SusiPikl
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Ich nehme die Geräusche wie durch einen Filter wahr. Filter-Einstellungen: Lautlos. Dumpf. Nebel.
Mein Kopf dröhnt, dehnt sich aus, vergrößert sich im Umfang, verdrängt die umgebende, irre warme, stillgelegte Luft im Raum. Überdruck. Hitze. Die Sonne blendet mich grell, ich traue mich kaum die Augen zu öffnen, meine Augenlider zittern unkontrolliert.
Ich sehe millionenfache Glitzerpunkte im Raum schweben. Glitzer wie in dem hellblauen Keramik-Döschen meiner Tochter. Ihr Heiligtum, sagt sie, das Döschen mit dem Zauberglitzer. Es soll Wunden heilen und abgetrennte Körperteile wieder dranzaubern, wie bei einem Axolotl, diese Amphibie, die im Lurchstadium einfach steckengeblieben ist. Ein abgefahrenes Gebilde der Natur, schlurfend fröhlich unter Wasser lebend. Sie möchte mal Tierärztin werden, sagt sie.
Ich schließe meine Augen wieder, sie brennen und mein Ohr ist heiß. Es fühlt sich an, als sammle sich dichter Glibber im Ohr, mein linkes Ohr. Der Glibber könnte auch glitzern - denke ich - im Kopf, im Ohr, ganz viel Glitzer.
Ich sehe plötzlich meine eine Hand vor meinen Augen, ich spüre nichts, wer hat meinen Arm gehoben? Die Hand ist voller roter Farbe, ich bewege vorsichtig die Finger, erst einzeln, dann alle zusammen zur leichten Faust und wieder auf, sieht aus wie Slow-Motion, kommt mir alles vor wie im Traum oder eine TikTok-Sequenz, so unwahr, so phantasy oder Fake. Aber es klebt, und das Blut ist warm. Und mein Arm wird jetzt ganz schwer.
Das Bild meiner Hand verschwimmt und verschiebt sich nach hinten, wie in einer Filmsequenz. Im Vordergrund taucht jetzt ganz scharf meine Tochter auf. Mit weit aufgerissenen Augen schreit sie mich an. Ich sehe es aber ich höre nichts. Oder kaum, wie Slow-Mo für die Ohren, ich kann sie nicht ernst nehmen. Aber sie macht mir Angst mit ihrer Gestik.
Ihr Mund öffnet sich weit auf und schließt sich wieder, ihre Spucke klebt zwischen dem oberen und unteren Zahnreihen, zieht Fäden, bildet kleine Bläschen, auf, zu, auf, Fädchen in einem zarten Milchzahn-Mund werden immer wieder neu gezogen. Ich starre immer nur diese transparenten Spucke-Fäden an. Wie sie sich verformen und mutieren, nach jedem auf und zu anders ziehen, mal dünner mal dicker. Auch viel Spucke sammelt sich in den Mundwinkeln. Ihr Gesicht macht mir Angst, es zeigt Panik und Hilflosigkeit.
Mein Ohr pocht laut. Ich weiß nicht ob ich das Pochen höre oder nur intensiv spüre. Da kommt Erinnerung. Scherben auf dem Boden, Luisa tritt bitte nicht hinein, geh weg! Ich möchte ihr zurufen, sie wegschubsen, wieder in den Hintergrund setzen. Im Bildschirmausschnitt anders anordnen. Die Ebenen verschieben. Blut und Scherben in den Vordergrund.
Aber dann nehme ich die kleinen Fußstapfer auf dem Holzboden wahr. Wie Gipsabdrücke, die neu geborene Eltern von den Babyfüßchen ihres Nachwuchses im DIY-Kit basteln und dann auf eine Kommode stellen oder an die Wand hängen, zur Schau aller. Seht, das haben wir hingekriegt, ein Kind, unser ganz eigenes Kind, aus Liebe entstanden. Fußabdrücke, nur größer und in kaminroter Farbe zwischen vielen winzig kleinen Keramik-Scherben.
