucher zierten das kleine Ufer. Die Trasebberge türmten sich senkrecht der Sonne entgegen. Auf deren Spitze leuchtete der immer währende Schnee. Inmitten dieser Türme stand das eigentliche Ziel der elbischen Gruppe. Der Rentvo, ein Turm, längst nicht so hoch wie die Trasebberge, war an der Spitze wie eine Plattform geformt. Und dort oben, auf dem Plateau, stand das Zeitportal. Sie hatten Anagard erreicht.
Hoch über Anagard flog ein kleiner Drache. Kaum größer als ein Hund kreißte er oberhalb des Sees. Die verhassten Elben hatten ihn noch nicht entdeckt. Lang musste er suchen, um die Reisenden im Hyranigebirge ausfindig zu machen. Lautes Gebrüll und Kampfeslärm lockte ihn schließlich zu den Elben. Er fand sie, als sie gerade von den Monstern angegriffen wurden. Insgeheim hatte der Drache gehofft, die Gorlacks würden die Elben töten. Dann hätte er versucht, sich das Kind anzueignen. Was wäre das für ein Spaß geworden. Leider fielen nicht genug Spitzohren den Gorlacks zum Opfer. Enttäuscht war er den Elben weiter gefolgt.
In diesen mysteriösen Wald war er jedoch nicht geflogen. Lange hatten sie für die Durchquerung gebraucht und irgendetwas war dort drinnen geschehen. Dieser Wald war böse, sehr böse sogar. Irgendwann kamen sie dann an diesen See mit den eigenartigen Bergen und dieser Insel.
Seit dem kreißt er seine Bahnen über den Gerasee. Hier ging es nicht weiter. Das einzige Ziel konnte nur diese Insel sein. Mit ein paar Schlägen seiner Flügel änderte er seine Flugrichtung und begab sich wieder auf den Rückweg. So schnell wie möglich wollte er zu den warteten Murlocks, um ihnen den Aufenthaltsort der Elben mitzuteilen. Sein Herr und Meister Nordazu hatte ihn zu den Murlocks geschickt, um diese besser zu kontrollieren und Nordazus Befehle zu überbringen.
Sollte alles nach Plan verlaufen, würde er eine fette Belohnung erhalten. „Das hast du sehr gut gemacht, Asper!“, würde sein Herr zu ihm sagen. Vielleicht bekam er das Baby zum spielen. Das wäre schön: spielen, töten, fressen, lecker. So junges Fleisch war sehr zart und wohl bekömmlich. Vor allem aber waren Babys nur sehr schwere zu bekommen, eben eine Delikatesse. So schnell wie möglich flog er zurück zu den Murlocks.
Niemand bemerkte den kleinen Drachen der hoch über ihren Köpfen seine Bahnen zog und bald davon flog. Sindor beschäftigte ein anderes Problem. Wie kamen sie heil auf die Insel? Er hatte das Blatt gesehen, das sich auflöste, als es ins Wasser fiel.
„Wir müssen ein Floß bauen und übersetzen“, sagte er zu den anderen Elben. Tanako hob einen Ast vom Boden auf und warf ihn ins Wasser. Er löste sich genauso schnell auf wie das Blatt. Tanako zeigte auf diese Stelle und sagte: „Das wird mit uns genauso passieren. Holz ist nicht sicher auf diesem See.“
Filsondre nickte ihm zu. „Deshalb habe ich auch etwas mitgebracht. Ich wusste um die Kräfte des Gerasees.“
Er kramte in seiner Tasche und förderte ein kleines Töpfchen zu Tage. „Hiermit reiben wir das Floß ein. Es bietet uns Schutz vor der zerstörerischen Macht des Wassers.“
Filsondre zog sein Schwert aus der Scheide und ging zum nächsten Baum. Mit einem weit ausholendem Hieb schlug er auf den dicken Baumstamm ein, bis er ihn zu Fall brachte. Die anderen Elben folgten seinem Beispiel. Lange hielt es Filsondre aber nicht durch. Seine Verletzungen machten sich bemerkbar und er musste einen Moment pausieren. Tanako trat an seine Seite, gab ihm Anysa und nahm sich Filsondres Schwert. Rhythmisch schlug er auf den Baum ein, um ihn soweit zu zerkleinern, dass sie ein Floß bauen konnten. Viele Stunden dauerte der Bau des Floßes. Zeit, in der ihre Verfolger immer näher kamen.
Nach stundenlanger harter Arbeit hatte es die handvoll Elben endlich geschafft. Ein Floß von vier mal vier Metern war zusammen gebaut. Bevor sie die einzelnen Stämme zusammen binden konnten, hatte Filsondre diese mit der Substanz aus dem Töpfchen eingeschmiert. Da die Paste erst in das Holz einziehen musste, schlugen die fünf Elben dort ihr Lager auf. Feuer konnten sie keines entfachen, es würde weithin sichtbar sein. So verbrachten sie schweigend den Abend und teilten die Nachtwache ein.
Am nächsten Morgen packten sie ihre Habseligkeiten und machten sich auf den Weg. Gemeinsam brachten Sie das Floß zu Wasser, achteten genau darauf, keinen Tropfen abzubekommen. Schnell waren alle auf dem Floß versammelt und Tanako stieß es mit einer Stake vom Ufer ab.
Langsam kamen sie voran. Sindor stand beim Ruder und steuerte direkt auf die Trasebberge zu. Sie benötigten fast den gesamten Tag bis zum Ufer der Insel.
Auf der Insel gab es nur einen Eingang, um die Berg zu durchqueren und ins Innere zum Rentvo zu gelangen. Die Dunkelheit brach bereits herein und ließ die Berge bedrohlich erscheinen. Tiefe Schatten legten sich auf das Floß mit den Passagieren, als wolle es sie warnen, die Insel zu betreten.
Ein leiser Schrei war zu hören. Für das menschliche Ohr nicht hörbar, doch elbische Spitzohren waren empfindlicher und nahmen diesen hohen Schrei wahr. Die Elben blickten in die Richtung, aus der das Geräusch kam.
