voltariusm40
Mitglied
Begrenzte Freiheit
Ein lauwarmer Spätsommertag im September. Er, Florian, Pharmazeut, schlendert mit Sandra auf der Brühlschen Terrasse an der Elbe in Dresden. Wind bläst in ihre zu einem Pferdeschwanz zusammengebundenen dunklen Haare. Seit vielen Monaten verbringen sie ihre Freizeit gemeinsam. Zum gegenseitigen Kennenlernen durchstreiften sie das historische Dresden. Am Albertinum betrachteten sie auf der Außenfassade das Selbstbildnis des Malers Curt Querner, den Sandra persönlich kannte. Theaterbesuche, Buchbesprechungen, Tanz im Club. In Florians Wohnung Austausch erotischer Gefühle. Gegenseitiges Ergründen der Interessen. Er mag Sandra sehr. Er findet sie äußerst sympathisch. Ihr offener Blick, ihre Augen fesseln ihn. Er ist in sie verliebt.
Sie verweilen am Geländer und blicken der untergehenden Sonne entgegen. Das Farbenspiel, vom Gelb ins Rote übergehend, beeindruckt sie. Einige Haufenwolken am Himmel. Auf der Elbe ein plätschernder Schaufelrad-Dampfer. Florian umfasst ihre Taille und fragt: „Sandra, wollen wir uns ein gemeinsames Nest bauen? Ich möchte mein Leben mit dir teilen.“ Sie antwortet freudig mit einem hellen Ja. Sie findet ihn liebenswert. Über mehrere Wochen muss sie ihre Mutter bedrängen, bis diese einwilligt, dass sie sich zwei Bodenzimmer im dörflichen Haus einrichten können. Einen Abtritt gibt es eine Etage tiefer. Die körperlichen Reinigungsoperationen erfolgen in der Waschküche.
Vor dem Schlafengehen schauen sie gemeinsam durch das enge Fenster der Dachgaube, Wange an Wange. Glockenschlag der Kirchturmuhr. Zart überstreicht er ihr Gesicht, ihre Stirn, schaut in ihre Augen. Sie mag seine Zärtlichkeit.
Nachts gibt es bei Regen Trommelwirbel aufs Dach. Manchmal treten sie ans Fenster, halten die Arme in den strömenden Regen, spritzen sich die Wassertropfen gegenseitig ins Gesicht. Im Sommer bei warmem Wetter und offenem Fenster folgen Fluginsekten mit stechend-saugenden Mundwerkzeugen und quälenden Summtönen den Duftfahnen der Wirte und stoßen ihr Stechborstenbündel tief durch die Haut. Im frostigen Winter liegt morgens Schnee auf den Dielen.
Die Monate rasen dahin. Sandras Mutter fragt wiederholt, wann die wilde Zeit des Zusammenlebens beendet sei, und geordnete dörfliche Verhältnisse einzögen, wann Hochzeit sei.
Florian und Sandra sind beide in ihren beruflichen Alltag stark eingebunden. Er hat Termindruck in seiner Forschungsarbeit, sie ist abends mit Unterrichtsvorbereitungen beschäftigt. Am Ende des Tages Erschöpfung. Auf Spaziergängen durch die Natur signalisiert er oft durch Schweigen seine Missstimmung. Sie entsinnt sich an frühere Zeiten, an ihre ersten Begegnungen. Sie empfand ihn großartig. Er hörte ihr zu. Er ging auf sie ein. Er war charmant und witzig. Zwar strich er seine Intelligenz etwas heraus, aber er war empathisch und einfühlsam. Jetzt beginnt er, sie zu maßregeln und zu bevormunden. Er fährt abends in die Stadt, lässt sie allein zurück. Zum Himmelfahrtstag zieht er mit Kumpanen los, ohne vorher mit ihr darüber gesprochen zu haben.
„Ich bespreche alles mit dir, du bist unhöflich und nimmst keine Rücksicht auf mich“, sagt Sandra.
„Soll ich dich um Erlaubnis bitten, ich will frei und unabhängig handeln“, entgegnet er.
