Sie liegen draußen, im klinikeigenen Park, auf der Sonnenwiese. Beziehungsweise Bence liegt. Luc sitzt, angelehnt an einer riesigen Trauerweide, deren hängenden Äste kühlen Schatten spenden, auf dem Schoß ein gutes Buch.
Es ist einer dieser entsetzlich schönen Tage, in denen das gute Wetter einen geradezu anschreit, seinen Hintern nach draußen zu bewegen. Zuerst hat sich Luc diesem Ruf auch standhaft widersetzt. Dann aber kam Bence.
Seit dem… Vorfall… hat sich ihre Beziehung zueinander stark verändert. Luc weiß zwar nicht wirklich, ob zum Guten oder zum Schlechten, aber es ist nun mal ein unwiderlegbarer Fakt. Das Einzige, dessen er sich sicher ist, ist die Tatsache, dass es nun sogar Momente gibt, in denen er die Gegenwart Bences geradezu genießen kann.
Wenn der zum Beispiel, so wie jetzt, einfach mal die Klappe hält. Nur da ist, ohne den großen Stimmungsmacher zu mimen. Den Gedanken, dass Luc diese Ruhe nur Bences manischem Tief zu verdanken hat, verdrängt er in den hintersten Winkel seiner selbst.
Dazu ist es einfach zu angenehm.
Verträumt blättert Luc eine Seite um, als etwas Kleines, das schnipsend immer wieder in die Luft geworfen wird, seine Aufmerksamkeit erregt. Eigentlich wollte er noch den Absatz zu Ende lesen, doch ein wenig Augen Schonen kann nicht schaden, weshalb er seinen Blick zu Bence lenkt.
Das kleine Etwas stellt sich als eine rosa Pille heraus, an der Bence anscheinend wahnsinnig viel Freude hat, sie fliegen zu lassen.
Sich kurz räuspernd, sucht Luc einen Anfang. Immerhin, ein wenig Konversation ist er Bence dann doch schuldig. Zumindest fühlt sich Luc gerade danach.
„Was ist das?“
Bence sieht ihn nicht an. Hört nicht auf mit seinem Spiel.
„Lithium. Die Ärzte meinen zwar, dass ich den letzten Down ziemlich gut allein gemeistert habe, aber sie wollen auf Nummer sicher gehen. Außerdem soll es die Übergänge leichter machen. Kriegst du eigentlich auch…?“
Die Stimme des Kleineren ist ruhig, er spricht ungewohnt langsam. Luc versucht so etwas wie Scham zu empfinden, dass er Bence im halbdepressiven Stadium wesentlich angenehmer findet. Allein, es will ihm nicht gelingen.
„Citalopram. Metoclopramid gegen die Wechselwirkung. Lithium, genau wie du. Diazepam zum Schlafen…“
Die Pille bleibt am Boden. Das Gras raschelt leicht, als Bence seinen Kopf wendet, die Augen vom Himmel weg, hin zu Luc. Es ist das erste kleine Lächeln, das der Größere von ihm heute sieht.
„Alter Junkie.“
Als Antwort hebt Luc nur einen Mundwinkel.
Er ist gegen Drogen. Absolut. Genau wie gegen Alkohol. Für Luc gibt es mit nichts Schaurigeres als die Vorstellung, sich zu verlieren. Die Kontrolle abgeben zu müssen. Egal, auf welche Weise.
Die Medikamente jedoch… sie helfen ihm, eins zu bleiben. Die Ruhe zu bewahren. Sich zu fokussieren. Ob er sie nimmt, wie viel er nimmt, ist eine Entscheidung, die Luc allein trifft. Niemand anders. Alleine das lässt ihn sich gut fühlen.
Stille.
Beide hängen für Minuten, vielleicht auch Stunden, ihren eignen Gedanken nach. Der Wind frischt auf, lässt einzelne Blätter der Weide tanzen. Es ist so idyllisch, dass es fast schon lachhaft ist. Zumindest für Luc.
Gerade will er sich wieder seinem Buch zuwenden, Dante wandert schließlich nicht allein durch die sieben Kreise der Hölle, als ein weiteres Mal die Stimme Bences erklingt. Immer noch leise. Immer noch ruhig. Aber mit einem Unterton, den Luc nicht ganz deuten kann. Oder will.
„Also, das mit deinem Vater…“
Mit einem Schlag versteift sich Luc, nur ein weiteres Stück Holz des Baumes hinter ihn. Ohne dass er es bemerkt, klammert er sich an die aufgeschlagene Seite, zerreißt sie in einem heftigen Ruck.
