Aufs Wasser schauen (Sonett, andante)

4,50 Stern(e) 4 Bewertungen
Es fließt, es schwankt, es regt sich gut. Die Gischt leckt an der Küste
Im Tango-Schritt von Ebbe, Flut. Es schäumt wie Seifenlauge.
Wo Wellen sich verschlucken, ist: Ein Lustspiel für das Auge.
Es scheint, als ob das Aug zu schau’n nichts Besseres sich wüsste.

Hier liegt der Ursprung allen Seins und auch des Lebens Quelle.
Der See blinkt rein und hell und klar. Juwel der Erdenkrone.
Erst Flüsse teilen, Adern gleich, das Land in Lebenszone.
Auf Dunkelsamt: Türkis. Saphir. Bewegte Aquarelle.

Nicht Hab und Tand noch Wuselei hat derlei Wohleffekte.
Im Wasser liegt die große Kraft! So sind dies die Aspekte,
da Himmel einen Spiegel schafft. Wenn unsre Blicke weilen,

Ist blaues Staunen tiefer Trost. Stets H2O-Objekte
Haben mein Aug liebkost, geführt. Wo Gischt an Küste leckte,
Wo Neptun seinen Dreizack rührt, versinken diese Zeilen.
 
Zuletzt bearbeitet:

petrasmiles

Mitglied
Liebe Dichter Erdling,

ich finde dieses Sonett richtig gut und schwelge in Blau.
MIr will nur scheinen, dass 'der Ursprung allen Seins' und 'des Lebens Quelle' dasselbe sind, und das ist ein Faszinationsstopper für mich, weil ich flugs in die andere Gehirnhälfte geschwappt bin - und grübel jetzt.
Trotzdem gerne gelesen!

Liebe Grüße
Petra
 

Agnete

Mitglied
Ich finde es individuell, Erdling, ein 7 hebiges , reimloses Sonett zu schreiben. in der Tat hat es aber was. Also, warum nicht?
Das Gedicht lebt von der perfekten Metrik. Es scheint in ihr wie Wellen. darum würde ich bei "Haben mein Aug liebkost " noch mal nachfeilen.
Auch das H2o will mir nicht in das poetische Werk passen. Aber vielleicht Geschmacksache. ;)
Das Wasser als Ursprung.
erfrischend anders verdichtet.
lG von Agnete
 

mondnein

Mitglied
Bewegte Aquarelle.
ist lustig tautologisch.
unscharf in der eigentlich iambischen Betonung: "habén mein Áug", aber am Versanfang kann das so locker einsteigen wie bei Jazz- oder Liedersängern, die die ersten drei Silben einer Liedzeile leicht verzögern, aber dann den folgenden Takt wieder genau treffen.

Stets H2O-Objekte
ja, gut pointiert.
und (Nebengedanke): wer denkt schon daran, daß Wasserstoffoxid, kurz "Wasser", die Asche des Wasserstoffs ist.

grusz, hansz
 
Liebe Petra!

Bei „des Lebens Quelle“ dachte ich an das Wasser als etwas, was wir zum Leben und Überleben ständig brauchen. Oder: Wasser als jener Stoff, aus dem unsere Körper hauptsächlich bestehen.
Im Unterschied dazu der „Ursprung allen Seins“ als evolutionsgeschichtliches Element: Das Wasser, aus dem sich nach und nach das Leben entwickelt hat.

Liebe Grüße und danke fürs Vorbeischauen, Kommentieren und für die Sternchen,

Erdling
 
Hallo Agnete!

Lieben Dank für Kommentar & Bewertung & für deine Anmerkungen, Ideen.

Zu ebenjenen:

"Haben mein Aug liebkost“ – Wie würdest du hier nachfeilen?
Der Kollege @mondnein hat sich ja ebenfalls dieser Passage zugewandt. Er kommt zum Schluss, am Versanfang wäre das mit der Betonung okay, so empfand ich das beim Schreiben auch.

„H2O“ - Der Bruch zwischen poetischer Sprache und wissenschaftlicher Formelhaftigkeit ist an dieser Stelle gewollt.
Beim „H2O“ war mein Problem eher, dass ich die tiefergestellte "2" aus dem Word-Dokument nicht übertragen konnte.

Liebe Grüße,

Erdling


P.S.: Warum du meinst, das Sonett wäre reimlos, verstehe ich nicht so ganz.
 
Hallo mondnein!

Dein Kommentar und deine Wertung freuen mich sehr.

Ob „bewegte Aquarelle“ eine Tautologie bedeuten? Ich bin mir nicht sicher.
Die Farben eines Aquarells bewegen sich in der Regel nicht mehr, sind sie erst mal auf der Leinwand getrocknet, wohingegen die Bild-Analogie von den irdischen Gewässern eine Bewegung naturgemäß in sich trägt.


