Auf dem Weg zur Sultanstadt

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schreibfuchs

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Dieser tragische Zwischenfall blieb für Mukhtar nicht ohne Folgen. Schon kurze Zeit nach dem tödlichen Ereignis, kehrte sich die Wut von Tamima, der Witwe des Dorfältesten, mit aller Schärfe und Unbarmherzigkeit, gegen Mustafa und die Jungen. Noch während sie schreiend am Leichnam ihres Mannes verharrte, suchte sie nach Steinen, die sie gegen die vermeintlichen Schuldigen schleudern wollte. Sie drehte sich jäh um, und warf den ersten Stein gegen Mustafa, der ihn hart an der Schulter traf. Er richtete seinen Blick reumütig und ergeben nach unten, wich dennoch allen folgenden Steinen geschickt aus, schulterte in einem günstigen Augenblick blitzschnell seinen Schlangenkorb, lief mit schnellen Schritten die Düne hinauf und war bald allen Blicken entschwunden. Doch die Schuldzuweisungen der Witwe blieben! Sie kehrten sich nun gegen die, noch vor Schreck gelähmten, Jungen:
„Und ihr, ihr habt diesem Mörder noch das Leben gerettet! Das Leben gerettet, um meinen Mann zu töten. Oh, Schuld und Fluch über euch. Verschwindet aus meinen Augen!“ Sie weinte laut und schrie: „Oh, weh, wer soll denn nun mit mir shoppen gehen? Wer soll mir meine neuen Schuhe, und wer mein Collier, das ich eigens für mich bei SCORPIER, dem Hof- Juwelier des Sultans, habe anfertigen lassen, bezahlen? Wer soll mir nun jeden Wunsch von den Augen ablesen, wer mir mein weiteres Leben und meinen Altenteil versüßen? Oh, bei Allah, Schande über den Alten. Allah möge ihn den Weg zum Paradies versperren und ihn auf ewig im Höllenfeuer schmoren lassen! Ohhhhh, bei allen Höllen! Er war einfach zu geizig für eine kleine Lebensversicherung zu meinen Gunsten, denn er sagte immer, dass ihm die Prämie bei der „SULTAN WÜSTENHEIMER“ zu hoch sei, und ich muss es nun büßen! Aber jedes Jahr ein neues Kamel der Oberklasse, das galt als Sport für den Alten, das war Pflicht! Und ich muss mich nun mit der Kür herumschlagen, die mehr als mager ausfallen wird!“
Dann kam sie zu sich und starrte die Jungen, die sie in ihrer schlimmen Trauer vergessen zu haben schien, aus stumpfen Augen an und murmelte bedrohlich:
„Vergesst, was ihr hier gesehen und gehört habt! Sonst…!“
Sie hob einen Stein an und machte einen entschlossenen Eindruck!
Die Jungen starrten die Witwe verständnislos an, schüttelten den Kopf und Achmed rief entsetzt: „Die Alte ist wahnsinnig geworden, schnell fort von hier!“
Sprachs und rannte gemeinsam mit den anderen wie vom Leibhaftigen getrieben, laut schreiend davon.