„… das… ich wollte mich noch einmal dafür entschuldigen. Ich werd auch nicht mehr damit anfangen. Versprochen.“
Der Kloß in seinem Hals wird heruntergeschluckt. Zumindest startet Luc den Versuch. Will sich das „Besser- Fühlen“ doch nicht wirklich einstellen.
Einzig seine soziale Ader sprudelt für einen Augenblick auf.
„Ich… mir tut es auch Leid. Du drängst dich gar nicht auf… also natürlich bist du nervig… aber nicht so, wie ich das gesagt habe. Eigentlich weiß ich fast gar nichts von dir. Es war… ich wollte dir einfach nur weh tun. Entschuldige nochmal.“
„Willst du denn was von mir wissen?“ Einen Moment lang fragt Luc sich, ob die Doppeldeutigkeit der Worte Absicht war. Dann entschließt er sich, nicht darauf einzugehen. Bence wird ihm wahrscheinlich glauben, wenn er den Unwissenden mimt.
„Klar.“ Die ehrliche Antwort wäre gewesen, ‚Du erzählst es mir ja sowieso, und momentan bist du in einer angenehmeren Stimmung‘, aber dafür, dass es einfach nur unfreundlich gewesen wäre, es auszusprechen, sind es Luc zu viele Worte. Zu viel Kraft, die geopfert werden muss. Luc ist knauserig.
„Ich… meine Eltern lieben mich, so ist das nicht. Jedenfalls ist es das, was sie sagen. Ich bin so, seit ich denken kann. Es ist nur immer schlimmer geworden, irgendwie. Zuerst hieß es immer ADHS, aber irgendwann war das auch keine Erklärung mehr. Meine Mutter… ist irgendwann nicht mehr damit zurechtgekommen, das war, nachdem ich angefangen hatte, Drogen zu nehmen, und hat mich zum Arzt geschleift. Der Idiot hat mich zur Entzugsklinik geschickt… wo man glücklicherweise bemerkt hat, dass ich am falschen Ort war. Ich war nie süchtig. Nicht wirklich. Vielleicht ging das Aufhören auch nur so einfach, weil ich Speed gegen Antidepressiva getauscht habe… Jedenfalls… Jetzt bin ich hier. Meine Eltern besuchen mich ab und zu, meine Schwester kommt auch manchmal mit, aber ich glaube, ich bin ihr… unheimlich. Sie sind auch immer nur dann da, wenn es mir gut geht. …Keiner ist da, wenn es mir schlecht geht. Dazu sind sie alle nicht lebensmüde genug. Solange ich gut gelaunt bin, scharen sie sich um mich und versichern mir Treue bis zum Tod, und dann – egal.“
Luc hat kein Problem, der wahren Informationsflut zu folgen, als Journalist gehört das einfach zu seinem Beruf und manche Dinge verlernt man einfach nicht. Wie Fahrrad fahren. Ob er Bence jedoch folgen will, ist die zweite Frage.
Allein der Höflichkeit halber, schließlich besitzt Luc durchaus Anstand, versucht er dem Gesagten zu folgen, sich selbst ein wenig einzubringen. Mit so wenig Wörtern wie möglich.
„Und… also du bist doch schon länger hier. So wie ich das verstanden hab. Ist denn… ist da denn noch gar keine Besserung?“
Bence sieht ihn an, von unten herauf, den Kopf schief gelegt. Dunkle Haarsträhnen verbergen seine Augen. Luc will sie gar nicht sehen. „Nein. Es scheint eher so zu sein, dass Therapie und Medikamente das Verschlimmern stoppen. Weiter geht’s nicht. Ich bin hier auf Lebenszeit. Höchstwahrscheinlich. Wenn ich nicht noch schlimmer werde… Diese Klinik ist nicht für vollkommen Übergeschnappte. Die Pfleger würden hinter einem stündlichen Wechsel nicht mehr herkommen.“
„Du meinst Ultra Rapid Ultradian Cycling? Ich glaube, da stehen deine Chancen dann überall weniger gut, egal in welcher Anstalt du bist.“
Ein erstauntes Raunen. Zu spät bemerkt Luc, dass er zu weit gegangen ist, viel zu viel preis gegeben hat. Ist das doch wahrlich kein Laienwissen mehr.
„Da ist aber jemand gut informiert. Woh-“
„Mal gelesen.“
Vielleicht ist Bence im depressiven Zustand gar nicht so angenehm. Sondern gefährlich. Lässt Luc weich werden. Unvorsichtig.