„Sie kommen“, flüsterte Filsondre. In diesem Moment erreichten Sie das Ufer und Tanako sprang sogleich mit Filsondre und Alarb vom Floß auf die Insel und zogen es aus dem Wasser. Vorerst waren sie hier sicher. Sie versteckten ihr Gefährt hinter einem Felsen, verwischten die Spuren und verschwanden zwischen den Bäumen. Schnell erreichten sie die Ausläufer der Trasebberge.
„Im Dunklen sollten wir nicht dieses Gebirge durchqueren. Böse Dinge verbergen sich hier“, erklärte Filsondre und drehte sich zu Alarb um.
„Ihr sucht einen geeigneten Lagerplatz für uns.“ Alarb nickte und war sogleich zwischen den Felsen verschwunden. Dorram hatte eine Hand am Schwertknauf und beobachtete ihre Umgebung. Tanako schaute sich suchend um. Auch er spürte die Gefahr, die sie hier umgab. Etwas Finsteres lauerte in den Bergen und dem mochte er lieber bei Tageslicht gegenüber treten. Nach einer Weile kehrte Alarb zurück und brachte die Elben und das Baby zu einem großen Spalt inmitten eines Felsen. Sie durchquerten den Spalt schnellen Schrittes und gelangten schließlich auf eine kleine Lichtung. Der Boden sah nie das Licht, da hohe Felswende wie Wächter jeden Sonnenstrahl abblockten.
„Wir müssen die Lichtung überqueren. Am anderen Ende gehen wir wieder durch einen Spalt und gelangen so zu einem sehr guten Versteck“, erklärte Alarb und trat auf die Lichtung hinaus. Ein Schatten am Himmel ließ ihn jedoch gleich diesen Schritt wieder rückgängig machen. Ein weiterer Schrei war zu hören. Die elbische Gruppe stand wieder in dem Spalt und lauschte gespannt.
„Noch haben sie uns nicht gefunden“, meinte Tanako. Ihm war nun klar, dass ihre Verfolger nicht mehr weit sein konnten. „Aber wie haben sie uns gefunden?“, stellte er die Frage mehr zu sich selbst als an eine bestimmte Person gerichtet. Doch es war Filsondre, der antwortete: „Nordazu wird seine dürren Finger wieder im Spiel haben und mit seine schwarzen Magie ist alles möglich.“
Er beschattete seine Augen mit der Hand. Eine völlig sinnlose Geste in der Dunkelheit, die er sich aber durch das jahrelange Zusammenleben mit den Menschen angeeignet hatte. „Nur was werden es dieses Mal für Dämonen sein?“
Dann konnte er die ersten geflügelten Wesen am Himmel erkennen. Ihre Flügelspannweite maß ungefähr fünf Meter. Sie hatten einen raubtierkatzenähnlichen Körper, jedoch ohne Schwanz. Mit Schrecken fiel ihm ein, wo er bereits von solchen Monstern gehört hatte.
In einem Dorf am Rückrat der Welt war er einst durchgereist. Viele Todesfälle erschütterten die dortigen Einwohner. Eine Gruppe von fünfzehn Jägern war in die Berge gegangen, um nach Beute zu suchen. Nur einer ist wieder zurückgekehrt. Schwer verletzt beschrieb er ein schlimmes Gemetzel, das ein Dämon angerichtet haben soll. Das Monster soll wie eine Raubkatze ausgesehen haben, jedoch mit Flügeln, ohne Schwanz und dreimal so hoch wie ein Mann.
„Murlocks!“, sprach Filsondre den Namen aus, den der Jäger damals benutzt hatte. Er zählte die Wesen am Himmel durch. Es waren an die zehn Murlocks!
Zwischen den riesigen Wesen flog ein kleiner Drache. Er sah wie ein Jungdrache aus, doch war sich Filsondre nicht sicher. Der Körperbau stimmte nicht mit denen der anderen überein. Der Anführer der Elben löste den Blick von dem kleinen Drachen und wendete sich Alarb zu. „Wie weit ist es noch?“ Alarb überlegte kurz.
„Von hier aus noch ungeführ fünfhundert Meter über diese Lichtung.“ Filsondre schaute erneut nach oben. Die Murlocks waren nicht mehr zu sehen, doch konnte er ihren Flügelschlag noch hören.
„Wir könnten doch die Lichtung umrunden, anstatt sie zu überqueren“, schlug Tanako vor. Alle richteten ihre Blicke auf die Bäume. Die Lichtung war zwar von Baumstämmen umsäumt, jedoch grenzten diese gleich an riesige Felsen. Sehr viel Deckung konnten diese auch nicht gewähren.
Anysa bewegte sich in Tanakos Tasche und begann leise zu wimmern. Tanako nahm sie aus dem Beutel und sprach leise auf sie ein.
„Bringt das Kind zum schweigen, sonst verrät sie uns noch!“, herrschte Filsondre Tanako plötzlich an. Alle Blicke richteten sich auf den Anführer der Gruppe. Solch ein Gefühlsausbruch war eher untypisch für einen Elben und erst recht für Filsondre. Tanako sparte sich jede Erwiderung. Er hob einen kleinen Ast vom Waldboden auf und gab ihn Anysa. Diese, nun zufrieden, mit etwas spielen zu können, beruhigte sich wieder. Ohne ein weiteres Wort ging Filsondre nach rechts. Mit leisen Schritten folgten die übrigen Elben seinem Beispiel und liefen so lautlos wie möglich entlang des Waldrandes.
Hin und wieder kamen sie an Spalten vorbei, die tief in den Felsen eingegraben waren. Manche waren so klein, das selbst Anysa nicht durchpassen würde. Andere waren um das vielfache größer. Tanako hörte aus manchen dieser großen Spalten ein leises Knurren. Er war sich nicht sicher, was dort eigentlich hauste. Ein Schatten fiel auf die Lichtung, ein Murlock kam der Gruppe gefährlich nahe. Es schnüffelte, konnte sie aber nicht ausfindig machen. Mit kräftigen Flügelschlägen erhob er sich wieder in den Himmel. Tanako griff nach Filsondres Schulter.