Mukhtar, in der Hütte seines verstorbenen Vater angekommen überlegte lange, was nun zu tun sei, und plötzlich spürte er, was schon lange überfällig war; nämlich: Dass er nicht länger in diesem Dorf bleiben konnte.
„Was hilft es mir Trübsal zu blasen! Habe ich etwa Hassan, den Dorfältesten umgebracht? Nein! Bin ich Schuld an seinem Tod? Nein! Wird man das hier im Dorf verstehen oder verstehen wollen? Nein! Ich glaube, meine Zeit hier im Dorf ist jetzt erfüllt! Das Maß ist voll, es reicht! Mein Vater der alte Schuhflicker ist tot, es ist niemand mehr da, bei dem ich mir das Herz ausschütten und der mir beistehen kann! Zu dem üblichen Spott und Hohn im Dorf, werden nun noch die Anfeindung und die Verachtung kommen! Oh, das kann ich mir gut vorstellen! Muss ich das haben? Nein! Mein Vater der alte Schuhflicker sagte außerdem immer: An dem Ort, an dem die Münze geprägt wird, taugt sie nichts! Was mag das bedeuten? Wahrscheinlich, dass es nun an der Zeit ist, diesen Ort, meine geliebte Geburtsoase zu verlassen, weil es bestimmt an einem anderen Ort besser ist, denn schlechter kann es nicht werden! So werde ich jetzt in die Welt hinausgehen müssen, um dort mein Glück zu machen. Aber Glück, was ist das? Für mich bedeutet Glück, ein Stückchen Brot und ein Schlückchen Wasser, eine trockene Bleibe und keine Gefahren von Banditen und wilde Tiere auf meinen Wegen. Wenn mir Allah dann auch noch Mut und Kraft für mein neues Leben verleiht, will ich damit zufrieden sein. Wenn mir Allah gnädig noch weiter gnädig ist, so werde ich mein Glück in der Fremde finden! Mein Vater der alte Schuhflicker sagte immer: „Niemand weiß, was er in der Fremde vorfindet!“ Ich weiß: Er findet Fremde!
Ich glaube: Ein Fremder ist immer ein Feind, wenn man es nicht schafft, dass er sein Freund wird! Aber was mache ich mir hier für Gedanken? Bin ich nicht wie geschaffen für die Fremde? Wer mir etwas tun will, der hat keinen Verstand! Zugegeben, mit meiner krummen Gestalt bin ich wahrlich kein Adonis. Aber dafür schenkte mir Allah kein Spatzenhirn, ein nicht gerade hässliches Gesicht und meine liebenswürdige Art. Wer glaubt, dass er mit meiner liebenswerten Art nicht zurechtkommt, kann mir als Freund auch gestohlen bleiben!“

Er grunzte zufrieden, wie ein satt gefressener Igel und schloss seine Betrachtungen mit folgender Quintessenz:
„Nun weiß ich wenigsten, wie ich einem Fremden begegnen kann und wie ich ihn zu nehmen habe!“
Dann schulterte er sein Marschgepäck und resümierte erneut:
„Wohlan mit viel Geschwätz ist noch keiner an sein Ziel gekommen, denn mein Vater der alte Schuhflicker sagte immer: „Nur wer den ersten Schritt tut, kann auch sicher sein, dass er irgendwann sein Ziel erreicht!“

Sprachs, kontrollierten den Sitz seines Marschgepäcks auf dem Rücken und verließ, bewaffnet mit einem kräftigen Wanderstab, die Hütte seines Vaters und den Ort seiner Jugend. Nichts hielt ihn mehr an diesem Platz, der ihm den Abschied, nach den jüngsten Erfahrungen auch nicht sonderlich schwer machte.
Seine kurzen Beine trugen ihn über Sand, Stein und Geröll. Sein Ziel wähnte er in Maon, der Stadt des Sultans und er folgte einem ausgetretenen Pfad, auf dem er zahlreiche Hufabdrücke von Kamelen sah, die ihm den rechten Weg wiesen. Den beschwerlichen Fußmarsch erleichterte er sich mit dem Zählen der Schlangen und Skorpione, die er mit seinem Wanderstock vertrieb und mit der Betrachtung der Natur.

Kurz nach Verlassen der Oase wurde die Vegetation sehr schnell karg und spärlich. Nach einem letzten Umwenden war ihm, als ob sich die Dattelpalmen der Oase mit ihren hohen Wipfeln und sattsamem Gründ, zum Abschied leicht hinter ihm verneigen würden. Aber es war nur der Wind, der sein Spiel mit ihnen trieb. Das Büffelgras wurde rasch niedriger, seine Schritte sicherer. Schon erblickte er mächtige Säulen riesiger Sukkulenten und kleinere Tamarisken. Nun befand sich Mukhtar mitten in der Wüste, die auch jetzt kurzweilige Blickfänge für ihn bereithielt. So entdeckte er die verwischten Spuren von kleinen Wüstenbewohnern. Er ahnte, hier bald noch mehr zu sehen, legte eine kleine Rast ein und hoffte auf die Dinge, die da kommen könnten. Und wirklich: Kaum, dass er regungslos verharrte tauchten zwei Springmäuse auf, die, sich lustig neckend, eine Düne hinab kugelten. Das sah so imposant aus und klang so putzig , das er dieses Schauspiel mit angehaltenem Atem aufgeregt verfolgte: Zuweilen schossen kleine Sandfontänen auf, die sich mit einem aufgeregten Piepsen vermischten, so dass er sich nur mühsam ein Lachen verkneifen und somit die nötige Ruhe halten konnte. Kurz vor seinen Füssen, richteten sich die beiden kleinen Kobolde auf, setzten sich auf ihre kleinen Hinterläufchen, putzten ihre schnurrbärtigen Schnuten und verschwanden spurlos im Sand. Mukhtar lachte nun endlich lauthals, ob diesen Vergnügens und setzte seinen Weg fort.