Sie sitzt jetzt neben mir auf dem Boden und drückt mit ihrer kleinen Kinderhand fest auf mein linkes Ohr. Ich spüre hartnäckiges Pulsieren …. BammBamm …. BammBamm …. im Herzschrittmachertakt.
Wo ist ihr Vater …. Bamm …. Bamm …. hat er gemacht. Wir hatten gestritten. Es ging um gutes Geschirr und nicht so gutes Geschirr. Den Sinn habe ich nicht verstanden. Warum soll denn Geschirr mit leichten Kanten und abgeplatzten Ecken, kaum sichtbaren Rissen, schlechtes Geschirr sein. Ich liebe dieses Geschirr. Mit diesen winzigen bunten Blümchen-Muster auf herrlichen weiß. Wunderschön. Ist denn nur neu, unverbraucht, gutes Geschirr, schönes Geschirr? Abgenutzt, gebraucht, verbraucht, nicht mehr schön.
Seine Affäre gutes Geschirr! Ja ich weiß von ihr. Schon recht lange. Ob er weiß, dass ich es weiß, weiß ich nicht, ich glaube nicht und wenn schon, es ändert ja nichts.
Sein starrer Blick, weit aufgerissene grau-grüne Augen, ich liebte mal diese Augen. Sein Mund öffnete sich weit auf und schloss sich wieder, seine Spucke klebte zwischen seinen oberen und unteren Zahnreihen, zog lange Fäden und riesige Blasen, auf, zu, auf, Fädchen in einem weit aufgerissenen Raubtier-Maul. Zorn. Zerstörung. Es roch nach Schweiß und Macht und Promille. Dann machte es hart wie ein Zementblock… Bamm …. und ein zweites mal Bamm, auf mein linkes Ohr.
Der ganze Raum leuchtet in gelben Licht, die Sonne strahlt dröhnend durchs Fenster. Mein Kopf dreht sich zur Wand hin, die Wand mit der neuen Tapete. Die hatten wir noch gemeinsam ausgesucht, es war ein schöner Tag. Eine der seltenen schönen Tage. Wir standen vor dieser Schau-Tapete, er legte sanft seinen Arm über meine Schultern und fragte mich: „Die da?“.
Ich war mir nicht sicher, dieses zarte grün der Blumenranken mochte ich sehr. Ja, ich mag Blumen. Draußen im Garten habe ich zwei Wildblumen-Wiesen angelegt, für die Insekten und Bienchen, Hummeln und Käfer, kleine Feldmäuschen sehe ich immer mal wieder durchhuschen, auch viel Lavendel ist dabei, den liebe ich. Der Duft ist so betörend.
Da war nämlich noch die Lavendel-Tapete, schwer zu entscheiden. Und ich durfte entscheiden, ganz alleine. Luisa war nicht dabei, die war in der Schule und wir hatten Beide mal frei.
Jetzt sehe ich wie sich das Ranken-Muster Blütenblatt für Blütenblatt, wie winzig kleine Sticker, langsam an einer Ecke ihrer Form von der Wand lösen. Ablösung, einzelner Bestandteile, sie ziehen sich einfach von selbst ab und schweben mit langsamen Flügelschlägen durch den Raum, geräuschlos, zielgerichtet durch das offene Fenster.
Immer mehr Blüten & Blätter folgen den Anderen. Es sieht nach System aus. Fehlt nur noch die V-Formation, die man im Frühjahr und Herbst so schön am Himmel beobachten kann und ich mich immer frage wie wohl der Anführer zum Anführer wurde. Und der letzte Vogel der Letzte. Ich fühle mich wie das Allerletzte, jetzt, im Schmerznebel. Kraftlos, ohne Halt.