„Was sind das für Wesen?“, verlangte er zu wissen.
„Es sind Murlocks vom Rückrat der Welt“, antwortete Filsondre knapp.
„Sie sind doch hinter dem Kind her, oder?“ Tanako presste das kleine Baby liebevoll an seine Brust.
„Ja, so ist es. Murlocks sind Dämonen, die nur auf einen Herrn hören; dem Meistermagier Nordazu. Sie sind sehr gefährlich. Selbst wenn nur einer von ihnen da wäre, hätten wir schon ein Problem. Doch wollte Nordazu wohl kein Risiko eingehen und hat gleich zehn Murlocks gesandt. Sie dürfen uns nicht finden.“ In geduckter Haltung lief er weiter. Das Zwielicht nahm immer mehr zu.
Wie aus dem Nichts tauchte plötzlich Asper zwischen den Bäumen auf. Er stürzte sich sogleich auf Tanako und versuchte, ihm Anysa zu entreißen. Tanako reagierte augenblicklich und zog seinen Dolch aus dem Gürtel. Schnell stach er nach dem Drachen, kann ihm eine Schnitt zufügen. Verletzt ergriff Asper die Flucht. Mit lautem Geschrei rief er nach den Murlocks.
„Wir müssen zur anderen Seite der Lichtung. Schnell!“, rief Filsondre und rannte aus der schützenden Deckung der Bäume hinaus auf die Lichtung. Die Murlocks stürzten sich von oben auf die Elben. Tanako nahm seinen Bogen, zog die Sehne durch und traf einen Murlock direkt ins Auge. Vor Schmerzen aufschreiend gewann dieser gleich wieder an Höhe. Doch hatten die Elben keine Verschnaufpause. Die übrigen Monster starteten den nächsten Angriff.
Die Lichtung war nicht sehr groß und da alle Murlocks mit einmal angreifen wollten, behinderten diese sich gegenseitig. Filsondre und Alarb konnten Sie mit ihren Schwertern zurückhalten, während Sindor und Tanako mit Anysa weiter flüchtete. Da tauchte wieder der kleine Drache auf und versuchte erneut, Anysa anzugreifen. Tanako hatte noch den Bogen in der Hand und versuchte so, den Drachen zu verscheuchen. Sindor eilte ihm zu Hilfe und ging mit dem Messer auf das kleine Monster los. Die messerscharfen Krallen des Drachen verletzten den Kundschafter am Arm. Sindor schaffte es aber, ihn am Flügel einen langen Schnitt zu zufügen. Daraufhin floh der Drache wiederum und Tanako und Sindor waren mit Anysa auf der anderen Seite der Lichtung angelangt.
Filsondre, Alarb und Dorram jedoch kämpften weiter um ihr Leben. Die Murlocks hatten sich größtenteils zurückgezogen, damit nur noch zwei von ihnen gegen die Elben kämpften und sich nicht gegenseitig behinderten. Ein Murlock schaffte es näher an Dorram heran. Eine Klaue erwischte den Elben an seiner Schwerthand, so dass er seine Waffe fallen lassen musste. Ungeschützt wollte er das Monster mit dem Dolch in der linken Hand abwehren. Doch dieses griff ihn am Genick und war sogleich mit ihm in der Luft. Dorram schrie und versuchte sich zu verteidigen. Der Murlock wollte noch einmal zu fassen, verlor ihn dabei jedoch. Dorram stürzte zu Boden und blieb regungslos liegen.
Tanako, geschockt vom Absturz Dorrams, überlegte wie er den kämpfenden Elbenkriegern helfen konnte, da sah er im Wald plötzlich gelbe Augen aufleuchten und hörte wieder dieses eigenartige Knurren. Überall waren die Augen egal in welche Richtung er sich drehte. Schnell wie der Wind rannten sie aus allen Richtungen auf die Lichtung zu. Zuerst schien es, als würden diese fuchsartigen Wesen sich direkt auf Tanako und Sindor stürzen wollen. Doch rannten sie an den beiden vorbei und stürzten sich mit einem ohrenbetäubenden Geheul auf die Murlocks.
„Das sind Eras!“, meldete sich Sindor zu Wort. „Ich habe schon einmal von ihnen gelesen.“ Verwundert beobachteten die beiden, wie immer mehr Eras sich auf die Murlocks stürzten. Die riesigen Monster hatten sichtlich ihre Mühe mit den lästigen Tieren. Viele Eras kamen ums Leben, doch riss die Flut der kleinen Wesen einfach nicht ab. Filsondre und Alarb nutzten die Chance und liefen schnell zu dem am Boden liegenden Dorram. Sie hoben ihn auf und trugen ihn zu den beiden anderen Elben.
„Los weiter!“ rief Filsondre und war sogleich mit Alarb und Dorram im Wald verschwunden. Zwischen den Bäumen eröffnete sich wieder ein Felsen mit einer größeren Spalte. Breit genug, um darin zu stehen und ausreichend als Lagerplatz. Der Wald war sehr gut zu überblicken und nur von einer Richtung konnten Angreifer kommen. Sie legten Dorram im hinteren Teil der Spalte ab.
Ein Schatten verdunkelte den Eingang und ein Murlock versuchte mit den Krallen an die Elben zu kommen. Sindor konnte nicht schnell genug ausweichen und hatte plötzlich die Krallen in seinem Umhang. Er fiel zu Boden und wurde zum Ausgang gezerrt. Die anderen Elben hielten ihn fest und stachen auf die Pfote des Murlocks ein. Während dessen kam Asper hinzu und stürzte sich erneut auf Tanako und Anysa. Er konnte seine Flugbewegungen kaum koordinieren, da er Probleme mit seinem verletzten Flügel hatte. Filsondre sah die Ausweglosigkeit, die Pfote weiter zu bearbeiten und begann, den Umhang Sindors abzuschneiden. Alarb half ihm dabei und augenblicklich war Sindor wieder frei. Sogleich halfen sie Tanako, das kleine Monster los zu werden. Der Drache sah die Überzahl auf sich zustürmen und ergriff erneut die Flucht.
