Auf zu neuen Ufern?

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Ankurei

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Es ist also amtlich. Der Bestellungsbefehl sozusagen im Kasten. Geredet haben wir sicher mehr als genug, jedoch ohne jemals auf einen gemeinsamen Nenner gekommen zu sein. Hat Peter nicht gemeint, es würde noch viele Monate vergehen, bis Goethe sich entschieden hat? Eigentlich konnte ich damit rechnet, dass es eine Absage gibt, wenn die Goethe-Leute über den Antrag zu entscheiden haben, zumal auch diesem Institut mehr und mehr der Geldhahn abgedreht wird. Ich habe mich immer wie ein Aal gewunden und mich mit einer festen Zusage, mitzufahren oder hier zu bleiben, zurückgehalten, nun ist aber der Ernstfall eingetreten, und es gibt kein Zurück.

Peter meidet mich, ich meide ihn. Von mir aus könnte der Tag aus 124 Stunden bestehen, denn spätestens am Abend geht’s mit Sicherheit an den Grünen Tisch. Meine erste Frage wird sein: „Wie stellst Du Dir das mit meinem Job vor? Jetzt, wo ich die Andresen endlich los habe, soll ich das Feld räumen und den ganzen Krempel hinschmeißen, um in einem Land unterzuschlüpfen, das mir vom letzten Besuch in höchst unangenehmer Erinnerung geblieben ist?“. Peter wird sich nicht lumpen lassen und mit den Worten kontern: „Und was hast Du letzte Woche gemeint, als Du Dich wegen der aufgeknallten Überstunden krankschreiben lassen wolltest? Keinen Schritt wolltest Du mehr in die Bude setzen und sogar auswandern“.

Stimmt ja alles. Aber es geht nicht nur um den verlorenen Job, sondern auch um Lakritze. Man kann dem Kater doch nicht zumuten, bis zu 12 Stunden im Frachtraum eines Flugzeuges auszuharren, ohne dabei verrückt zu spielen. Andererseits kann er hier auch von BSE-verseuchtem Dosenfutter meschugge werden, während ich von brasilianischen Rindern nie negatives gehört habe.

O.k., lassen wir den Kater erst mal außen vor. Wir werden eher über andere Dinge diskutieren, z.B. darüber, wen wir in unsere Wohnung einquartieren, wer es vielleicht am meisten verdient hat, hier zu wohnen, bis es tatsächlich heißt: Adios old Germany – nach uns die Sintflut. Ich werde darauf bestehen, unsere Bleibe in Salvador de Bahia zumindest auf Fotos sehen zu können, bevor ich dort einziehe und die Goethe-Leute mit Fangfragen löchern, wie es momentan mit der Kakerlaken-Plage aussieht. Besser wird’s sein, mich mit Nichtigkeiten zurückzuhalten, stattdessen lieber auf die Frage zu lenken, wie es um unsere Haushaltskasse bestellt sein wird, wenn ich nicht mehr arbeite. Kommen wir mit Peters Gehalt klar? Das Wetter. Keine Nichtigkeit, sondern ein größeres Übel, zumal es mir beim letzten Brasilien-Besuch nun wirklich nicht gut bekommen ist. Temperaturen über 40° C, dazu tropische Feuchte. Wenn bei denen Winter ist, frieren die Brasilianer sich bei 22° C den Hintern ab, und die Upperclass-Leute hüllen sich in Pelze.

Upperclass. Nicht gerade die Regel, wenn ich an unsere Reise nach Bahia zurückdenke. Sieht es bei uns in Deutschland wirklich sehr viel anders aus? Na ja, vielleicht noch kurz danach, als Berlin von den Bettlern „gereinigt“ wurde, um die Bonner nicht zu schocken, die über den Ku-Damm flanieren könnten und sich ggf. an den Wegelagerern stören. Im Nachhinein fällt mir in diesem Zusammenhang ein, dass man in Brasilien ganz anders mit Bettlern umgegangen ist und es für Restaurantangestellte überhaupt keine Frage war, Essenreste an Bedürftige zu verteilen.

Noch bevor der Tag zu Ende geht überrascht Peter mich mit zwei Flugtickets. Hurra, wir fliegen nach Brasilien, informieren uns an Ort und Stelle, machen uns persönlich auf die Suche nach einer geeigneten Wohnung und klären ganz in Ruhe ab, wie es sein wird, wenn wir dort leben.
 



 
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