Mein Kopf hebt sich plötzlich von meinem Körper, wie abgeknöpft säuselt er geräuschlos in die Höhe, schwerelos, wie eine einzige Seifenblasen, zart und leicht und zerbrechlich. Als würde ein einziger Windstoß ausreichen um sie zerplatzen zu lassen.
Aber sicher eingepackt wie in einem Helm mit viel Watte und Schaumstoff darin, dreht er sich jetzt 180 Grad um die eigene Achse, völlig losgelöst vom meinem eigenen ich, schwebt er weiter, in sich drehend nach oben, von der Erdanziehungskraft losgelöst, das Visier reflektiert einen riesigen Goldball im Himmel auf den Boden und die Wand hoch entlang, je nach Drehung, schwimmt er wie ein Astronaut in der Stratosphäre.
Taub und stumm der ganze helle Raum, während die einzelnen Blütenpapierfetzen weiter fleißig von unserer Tapete abblättern und hinaus Richtung Garten fliegen, kein Rascheln, kein Reißen, nichts, Stille. Aber sichtbar ein irres Schauspiel und buntes Geflattere ohne System. Müsste ein dröhnendes Geräusch ergeben.
Mein Astronauten-Kopf rotiert langsam weiter, wabernd durch die flirrende Luft im Raum, mein blutendes Ohr wässert allmählich das Innere des Helms, es fühlt sich schön warm an, beruhigend warm. Er dreht sich noch einmal um die eigene Achse, den segelnden Ranken hinterher, durch das Fenster nach Draußen. Fliegt dann wie ein mit Helium gefüllter Luftballon prompt nach oben, Richtung Sonne, in die Hitze, hoch in den Himmel. Ziemlich schnell.
Ich bin fünf Jahre alt. Papi hat Mami schon wieder gehauen. Sie haben geredet, es wurde immer lauter und plötzlich hat er ihr einfach eine Hand an ihren Kopf geknallt. Ich habe es gesehen, ich stand ja nebendran. Das war auch irre laut, das hat bestimmt sehr wehgetan.
Wenn mein Bruder und ich uns mal streiten, „Hauen darf man nicht“, sagt Mami. Warum darf dann Papi die Mami. Mami sitzt ganz müde in der Küche. Ihre Augen sind inzwischen geschlossen. Blut rinnt aus ihrem Ohr und tropft an ihr runter. Das sieht diesmal echt schlimm aus. Ich weiß nicht was ich tun soll.
Papi ist rausgestapft. Ich weiß nicht wohin. Der kommt bald wieder zurück, wie immer. Er geht dann am Geländer gestützt die Treppe hoch in Papi und Mamis Schlafzimmer und schließt laut die Türe. Bis dahin ist meist alles wieder in Ordnung gebracht, von meiner Mami. Aufgeräumt, das Kaputtgegangene wieder heil gemacht oder weggeräumt. Meistens weggeworfen, weiß nicht mehr heil zu machen war. Das letzte mal war’s ein Spielzeug von mir. Wochenlang habe ich es gebastelt. Für meinen Hamster, Coco. Coco Chanel. Schöner Name, nach einer mutigen kreativen Frau benannt, sie hat Kleider und sogar duftendes Parfüm entworfen. Ich hatte Coco einen Auslauf aus Pappe und Karton gebastelt. Aus Plastikflaschen Röhren zum Durchlaufen, Leiter zum Klettern, sogar ne Buddelbox mit Erde aus unserem Garten war mit drin. Jetzt ist es völlig zerstört, Papi hat’s kaputtgetreten. Ich verstehe das nicht. Er war böse auf Mama und macht dann auch meine Sachen kaputt.
Aber diesmal ist alles anders. Ganz anders. So habe ich Mama noch nie gesehen. Sie weint auch garnicht. Sie bewegt sich garnicht. Ich bin ganz alleine, auch Clemens ist heute nicht da. Mein großer Bruder. Der ist nämlich stark. Sehr stark. Der wüsste jetzt was man tun könnte.