Tief in die Spalte verkrochen sich die Elben, während der Murlock noch immer versuchte ihrer habhaft zu werden. Ein vielstimmiges Knurren war wieder zu hören und die kleinen Eras waren erneut da und stürzen sich auf das riesige Monster. Dieses versuchte sich zu wehren, schleuderte ein Eras nach dam anderen in den Wald oder gegen den Felsen. Als es aber immer mehr wurden, ergriff der Murlock, genauso wie der kleine Drache, die Flucht. Die kleinen Helfer schauten kurz in den Spalt hinein, als wollten sie sich vergewissern, dass alle Elben noch da und wohlauf waren. Ein paar Eras blieben am Eingang sitzen, die anderen kehrten in den Wald zurück.
Die Dunkelheit war nun endgültig herein gebrochen. Alarb sammelte im Schutz der Nacht etwas Holz und sie entzünden ein kleines Feuer.
„Warum haben uns die Tiere geholfen?“, fragte Tanako an Sindor gewandt.
„Wir wurden auf Traseb erwartet. Es sind die Wächter dieser Insel.“ beantwortete Filsondre die Frage. Tanako schaute ihn verständnislos an. „Dies ist eben ein eigenartiger Ort. Wir können froh sein, das sie uns zur Hilfe geeilt sind“, meinte Sindor.
Er ging zu Dorram und untersuchte seine Verletzungen. Mit einem Stöhnen öffnete dieser die Augen. „Wie geht es Euch?“, fragte ihn der Kundschafter.
„Ich denke ganz gut. Ich fühle mich nur etwas matt“, versuchte Dorram zu sprechen.
Sindor ging zu seiner Tasche und holte eine Salbe heraus mit der er Dorrams Verletzungen versorgte. „Schlaft jetzt. Morgen wird es Euch besser gehen.“
Dorram nickte, schloss die Augen und war bald eingeschlafen. Der Kundschafter ging zu den übrigen Elben an das Lagerfeuer.
„Wie geht es ihm?“, erkundigte sich Tanako nach dem Verletzten.
„Seine Verletzungen sind nicht schlimm. Er hat sich nichts gebrochen. Der Sturz war zwar gefährlich, doch mit etwas Ruhe geht es ihm bald besser. Morgen wird er wieder auf den Beinen sein. Aber voll kampffähig ist er dann noch nicht.“
Tanako nickte zufrieden und beobachtete Anysa in seinen Armen, die gerade eine Flasche Milch trank. Wieder hatte Tanako dieses eigenartige Gefühl in seiner Brust das ihn überkam, wenn er Anysa anschaute. Es zeriss ihm schier das Herz, wenn er an all die Gefahren dachte, die das kleine Mädchen bereits jetzt bedrohte. Er musste an Iliah denken, der er ein Versprechen geben musste, immer auf Anysa zu achten und sie vor allem zu beschützen. Ob ihr Vater Andero und ihr Bruder Aris noch lebten? Tanako spürte noch immer diese Aura der Magie bei Anysa. Sanft strich er ihr über das kleine Köpfchen. Die blauen Augen schauten ihn interessiert an. Bevor sie sich wieder voll und ganz der Flasche widmet.
„Ihr hegt große Gefühle für ein fremdes Kind, Tanako!“, unterbrach Filsondre diese Innigkeit. Tanako, der sich schon öfters solche Bemerkungen von Filsondre anhören musste, wollte ihm eine passende Antwort geben, als Sindor ihn unterbrach.
„Einer muss sich doch um das Kind kümmern, Filsondre. Tanako war nun einmal als erster bei Iliah. Er kennt am besten die kleine Anysa. Es geht hier um sie und nicht um irgendwelche Gefühle oder Unstimmigkeiten.“
Filsondre stand auf und ging ohne eine Wort zu erwidern zum Ausgang. Wie viel Krieger mussten wegen eines Babys schon sterben? Und das wegen eines Halbblutes. Immer wieder fragte er sich, ob mit der Prophezeiung Anysa gemeint war. Wie sollte sie gegen Anaruba bestehen und sein Heer besiegen? Das sie Tanako so um den Finger gewickelt hatte zeigte deutlich, das sie mit den bösen Mächten im Bunde stand. Die Murlocks waren nur Ablenkung.
Während Filsondre mit sich haderte, legten die übrigen Elben sich schlafen. Der Anführer übernahm die erste Wache. Still beobachtete er den dunklen Wald. Die Eras lagen nicht weit entfernt und horchten bei jedem Geräusch auf. Filsondre schaute zu der schlafenden Anysa hinüber.
„Sie wird Umheil über uns bringen“ flüsterte er. Doch er hatte seine Befehle vom König persönlich erhalten, das Kind heil zum Zeitportal zu bringen.
Erfurcht ergriff die elbische Gruppe. Langsam liefen sie den Pfad weiter, der sie seit Tagen durch diesen geheimen Teil des Hyranigebirges geführt hatte. Was sie nun erblickten, hatten vor ihnen nur wenige zu Gesicht bekommen.
Vor ihnen eröffnete sich ein riesiges Tal, dessen Ende nur zu erahnen war. Sie befanden sich eigentlich schon in einer Schlucht, doch ging es hier nochmals mehrer hundert Meter abwärts. Die Berge des Hyranigebirges mussten am unteren Ende dieses Tals mehrere Meilen in die Höhe ragen. Die Sonne schien nur dann in das Tal, wenn sie im Zenit stand. Sonst herrschte dort Zwielicht und ewiger Schatten.
In diesem Tal, umgeben von riesigen Felsformationen, ruhte ein See, dessen Ufer direkt an den Felswänden endete. Es war nicht möglich, den See zu umrunden, da das Ufer nur wenige Zentimeter breit war und nur ein Weg an den Rand des Wassers führte.
