Aus dem Orbit

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Klaus K.

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McGill hatte den Alten zufällig kennen gelernt. Nach langen Verhandlungen mit seinen amerikanischen Geschäftspartnern hatte er keine Lust mehr auf die Hotelbar gehabt und war ein paar Schritte vor die Tür gegangen, um dann in “Rick’s Saloon” doch noch ein paar Bier zu trinken. Dort traf er ihn. Und weil man sich ja in Lubbock/Texas befand, fragte er sein Gegenüber irgendwann, wie weit es denn bis Roswell/New Mexico sei. “Sie wollen nach Roswell?” fragte der Alte.

“Na ja, wenn man schon mal hier ist…Da ist ja richtig was los gewesen, 1947. Dieser UFO-Absturz, der dann vom Militär als Wetterballon deklariert wurde - da wurde ja so viel dementiert hinterher. Und die Augenzeugen, die die Trümmer und die kleinen Leichen gefunden haben - die wurden wohl mundtot gemacht, obwohl die Originalfotos von der Bergung etwas ganz anderes zeigten als Fragmente von einem Wetterballon - und diese Fotos wurden bereits sofort danach aus dem Verkehr gezogen. Wer wusste denn 1947 schon etwas von UFOS?”

“Ich weiß, ich weiß”, entgegnete der Alte. “Die Geschichte ist ja bestens bekannt und noch heute pilgern hunderttausende pro Jahr dorthin. Aber ich, ich war damals sozusagen dabei!” “Sie waren dabei?” “Na, nicht direkt… ich war als junger Bursche auf der Bodden-Farm beschäftigt, so zwanzig Meilen von Roswell entfernt. Na ja, das war damals noch eine richtige Rinder-Farm. Und ich habe die Zäune repariert, wissen Sie. Jede Farm braucht Wasserlöcher für die Tiere, und diese Wasserlöcher sind rar. Darum werden sie eingezäunt, damit nicht alle Rinder gleichzeitig saufen. Dann kann man den Einlass steuern und vermeidet, dass das Wasserloch leer oder nicht mehr zu gebrauchen - weil platt getrampelt - ist. Also, ich war an Wasserloch Neun beschäftigt und habe den Zaun neu gespannt, neue Pfähle gesetzt. Das war 1947. Und plötzlich höre ich über mir ein Geräusch, sehe etwas ganz weit oben blitzen und dann hat es kurz darauf ganz in meiner Nähe “plopp” gemacht. Einfach so. Irgendetwas ist runtergekommen. Ich habe kurz nachgeschaut, aber nichts gefunden. Wer wusste schon etwas von UFOS, damals 1947, wie Sie richtig sagen. Erst später habe ich dann erkannt, dass da ein Zusammenhang mit Roswell bestehen könnte - es war ja am gleichen Tag!”

“Und Sie haben nichts mehr unternommen seitdem?”

“Ach was - ich war vierzig Jahre bei meinem Bruder in Oregon direkt danach. Sie sind der Erste, dem ich das jetzt erzähle. Außerdem hat die AirForce jedem erklärt, dass es sich um einen abgestürzten Wetterballon gehandelt hat. Stand ja danach in allen Zeitungen!”

McGill war wie elektrisiert. Er informierte seine Firma in Schottland, dass er dringend eine Woche Urlaub benötigte, um noch erkrankte Verwandte in den USA zu besuchen. Dann ließ er sich Visitenkarten drucken. Eine fiktive Firma in Schottland, für die er jetzt als “Umwelt-Analyst, Schwerpunkt: Stehende Gewässer” tätig war.

Danach machte er sich auf den Weg. Es waren ja nur ein paar hundert Meilen bis Roswell. Die ehemalige Rinderfarm hatte er bald ausfindig gemacht, nur der Bruder des ehemaligen Besitzers lebte noch, und Rinder gab es dort schon lange nicht mehr.