Bemüht versucht der Blonde nun wieder Dante auf seinem Leidensweg zu folgen. Es will ihm nicht gelingen.
Es ist einer dieser entsetzlich schönen Tage, in denen das gute Wetter einen geradezu anschreit, seinen Hintern nach draußen zu bewegen. Zuerst hat sich Luc diesem Ruf auch standhaft widersetzt. Dann aber kam Bence.
Seit dem… Vorfall… hat sich ihre Beziehung zueinander stark verändert. Luc weiß zwar nicht wirklich, ob zum Guten oder zum Schlechten, aber es ist nun mal ein unwiderlegbarer Fakt. Das Einzige, dessen er sich sicher ist, ist die Tatsache, dass es nun sogar Momente gibt, in denen er die Gegenwart Bences geradezu genießen kann.
Wenn der zum Beispiel, so wie jetzt, einfach mal die Klappe hält. Nur da ist, ohne den großen Stimmungsmacher zu mimen. Den Gedanken, dass Luc diese Ruhe nur Bences manischem Tief zu verdanken hat, verdrängt er in den hintersten Winkel seiner selbst.
Dazu ist es einfach zu angenehm.
Verträumt blättert Luc eine Seite um, als etwas Kleines, das schnipsend immer wieder in die Luft geworfen wird, seine Aufmerksamkeit erregt. Eigentlich wollte er noch den Absatz zu Ende lesen, doch ein wenig Augen Schonen kann nicht schaden, weshalb er seinen Blick zu Bence lenkt.
Das kleine Etwas stellt sich als eine rosa Pille heraus, an der Bence anscheinend wahnsinnig viel Freude hat, sie fliegen zu lassen.
Sich kurz räuspernd, sucht Luc einen Anfang. Immerhin, ein wenig Konversation ist er Bence dann doch schuldig. Zumindest fühlt sich Luc gerade danach.
„Was ist das?“
Bence sieht ihn nicht an. Hört nicht auf mit seinem Spiel.
„Lithium. Die Ärzte meinen zwar, dass ich den letzten Down ziemlich gut allein gemeistert habe, aber sie wollen auf Nummer sicher gehen. Außerdem soll es die Übergänge leichter machen. Kriegst du eigentlich auch…?“
Die Stimme des Kleineren ist ruhig, er spricht ungewohnt langsam. Luc versucht so etwas wie Scham zu empfinden, dass er Bence im halbdepressiven Stadium wesentlich angenehmer findet. Allein, es will ihm nicht gelingen.
„Citalopram. Metoclopramid gegen die Wechselwirkung. Lithium, genau wie du. Diazepam zum Schlafen…“
Die Pille bleibt am Boden. Das Gras raschelt leicht, als Bence seinen Kopf wendet, die Augen vom Himmel weg, hin zu Luc. Es ist das erste kleine Lächeln, das der Größere von ihm heute sieht.
„Alter Junkie.“
Als Antwort hebt Luc nur einen Mundwinkel.
Er ist gegen Drogen. Absolut. Genau wie gegen Alkohol. Für Luc gibt es mit nichts Schaurigeres als die Vorstellung, sich zu verlieren. Die Kontrolle abgeben zu müssen. Egal, auf welche Weise.
Die Medikamente jedoch… sie helfen ihm, eins zu bleiben. Die Ruhe zu bewahren. Sich zu fokussieren. Ob er sie nimmt, wie viel er nimmt, ist eine Entscheidung, die Luc allein trifft. Niemand anders. Alleine das lässt ihn sich gut fühlen.
Stille.
Beide hängen für Minuten, vielleicht auch Stunden, ihren eignen Gedanken nach. Der Wind frischt auf, lässt einzelne Blätter der Weide tanzen. Es ist so idyllisch, dass es fast schon lachhaft ist. Zumindest für Luc.
Gerade will er sich wieder seinem Buch zuwenden, Dante wandert schließlich nicht allein durch die sieben Kreise der Hölle, als ein weiteres Mal die Stimme Bences erklingt. Immer noch leise. Immer noch ruhig. Aber mit einem Unterton, den Luc nicht ganz deuten kann. Oder will.
„Also, das mit deinem Vater…“
Mit einem Schlag versteift sich Luc, nur ein weiteres Stück Holz des Baumes hinter ihn. Ohne dass er es bemerkt, klammert er sich an die aufgeschlagene Seite, zerreißt sie in einem heftigen Ruck.