Irgendetwas schien eigenartig an diesem See zu sein. Einerseits wirkte er wunderschön und harmonisch, passte perfekt in diese Umgebung. Andererseits lag ein Hauch von Gefahr über dem See, wie eine Warnung, diesen nicht zu betreten.
Sindor sah, wie ein Blatt von einem Baum am Ufer ins Wasser fiel und sich sogleich auflöste. Ein leises Zischen war zu hören und das Blatt wurde zersetzt, als bestünde der See aus Säure. Dieser See, der Gersasee genannt wurde, war nicht nur schön sondern auch überaus tödlich.
In der Mitte des Gerasees lag die Insel Traseb. Sie maß ca. zwei Meilen im Durchmesser und war nur sehr spärlich bewachsen. Ein paar Bäume und Sträucher zierten das kleine Ufer. Die Trasebberge türmten sich senkrecht der Sonne entgegen. Auf deren Spitze leuchtete der immer währende Schnee. Inmitten dieser Türme stand das eigentliche Ziel der elbischen Gruppe. Der Rentvo, ein Turm, längst nicht so hoch wie die Trasebberge, war an der Spitze wie eine Plattform geformt. Und dort oben, auf dem Plateau, stand das Zeitportal. Sie hatten Anagard erreicht.
Hoch über Anagard flog ein kleiner Drache. Kaum größer als ein Hund kreißte er oberhalb des Sees. Die verhassten Elben hatten ihn noch nicht entdeckt. Lang musste er suchen, um die Reisenden im Hyranigebirge ausfindig zu machen. Lautes Gebrüll und Kampfeslärm lockte ihn schließlich zu den Elben. Er fand sie, als sie gerade von den Monstern angegriffen wurden. Insgeheim hatte der Drache gehofft, die Gorlacks würden die Elben töten. Dann hätte er versucht, sich das Kind anzueignen. Was wäre das für ein Spaß geworden. Leider fielen nicht genug Spitzohren den Gorlacks zum Opfer. Enttäuscht war er den Elben weiter gefolgt.
In diesen mysteriösen Wald war er jedoch nicht geflogen. Lange hatten sie für die Durchquerung gebraucht und irgendetwas war dort drinnen geschehen. Dieser Wald war böse, sehr böse sogar. Irgendwann kamen sie dann an diesen See mit den eigenartigen Bergen und dieser Insel.
Seit dem kreißt er seine Bahnen über den Gerasee. Hier ging es nicht weiter. Das einzige Ziel konnte nur diese Insel sein. Mit ein paar Schlägen seiner Flügel änderte er seine Flugrichtung und begab sich wieder auf den Rückweg. So schnell wie möglich wollte er zu den warteten Murlocks, um ihnen den Aufenthaltsort der Elben mitzuteilen. Sein Herr und Meister Nordazu hatte ihn zu den Murlocks geschickt, um diese besser zu kontrollieren und Nordazus Befehle zu überbringen.
Sollte alles nach Plan verlaufen, würde er eine fette Belohnung erhalten. „Das hast du sehr gut gemacht, Asper!“, würde sein Herr zu ihm sagen. Vielleicht bekam er das Baby zum spielen. Das wäre schön: spielen, töten, fressen, lecker. So junges Fleisch war sehr zart und wohl bekömmlich. Vor allem aber waren Babys nur sehr schwere zu bekommen, eben eine Delikatesse. So schnell wie möglich flog er zurück zu den Murlocks.
Niemand bemerkte den kleinen Drachen der hoch über ihren Köpfen seine Bahnen zog und bald davon flog. Sindor beschäftigte ein anderes Problem. Wie kamen sie heil auf die Insel? Er hatte das Blatt gesehen, das sich auflöste, als es ins Wasser fiel.
„Wir müssen ein Floß bauen und übersetzen“, sagte er zu den anderen Elben. Tanako hob einen Ast vom Boden auf und warf ihn ins Wasser. Er löste sich genauso schnell auf wie das Blatt. Tanako zeigte auf diese Stelle und sagte: „Das wird mit uns genauso passieren. Holz ist nicht sicher auf diesem See.“
Filsondre nickte ihm zu. „Deshalb habe ich auch etwas mitgebracht. Ich wusste um die Kräfte des Gerasees.“
Er kramte in seiner Tasche und förderte ein kleines Töpfchen zu Tage. „Hiermit reiben wir das Floß ein. Es bietet uns Schutz vor der zerstörerischen Macht des Wassers.“
Filsondre zog sein Schwert aus der Scheide und ging zum nächsten Baum. Mit einem weit ausholendem Hieb schlug er auf den dicken Baumstamm ein, bis er ihn zu Fall brachte. Die anderen Elben folgten seinem Beispiel. Lange hielt es Filsondre aber nicht durch. Seine Verletzungen machten sich bemerkbar und er musste einen Moment pausieren. Tanako trat an seine Seite, gab ihm Anysa und nahm sich Filsondres Schwert. Rhythmisch schlug er auf den Baum ein, um ihn soweit zu zerkleinern, dass sie ein Floß bauen konnten. Viele Stunden dauerte der Bau des Floßes. Zeit, in der ihre Verfolger immer näher kamen.
Nach stundenlanger harter Arbeit hatte es die handvoll Elben endlich geschafft. Ein Floß von vier mal vier Metern war zusammen gebaut. Bevor sie die einzelnen Stämme zusammen binden konnten, hatte Filsondre diese mit der Substanz aus dem Töpfchen eingeschmiert. Da die Paste erst in das Holz einziehen musste, schlugen die fünf Elben dort ihr Lager auf. Feuer konnten sie keines entfachen, es würde weithin sichtbar sein. So verbrachten sie schweigend den Abend und teilten die Nachtwache ein.
