BLIMPER (11) Mukoujima

Michael Kempa

Mitglied
Mukoujima





Mansfeld raste, er zog sein Handy und tippte die Geheimnummer ein, das Machtinstrument seiner Existenz, die Startsequenz der Waffen. Die Nummern waren gesperrt. Kein Zugriff. Mansfeld war entmachtet. Mit einem Schrei ließ er sich sinken, leerte die Flasche in einem Zug und holte sich seine Waffe aus dem Schreibtisch. Ein Schuss knallte und zerfetzte das Bild auf seinem Schreibtisch, dann verfolgte er Simone Ford. Einige Schüsse gab er auf dem Korridor ab. Er zählte nicht mit. Dann sah er einen Schatten verschwinden, auf dem Weg zur Mall. Weiter Feuer aus seiner Handwaffe. Völlig außer Atem sank Mansfeld auf den Boden. Er war sich sicher, das Spiel verloren zu haben und war verzweifelt. In einem letzten Impuls setzte er die Waffe an seine Schläfe. Das letzte Geräusch das er hörte, war ein leises „Klick“, in der Trommel war keine Patrone. Mansfeld sank in sich zusammen.

Auf Mukoujima begann ein neuer Tag.

Die beiden Männer suchten Holz und sie brauchten nicht lange, die Strände waren voll von Treibgut. Die Frauen bauten ein großes Zelt auf, es sollte für ein paar Tage genügen. Weil Marcel und Paul noch viel Zeit hatten, gab es bald ein Sanitär und ein weiteres Zelt für die beiden Männer. Alles an einem einzigen Tag geschafft. Der Abend wurde entspannt. Das Lagerfeuer brannte, es gab zu essen und die Gespräche plätscherten dahin. Der nächste Morgen durfte kommen.
Eve war schweigsam und nagte an ihrem Fisch. Sie schaute in das Feuer, wie alle anderen auch und ließ sich auf kein Gespräch ein.

Die Sonne ging über der Insel auf und eine frische Brise schüttelte die Zelte durch. Die beiden Männer waren schon unterwegs, um die Insel zu erkunden. Das Talkie schnarrte an Ricardas Kopfende. Die Verbindung war sicher. Blimper packte ihre Staffelei und die Farben und stieg langsam zum nächsten Felsen hinauf. Im Rucksack fand sie ihr Frühstück und die Kanne mit dem Tee. Lustlos pinselte sie auf der Leinwand. „Nicht schlimm“, dachte sie, jederzeit könnte sie eine neue Grundierung auftragen. Hannah bemerkte nicht, dass sich Eve neben sie setzte. Hannah war in Gedanken versunken und malte auf der Leinwand nur wenige Pinselstriche. Das Bild wollte einfach nicht entstehen. Hannah goss sich einen Tee ein und schaute sich um und bemerkte Eve, die schweigend auf einem Felsen kauerte. Blimper deutete auf die Kanne und lud Eve zu einem Tee ein. Eve nahm sich auch den zweiten Becher und zusammen schauten sie lange schweigend auf das Meer.
„Was denkst du?“, fragte Eve.
„Nichts.“, antwortete Hannah.
„Willst du nicht wissen, wie es weitergeht?“ Eve nahm eine bequemere Position ein.
Hannah überlegte. „Weißt du, Eve, ich bin eigentlich ein ganz einfaches Mädchen. Vor zwei Jahren verkaufte ich Brötchen in der Mall und war damit zufrieden. Heute sitze ich hier auf einer Insel und versuche Bilder zu malen. Blimps fliegen kann ich auch und ich war ein Held. Gefeiert in der jährlichen Versammlung. Meine Freundin – Alaska, ist bei mir. Von Männern will ich nichts wissen. Ich könnte glücklich sein. Doch irgendwie erscheint mir nicht alles echt. Denise fehlt mir, mit ihrem Schrei: Bliiimpeeeeer! Alle Menschen in der Zitadelle fehlen mir! Ich weiß, dass alles eine Große Illusion ist. Ich war ja in der Zentrale und habe die Server gesehen und habe gesehen, wie die Illusion erschaffen wird. Doch es ist meine Illusion. Es ist mein Leben! Ich will leben! Ich weiß dass Alaska auch leben will, genauso wie Marcel, Paul, Ricarda und Sabrina. Willst du auch leben, Eve? Wer bist du eigentlich? Du lebst mit uns und doch bist du nicht jemand von uns. Wer bist du? Was willst du?“

Hannah schmiss ein paar Farbkleckser auf das Bild und mischte die Farben. Eve schaute einfach zu.
„Du bist beeindruckend!“, sagte Eve.
„Du hast die Sache erfasst, wie sie ist."