Ich hole jetzt mal Pflaster.
Mein Kopf dröhnt, dehnt sich aus, vergrößert sich im Umfang, verdrängt die umgebende, irre warme, stillgelegte Luft im Raum. Überdruck. Hitze. Die Sonne blendet mich grell, ich traue mich kaum die Augen zu öffnen, meine Augenlider zittern unkontrolliert.
Ich sehe millionenfache Glitzerpunkte im Raum schweben. Glitzer wie in dem hellblauen Keramik-Döschen meiner Tochter. Ihr Heiligtum, sagt sie, das Döschen mit dem Zauberglitzer. Es soll Wunden heilen und abgetrennte Körperteile wieder dranzaubern, wie bei einem Axolotl, diese Amphibie, die im Lurchstadium einfach steckengeblieben ist. Ein abgefahrenes Gebilde der Natur, schlurfend fröhlich unter Wasser lebend. Sie möchte mal Tierärztin werden, sagt sie.
Ich schließe meine Augen wieder, sie brennen und mein Ohr ist heiß. Es fühlt sich an, als sammle sich dichter Glibber im Ohr, mein linkes Ohr. Der Glibber könnte auch glitzern - denke ich - im Kopf, im Ohr, ganz viel Glitzer.
Ich sehe plötzlich meine eine Hand vor meinen Augen, ich spüre nichts, wer hat meinen Arm gehoben? Die Hand ist voller roter Farbe, ich bewege vorsichtig die Finger, erst einzeln, dann alle zusammen zur leichten Faust und wieder auf, sieht aus wie Slow-Motion, kommt mir alles vor wie im Traum oder eine TikTok-Sequenz, so unwahr, so phantasy oder Fake. Aber es klebt, und das Blut ist warm. Und mein Arm wird jetzt ganz schwer.
Das Bild meiner Hand verschwimmt und verschiebt sich nach hinten, wie in einer Filmsequenz. Im Vordergrund taucht jetzt ganz scharf meine Tochter auf. Mit weit aufgerissenen Augen schreit sie mich an. Ich sehe es aber ich höre nichts. Oder kaum, wie Slow-Mo für die Ohren, ich kann sie nicht ernst nehmen. Aber sie macht mir Angst mit ihrer Gestik.
Ihr Mund öffnet sich weit auf und schließt sich wieder, ihre Spucke klebt zwischen dem oberen und unteren Zahnreihen, zieht Fäden, bildet kleine Bläschen, auf, zu, auf, Fädchen in einem zarten Milchzahn-Mund werden immer wieder neu gezogen. Ich starre immer nur diese transparenten Spucke-Fäden an. Wie sie sich verformen und mutieren, nach jedem auf und zu anders ziehen, mal dünner mal dicker. Auch viel Spucke sammelt sich in den Mundwinkeln. Ihr Gesicht macht mir Angst, es zeigt Panik und Hilflosigkeit.
Mein Ohr pocht laut. Ich weiß nicht ob ich das Pochen höre oder nur intensiv spüre. Da kommt Erinnerung. Scherben auf dem Boden, Luisa tritt bitte nicht hinein, geh weg! Ich möchte ihr zurufen, sie wegschubsen, wieder in den Hintergrund setzen. Im Bildschirmausschnitt anders anordnen. Die Ebenen verschieben. Blut und Scherben in den Vordergrund.
Aber dann nehme ich die kleinen Fußstapfer auf dem Holzboden wahr. Wie Gipsabdrücke, die neu geborene Eltern von den Babyfüßchen ihres Nachwuchses im DIY-Kit basteln und dann auf eine Kommode stellen oder an die Wand hängen, zur Schau aller. Seht, das haben wir hingekriegt, ein Kind, unser ganz eigenes Kind, aus Liebe entstanden. Fußabdrücke, nur größer und in kaminroter Farbe zwischen vielen winzig kleinen Keramik-Scherben.
