vielleicht auch liebe Nacht, in der das Gedicht wohl entstand,
Hey evermore!
Ich verstehe die Intention, „appliziert“ im Rahmen eines lyrischen Textes als legitimes Stilmittel zu verteidigen - immerhin ist Lyrik ein Raum für Freiheit, auch für Brüche. Aber genau darum lohnt sich der genaue Blick auf den Sprachduktus: Wenn ein Text durchgehend schlicht, alltagssprachlich und in bewusst reduzierter Tonlage geschrieben ist, wirkt ein Fachbegriff für mich wie „appliziert“ nicht wie ein kunstvoll gesetzter Kontrast, sondern wie ein unbeabsichtigter Ausreißer.
Man könnte es umdrehen: Würde man ein Gedicht von Britta Lübbers nehmen, das in komplexer Sprache arbeitet - und dort eine Verniedlichung wie „Hundi“ oder „Käffchen“ oder "blümlein" einsetzen, ließe sich das auch nicht mit dem Argument „es ist eben Lyrik“ verteidigen. Es wäre, als würde man einem Altmann die Nomen klauen oder einem Stolterfoht den Humor. Susan Kreller lässt in ihren Werken bewusst Wörter weg und in dem Kontext funktioniert das auch wunderbar.
Solche Wagnisse kann man machen, ja, und wie du es bereits so schön sagtest, die Lyrik lebt davon, aber es wirkt
für mich stilistisch inkonsequent und wirft Fragen auf, die vom Gedicht selbst ablenken. Es ist kein Störfaktor, der es für mich zur Funktion trägt, sondern einer, der mich
sprachlich stört. Das ist wie Äpfel und Birnen. Ulrike Draesner schrieb beispielsweise ein modernes Sonett, in dem sie absichtlich Fehler einbaute und im Anschluss die Strukturfähigkeit und den "Fehler als Folge" reflektierte. In dem Kasus funktionierte das wunderbar. Hier aber, bei dem Gedicht, möchte es bei mir nicht zünden. Wenn es bei anderen zündet, wunderbar, bei mir aber nicht.
Mir persönlich hat die schlichte Sprache insgesamt gefallen, das will ich ausdrücklich sagen - sie trägt und sie wirkt authentisch. Gerade deshalb empfinde ich „appliziert“ als so störend. Nicht, weil es ein „falsches“ Wort wäre, sondern weil es für mich als Leser die Sprachwelt des Gedichts verlässt, ohne dabei funktional etwas zu gewinnen. Die Botschaft wird für mich dadurch nicht verstärkt, sondern verliert an Glaubwürdigkeit.
Das ist, denke ich, eine Konsequenz, die man beim Veröffentlichen in Kauf nimmt: Der eine liest es so, der andere anders. Das ist nicht nur normal, sondern eine wundervolle Reizung um Lyrik herum, aus der sie zu wachsen scheint. Mein Eindruck - und dies ganz subjektiv - war in dem Moment schlicht der, dass der Text an dieser Stelle etwas unausgewogen wirkte, als würde hier noch ein Gefühl für sprachliche Nuancierung wachsen. Das ist kein Vorwurf, sondern eine Beobachtung, die ich im Geist der konstruktiven Rückmeldung teilen möchte. Was auch Grund war, wieso ich einen Kommentar schrieb.
Ich selbst schrieb einst ein Liebesgedicht, das nur aus solchen Wörtern bestand - und? Hat es funktioniert. Natürlich nicht.

Maren