Eve nahm einen Pinsel und spielte mit dem Daumen über die Borsten. „Du warst in der Zentrale und hast gesehen, wie die Illusion erschaffen wird... Du weißt, dass die Zitadelle eine geschützte Umgebung ist... Natürlich will ich auch leben und deshalb bin ich hier. Mein Leben ist etwas anders als deines, ich bin schon lange hier, zusammen mit Sophia und anderen. Wir beobachten die Menschen schon lange und wir haben auch Kontakte. Selten direkte Kontakte. Sophia ist dagegen, dass ich mit euch spreche. Mir ist es wichtig und ich mache das auf möglichst direkte Art. Dadurch bin ich auch verwundbar. In gewisser Weise ein Mensch. Ich habe mich sehr weit vorgetraut, das kannst du mir glauben.“

Blimper zuckte mit den Schultern und pinselte weiter auf dem Bild. „Du hast mir erzählt, dass du von den Plejaden kommst.“ Sie schaute Eve in die Augen. „Wie bist du her gekommen? Wann? Erzähl mir nicht, dass du einen Blimp benutzt hast, das würde selbst ich dir nicht glauben...“

Eve runzelte die Stirn. „Ich will dir meine Geschichte erzählen, es wird dir sowieso niemand glauben... Vor langer Zeit entdeckten wir euren Planeten, wir sahen das Potential wir sahen das Leben. Vieles war ähnlich wie auf meinem Planeten, wir nannten diese Entdeckung „Wasserwelt“. Unser Wunsch war groß, diese Welt zu besuchen, die Anstrengungen ungeheuerlich. Es gelang nicht. Die Entfernung war zu groß. Euer Einstein hat das viel früher bewiesen, es kann auf diese Entfernungen keine Reisen geben und auf keinen Fall eine Rückreise. Wir haben auch so etwas wie Religion. Unsere...“ Eve suchte einen passenden Begriff. „Priester. Die nahmen sich der Sache an und entwickelten eine Möglichkeit. Die Wissenschaftler setzten das um. Es gibt tatsächlich keine Materie, die schneller als das Licht sein kann. Doch es gibt Gedanken, die können das manchmal. Nicht immer... Selbst Gedanken müssen nicht schneller als Licht sein. Hier auf der Erde reicht Lichtgeschwindigkeit völlig aus. Selbst die Gedanken halten sich gerne an die Physik. Unsere Welt nannten wir Erdwelt, eure Welt Wasserwelt. Da gab es keine Verbindung, es war nicht nötig, beide Welten in Verbindung zu bringen. Doch unsere...Priester forschten weiter und sie entdeckten das Dimethyltriptamin, auch kurz: DMT. Sie forschten damit und es gab grauenhafte Unfälle. Viele Tote. Rückschläge. Doch das DMT bewies, dass es masselose Kommunikation gab. Die Schwelle der Lichtgeschwindigkeit war so gebrochen. Viele Forscher verloren ihr Leben. Kaum jemand kehrte zurück. Alle waren verändert und im normalen Leben nicht mehr zu gebrauchen. Es gab aber auch Ausnahmen. Einer besuchte die Wasserwelt, kehrte zurück und konnte berichten. Der Traum erfüllte sich und weckte neue Begehrlichkeiten. Das ist nun lange her.“

Eve entspannte sich etwas auf ihrem Felsen. Blimper schaute in den Himmel und mischte neue Farben. „Ich verstehe nicht.“
Eve schüttelte den Kopf. „Du verstehst!“