Am nächsten Morgen packten sie ihre Habseligkeiten und machten sich auf den Weg. Gemeinsam brachten Sie das Floß zu Wasser, achteten genau darauf, keinen Tropfen abzubekommen. Schnell waren alle auf dem Floß versammelt und Tanako stieß es mit einer Stake vom Ufer ab.
Langsam kamen sie voran. Sindor stand beim Ruder und steuerte direkt auf die Trasebberge zu. Sie benötigten fast den gesamten Tag bis zum Ufer der Insel.
Auf der Insel gab es nur einen Eingang, um die Berg zu durchqueren und ins Innere zum Rentvo zu gelangen. Die Dunkelheit brach bereits herein und ließ die Berge bedrohlich erscheinen. Tiefe Schatten legten sich auf das Floß mit den Passagieren, als wolle es sie warnen, die Insel zu betreten.
Ein leiser Schrei war zu hören. Für das menschliche Ohr nicht hörbar, doch elbische Spitzohren waren empfindlicher und nahmen diesen hohen Schrei wahr. Die Elben blickten in die Richtung, aus der das Geräusch kam.
„Sie kommen“, flüsterte Filsondre. In diesem Moment erreichten Sie das Ufer und Tanako sprang sogleich mit Filsondre und Alarb vom Floß auf die Insel und zogen es aus dem Wasser. Vorerst waren sie hier sicher. Sie versteckten ihr Gefährt hinter einem Felsen, verwischten die Spuren und verschwanden zwischen den Bäumen. Schnell erreichten sie die Ausläufer der Trasebberge.
„Im Dunklen sollten wir nicht dieses Gebirge durchqueren. Böse Dinge verbergen sich hier“, erklärte Filsondre und drehte sich zu Alarb um.
„Ihr sucht einen geeigneten Lagerplatz für uns.“ Alarb nickte und war sogleich zwischen den Felsen verschwunden. Dorram hatte eine Hand am Schwertknauf und beobachtete ihre Umgebung. Tanako schaute sich suchend um. Auch er spürte die Gefahr, die sie hier umgab. Etwas Finsteres lauerte in den Bergen und dem mochte er lieber bei Tageslicht gegenüber treten. Nach einer Weile kehrte Alarb zurück und brachte die Elben und das Baby zu einem großen Spalt inmitten eines Felsen. Sie durchquerten den Spalt schnellen Schrittes und gelangten schließlich auf eine kleine Lichtung. Der Boden sah nie das Licht, da hohe Felswende wie Wächter jeden Sonnenstrahl abblockten.
„Wir müssen die Lichtung überqueren. Am anderen Ende gehen wir wieder durch einen Spalt und gelangen so zu einem sehr guten Versteck“, erklärte Alarb und trat auf die Lichtung hinaus. Ein Schatten am Himmel ließ ihn jedoch gleich diesen Schritt wieder rückgängig machen. Ein weiterer Schrei war zu hören. Die elbische Gruppe stand wieder in dem Spalt und lauschte gespannt.
„Noch haben sie uns nicht gefunden“, meinte Tanako. Ihm war nun klar, dass ihre Verfolger nicht mehr weit sein konnten. „Aber wie haben sie uns gefunden?“, stellte er die Frage mehr zu sich selbst als an eine bestimmte Person gerichtet. Doch es war Filsondre, der antwortete: „Nordazu wird seine dürren Finger wieder im Spiel haben und mit seine schwarzen Magie ist alles möglich.“
Er beschattete seine Augen mit der Hand. Eine völlig sinnlose Geste in der Dunkelheit, die er sich aber durch das jahrelange Zusammenleben mit den Menschen angeeignet hatte. „Nur was werden es dieses Mal für Dämonen sein?“
Dann konnte er die ersten geflügelten Wesen am Himmel erkennen. Ihre Flügelspannweite maß ungefähr fünf Meter. Sie hatten einen raubtierkatzenähnlichen Körper, jedoch ohne Schwanz. Mit Schrecken fiel ihm ein, wo er bereits von solchen Monstern gehört hatte.
In einem Dorf am Rückrat der Welt war er einst durchgereist. Viele Todesfälle erschütterten die dortigen Einwohner. Eine Gruppe von fünfzehn Jägern war in die Berge gegangen, um nach Beute zu suchen. Nur einer ist wieder zurückgekehrt. Schwer verletzt beschrieb er ein schlimmes Gemetzel, das ein Dämon angerichtet haben soll. Das Monster soll wie eine Raubkatze ausgesehen haben, jedoch mit Flügeln, ohne Schwanz und dreimal so hoch wie ein Mann.
„Murlocks!“, sprach Filsondre den Namen aus, den der Jäger damals benutzt hatte. Er zählte die Wesen am Himmel durch. Es waren an die zehn Murlocks!
Zwischen den riesigen Wesen flog ein kleiner Drache. Er sah wie ein Jungdrache aus, doch war sich Filsondre nicht sicher. Der Körperbau stimmte nicht mit denen der anderen überein. Der Anführer der Elben löste den Blick von dem kleinen Drachen und wendete sich Alarb zu. „Wie weit ist es noch?“ Alarb überlegte kurz.
„Von hier aus noch ungeführ fünfhundert Meter über diese Lichtung.“ Filsondre schaute erneut nach oben. Die Murlocks waren nicht mehr zu sehen, doch konnte er ihren Flügelschlag noch hören.
„Wir könnten doch die Lichtung umrunden, anstatt sie zu überqueren“, schlug Tanako vor. Alle richteten ihre Blicke auf die Bäume. Die Lichtung war zwar von Baumstämmen umsäumt, jedoch grenzten diese gleich an riesige Felsen. Sehr viel Deckung konnten diese auch nicht gewähren.
Anysa bewegte sich in Tanakos Tasche und begann leise zu wimmern. Tanako nahm sie aus dem Beutel und sprach leise auf sie ein.