Sie sitzt jetzt neben mir auf dem Boden und drückt mit ihrer kleinen Kinderhand fest auf mein linkes Ohr. Ich spüre hartnäckiges Pulsieren …. BammBamm …. BammBamm …. im Herzschrittmachertakt.
Wo ist ihr Vater …. Bamm …. Bamm …. hat er gemacht. Wir hatten gestritten. Es ging um gutes Geschirr und nicht so gutes Geschirr. Den Sinn habe ich nicht verstanden. Warum soll denn Geschirr mit leichten Kanten und abgeplatzten Ecken, kaum sichtbaren Rissen, schlechtes Geschirr sein. Ich liebe dieses Geschirr. Mit diesen winzigen bunten Blümchen-Muster auf herrlichen weiß. Wunderschön. Ist denn nur neu, unverbraucht, gutes Geschirr, schönes Geschirr? Abgenutzt, gebraucht, verbraucht, nicht mehr schön.
Seine Affäre gutes Geschirr! Ja ich weiß von ihr. Schon recht lange. Ob er weiß, dass ich es weiß, weiß ich nicht, ich glaube nicht und wenn schon, es ändert ja nichts.
Sein starrer Blick, weit aufgerissene grau-grüne Augen, ich liebte mal diese Augen. Sein Mund öffnete sich weit auf und schloss sich wieder, seine Spucke klebte zwischen seinen oberen und unteren Zahnreihen, zog lange Fäden und riesige Blasen, auf, zu, auf, Fädchen in einem weit aufgerissenen Raubtier-Maul. Zorn. Zerstörung. Es roch nach Schweiß und Macht und Promille. Dann machte es hart wie ein Zementblock… Bamm …. und ein zweites mal Bamm, auf mein linkes Ohr.
Der ganze Raum leuchtet in gelben Licht, die Sonne strahlt dröhnend durchs Fenster. Mein Kopf dreht sich zur Wand hin, die Wand mit der neuen Tapete. Die hatten wir noch gemeinsam ausgesucht, es war ein schöner Tag. Eine der seltenen schönen Tage. Wir standen vor dieser Schau-Tapete, er legte sanft seinen Arm über meine Schultern und fragte mich: „Die da?“.
Ich war mir nicht sicher, dieses zarte grün der Blumenranken mochte ich sehr. Ja, ich mag Blumen. Draußen im Garten habe ich zwei Wildblumen-Wiesen angelegt, für die Insekten und Bienchen, Hummeln und Käfer, kleine Feldmäuschen sehe ich immer mal wieder durchhuschen, auch viel Lavendel ist dabei, den liebe ich. Der Duft ist so betörend.
Da war nämlich noch die Lavendel-Tapete, schwer zu entscheiden. Und ich durfte entscheiden, ganz alleine. Luisa war nicht dabei, die war in der Schule und wir hatten Beide mal frei.
Jetzt sehe ich wie sich das Ranken-Muster Blütenblatt für Blütenblatt, wie winzig kleine Sticker, langsam an einer Ecke ihrer Form von der Wand lösen. Ablösung, einzelner Bestandteile, sie ziehen sich einfach von selbst ab und schweben mit langsamen Flügelschlägen durch den Raum, geräuschlos, zielgerichtet durch das offene Fenster.
Immer mehr Blüten & Blätter folgen den Anderen. Es sieht nach System aus. Fehlt nur noch die V-Formation, die man im Frühjahr und Herbst so schön am Himmel beobachten kann und ich mich immer frage wie wohl der Anführer zum Anführer wurde. Und der letzte Vogel der Letzte. Ich fühle mich wie das Allerletzte, jetzt, im Schmerznebel. Kraftlos, ohne Halt.
Mein Kopf hebt sich plötzlich von meinem Körper, wie abgeknöpft säuselt er geräuschlos in die Höhe, schwerelos, wie eine einzige Seifenblasen, zart und leicht und zerbrechlich. Als würde ein einziger Windstoß ausreichen um sie zerplatzen zu lassen.