Er stellte sich vor und gab an, für ein internationales Forschungsprojekt Wasserproben von früheren Farmen zu sammeln und zu untersuchen, speziell hinsichtlich der Entwicklung von Mikro-Organismen. Mr. Bodden hatte nichts dagegen. Seine Farm war 37 mal 29 Meilen groß und fast wie ein Rechteck ausgelegt. Eine große Karte zeigte das gesamte Areal und vor allem die ehemaligen Wasserlöcher, von denen es insgesamt elf gegeben hatte. McGill bekam eine Kopie. Er war am Ziel, packte seine Koffer mit den vorher gekauften Reagenzgläsern wieder ein und startete seinen Pickup. Mr. Bodden wünschte “good luck!” und McGill verabschiedete sich. Die Untersuchung sollte maximal drei Tage dauern, er hatte sich ein Zelt und Verpflegung besorgt. Die Fahrt war grauenhaft, denn es gab im Prinzip keine Straßen. Anfangs hatte er Glück, da Feldwege und Reifenspuren den Weg wiesen. So tastete er sich von Wasserloch zu Wasserloch. Am Abend hatte er Nummer sechs erreicht, wie alle anderen vorher ein lausiger Tümpel mit verrostetem Stacheldrahtzaun, ein paar Kakteen, knorrigen Bäumen und Gebüsch. McGill baute sein Zelt auf, eine hermetisch abgeschlossene Kugel mit extra verstärktem Boden und stabilem unteren Rand. Denn die Texas-Klapperschlange besitzt keine Ortskenntnis und ignoriert jegliche Staatsgrenzen - ihr ist es egal, wo sie zuschlägt. McGill öffnete eine Dose “Baked Beans”, wärmte den Inhalt über seinem Gaskocher und verbrachte eine ruhige Nacht.

Am nächsten Morgen stand er früh auf und machte sich wieder auf den Weg. Die Route wurde immer unübersichtlicher, der Pickup holperte über Steine und Geröll, die Sonne brannte von oben. Nur mit Kompass, Karte und den wenigen dort eingetragenen Punkten in der eintönigen Landschaft ging es weiter. Nummer sieben, dann Nummer acht, und dann stand da ein verwitterter Wegweiser:

“Waterhole No. 9 - 4 miles“. Eine halbe Stunde später hatte er es geschafft - er war am Ziel.

Nummer Neun sah aus wie alle anderen vorher auch. Ein nahezu kreisrunder Tümpel, eine verrostete Einzäunung, riesige meterhohe Kakteen, am Rand der trüben Brühe einige Büsche und Bäume. McGill ging sofort ans Werk. Wenn der Alte damals hier gearbeitet und ein “plopp” gehört hatte, konnte dieses Geräusch nicht allzu weit entfernt entstanden sein. Er packte seine Seilrollen und Bodenhaken aus. Einhundert Meter im Quadrat, das musste ausreichen. Wasserloch Nummer Neun war dabei genau im Zentrum. Also steckte er 50 Meter nach Norden und 50 Meter nach Süden ab. Rechtwinklig dazu dann 50 Meter nach Osten und 50 Meter nach Westen. Eine Seite dieses Quadrates unterteilte er in Abständen von zwanzig Metern mit den Buchstaben A bis E, die dazuliegende rechtwinklige Seite mit den Ziffern von Eins bis Fünf im gleichen Abstand. Er spannte die einzelnen kleineren Quadrate zusätzlich ab. Jetzt hatte er ein Raster mit fünfundzwanzig Quadraten und Wasserloch Neun lag genau auf C 3 - perfekt! Sein Plan war gut, seine Ausrüstung auch. Er hatte sich den teuersten und empfindlichsten Metall-Detektor gekauft. Diese Investition war es wert gewesen - man stelle sich vor, er konnte damit beweisen, dass die amerikanische Regierung damals die Bevölkerung getäuscht hatte! Nicht auszudenken, der Ruhm, und, vor allem: Der Alte in Lubbock hatte bisher nicht gelogen!

McGill begann systematisch bei A 1, 400 Quadratmeter pro Quadrat. Das Suchgerät hielt er akribisch knapp über dem Boden, ruhig und konzentriert schritt er damit eine etwa einen Meter breite Reihe ab, drehte am Ende um und untersuchte die nächste Reihe.

Langsam wurde es dunkel. Bis Reihe D 5 war er heute gekommen. Nichts hatte er gefunden, bis auf einen rostigen Nagel in B 2. Nur nicht aufgeben jetzt! Er aß nochmals Bohnen aus der Dose und ging in sein Zelt. Morgen… morgen musste es klappen! Oder hatte der Alte einfach Hirngespinste berichtet?

Quadrat E 1 am nächsten Morgen war ein harter Fall, da viele Kakteen seinen Weg kreuzten und das wenige Gras hier außergewöhnlich hoch war, vermutlich eine Folge der unterirdischen Speisung des Wasserlochs. Er kam nur langsam voran. Wieder nichts! E 2 begann nicht anders, und es wurde langsam richtig heiß. Diese elenden Kakteen! McGill hob sein Suchgerät an, um die Bodenplatte auf eventuelle Verschmutzungen hin zu überprüfen. In diesem Moment arbeitete sein Detektor nicht mehr horizontal, sondern vertikal…und er meldete sich mit einem lauten Summton.

