Michael Kempa
Mitglied
Melam
Mai, 15368 Jahre vor Christus
Der Abschied von Karina und Menos wurde zu einem Fest, das mehrere Tage dauerte. Die Senatorin von Atlantis wurde in Ehren entlassen. Der königliche Segler stand im Hafen von Allesandria bereit. In der Stadt am Meer stand auch die große Bibliothek der Könige. Aus Schilfrohr wurden dort Pergamente hergestellt, die mit den Schriftsätzen des Königshauses versehen wurden. Die Gelehrten der Bibliothek stritten um Form und Beschriftung, sie waren sich nicht einig über ein gemeinsames System, doch es entwickelte sich etwas wie eine Universität des Reiches. Fasziniert beobachtete die Senatorin das Treiben und nahm einige Schriftproben mit auf ihre Reise. Auf Minos konnte sie erleben, wie die letzten Apis-Stiere gehalten wurden. Die Insel lag einsam, weit im Meer, vor Allesandria. Die Stiere lebten dort weit weg von menschlichen Ansiedlungen. Menos bestand auf den Erhalt einiger Tiere, und nachdem Istar gesehen hatte, dass die Isolation gut überwacht wurde, verließ sie beruhigt die Insel. Nach einer Woche waren sie im Gebiet von Atlantis und wurden dort bereits erwartet.
Istars Gleiter war nicht flugtauglich, er stand zwar im Hangar und wurde bewacht, doch viele Systeme endeten in einer Fehlermeldung. Die Senatorin sammelte fähige Techniker um sich, es waren nicht viele. Die Energiezellen waren fast leer, und mit denen von Atlantis nicht kompatibel.
Mardochai war keine große Hilfe, er genoss den Prunk und schmiedete Pläne, seine Macht zu steigern. Die Königin fremder Länder scherte ihn wenig.
Istar arbeitete weiter, suchte nach Treibstoff, und ließ die Intrigen, die im Palast gesponnen wurden, an sich abprallen.
Selbst Mardochai begriff langsam, dass sein Reich Energie benötigte. Holz und Kohle waren auf den Inseln selten. Die Sonne spendete genug Kraft für Beleuchtung und die Versorgung des Volkes mit Produkten für das tägliche Leben, doch der Handel blühte, die Länder um Atlantis verlangten nach Glas, zuerst als Schmuck, dann als Baustoff und zur Lagerung. Der Transport von Lebensmitteln brauchte Tonbehälter und auch viel Glas. Das Glas wurde zu einem Markenzeichen der Inseln, und war überall auf der bekannten Welt sehr beliebt.
Die Herstellung von großen Mengen stellte das Reich vor Probleme und es gab erste Energieausfälle und stundenweise finstere Städte.
Aurum wurde Tauschmittel und wer Gold mit Glas tauschen konnte, führte weiter ein behagliches Leben. Die Gier nach Besitz zerstörte langsam den Frieden. Mardochai wurde Opfer einer Intrige, sein Traum von Macht endete in einer Blutlache.
Der nächste reptiloide König wurde durch Menschen kontrolliert, denen er regelmäßig Bericht erstatten musste.
Istar war gewarnt, sie kannte die brutale Seite ihrer Schöpfung, sie wusste, dass diese Seite kontrolliert werden musste, sie spürte, dass die Kontrolle schwand.
Der Konverter für den Gleiter war fast fertig. Viele Jahre waren vergangen. Es wurde Zeit die Inseln zu verlassen. Das Wissen über den Konverter musste Istar an die Herren von Atlantis übergeben, es war eine einfache Version, die genug Energie für die Städte und die Produktion lieferte. Für diesen Konverter wurde Gold gebraucht, und das Wasser aus dem Meer. Die Anlage wirkte auf Istar plump und wenig ergiebig, doch den gierigen Machthabern war das genug.
Die Menschen zogen an die Ufer des Meeres, zu den Energieanlagen, zu den Palästen der Herrschenden.
Die Senatorin spürte die Gefahr, ihr Titel wurde immer weniger respektiert.
Ihre Abreise gab sie nicht bekannt, ohne Begleitung bestieg sie ihren Gleiter und verließ das Inselreich. Die Verfolger konnten ihr nichts anhaben, das Fluggerät arbeitete perfekt und stieg mühelos in Höhen auf, denen nur ein Himmelswagen folgen konnte.