Aber sicher eingepackt wie in einem Helm mit viel Watte und Schaumstoff darin, dreht er sich jetzt 180 Grad um die eigene Achse, völlig losgelöst vom meinem eigenen ich, schwebt er weiter, in sich drehend nach oben, von der Erdanziehungskraft losgelöst, das Visier reflektiert einen riesigen Goldball im Himmel auf den Boden und die Wand hoch entlang, je nach Drehung, schwimmt er wie ein Astronaut in der Stratosphäre.
Taub und stumm der ganze helle Raum, während die einzelnen Blütenpapierfetzen weiter fleißig von unserer Tapete abblättern und hinaus Richtung Garten fliegen, kein Rascheln, kein Reißen, nichts, Stille. Aber sichtbar ein irres Schauspiel und buntes Geflattere ohne System. Müsste ein dröhnendes Geräusch ergeben.
Mein Astronauten-Kopf rotiert langsam weiter, wabernd durch die flirrende Luft im Raum, mein blutendes Ohr wässert allmählich das Innere des Helms, es fühlt sich schön warm an, beruhigend warm. Er dreht sich noch einmal um die eigene Achse, den segelnden Ranken hinterher, durch das Fenster nach Draußen. Fliegt dann wie ein mit Helium gefüllter Luftballon prompt nach oben, Richtung Sonne, in die Hitze, hoch in den Himmel. Ziemlich schnell.
Ich bin fünf Jahre alt. Papi hat Mami schon wieder gehauen. Sie haben geredet, es wurde immer lauter und plötzlich hat er ihr einfach eine Hand an ihren Kopf geknallt. Ich habe es gesehen, ich stand ja nebendran. Das war auch irre laut, das hat bestimmt sehr wehgetan.
Wenn mein Bruder und ich uns mal streiten, „Hauen darf man nicht“, sagt Mami. Warum darf dann Papi die Mami. Mami sitzt ganz müde in der Küche. Ihre Augen sind inzwischen geschlossen. Blut rinnt aus ihrem Ohr und tropft an ihr runter. Das sieht diesmal echt schlimm aus. Ich weiß nicht was ich tun soll.
Papi ist rausgestapft. Ich weiß nicht wohin. Der kommt bald wieder zurück, wie immer. Er geht dann am Geländer gestützt die Treppe hoch in Papi und Mamis Schlafzimmer und schließt laut die Türe. Bis dahin ist meist alles wieder in Ordnung gebracht, von meiner Mami. Aufgeräumt, das Kaputtgegangene wieder heil gemacht oder weggeräumt. Meistens weggeworfen, weiß nicht mehr heil zu machen war. Das letzte mal war’s ein Spielzeug von mir. Wochenlang habe ich es gebastelt. Für meinen Hamster, Coco. Coco Chanel. Schöner Name, nach einer mutigen kreativen Frau benannt, sie hat Kleider und sogar duftendes Parfüm entworfen. Ich hatte Coco einen Auslauf aus Pappe und Karton gebastelt. Aus Plastikflaschen Röhren zum Durchlaufen, Leiter zum Klettern, sogar ne Buddelbox mit Erde aus unserem Garten war mit drin. Jetzt ist es völlig zerstört, Papi hat’s kaputtgetreten. Ich verstehe das nicht. Er war böse auf Mama und macht dann auch meine Sachen kaputt.
Aber diesmal ist alles anders. Ganz anders. So habe ich Mama noch nie gesehen. Sie weint auch garnicht. Sie bewegt sich garnicht. Ich bin ganz alleine, auch Clemens ist heute nicht da. Mein großer Bruder. Der ist nämlich stark. Sehr stark. Der wüsste jetzt was man tun könnte.
Ich hole jetzt mal Pflaster.
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