„Bringt das Kind zum schweigen, sonst verrät sie uns noch!“, herrschte Filsondre Tanako plötzlich an. Alle Blicke richteten sich auf den Anführer der Gruppe. Solch ein Gefühlsausbruch war eher untypisch für einen Elben und erst recht für Filsondre. Tanako sparte sich jede Erwiderung. Er hob einen kleinen Ast vom Waldboden auf und gab ihn Anysa. Diese, nun zufrieden, mit etwas spielen zu können, beruhigte sich wieder. Ohne ein weiteres Wort ging Filsondre nach rechts. Mit leisen Schritten folgten die übrigen Elben seinem Beispiel und liefen so lautlos wie möglich entlang des Waldrandes.
Hin und wieder kamen sie an Spalten vorbei, die tief in den Felsen eingegraben waren. Manche waren so klein, das selbst Anysa nicht durchpassen würde. Andere waren um das vielfache größer. Tanako hörte aus manchen dieser großen Spalten ein leises Knurren. Er war sich nicht sicher, was dort eigentlich hauste. Ein Schatten fiel auf die Lichtung, ein Murlock kam der Gruppe gefährlich nahe. Es schnüffelte, konnte sie aber nicht ausfindig machen. Mit kräftigen Flügelschlägen erhob er sich wieder in den Himmel. Tanako griff nach Filsondres Schulter.
„Was sind das für Wesen?“, verlangte er zu wissen.
„Es sind Murlocks vom Rückrat der Welt“, antwortete Filsondre knapp.
„Sie sind doch hinter dem Kind her, oder?“ Tanako presste das kleine Baby liebevoll an seine Brust.
„Ja, so ist es. Murlocks sind Dämonen, die nur auf einen Herrn hören; dem Meistermagier Nordazu. Sie sind sehr gefährlich. Selbst wenn nur einer von ihnen da wäre, hätten wir schon ein Problem. Doch wollte Nordazu wohl kein Risiko eingehen und hat gleich zehn Murlocks gesandt. Sie dürfen uns nicht finden.“ In geduckter Haltung lief er weiter. Das Zwielicht nahm immer mehr zu.
Wie aus dem Nichts tauchte plötzlich Asper zwischen den Bäumen auf. Er stürzte sich sogleich auf Tanako und versuchte, ihm Anysa zu entreißen. Tanako reagierte augenblicklich und zog seinen Dolch aus dem Gürtel. Schnell stach er nach dem Drachen, kann ihm eine Schnitt zufügen. Verletzt ergriff Asper die Flucht. Mit lautem Geschrei rief er nach den Murlocks.
„Wir müssen zur anderen Seite der Lichtung. Schnell!“, rief Filsondre und rannte aus der schützenden Deckung der Bäume hinaus auf die Lichtung. Die Murlocks stürzten sich von oben auf die Elben. Tanako nahm seinen Bogen, zog die Sehne durch und traf einen Murlock direkt ins Auge. Vor Schmerzen aufschreiend gewann dieser gleich wieder an Höhe. Doch hatten die Elben keine Verschnaufpause. Die übrigen Monster starteten den nächsten Angriff.
Die Lichtung war nicht sehr groß und da alle Murlocks mit einmal angreifen wollten, behinderten diese sich gegenseitig. Filsondre und Alarb konnten Sie mit ihren Schwertern zurückhalten, während Sindor und Tanako mit Anysa weiter flüchtete. Da tauchte wieder der kleine Drache auf und versuchte erneut, Anysa anzugreifen. Tanako hatte noch den Bogen in der Hand und versuchte so, den Drachen zu verscheuchen. Sindor eilte ihm zu Hilfe und ging mit dem Messer auf das kleine Monster los. Die messerscharfen Krallen des Drachen verletzten den Kundschafter am Arm. Sindor schaffte es aber, ihn am Flügel einen langen Schnitt zu zufügen. Daraufhin floh der Drache wiederum und Tanako und Sindor waren mit Anysa auf der anderen Seite der Lichtung angelangt.
Filsondre, Alarb und Dorram jedoch kämpften weiter um ihr Leben. Die Murlocks hatten sich größtenteils zurückgezogen, damit nur noch zwei von ihnen gegen die Elben kämpften und sich nicht gegenseitig behinderten. Ein Murlock schaffte es näher an Dorram heran. Eine Klaue erwischte den Elben an seiner Schwerthand, so dass er seine Waffe fallen lassen musste. Ungeschützt wollte er das Monster mit dem Dolch in der linken Hand abwehren. Doch dieses griff ihn am Genick und war sogleich mit ihm in der Luft. Dorram schrie und versuchte sich zu verteidigen. Der Murlock wollte noch einmal zu fassen, verlor ihn dabei jedoch. Dorram stürzte zu Boden und blieb regungslos liegen.
Tanako, geschockt vom Absturz Dorrams, überlegte wie er den kämpfenden Elbenkriegern helfen konnte, da sah er im Wald plötzlich gelbe Augen aufleuchten und hörte wieder dieses eigenartige Knurren. Überall waren die Augen egal in welche Richtung er sich drehte. Schnell wie der Wind rannten sie aus allen Richtungen auf die Lichtung zu. Zuerst schien es, als würden diese fuchsartigen Wesen sich direkt auf Tanako und Sindor stürzen wollen. Doch rannten sie an den beiden vorbei und stürzten sich mit einem ohrenbetäubenden Geheul auf die Murlocks.
„Das sind Eras!“, meldete sich Sindor zu Wort. „Ich habe schon einmal von ihnen gelesen.“ Verwundert beobachteten die beiden, wie immer mehr Eras sich auf die Murlocks stürzten. Die riesigen Monster hatten sichtlich ihre Mühe mit den lästigen Tieren. Viele Eras kamen ums Leben, doch riss die Flut der kleinen Wesen einfach nicht ab. Filsondre und Alarb nutzten die Chance und liefen schnell zu dem am Boden liegenden Dorram. Sie hoben ihn auf und trugen ihn zu den beiden anderen Elben.