„Aber in einer Beziehung spricht man sich ab, nimmt Rücksicht auf den Partner. Da gibt es keine absolute Freiheit.“
Liebeshandlungen erscheinen ihm eintönig. Er kann aber nicht darüber sprechen. Zunehmend ist er wortkarg, maulfaul und übelgelaunt, eine Krise bahnt sich an. Sie nimmt immer wieder Anlauf. „Ich möchte mit dir über uns reden… mit dir ergründen, weshalb es im Gebälk knistert.“ Er lenkt das Gespräch auf ein anderes Thema. Für Florian ist die Kommunikation wie ein Jonglieren zwischen Intimität und Unabhängigkeit. Sandra bohrt: „Für mich zeigt sich gegenseitige Verbundenheit, wenn wir zusammen reden.“
Als an einem Samstag Sandra ihre Freundin in der Stadt besucht, liegt Florian auf dem Bett im Bodenzimmer. Er starrt zur schrägen Decke des Raumes. Er fühlt sich eingesperrt, in seiner Freiheit eingeschränkt. Er sucht ein Blatt Papier und schreibt, fahre nach Dresden, fühle mich eingeengt, brauche für längere Zeit freie, frische Luft.
Im Beutler Park in Dresden, auf einer Bank sitzend, kopfhängend, ruft er seine resolut handelnde Kollegin Ulla an und gesteht seine Schuldgefühle. Kurz entgegnet sie: „Entsinnst du dich, was wir von Hegel gelernt habe... Freiheit heißt nicht grenzenloses Handeln. Eine wahre Freiheit ist nicht egoistisch, sondern im Miteinander verwurzelt, mit der Vernunft verknüpft.“
Florian geht in sich, stammelt ein Ja.
„Wenn du sie liebst, müsst ihr miteinander reden. Denke an das Wir.“
In sich hineinhorchend, erinnert er sich an den ersten flüchtigen Kontakt zu Sandra im Schillergarten, an das freudige Wiedersehen im Theater und wie er sich abmühte, ihr einen Liebesbrief zu schreiben. Ja, ich liebe sie – ganz intensiv und warmherzig.
Wenig später greift Florian zum Handy und ruft aus dem Speicher Sandras Nummer auf.
Ein lauwarmer Spätsommertag im September. Er, Florian, Pharmazeut, schlendert mit Sandra auf der Brühlschen Terrasse an der Elbe in Dresden. Wind bläst in ihre zu einem Pferdeschwanz zusammengebundenen dunklen Haare. Seit vielen Monaten verbringen sie ihre Freizeit gemeinsam. Zum gegenseitigen Kennenlernen durchstreiften sie das historische Dresden. Am Albertinum betrachteten sie auf der Außenfassade das Selbstbildnis des Malers Curt Querner, den Sandra persönlich kannte. Theaterbesuche, Buchbesprechungen, Tanz im Club. In Florians Wohnung Austausch erotischer Gefühle. Gegenseitiges Ergründen der Interessen. Er mag Sandra sehr. Er findet sie äußerst sympathisch. Ihr offener Blick, ihre Augen fesseln ihn. Er ist in sie verliebt.
Sie verweilen am Geländer und blicken der untergehenden Sonne entgegen. Das Farbenspiel, vom Gelb ins Rote übergehend, beeindruckt sie. Einige Haufenwolken am Himmel. Auf der Elbe ein plätschernder Schaufelrad-Dampfer. Florian umfasst ihre Taille und fragt: „Sandra, wollen wir uns ein gemeinsames Nest bauen? Ich möchte mein Leben mit dir teilen.“ Sie antwortet freudig mit einem hellen Ja. Sie findet ihn liebenswert. Über mehrere Wochen muss sie ihre Mutter bedrängen, bis diese einwilligt, dass sie sich zwei Bodenzimmer im dörflichen Haus einrichten können. Einen Abtritt gibt es eine Etage tiefer. Die körperlichen Reinigungsoperationen erfolgen in der Waschküche.
Vor dem Schlafengehen schauen sie gemeinsam durch das enge Fenster der Dachgaube, Wange an Wange. Glockenschlag der Kirchturmuhr. Zart überstreicht er ihr Gesicht, ihre Stirn, schaut in ihre Augen. Sie mag seine Zärtlichkeit.