Allmählich setzte ein Wind ein, der immer heftiger wurde und ihm, sehr zu seinem Verdruss, das Gehen arg erschwerte. Der Wind blies ihm Sand in die Augen, so dass er, nach langer Zeit des Kämpfens, entrüstet stehen blieb, um sich seinem Ärger über diesen sinnlosen Kampf, Luft zu machen:
„Sag mal Wind! Meinst du nicht, dass du dich schämen müsstest, mir ständig ins Gesicht zu blasen? Und als wenn das nicht schon genügen würde, wirfst du auch noch mit Sand nach mir, lässt mein Gesicht brennen wie Feuer und streust ihn mir in die Augen! Sag mal, findest du das in Ordnung? Statt deinem einzigen Wanderer weit und breit die Ehre zu geben, ihm etwas Marscherleichterung zu schenken, fährst du ihm voll entgegen, hemmst ihn und beraubst ihn seiner wenigen Kräfte, von denen er eigentlich alle zum Laufen braucht. Um es einmal ganz deutlich zu sagen: Zum Kämpfen ist mir meine Kraft jetzt im Augenblick einfach zu schade! Auch steht mir nicht der Sinn danach! Das ist wie Perlen vor die Säue, denn ich brauche meine Kraft. Und außerdem, ich finde dass ausgesprochen unfair und ungerecht von dir, Wind! Wahrscheinlich hat dir das noch keiner gesagt, aber du hast voll ein Rad ab!“

Der Wind nahm, so als hätte er Mukhtars Zorn verstanden, plötzlich zu und trieb ihm den feinen Sand noch heftiger ins Gesicht.

„Gut Wind, ich gebe es ja zu, dass meine Position dir gegenüber nicht die beste ist. Aber was ist, wenn ich dich bitten würde? Deine Stärke ist ja nun in Ordnung! Ich bewundere auch deine Kraft, die schier unerschöpflich scheint. Auch deine Art, wie du mit dem Sand spielst, ist beachtlich, nicht von der Hand zu weisen und ich kenne nichts schöneres, was, mit deiner Art, graziöse Sandbauten zu errichten, vergleichbar wäre, aber wenn ich dich darum bitten könnte, mir nur noch eine kleine Kostprobe deines großen Drehvermögens zu zeigen, so würdest du mich zum glücklichsten Menschen der gesamten Wüste machen!“

Kaum hatte Mukhtar die letzten Worte ausgesprochen, wollte es der Zufall, dass sich der Wind drehte und Mukhtar, im wahrsten Sinne des Wortes, vor sich her blies. So dauerte es gar nicht mehr lange und die fremdartige Skyline von Maon, der Sultanstadt trat vor seine Augen. Voller Kraft lehnte er sich gegen den Wind, um seinen Lauf einen kurzen Augenblick abzubremsen und schließlich zu unterbrechen:
„Wahrlich, das muss die Stadt des Sultans sein, von der mir der weise Ibrahim einst erzählte! Mal sehen, ob ich dort mein Glück machen kann!
An mir soll es nicht liegen, da ich nun weiß, wie man jene fremde Menschen, die möglicherweise als Freunde taugen, erkennt!
Oh, die Stadt scheint zum Greifen nah.
Warum dauert es nur solange, bis ich ihre Stadttore erreiche? Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie lange es ohne meinen Freund den Wind gedauert hätte, diesen tollen Aussichtspunkt hier zu erreichen? Und wie mir meine Füße schmerzen! Aber, was soll’s! Mein Vater der alte Schuhflicker sagte immer: „Müßiggang ist aller Laster Anfang! Noch bevor die Sonne den Saum des Horizontes küsst, will ich eines der Stadttore erreicht haben...!“
 



 
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