„Los weiter!“ rief Filsondre und war sogleich mit Alarb und Dorram im Wald verschwunden. Zwischen den Bäumen eröffnete sich wieder ein Felsen mit einer größeren Spalte. Breit genug, um darin zu stehen und ausreichend als Lagerplatz. Der Wald war sehr gut zu überblicken und nur von einer Richtung konnten Angreifer kommen. Sie legten Dorram im hinteren Teil der Spalte ab.
Ein Schatten verdunkelte den Eingang und ein Murlock versuchte mit den Krallen an die Elben zu kommen. Sindor konnte nicht schnell genug ausweichen und hatte plötzlich die Krallen in seinem Umhang. Er fiel zu Boden und wurde zum Ausgang gezerrt. Die anderen Elben hielten ihn fest und stachen auf die Pfote des Murlocks ein. Während dessen kam Asper hinzu und stürzte sich erneut auf Tanako und Anysa. Er konnte seine Flugbewegungen kaum koordinieren, da er Probleme mit seinem verletzten Flügel hatte. Filsondre sah die Ausweglosigkeit, die Pfote weiter zu bearbeiten und begann, den Umhang Sindors abzuschneiden. Alarb half ihm dabei und augenblicklich war Sindor wieder frei. Sogleich halfen sie Tanako, das kleine Monster los zu werden. Der Drache sah die Überzahl auf sich zustürmen und ergriff erneut die Flucht.
Tief in die Spalte verkrochen sich die Elben, während der Murlock noch immer versuchte ihrer habhaft zu werden. Ein vielstimmiges Knurren war wieder zu hören und die kleinen Eras waren erneut da und stürzen sich auf das riesige Monster. Dieses versuchte sich zu wehren, schleuderte ein Eras nach dam anderen in den Wald oder gegen den Felsen. Als es aber immer mehr wurden, ergriff der Murlock, genauso wie der kleine Drache, die Flucht. Die kleinen Helfer schauten kurz in den Spalt hinein, als wollten sie sich vergewissern, dass alle Elben noch da und wohlauf waren. Ein paar Eras blieben am Eingang sitzen, die anderen kehrten in den Wald zurück.
Die Dunkelheit war nun endgültig herein gebrochen. Alarb sammelte im Schutz der Nacht etwas Holz und sie entzünden ein kleines Feuer.
„Warum haben uns die Tiere geholfen?“, fragte Tanako an Sindor gewandt.
„Wir wurden auf Traseb erwartet. Es sind die Wächter dieser Insel.“ beantwortete Filsondre die Frage. Tanako schaute ihn verständnislos an. „Dies ist eben ein eigenartiger Ort. Wir können froh sein, das sie uns zur Hilfe geeilt sind“, meinte Sindor.
Er ging zu Dorram und untersuchte seine Verletzungen. Mit einem Stöhnen öffnete dieser die Augen. „Wie geht es Euch?“, fragte ihn der Kundschafter.
„Ich denke ganz gut. Ich fühle mich nur etwas matt“, versuchte Dorram zu sprechen.
Sindor ging zu seiner Tasche und holte eine Salbe heraus mit der er Dorrams Verletzungen versorgte. „Schlaft jetzt. Morgen wird es Euch besser gehen.“
Dorram nickte, schloss die Augen und war bald eingeschlafen. Der Kundschafter ging zu den übrigen Elben an das Lagerfeuer.
„Wie geht es ihm?“, erkundigte sich Tanako nach dem Verletzten.
„Seine Verletzungen sind nicht schlimm. Er hat sich nichts gebrochen. Der Sturz war zwar gefährlich, doch mit etwas Ruhe geht es ihm bald besser. Morgen wird er wieder auf den Beinen sein. Aber voll kampffähig ist er dann noch nicht.“
Tanako nickte zufrieden und beobachtete Anysa in seinen Armen, die gerade eine Flasche Milch trank. Wieder hatte Tanako dieses eigenartige Gefühl in seiner Brust das ihn überkam, wenn er Anysa anschaute. Es zeriss ihm schier das Herz, wenn er an all die Gefahren dachte, die das kleine Mädchen bereits jetzt bedrohte. Er musste an Iliah denken, der er ein Versprechen geben musste, immer auf Anysa zu achten und sie vor allem zu beschützen. Ob ihr Vater Andero und ihr Bruder Aris noch lebten? Tanako spürte noch immer diese Aura der Magie bei Anysa. Sanft strich er ihr über das kleine Köpfchen. Die blauen Augen schauten ihn interessiert an. Bevor sie sich wieder voll und ganz der Flasche widmet.
„Ihr hegt große Gefühle für ein fremdes Kind, Tanako!“, unterbrach Filsondre diese Innigkeit. Tanako, der sich schon öfters solche Bemerkungen von Filsondre anhören musste, wollte ihm eine passende Antwort geben, als Sindor ihn unterbrach.
„Einer muss sich doch um das Kind kümmern, Filsondre. Tanako war nun einmal als erster bei Iliah. Er kennt am besten die kleine Anysa. Es geht hier um sie und nicht um irgendwelche Gefühle oder Unstimmigkeiten.“
Filsondre stand auf und ging ohne eine Wort zu erwidern zum Ausgang. Wie viel Krieger mussten wegen eines Babys schon sterben? Und das wegen eines Halbblutes. Immer wieder fragte er sich, ob mit der Prophezeiung Anysa gemeint war. Wie sollte sie gegen Anaruba bestehen und sein Heer besiegen? Das sie Tanako so um den Finger gewickelt hatte zeigte deutlich, das sie mit den bösen Mächten im Bunde stand. Die Murlocks waren nur Ablenkung.
Während Filsondre mit sich haderte, legten die übrigen Elben sich schlafen. Der Anführer übernahm die erste Wache. Still beobachtete er den dunklen Wald. Die Eras lagen nicht weit entfernt und horchten bei jedem Geräusch auf. Filsondre schaute zu der schlafenden Anysa hinüber.
„Sie wird Umheil über uns bringen“ flüsterte er. Doch er hatte seine Befehle vom König persönlich erhalten, das Kind heil zum Zeitportal zu bringen.