Liebe Grüße,

Erdling
 

petrasmiles

Mitglied
Bei „des Lebens Quelle“ dachte ich an das Wasser als etwas, was wir zum Leben und Überleben ständig brauchen. Oder: Wasser als jener Stoff, aus dem unsere Körper hauptsächlich bestehen.
Im Unterschied dazu der „Ursprung allen Seins“ als evolutionsgeschichtliches Element: Das Wasser, aus dem sich nach und nach das Leben entwickelt hat.
Da hast Du mir jetzt echt aus der Klemme geholfen - manchmal schnappt das Hirn einfach zu und will nicht mehr weiter. Sachen gibt's ...
Liebe Grüße
Petra
 

mondnein

Mitglied
Ob „bewegte Aquarelle“ eine Tautologie bedeuten?
ich meinte, lieber Dichter Erdling,

mehr die Kongruenz von "Aquarelle" und den Farben des "Wassers", das sind zwar keine wirklich tautologischen Begriffe, - aber "Farben des Wassers" haben eine lustige Übereinstimmung mit "Wasserfarben", "Aquarelle" mit "Aqua". Ein gutes Stilmittel bei Dir hier, eine Erinnerung daran, daß Aquarelle mit Wasser gemalt werden (und das auch noch abundant=überfließend!) gerade dann, wenn mit ihnen landschaftliche Wasserflächen gemalt werden. Würden in einem Aquarell Feuergluten optisch dargestellt werden, wäre das eine Art von Antithese, - wofür ich allerdings so wenig treffgenau ein Wort hätte wie für das witzige Stilmittel dieser "Fast-Tautologie" von Titel und Mittel in Deinem Gedicht.

grusz, hansz
 

fee_reloaded

Mitglied
Mich hat das für das Sonett ungewöhnliche Reimschema auch erst glauben lassen, du hättest ein reimloses Gedicht geschrieben, lieber Erdling!

Und auch nach dem gleich darauf folgenden Entdecken des Kreuzreims wollte sich das Ganze nicht so wirklich gereimt anfühlen. Das finde ich so irritierend wie spannend zugleich als Phänomen und kann's - wie du siehst - nicht ganz für mich einordnen. Technisch einwandfrei gemacht - und trotzdem sperrig irgendwie. Und das übertönt das "einwandfrei gemacht" interessanterweise ziemlich laut.

Ich hab es mal umgestellt auf AABB, was semantisch einwandfrei funktioniert (denn auch das Licht durch die Wellen hindurch malt im Tango-Schritt ein Mosaik auf die Brüste, wie ich finde).

Es fließt, es schwankt, es regt sich gut. Die Gischt leckt an der Küste.
Es malt das Licht ein Mosaik auf Meerjungfrauenbrüste
Im Tango-Schritt von Ebbe, Flut. Es schäumt wie Seifenlauge.
Wo Wellen sich verschlucken, ist: Ein Lustspiel für das Auge.

Hier liegt der Ursprung allen Seins und auch des Lebens Quelle.
Auf Dunkelsamt: Türkis. Saphir. Bewegte Aquarelle.
Der See blinkt rein und hell und klar. Juwel der Erdenkrone.
Erst Flüsse teilen, Adern gleich, das Land in Lebenszone.
Das Sonett im Titel als Formangabe hat in mir ebendiese Erwartungshaltung aufgebaut und die könntest du also leicht bedienen. Musst aber natürlich nicht - schon klar. Ich sehe nur den Gewinn des abweichenden Reimschemas nicht, wenn ich ehrlich bin bzw. kann die Idee dahinter nicht erkennen. Am Inhalt jedenfalls kann ich sie nicht festmachen. Aber ich bin mir sicher, du hast das nicht zufällig so gewählt und bin daher gespannt, was dahintersteckt! Kann ja auch an mir liegen, dass ich es nicht sehe.

Tatsächlich stolpere auch ich an dieser Stelle:
würde ich bei "Haben mein Aug liebkost " noch mal nachfeilen.
denn die weicht metrisch ab. Ich schreib mal die betonten Silben fett:


Ist blaues Staunen tiefer Trost. Stets H2O-Objekte
Haben mein Aug liebkost, geführt. Wo Gischt an Küste leckte,

Z1 ist einwandfrei im xX xX xX xX bis zum Punkt. Danach folgen eigentlich lauter betonte Silben, wenn ich nicht sehr gezwungen gegen die natürlich Betonung "leiern" müssen will...und dann beginnt die nächste Zeile zusätzlich noch mit einer betonten anstelle einer unbetonten Silbe und holt das Ganze nicht mehr ins xX xX ...Schema zurück bis zum nächsten Punkt.

