Blaues Blut

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Klaus K.

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Blaues Blut

Wir schreiben das Jahr 1810. Napoleon hat seine Feldzüge ausgedehnt und seinen jüngsten Bruder "Jerome" hier bei uns als König von Westfalen eingesetzt. Der regierte jetzt hier, und damit auch über mich.
Von der Bevölkerung wird er nur "König Lustig" genannt, denn er veranstaltet ein rauschendes Fest nach dem anderen, Wein, Weib und Gesang sind ihm derzeit erheblich lieber als Pulverdampf und nervige Auslandsaufenthalte. Aber diese zwar humane, aber völlig dekadente Lebensweise kostet Geld. Sehr viel Geld, und das kommt für ihn aus "seinem Westfalen". Nicht von allen drei Ständen, denn den Klerus lässt er unbehelligt. Der Adel - also jemand wie ich - muß bluten, die Bürger sowieso. Es wird rausgepresst wo immer es geht, seine Steuereintreiber sind eine gewiefte Truppe.

Ich sitze also hier auf meinem Thron, in meinem kleinen Schlösschen.
Was ist mir noch geblieben? Nur noch zwei Lakaien von ehemals vier, denn die anderen beiden wurden abgeworben und sind für ein Handgeld mit wehenden Fahnen zu Napoleons Armee geeilt. Mein Sekretär, die Köchin, der Gärtner und einige Mädge und Knechte, mehr gibt es hier nicht mehr. Es ist eine Schande! Meine Ländereien wurden bereits reduziert, die Bauern ächzen unter der Last der Abgaben und der Pacht....und König Lustig lässt auf seinem Schloss in Kassel die Korken knallen!

Ein einziger kleiner Lichtblick tat sich auf, als in der letzten Woche mein Gärtner um Audienz bei mir bat. Er hatte beim Ausgraben eines Baumstumpfes eine tönerne Tafel gefunden, beschriftet.
Ich konnte dann den lateinischen Text übersetzen. Es war die Meldung eines Überfalls auf eine römische Sondereinheit, die den Sold für die Legionäre transportiert hatte und auf dem Weg nach Norden gewesen war.
Einer der Legionäre konnte entkommen und eine kleine Truhe mit ihrem wertvollen Inhalt retten. Sesterzen, Goldmünzen, Silbermünzen - eine beachtliche Anzahl von immensem Wert insgesamt, vorgesehen für die Entlohnung von mehreren hundert Soldaten.
Der Legionär war verwundet, ritzte die Botschaft in die Tontafel und deponierte die Truhe im Keller eines Gehöfts. Und dieses Gehöft wurde dann später zum Fundament meines Schlösschens.
Den Gewölbekeller gab es noch, gebaut aus Feldsteinen, von denen aber nur ein einziger neben dem Eingang mit einem kleinen "X" versehen worden war.
Ein eingeritztes "X", und dieser Stein war beweglich.
Man konnte ihn mit viel Mühe herausziehen, um dann dahinter die kleine Truhe zu finden. Unversehrt, nach fast 1700 Jahren!
Eichenholz, kühl und trocken gelagert. Der Inhalt war offensichtlich vollständig. Mein Schatz, meine eiserne Reserve!
Selbstverständlich behielt ich die Entdeckung für mich, niemand erfuhr etwas davon. Allein die Goldmünzen, es waren 130 Stück, ich hatte sie dann gezählt.
Die Truhe und ihr Inhalt blieben in ihrem geheimen Versteck, noch hatte ich keinen Bedarf.
Die Tontafel liess ich später absichtlich auf meiner Treppe fallen. Scherben bringen Glück, das war's. -

Mein Sekretär saß an seinem Tisch und hielt ein Papier in der Hand.
"Durchlaucht, es gibt schlechte Nachrichten.... "
"Wieso? Was redet Er da?"
"Durchlaucht, der König fordert erneuten Tribut. Besuch kündigt sich an - man will das Tafelsilber konfiszieren und die gesamte Vermögensaufstellung prüfen...."

Ich musste sofort handeln jetzt. Aber zuerst einmal mußte ich mich beruhigen.

"Lakai! Komme Er sofort! Bringe Er mir zwei Fläschchen aus der Kammer! Die kleine grüne und eine von den roten Flaschen! Aber subito! Hebe Er sich hinweg, beeile Er sich! Oh, mir wird ganz schwindelig...."

Mit dem umgehend herangebrachten Riechsalz und dem Rotwein ging es mir dann besser. Ich fragte meinen Sekretär:
"Und was können wir jetzt machen? Weiß Er Rat?"
"Durchlaucht, es wurde ja bereits alles registriert und erfasst.
Wenn jetzt etwas davon fehlt, dann käme man in Erklärungsnot....
Zudem ist die Untersuchung bereits für morgen angekündigt!"

Ein Drama, eine Schande! Ausgepresst wurde man wie eine Zitrone, kein Respekt vor dem Adel, der das Land seit Jahrhunderten zusammenhielt! Von wegen, "Vive le Roi!"...Der konnte mir wahrlich gestohlen bleiben!

Die Blutsauger kamen bereits am nächsten Morgen. Sechs Mann stark, einer von ihnen ein Franzose, offensichtlich der Anführer und königliche Inspekteur der Truppe. Es war fürchterlich. Mein Tafelsilber! Mein edles Geschirr, die Platten, die Teller, die Becher! Dazu meine Duellpistolen, einige Gemälde und Gobelins!

Ich erhielt ein Papier, alles war ordentlich vermerkt und aufgeführt, für mich ein Beleg ohne Wert. Dann zogen sie ab, dem Herrgott sei Dank!
Überall hatten sie gesucht, beschlagnahmt und eingesackt. Vier von insgesamt 32 silbernen Leuchtern hatte der Franzose mir gnädigst dagelassen, "damit ich zu Tisch nicht im Dunkeln sitzen müsse..".
Sehr entgegenkommend. Ich erfuhr, dass er dem niederen Adel angehörte und seine Familie damals nach der Revolution mit Ach und Krach den Jakobinern entkommen konnte. Immerhin, Adel verpflichtet. Daher die vier Leuchter. Immerhin.

Im Keller waren sie auch gewesen, ausgestattet mit meinen Leuchtern und meinen Kerzen. Lumpenpack! Aber meine letzte Reserve, die war ja wohl noch da.
Ich zog den schweren Stein aus der Mauer, ja, da war die kleine Truhe. Vorsichtig hievte ich sie durch die enge Öffnung nach draußen zu mir. Moment, was war das? Warum war sie denn auf einmal so leicht? Ich öffnete den Deckel.
Leer! Völlig leer, alle Münzen waren weg! Und was war das, ein Zettel? Da lag nur noch ein lächerlicher Zettel! Ich hielt ihn ins Kerzenlicht. Es stand nur ein einziges Wort drauf: "Merci".
 



 
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