AURUM 2/11

Michael Kempa

Mitglied
Waffenstillstand


Mardus Palast strahlte in voller Pracht und Glanz. Kristall wohin das Auge schweifte, und ein Blick auf die Erde, wie Istar ihn schon lange nicht mehr hatte. Prächtig lag der blaue Planet zu Füßen der Königin, prächtig die Meere, die Kontinente und die Berge. Wolken und freie Flächen wechselten sich ab. Ein Juwel lag vor Istars Füßen. Die Königin wurde zum Zentrum der Anlage geführt, eine glänzende Halle, mit einer Kuppel, die den Blick auf das All freigab. Mardu wartete am Ende der Halle. Istar musste weit gehen, um vor ihrem Bruder stehen zu können. Im Kreis saßen die Herrscher der Erde - viele Verwandte von Istar - Brüder, Schwestern, Cousins. Die Familie tagte.

Mardu verzichtete auf eine gebührende Begrüßung.
„Da kommt ja die Heerführerin! Ohne Gefolge, ohne Freunde. Schaut euch diese jämmerliche Gestalt an! Ein genetisches Wrack, klein und gebeugt, Pelz - dort, wo stolze Schuppen glänzen sollten! Ein Schädel, in den nur ein geschrumpftes Gehirn passt - der Gang eines Affen - fern von unserem Schreiten! Selbst an den Füßen und Händen fünf Enden. Nutzlos, wie ihr gesamtes Tun!“
Der Herrscher richtete sich zur vollen Größe auf und hob verächtlich das Kinn.
„Was machen wir mit dieser Gestalt - dieser Verräterin? Wir sollten sie auf der Stelle töten, dann hätten wir unsere Ruhe und könnten unsere Rückkehr vorbereiten. Dieser Planet hat sein Aurum gegeben, es ist unterwegs nach Cela und wird dort unsere Art retten. Alles andere ist mir egal.“
Die Helfer des Königs wichen einige Schritte zurück und warteten gespannt ab.
Istar sammelte ihren Mut, schluckte und begann mit ihrer Rede.
„Wir haben das Aurum dieses Planeten genommen, doch längst nicht alles. Vieles haben die Igi noch unter der Oberfläche liegen lassen, dann haben wir, mit deinem Wissen, neue Arbeiter geschaffen. Du hast mich selbst berechtigt, diese neue Rasse zu schaffen - aus dem Material, das zur Verfügung stand. Diese Arbeiter sind gelungen. Sie sind tauglich, robust und gesund, sie sind lernfähig und sie haben eine Sprache. Aurum nennen sie Gold, und sie sind Meister darin, dieses Gold zu finden und Kunstwerke aus Aurum zu erschaffen. Es entsteht eine neue Kultur, sie sind intelligent! Und nun beklage dich nicht, dass ich in ihrer Erscheinung vor dich trete, so war es besprochen - zum Wohl unseres Volkes! Die Igi hast du versklavt und ausgenutzt, so lange, bis sie flüchten konnten, und nun bist du mit unseren Resultaten nicht zufrieden? Was willst du?“
Zorn blitzte in Istars Augen, die sich zu Schlitzen verengten. Ihre Haare wurden fülliger und bildeten etwas wie einen Kamm. Aus den geweiteten Nasenlöchern tropfte Schaum auf den Boden des Palastes. In einer seitlichen, geduckten Bewegung richtete sie sich zwei Schritte vor ihrem Bruder auf und fauchte ihn drohend an. „Du willst alleine zurück nach Cela eno! Du willst unser Volk verraten und unsere Eltern! Du willst Ningal und Enk vom Thron stürzen und selbst Herrscher von Cela werden! Du größenwahnsinniger Verräter!“
Sudra sprang auf die Königin zu, riss ihr mit einer Kralle das Gewand vom Körper und war bereit, ihr den Todesstoß zu versetzen. Mardu stoppte seinen General mit einem Wink.
„Lass sie ihrer Wege gehen, unsere Eltern flehten um ihr Leben. Soll sie doch auf ihrem Schlammplaneten verrecken. Die Kleider bleiben als Beweis ihrer Schande hier!“