Da steht also:
x Xx Xx Xx X X XXX xXx
Xx x
X xX xX x X x Xx Xx

Da "prallt" also so Einiges, das definitiv runder geht.

Stets H2O-Objekte haben mein Aug liebkost, geführt.

...ist jetzt auch, ich sag es ganz offen, in meiner Wahrnehmung kein schöner Satz. Das H2O ist auch mir zu technisch oder "sprechfremd" und insgesamt wirkt dieser Satz einfach im Gegensatz zum runden Rest des Gedichts seeeehr konstruiert - wie ich vermute, mit dem Ziel die entsprechende Aussage UND Reimendung zu liefern. Da bin ich nicht so ganz begeistert.

Eine Möglichkeit, dies zu beheben, wäre - nur als Beispiel - etwas wie:

Nicht Hab und Tand noch Wuselei hat derlei Wohleffekte.
Im Wasser liegt die große Kraft! So sind dies die Aspekte,
wo Himmel einen Spiegel schafft. Wenn unsre Blicke weilen,

Ist blaues Staunen tiefer Trost. Wo Wasser ich entdeckte,
da ward
' mein Aug liebkost, geführt. Wo Gischt an Küste leckte,
Wo Neptun seinen Dreizack rührt, versinken diese Zeilen.
Die Wuselei als Wort da drin mag ich übrigens sehr...die erzeugt so einen kleinen Kontrast zu "Hab und Tand" - auch sprachlich.
Schön eingefangen, was die Wahrnehmung von Wasserflächen mit uns macht. Ich glaube ja, wir kommen da auf einer uns gar nicht fassbaren, tieferen Ebene auch mit unseren Ursprüngen in Berührung (ähnlich wie beim Waldbesuch...da passiert ja auch mehr als wir mit unserer Ratio greifen können). Und das hat etwas Heilsames.

Sehr gerne gelesen und besenft!
LG,
fee
 

Agnete

Mitglied
hab noch mal geschaut, tatsächlich Kreuzreimo_O Hab ich durch die Länge echt übersehen. Würde auch beim romanischen Sonett ( am Ende Terzette) nicht passen. Müsste umarmender Reim sein.
Aber egal. Mir gefällt's. Schmunzeln von Agnete
 
Hallo nochmal ihr Lieben,

ich sollte mich wohl ehrlich machen:
Kein tieferer Sinn steht hinter dem Reimschema. Reine Flickschusterei ist es, die zum nicht ganz richtigen Ergebnis geführt hat. Übereifer, Ungenauigkeit und Eile.
In den „Festen Formen“ bin ich ja nicht wirklich zuhause, fühle mich oft gar eingeschüchtert und beengt von der Aufgabe.
Hier hatte ich ein Thema, das schon mal flapsig und schnell als „Spaßgedicht“ herausgeflossen ist (siehe unter „Gereimtes“) – dem wollte ich dann ein sorgfältig komponiertes Werk entgegensetzen und hab mich mal wieder ans Sonett gewagt.
Bis ich all die schönen Wortideen in entsprechende Reime verpackt hatte, hatte ich die Zeilen wiederholt hin- und hergeschoben und herumprobiert, bis es am Ende für mich gepasst hat – und das, ohne nochmal wenigstens bei Wikipedia nachzufragen, wie klassisches Sonett korrekterweise geht.
Da sind wir jetzt, oh je.

Werde das Ganze natürlich nochmal überarbeiten, aber heute nicht mehr (bin erst spät nach Hause gekommen).
Danke fürs aufmerksame Lesen und hoffentlich habe ich mich jetzt nicht allzu sehr blamiert in euren Augen.

Bissi beschämt geht ins Bett:

Euer Erdling
 

mondnein

Mitglied
Das ist nett, dear Dichter Erdling,

in der Wiki nachzufragen, wie mans richtig macht. Das kehrt aber die Logik der "richtigen" Formen um:
Zuerst macht man ein Kunstwerk, ein Lied, ein Gedicht, indem man die Form aus dem ästhetischen Reiz entwickelt, der einen zum Singen gebracht hat, also aus der seelisch ansprechenden oder sogar geistvoll zündenden Idee, die einen zum melodischen Ausformulieren getrieben hat.
Erst in zweiter Linie schaut man nach, welche namhafte Form man "aus Versehen" gefunden hat, und oft "gibt es diese Form schon", "fest" nur dadurch, daß sie schon irgendwann einmal vorgekommen ist und benannt worden ist, nicht wegen irgendwelcher Beckmesser-Gesetze. Wenn es kein Sonett ist, dann ist es eben was anderes, das ist völlig schnurz.
In anderthalbter Linie, noch vor der externen Rubriknamens-Taufe, eher schon während des Geburtsvorgangs, ist es gut, die dem Gedicht eigene Regel zu finden - und aber dem individuellen Gedicht gemäß "ihr dann zu folgen", wie der alte Hans Sachs in den "Meistersingern" es dem jungen Genie (Walter von Stolzing) vorschlägt.