Da, direkt vor ihm, der riesige Kaktus mit seinen Seitenarmen…was war das?

Zwischen dem mehrere Meter hohen Hauptstamm und dem ersten unteren Seitenarm blinkte etwas! McGill nahm sein Messer - in der Gabelung der Pflanze war etwas eingewachsen, wovon nur noch ein kleiner Teil sichtbar war. Er schnitt die Stacheln ab und legte dann, mühsam in die Pflanze schneidend, ein metallenes Etwas frei... leicht, silbrig glänzend, ein gleichseitiges Dreieck, dessen eine Seite rechtwinklig nach unten gebogen war. Das Objekt war ungefähr fünfzehn Zentimeter lang und hatte an den drei Ecken jeweils ein kleines kreisrundes Loch, ohne erkennbares Gewinde. Was war das? Auf jeden Fall musste es ewig in dem Kaktus gesteckt haben. Das war das Objekt, das der Alte beim Aufprall gehört hatte! McGill säuberte es, so gut es ging. Leicht war es, sehr leicht, trotz der relativen Größe. Woraus bestand es? War das Aluminium?

Nein, er war kein Metallurge, das mussten Spezialisten herausfinden. Auf jeden Fall war es ein Teil von “Roswell 1947”. Und sollte die Legierung hier auf diesem Planeten unbekannt sein oder nicht vorkommen - na, dann war richtig was los, viel Spaß, Mr. President! Wetterballon? Haha!

McGill atmete tief durch. Geschafft! Er packte seine Utensilien, machte Fotos vom Fundort und nahm noch ein paar Proben vom trüben Wasser des Tümpels mit. Die Reagenzgläser beschriftete er sicherheitshalber noch von eins bis elf. Dann hatte er alles verstaut und startete seinen Wagen. Er musste wenden, der Zugang zu Wasserloch Neun war schmal. Nur keine Probleme jetzt. Er blickte in den Rückspiegel.

Was war das? Aus dem Gebüsch hinter ihm reflektierte gleißendes Sonnenlicht. War da noch etwas? Er stieg aus und schob mit seinen Händen das Gestrüpp auseinander. Eine zerbrochene Glasscheibe, schwach erkennbar noch der Aufdruck “Pinball Wizard”… und darunter ein restlos vergammelter Flipper, dessen Oberkante hochstand. Und sein Metallwinkel passte genau dahin, wo ein Spieler seine rechte Hand während des Spiels auflegt. Das identische Gegenstück auf der linken Seite war noch an seinem Platz.
 

hein

Mitglied
Hallo Klaus,

schöne Geschichte. Aber das Ende überzeugt mich nicht.

Warum sollte der Alte in Texas ein Interesse daran haben, den Mann einen Flipper-Automaten finden zu lassen? Der Flipper wäre nicht mit einem "plopp" gelandet, das hätte ordentlich gescheppert.

Ich hatte erwartet, das der Alte damals etwas verloren hat (Schraubenschlüssel, Ehering, Taschenuhr o. ä.), und dies jetzt von dem doofen Ausländer suchen lässt. Am dritten Tag taucht er dann auf und lässt sich das Teil aushändigen.

Ansonsten gerne gelesen.

LG
hein
 

Klaus K.

Mitglied
Lieber Hein,

hier geht es darum, dass ein äusserst dubioser, skurriler Vorfall aus dem Jahr 1947 vermeintlich aufgelöst werden kann, letzlich aber in ein gleichfalls skurriles Ende - entgegen allen Erwartungen - überführt wird. Das ist auf Grund der realen Historie des Falls auch erforderlich, da ansonsten ja eine reale Lösung angeboten werden müsste. Und das käme für mich als Verfasser der Story einem Selbstmord gleich, wenn ich mir anmaßen würde, einer der bislang diversen Theorien dazu den Vorzug zu geben.- Ergo sieht mein "Plopp" am Ende anders aus, völlig unerwartet und überraschend.-

Der etwas gehört habende "Zeuge" wusste vorher nichts von dem entsorgten Flipper, der irgendwann dort abgeladen wurde, warum auch immer.
Das Gerät selbst kam auch nicht und niemals von "oben", die Hand-Ablage aus Metall auch nicht. Die Ursache des gehörten Geräusches
"aus dem Orbit" bleibt also unentdeckt, der selbsternannte schottische Forscher ist gescheitert.
Es ist für mich nur erfreulich, dass Du Dich intensiv damit auseinandergesetzt hast! Dank dafür, Ziel erreicht - und mit Gruß, Klaus K.
 



 
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