Das Zittern kam ohne Vorwarnung, nur mit Mühe konnte Istar die Kontrolle über den Gleiter behalten, ihr Körper bebte. Die Kälte folgte, und eine Müdigkeit, die wie mit unsichtbaren Armen nach ihr griff. Die Pilotin aktivierte die Notprotokolle und beobachtete den Abstieg auf eine Insel im mittleren Meer. Am Strand brach sie zusammen; Stunden später wachte sie auf.
In Decken eingewickelt saß sie erschöpft vor ihrem Gleiter.
Die Notration verzehrte sie in der Hoffnung, danach wieder zu Kräften zu kommen.
Ka meldete sich in ihrem Geist.
„Herrin, du musst dich entscheiden! Dein Melam ist fast verbraucht, du bist von Cela eno, doch spiegelst du vieles von den Menschen. Die Zeit kannst selbst du nicht bezwingen und dein Doppelleben nagt an deiner Lebenskraft. Melam ist das Kribbeln des Fleisches, du selbst hast es so beschrieben. Das Melam in dir ist immer stark gewesen, und hat dich beschützt, es wirkt wie ein Schutzschirm, und das Melam - deine Lebenskraft ist fast verschwunden.“
Istar versuchte, ihre Kräfte zu sammeln und Ka zu beweisen, dass sie die Situation im Griff hatte.
Ka warnte: „Dein Melam schwindet, du denkst, dass es unendlich ist - doch das stimmt nicht. Du hast viel Melam für die Erschaffung der Menschen verbraucht. Ohne Melam wäre deine Aufgabe nicht gelungen, du hast es gebraucht um deine Art mit einer anderen Art zu verschmelzen, du hast es verbraucht, um dich selbst zu schützen und die Krankheiten dieser Welt abzuwehren. Du hast nicht bedacht, dass Melam auf Cela eno selbstverständlich ist, doch du lebst nicht mehr auf Cela, und hier, auf dieser Welt, wird dir kein neues Melam gegeben.“
Die Tochter von Enk und Ningal atmete schwer und spürte ihre Schwäche.
Den Rückflug nach Shangri programmierte Istar mit einem Umweg über Kalkata und Tanesar, genaue Luftbilder wollte sie haben, für einen längeren Besuch reichten ihre Kräfte nicht aus. Die Stunden bis zu den Metropolen verbrachte die Pilotin liegend, die Steuerung vertraute sie der Automatik an.
Aus der Luft erkannte sie, dass es beide Städte nicht mehr gab, es waren bedeutungslose Siedlungen im dichten Wald. Viele Kilometer weiter, am Rand des Ozeans, leuchtete eine neue Stadt. Ka informierte seine Herrin über den Namen: Tanekata, ein Zusammenschluss der Städte - nun am Meer, nicht mehr in den Bergregionen des Kontinents. Gerne hätte Istar mehr über die Städte erfahren, sie wollte dort mit den Menschen reden, doch Ka drängte auf eine rasche Reise nach Shangri.
Istars Festung in den hohen Bergen, wurde für die Königin ein Ort der Entscheidung. Istar konnte nicht mehr zwischen reptiloider oder menschlicher Erscheinung wechseln, ihr Melam war begrenzt. Neues Melam konnte sie auf Cela eno bekommen, doch der Weg in ihre Heimat war weit, und mit ihren Möglichkeiten unerreichbar. Mit viel Zeit ließ sich etwas der Lebenskraft auf der Erde gewinnen, doch gewiss nicht für zwei Leben. Istar musste sich entscheiden. Sie hatte die Wahl als Reptil oder Mensch zu leben.
Ka gab ihr den entscheidenden Hinweis, nach langen Gesprächen in Shangri. „In der Nacht, in der ich diesen Planeten verließ, startete ich eine Sonde zu unserer Heimat.“
Istar war überrascht. „Du hast mir nie davon erzählt.“
„Es war ein Versuch, und es war meine Pflicht als Ka von Cela eno.“
„Das ist nun viele Jahre her,“ überlegte Istar. „Was ist das Ergebnis?“
„Die Sonde hat Cela eno erreicht und konnte sogar wenden, sie ist auf dem Weg zurück, die Signale konnte ich auswerten, bis die Verbindung abgebrochen ist. Es sind keine guten Nachrichten, um genauer zu sein: Es gibt keine Nachrichten.“
„Es gibt niemanden mehr auf Cela?“, fragte Istar mit leiser Stimme.
„Keine Antwort auf meine Signale, keine messbare Aktivitäten.“
Istar war entsetzt. „Dann werde ich Cela nie wieder sehen?“
Ka schwieg.
Die Königin bereitete sich vor, ihr Entschluss war gefallen. Shangri versank in Schutt und Eis, der lange Schlaf begann.
Fortsetzung folgt.