Nachts gibt es bei Regen Trommelwirbel aufs Dach. Manchmal treten sie ans Fenster, halten die Arme in den strömenden Regen, spritzen sich die Wassertropfen gegenseitig ins Gesicht. Im Sommer bei warmem Wetter und offenem Fenster folgen Fluginsekten mit stechend-saugenden Mundwerkzeugen und quälenden Summtönen den Duftfahnen der Wirte und stoßen ihr Stechborstenbündel tief durch die Haut. Im frostigen Winter liegt morgens Schnee auf den Dielen.
Die Monate rasen dahin. Sandras Mutter fragt wiederholt, wann die wilde Zeit des Zusammenlebens beendet sei, und geordnete dörfliche Verhältnisse einzögen, wann Hochzeit sei.
Florian und Sandra sind beide in ihren beruflichen Alltag stark eingebunden. Er hat Termindruck in seiner Forschungsarbeit, sie ist abends mit Unterrichtsvorbereitungen beschäftigt. Am Ende des Tages Erschöpfung. Auf Spaziergängen durch die Natur signalisiert er oft durch Schweigen seine Missstimmung. Sie entsinnt sich an frühere Zeiten, an ihre ersten Begegnungen. Sie empfand ihn großartig. Er hörte ihr zu. Er ging auf sie ein. Er war charmant und witzig. Zwar strich er seine Intelligenz etwas heraus, aber er war empathisch und einfühlsam. Jetzt beginnt er, sie zu maßregeln und zu bevormunden. Er fährt abends in die Stadt, lässt sie allein zurück. Zum Himmelfahrtstag zieht er mit Kumpanen los, ohne vorher mit ihr darüber gesprochen zu haben.
„Ich bespreche alles mit dir, du bist unhöflich und nimmst keine Rücksicht auf mich“, sagt Sandra.
„Soll ich dich um Erlaubnis bitten, ich will frei und unabhängig handeln“, entgegnet er.
„Aber in einer Beziehung spricht man sich ab, nimmt Rücksicht auf den Partner. Da gibt es keine absolute Freiheit.“
Liebeshandlungen erscheinen ihm eintönig. Er kann aber nicht darüber sprechen. Zunehmend ist er wortkarg, maulfaul und übelgelaunt, eine Krise bahnt sich an. Sie nimmt immer wieder Anlauf. „Ich möchte mit dir über uns reden… mit dir ergründen, weshalb es im Gebälk knistert.“ Er lenkt das Gespräch auf ein anderes Thema. Für Florian ist die Kommunikation wie ein Jonglieren zwischen Intimität und Unabhängigkeit. Sandra bohrt: „Für mich zeigt sich gegenseitige Verbundenheit, wenn wir zusammen reden.“
Als an einem Samstag Sandra ihre Freundin in der Stadt besucht, liegt Florian auf dem Bett im Bodenzimmer. Er starrt zur schrägen Decke des Raumes. Er fühlt sich eingesperrt, in seiner Freiheit eingeschränkt. Er sucht ein Blatt Papier und schreibt, fahre nach Dresden, fühle mich eingeengt, brauche für längere Zeit freie, frische Luft.
Im Beutler Park in Dresden, auf einer Bank sitzend, kopfhängend, ruft er seine resolut handelnde Kollegin Ulla an und gesteht seine Schuldgefühle. Kurz entgegnet sie: „Entsinnst du dich, was wir von Hegel gelernt habe... Freiheit heißt nicht grenzenloses Handeln. Eine wahre Freiheit ist nicht egoistisch, sondern im Miteinander verwurzelt, mit der Vernunft verknüpft.“
Florian geht in sich, stammelt ein Ja.
„Wenn du sie liebst, müsst ihr miteinander reden. Denke an das Wir.“
In sich hineinhorchend, erinnert er sich an den ersten flüchtigen Kontakt zu Sandra im Schillergarten, an das freudige Wiedersehen im Theater und wie er sich abmühte, ihr einen Liebesbrief zu schreiben. Ja, ich liebe sie – ganz intensiv und warmherzig.
Wenig später greift Florian zum Handy und ruft aus dem Speicher Sandras Nummer auf.