Ohne Kleider und ohne Schuhe drehte sich die Königin um und schritt so, völlig gedemütigt, an den Reihen ihrer Peiniger zurück zum Himmelswagen. Das Zischen ihrer Verwandten und ihrer ehemaligen Freunde drang in ihre Ohren. „Säugetier!“ Blut tropfte auf den Boden. „Tier!“
„Ekelhaft!“, Rufe wurden laut. „Sie blutet!“ Würgelaute begleiteten sie. Die Königin der Erde zwang sich, einen Rest von Würde zu behalten und nicht zu rennen. Der Weg zum Himmelswagen erschien ihr wie eine Ewigkeit.

Unruhig begrüßte Ka seine Königin.
„Wie lange war ich weg?“, fragte sie.
„Drei Tage und drei Nächte. Ich konnte die Truppen nur mühsam zurückhalten.“
„Dann wird es Zeit!“ Istar stieg mit Ka auf den Streitwagen und zog in den Krieg.

Der fünfte Tag von Setra wurde der längste. Reihenweise fielen die Soldaten, getroffen von Speeren, Kugeln und Pfeilen. Feuer verbrannte die Kämpfer, Blitze zuckten flach über das Feld. Gasschwaden wehten von Mardus Reihen herüber und ließen die Speerträger röchelnd und mit Schaum vor dem Mund zu Boden sinken. Schallgranaten zerrissen die Soldaten, und Stahlwalzen drückten die Angreifer in den Boden.
Istar kämpfte wie im Wahn - in ihrem Gürtel hingen Zöpfe mit den abgeschlagenen Schädeln der feindlichen Soldaten, Blut tropfte in die Stiefel der Amazone. Mit weit aufgerissenen Augen und fürchterlichen Schreien tobte sie über das Feld. In der Dämmerung konnten die Truppen der Königin fünfhundert Meter voranschreiten. Die Truppen ihres Bruders mussten weichen.

Der sechste Tag war der Tag der langen Waffen. Mardus Fußtruppen hatten keine Chance. Pausenlos fauchten die Raketenpanzer, hämmerten die Maschinengewehre, und Salven der Granatwerfer stimmten in eine seltsame, grausame Melodie ein. So ging das bis in die Nacht, in der Suchlichter neue Opfer fanden und Leuchtgeschosse flackernd das Feindesland beleuchteten.

Am siebten Tag war der Tag der Flieger. Die Maschinen kehrten zurück, und in den Zelten der Generäle wurden Bilder ausgewertet. Die Generäle zeigten ihrer Führerin hunderte Bilder der feindlichen Armee, die offensichtlich geschlagen war. Einzelne Soldaten waren erkennbar und unzählige Leichen. Auf einem Bild erkannte Istar einen ihrer Vettern, es war Sudra, ihr ärgster Peiniger, von Mardu war nichts zu sehen.
Die Generäle drängten ihre Königin zum Vormarsch. Einen ganzen Kilometer könnte es vorwärts gehen. In Istars Geist begann es zu arbeiten. Schließlich gab sie den Befehl zum Rückzug. Fünfhundert Meter zurück. Das verlassene Gebiet wurde gründlich vermint, nur geheime Gassen für den nächsten Vorstoß wurden in die Karten gezeichnet. Mürrisch folgten die Generäle Istars Befehl.

Der achte Tag war der Tag des Wartens. Die Fußtruppen sollten ausruhen und in Ruhe essen. Immer wieder wurde wahllos zum Gegner geschossen. Waffen wurden erprobt und Munition herangeschafft.

Am neunten Tag sollte die Schlacht entschieden werden. Alle Truppenteile standen im Morgengrauen bereit. Dann kamen viele Soldaten aus der Königsarmee, sie schwenkten weiße Fahnen und wurden durch Geschosse aus den eigenen Reihen dezimiert. Wer das überlebte, musste durch die Minenfelder. Die Überlebenden waren in einem erbärmlichen Zustand. Hunderte wurden gefangen genommen, mit Wasserwerfern abgestrahlt und hinter die eigenen Linien gebracht.