Das Nachbeten alter Formen garantiert genauso wenig irgendwelche Publikums-Erfolge wie das avantgardistische Hinausschießen ins Neue. Zur Zeit ist Dichtung weniger wert als die gemalten Kunstwerke, die in "Bares für Rares" tief unter jedem gesetzlichen "Mindestlohn" für deren Erarbeitung verscherbelt werden. Dichtung verschwindet im Abyssus des Vergessens. Dichtung, das war einmal.
Damit muß man leben, und damit leben wir hier in diesem Forum am Oberrand der Danteschen Hölle, in deren sonnenferner Dämmerung schon die klassischen Dichter ihre Selbstgenügsamkeit belächeln durften, "Narziß im Endakkord von Flöten", wie Trakl sein "Kleines Konzert" beschloß.

grusz, hansz
 
Zuletzt bearbeitet:
Lieber mondnein,

so hab ich’s ja gemacht: Melodisch ausformuliert, was mich grad umtrieb, und mit Worten herumgespielt.
Nur gilt es bei den „festen Formen“ doch, so meine ich, ein paar Spielregeln einzuhalten.

Aber sicher, vor allem gehe ich beim Schreiben nach dem (Sprach)Gefühl.
So zähle ich auch nicht akribisch die jeweiligen Silben oder Betonungen – ich mein, wir machen hier ja keine Mathematik, sondern Poesie.

Mir gefällt übrigens dein Gedankengang, der den gesetzlichen Mindestlohn und das, was die Leute in einer Kunstverkaufssendung für alte Gemälde rausschinden, rechnerisch ins Verhältnis setzt.
Ja, wie viele Stunden sitzt am an so einem Werk, ob jetzt gemalt mit Ölfarben oder mit Worten, und wie wenig bis nix kriegt man dafür zurück - meistens.
Dass wir uns trotzdem immer wieder hinsetzen, um zu werken, zeigt, dass wir entweder verrückt sind oder einfach nicht anders können - oder beides.

Mit liebem Gruß,

Erdling
 
Okay, aufs herkömmliche ABBA-Reimschema umgemodelt würde das Ganze bei mir wie folgt aussehen:


Es fließt, es schwankt, es regt sich gut. Die Gischt leckt an der Küste
Im Tango-Schritt von Ebbe, Flut. Es schäumt wie Seifenlauge.
Wo Wellen sich verschlucken, ist: Ein Lustspiel für das Auge.
Es scheint, als ob das Aug zu schau’n nichts Besseres sich wüsste.

Hier liegt der Ursprung allen Seins und auch des Lebens Quelle.
Der See blinkt rein und hell und klar. Juwel der Erdenkrone.
Erst Flüsse teilen, Adern gleich, das Land in Lebenszone.
Auf Dunkelsamt: Türkis. Saphir. Bewegte Aquarelle.

Nicht Hab und Tand noch Wuselei hat derlei Wohleffekte.
Im Wasser liegt die große Kraft! So sind dies die Aspekte,
da Himmel einen Spiegel schafft. Wenn unsre Blicke weilen,

Ist blaues Staunen tiefer Trost. Stets H2O-Objekte
Haben mein Aug liebkost, geführt. Wo Gischt an Küste leckte,
Wo Neptun seinen Dreizack rührt, versinken diese Zeilen.




-> Die erste Strophe hat also eine neue Zeile eingefügt bekommen. Die „Meerjungfrauenbrüste“ sind dafür rausgeflogen, weil es inhaltlich nicht mehr gepasst hat.

Zweite Strophe ist vom Wortlaut her unverändert, nur eben anders angeordnet.

(Die beiden Terzette dürfen bleiben, wie sie sind.)
 

Agnete

Mitglied
Erdling, ich find es toll, dass dich nun der Ehrgeiz gepackt hatte. Dennoch, wegen mir hätte es nicht sein müssen und schämen muss man sich schon gar nicht. Wir können uns doch helfen in einem Forum. So war es doch hier immer. ;)
Ich fand das Werk vorher toll, auch wenn es eben formal kein Sonett war. Aber da hatte es etwas Eigenwiliges, das mochte ich sehr. ich hätte es nicht verändert. Nur eben nicht Sonett genannt.;) Schmunzeln von Agnete
 



 
Oben Unten