black clouds

Phil Trepal

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Und so stehe ich am Ufer des gigantischen Gewässers. Du hast mich hierhergeführt. In die Weite.
Am Horizont ist nichts. Kein Landstrich. Keine Küstenlinie. Nur Wolkengebilde. Trotzdem schaue ich hinaus.
Der Wind stemmt sich gegen mich. Er kommt stark von Osten her - wo du ihn geboren hast.
Der Ort ist mir fremd. Aber er trägt etwas in sich. Etwas Geheimnisvolles, Offenbarendes.

Ich bin hier. Ich kann sie spüren. Schon so lange. Sie sind mir viel zu vertraut.

Weit am Horizont.

In mir und um mich herum.

Das trübe Wasser liegt brach. Ja, ich denke, dass es ohne Leben ist. Ein Brackwasser, wie von Fabrik und Chemie. Aber es lädt mich trotzdem dazu ein, meinen Zeh eine Sekunde in die Brühe zu tauchen.
Eine bewusste Sekunde.
Dann entscheide ich mich, ihn langsam hindurchzuziehen und schneide eine Linie, dann wellenförmig, dann zickzack und dann ziehe ich ihn wieder heraus. Ich halte mein Knie gebeugt und lasse das Wasser abtropfen.
Ich habe Muster hineingeschnitten in die Leblosigkeit. Aber sie verwischen zu schnell. Sie haben keinen Bestand. Für den Bruchteil einer Millisekunde waren sie da. Etwas, das einfach vergeht. Verteilt in der Unendlichkeit des Wassers.

Für dich sind sie für immer.

Ich bin da. Und ich bleibe. Und du bleibst.
Das ist der Moment, in dem ich über meinen Nabel streiche, über meinen Bauch. Er ist fest, gehalten und gespannt. Ich spüre die Stärke darin, Wärme und Vertrautheit. Das was du mir gegeben hast.

Leben.

Meine Zehen greifen in den Sand. Meine Ferse senkt sich hinein. Sie formt eine Mulde. Meine Mulde.
Von innen her bildet sich ein JA. Es gleicht sich ab mit deinem. Es kristallisiert sich langsam heraus. So zaghaft und leise - aber es wächst heran. Es vertieft sich, verwurzelt sich in frischer, feuchter Erde. Es wird gedünkt von Wahrheit. Aus tiefsten Strukturen verknüpft sich ein Netz, das nicht fängt, sondern in sich ein Freund ist und den Ballast trägt.

Doch dann werden sie mir wieder bewusst. Weit am Horizont.

Ich kann sie spüren.

In mir und um mich herum.

Die Socken sind feucht, dahin. Ich lasse sie liegen. Mein Blick wechselt von Wolkenschleier zu Wolkenschleier, Formation um Formation hängt wie an Haken in der Weitläufigkeit, die du platziert hast. Ich entscheide mich, am Saum des Wassers entlang zu gehen. Schaum wird herangespült, schon auf meinen Zehen. Die Bläschen ersticken schnell. Zurück bleibt nur eine leichte, luftige Masse. Ich wische sie nicht weg. Ich lasse zu, dass der Sand sie schwer macht, bis es trocknet und abblättert in winzigen Partikeln.

Denn es kann es so schnell zerfließen – zerfließen wie ein krankes Auge. Es kann dich so schnell packen, dass dir schwindelig wird. Es kann dich stechen und dich selbst in Frage stellen. Es kann alles auf den Kopf stellen. Und hier sind sie mir so vertraut.

Weit am Horizont.

In mir und um mich herum.

Ein Lächeln auf meinen Lippen verdichtet und isoliert das Netz wie mit Draht und Kupfer und verflechtet es umso strammer, erstarkt in Knoten, bildet Schlaufe um Schlaufe, zieht sich fester und fester. Etwas, das nicht vergeht. Hineingeschnitten in Materie, die nicht verwischt, die nicht vergilbt. Nicht verblasst.
Ich gehe Schritt für Schritt. Ich recke mich, straffe mich und spüre einen Sonnenstrahl, der durch das Massiv bricht. Er berührt meine Schultern, ruht dort und wärmt mich, leuchtet und konzentriert sich auf die Anspannung, die meinen Körper fest im Griff hat. Dann wird es weich und locker. Es zerspringt um mein Herz. Es fällt von mir.
Mein Abdruck in der Feuchte des Sandes. Meine Schwere, die du gebildet hast.
Ja, die Schwere meines Körpers, die sich so real hineinschmiegt in den Sand und Senken bildet. Es betrifft unmittelbar mich. Ich bin hier. Mein Abdruck.

Mein eigener.

Und wenn das Wasser kommt, darüber fließt und ihn mit sich nimmt, die Senke schließt mit Schaum und Sand. So dauert er fort in meinen Gedanken. Im Gefühl und in mir - in meiner Erinnerung. Verwaschene Kontur, hinausgespült in die Unendlichkeit.

Für dich ist sie für immer.

Ja, ich war hier und ich bin es noch. Jetzt sehe ich, wie es sich im Wasser tummelt. Ich kann sehen, wie viel Lebendigkeit darin ist. Der Spiegel bricht auf.
Das Leben passt sich an. So vieles war mir verborgen, weil ich nur auf die Umstände geschaut hatte. Auf das, was mir als Mensch möglich war.
Schnell flitzen kleine Fische umher. Ich schaue genauer hinein. Geriffelter, sandiger Grund. Ein Spiel voll von Lebendigkeit.

Sie leben.

Ich spüre wie Stärke langsam zurückkommt. Licht bricht erneut durch, kitzelt auf meiner Nase.

Ich stehe hier. Ein paar Sekunden verweile ich noch und verarbeite meine Eindrücke. Dann lasse ich das Gewässer hinter mir. Alles schien so blutleer, es war die falsche Perspektive. Und dann führt es dich zu dir selbst. Es führt dich zu deinem Ursprung. Es führt mich zu deinem JA.
Das ist der Moment, an dem sie sich so detailliert zeigen wie nie zuvor. Weit am Horizont.
Der Wind greift ruhig in meinen Schopf und dann - in einer spontanen Bö - lasse ich mich tragen.

Wie von dir.

Ich schließe die Augen. Weit am Horizont kann ich sie spüren.

Dann habe ich sie überwunden und überwunden und überwunden.

Schwarze Wolken.

In mir und um mich herum.

Weg vom Horizont.







*„Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine schützende Hand über mir.“


Die Bibel
 



 
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