Der zehnte Tag brachte eine Überraschung. Wieder stand das Heer der Königin bereit zum Angriff, da hörten die Soldaten ein Summen, das immer lauter wurde. Der Himmel verdunkelte sich, und schwarze Schwaden flirrten über das ferne Gelände. Die Aufklärer konnten selbst nicht glauben, was sie zu berichten hatten. Millionen und Abermillionen von Fliegen erhoben sich in den Himmel und verwandelten das Feld der Ehre in einen wabernden Albtraum. Zum ersten Mal musste Istars Heer zurückweichen. Fast einen Kilometer. Durchbrechende Fliegenschwärme wurden mit Flammenwerfern bekämpft.
Der Herr der Fliegen! Mardu erhielt so seinen verdienten Namen.

Am elften Tag schlug die Stunde der Aufklärer. Einzelne kleine Trupps von zehn oder fünfzehn Kriegern wurden auf den Weg geschickt. Gleichzeitig wich Istar weiter zurück. Fünfzig Einheiten sollten berichten, was in Mardus Reihen und auch dahinter geschah. Das Warten begann.

Ka nutzte die Zeit, Istar zu befragen. „Was ist im Himmel geschehen? Du hast dich verändert.“
„Zwischen meinem Bruder und mir ist kein Frieden mehr zu erwarten. Die Mächte im Himmel sind gegen die Erde gerichtet, der einzige Grund, warum ich noch lebe, sind meine Mutter und mein Vater.“
„Sie waren dort? Ningal und Enk waren im Palast?“
„Nein.“ Istar schüttelte den Kopf. Es war ihr Ka, das habe ich deutlich gespürt, es haben alle dort gespürt.“
„Oh!“ Ka rieb sich das Kinn. „Das ehrt mich sehr!“
„Ka, wir müssen uns etwas ausdenken! Wir werden getrennt werden, du bekommst neue Aufgaben!“ Istar wirkte nachdenklich.
„Das habe ich befürchtet“, sagte Ka und ging bedrückt in sein Zelt.

Am zwölften Tag befahl die Königin den Rückzug bis zur Linie des Aufmarsches. Die Heerführer waren in Aufregung und wollten wissen, ob die Schlacht gewonnen sei. Die Königin befahl den Aufbau eines großen Zeltes und stellte Truppen ab, die alles, was sich bewegte – außer die eigenen Späher – vernichten sollten. Zwar schossen die Kämpfer lieber auf Spatzen und Ratten als auf Menschen, doch verstehen konnten sie diesen Befehl nicht so recht.

Am dreizehnten Tag kamen die ersten Späher zurück. Sie mussten auf Abstand bleiben und ihren Bericht in den Wind rufen. Dann mussten sie in vorbereitete Zelte und durften ihr Lager nicht verlassen. Zwar waren sie mit allem versorgt, was für ein angenehmes Lagerleben nötig war, doch fehlte ihnen ein einleuchtender Grund für diese seltsame Bestrafung.

Am vierzehnten Tag versammelte die Königin alle Heerführer in ihrem Siegeszelt, so wie es genannt wurde.
Die Herrscherin erhob ihre Stimme: „Wir haben die Schlacht gewonnen…“
Jubel aus dutzenden Kehlen erfüllte das Siegeszelt, lautes Klatschen, das sich in einen einzigen Rhythmus steigerte. Minutenlang.
„Auf der anderen Seite von Setra gibt es nur noch Tote, oder die Soldaten liegen im Sterben. Die Schlacht ist beendet, wir haben gewonnen, doch wir dürfen die Städte jenseits von Setra nicht betreten. Es wird keinen Lohn für unseren Sieg geben.“
Die Warlords verstanden nicht. Die Schlacht gewonnen - die Beute liegen lassen?

Am Tag des Abzugs starben die ersten Späher in ihren Lagern. Die Knoten in den Achseln und den Leisten der Soldaten brachen auf, Eiter entzündete die Wunden. Die Krankheit war kurz und heftig und endete regelmäßig mit dem Tod der isolierten Späher.
Die Pest beendete den Krieg.

Das war die Schlacht von Setra.
 



 
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