Begegnung im Knast

4,00 Stern(e) 1 Stimme

Barleycorn

Mitglied
Ich hoffe jemand Bekannten zu sehen in dieser bunten Truppe von Dieben, Räubern, Dealern, Betrügern und Hütchenspielern. In der letzten Reihe, ist das nicht der Ulli? Ich lasse die Leute vorbeigehen, indem ich mir die Schuhbänder binde und reihe mich hinten ein. Er ist es tatsächlich und erkennt mich auch sofort wieder. Ulli ist Rentner und schwul. Sein Verbrechen ist, dass er die jungen Buben zu sehr mag; besonders wenn sie blond sind so wie ich.

Nun, ich selbst bin hetero, hatte aber nie etwas dagegen, wenn der schwule Ulli mein Bier bezahlte und mir Avancen machte. Ich habe ihn immer vertröstet auf einen späteren Zeitpunkt. Das war auch nie ein Problem für ihn, er war mir nie böse und sagte augenzwinkernd: „Einmal krieg ich dich, du Luder!“ Und jetzt geht er mit mir im Kreis. Die Freude ist groß, und das sage ich ihm auch. Meine Hintergedanken zwecks Rauchwaren verrate ich natürlich nicht. Ulli interpretiert meine Freude anders. Er hat andere Gedanken als ich, das kann ich ihm ansehen. Etwas Smalltalk kann nicht schaden, denke ich und erzähle mit gesenkter Stimme, dass ich das erste Mal hier bin und fürchterlich leide. Am schlimmsten sei es, um jede Zigarette betteln zu müssen. Ich merke sofort, dass es ihn erwischt hat.

„Nur nicht verzweifeln mein Freund. Du kennst mich, ich kann so an feschen Buam nicht leiden sehen”, sagt er und zieht ein Bündel Tabak vom Feinsten aus der Tasche. Der süßliche Geruch zieht sofort in meine Nase. „Nimm das fürs Erste, mein Lieber, morgen besprechen wir beim Duschen, wie es weitergeht.“ Ulli streicht mir über die Hand, als er mir den Tabak zusteckt. Er ist glücklich wie ich, wenn auch aus einem ganz anderen Grund. Armer Hund, denke ich. Aber so ist das Leben. Das monotone Rundendrehen bringt zwar etwas Abwechslung, aber echte Entspannung ist es nicht. Es könnte so idyllisch sein, vom nahen Dom her erklingen drei Glockenschläge und vermischen sich mit den Hammerschlägen der Wächter, die während des Hofgangs die Zellen filzen und die Gitter abklopfen. Am Klang würden sie erkennen, ob irgend so ein Spitzbube sie angesägt hat.

Ulli nimmt mein Nachdenkgesicht zum Anlass, mich zu trösten: „Nimm´s nicht so schwer, versuch’s mit Humor. Schau dir zum Beispiel die zwei Wächter an. Stell dir vor, sie wären Diener. Sie klopfen und tasten uns nur deshalb so sorgfältig ab, um uns vor dem Unbill der Außenwelt zu schützen. Sie sind um unser Wohlergehen besorgt und achten penibel darauf, dass wir uns nicht verlaufen und möglicherweise nicht mehr zurückfinden. Schau sie dir an, allein der Gedanke daran, dass uns etwas zustoßen könnte, lässt sie so traurig und abgestumpft dreinschauen. Also Kopf hoch mein Junge, das wird schon werden. Versuch dich einfach frei zu lachen.”

Solche Worte habe ich vom schwulen Ulli nicht erwartet. Gerne möchte ich ihm meine Verbundenheit zeigen, habe aber Angst, dass er es falsch verstehen würde. Es bleibt keine Zeit zum Überlegen, die Livrierten bitten zur Rückkehr in die Gemächer.
 



 
Oben Unten