„… das… ich wollte mich noch einmal dafür entschuldigen. Ich werd auch nicht mehr damit anfangen. Versprochen.“
Der Kloß in seinem Hals wird heruntergeschluckt. Zumindest startet Luc den Versuch. Will sich das „Besser- Fühlen“ doch nicht wirklich einstellen.
Einzig seine soziale Ader sprudelt für einen Augenblick auf.
„Ich… mir tut es auch Leid. Du drängst dich gar nicht auf… also natürlich bist du nervig… aber nicht so, wie ich das gesagt habe. Eigentlich weiß ich fast gar nichts von dir. Es war… ich wollte dir einfach nur weh tun. Entschuldige nochmal.“
„Willst du denn was von mir wissen?“ Einen Moment lang fragt Luc sich, ob die Doppeldeutigkeit der Worte Absicht war. Dann entschließt er sich, nicht darauf einzugehen. Bence wird ihm wahrscheinlich glauben, wenn er den Unwissenden mimt.
„Klar.“ Die ehrliche Antwort wäre gewesen, ‚Du erzählst es mir ja sowieso, und momentan bist du in einer angenehmeren Stimmung‘, aber dafür, dass es einfach nur unfreundlich gewesen wäre, es auszusprechen, sind es Luc zu viele Worte. Zu viel Kraft, die geopfert werden muss. Luc ist knauserig.
„Ich… meine Eltern lieben mich, so ist das nicht. Jedenfalls ist es das, was sie sagen. Ich bin so, seit ich denken kann. Es ist nur immer schlimmer geworden, irgendwie. Zuerst hieß es immer ADHS, aber irgendwann war das auch keine Erklärung mehr. Meine Mutter… ist irgendwann nicht mehr damit zurechtgekommen, das war, nachdem ich angefangen hatte, Drogen zu nehmen, und hat mich zum Arzt geschleift. Der Idiot hat mich zur Entzugsklinik geschickt… wo man glücklicherweise bemerkt hat, dass ich am falschen Ort war. Ich war nie süchtig. Nicht wirklich. Vielleicht ging das Aufhören auch nur so einfach, weil ich Speed gegen Antidepressiva getauscht habe… Jedenfalls… Jetzt bin ich hier. Meine Eltern besuchen mich ab und zu, meine Schwester kommt auch manchmal mit, aber ich glaube, ich bin ihr… unheimlich. Sie sind auch immer nur dann da, wenn es mir gut geht. …Keiner ist da, wenn es mir schlecht geht. Dazu sind sie alle nicht lebensmüde genug. Solange ich gut gelaunt bin, scharen sie sich um mich und versichern mir Treue bis zum Tod, und dann – egal.“
Luc hat kein Problem, der wahren Informationsflut zu folgen, als Journalist gehört das einfach zu seinem Beruf und manche Dinge verlernt man einfach nicht. Wie Fahrrad fahren. Ob er Bence jedoch folgen will, ist die zweite Frage.
Allein der Höflichkeit halber, schließlich besitzt Luc durchaus Anstand, versucht er dem Gesagten zu folgen, sich selbst ein wenig einzubringen. Mit so wenig Wörtern wie möglich.
„Und… also du bist doch schon länger hier. So wie ich das verstanden hab. Ist denn… ist da denn noch gar keine Besserung?“
Bence sieht ihn an, von unten herauf, den Kopf schief gelegt. Dunkle Haarsträhnen verbergen seine Augen. Luc will sie gar nicht sehen. „Nein. Es scheint eher so zu sein, dass Therapie und Medikamente das Verschlimmern stoppen. Weiter geht’s nicht. Ich bin hier auf Lebenszeit. Höchstwahrscheinlich. Wenn ich nicht noch schlimmer werde… Diese Klinik ist nicht für vollkommen Übergeschnappte. Die Pfleger würden hinter einem stündlichen Wechsel nicht mehr herkommen.“
„Du meinst Ultra Rapid Ultradian Cycling? Ich glaube, da stehen deine Chancen dann überall weniger gut, egal in welcher Anstalt du bist.“
Ein erstauntes Raunen. Zu spät bemerkt Luc, dass er zu weit gegangen ist, viel zu viel preis gegeben hat. Ist das doch wahrlich kein Laienwissen mehr.
„Da ist aber jemand gut informiert. Woh-“
„Mal gelesen.“
Vielleicht ist Bence im depressiven Zustand gar nicht so angenehm. Sondern gefährlich. Lässt Luc weich werden. Unvorsichtig.
Bemüht versucht der Blonde nun wieder Dante auf seinem Leidensweg zu folgen. Es will ihm nicht gelingen.