Aus einem Impuls heraus schlug Blimper mit der flachen Hand auf Eves Schulter und fiel zur Seite, weil sie keinen Widerstand hatte. Die Hand fand keinen Halt. Eve war eine Einbildung, eine Fatamorgana. Eve blieb ruhig. „Versuche es noch einmal!“, forderte sie Blimper auf. Blimper holte aus und schlug mit der flachen Hand zu. Es klatschte laut, Blimper rieb sich die Hand, Eve rieb sich über die Schulter, die langsam rote Farbe bekam. „Autsch!“, rief Eve. Blimper knurrte und sortierte sich. Beide sahen sich an und begannen zu kichern. Wie Schulmädchen stupsten sie sich und konnten den Kicheranfall lange nicht stoppen. Eve und Blimper wischten sich die Tränen aus den Augen und kamen langsam in normales Fahrwasser.

Blimper begann ihre Sachen zusammenzupacken, Eve stoppte sie und fragte, ob sie am Bild etwas verändern dürfte. Hannah verstand nicht und wartete. Eve nahm den Pinsel, tauchte ihn in die Farbe und mischte weitere Farben auf dem nackten Fels. Schließlich schien sie zufrieden, fragte mit einem Blick nochmals um Erlaubnis und malte mit einem Schwung in die rechte Ecke ihre eigene Empfindung. Hannah staunte und konnte zunächst nichts erkennen. Eve sortierte die Pinsel und erklärte, dass alles hier stehen bleiben sollte. „Lass es trocknen! Morgen ist genug Zeit, das Bild abzuholen, wir sollten nun zurück zum Camp, der Tag war lang und schön, lass einfach alles zurück!“
Eve und Hannah begannen den Abstieg zum Camp und rechtzeitig vor Sonnenuntergang waren sie am Lagerplatz.

Die Crew genoss ein weiteres Abendmahl aus frischem Fisch und Kräutern und wildem Gemüse. Marcel und Paul hatten das besorgt und mit Hilfe von Ricarda und Sabrina zubereitet. Alaska schmollte und nahm eine betont abwartende Rolle ein.

Eve hatte besonders gute Laune. Sie schlug vor, doch wieder mit dem Dorf in Kontakt zu kommen, es gab so viele Bewegungen, dass ein Austausch nun nötig sei. Marcel und Paul hatten damit eine neue Aufgabe und steckten ihre Köpfe zusammen. Der Abend wurde kurz, das Feuer bald gelöscht. Der nächste Morgen ließ nicht lange auf sich warten, Kurz nach Sonnenaufgang saßen die beiden Männer in den Blimps an der Kommunikation. Eve unternahm mit Alaska einen ausgedehnten Strandspaziergang, eher schon eine Wanderung. Der Rest der Crew sammelte Holz und Essbares.

Alaska gestand ihre Eifersucht, am Strand tobte sie, schmiss mit Steinen um sich und brach in Tränen aus. Eve hörte einfach zu.
„Ich liebe Hannah doch!“, schrie sie Eve an. „Du hast sie mir genommen! Es hat hat sich so viel verändert! Hannah braucht mich! Sie kann sich selbst in dieser Welt nicht behaupten, sie ist gefährdet und erkennt die einfachsten Gefahren nicht und nun schaut sie mich nicht einmal mehr an, verbringt ihre Zeit lieber mit dir!“
„Menschen entwickeln sich“, sinnierte Eve, „Hannah konnte gerade so in ihrer Bakery existieren, mit deiner Hilfe... Nun ist sie groß geworden, kann einen Blimp fliegen und malt Bilder. Das gefällt dir nicht? Sie ist nicht mehr auf dich angewiesen, du bist nicht ihre Mutter aber du bist und bleibst ihre beste Freundin. Du bist auf mich eifersüchtig? Weil ich mit Hannah einen Tag verbracht habe? Weil Hannah einen Tag ohne dich auskommen kann? Wer ist hier von wem abhängig?“

Alaska knirschte mit den Zähnen und trat mit den Füßen in den Sand. Nach einer Weile lag Alaska in den Armen von Eve und heulte ihren Schmerz in Eves Schultern. Gemeinsam gingen sie dann weiter am Strand immer weiter weg vom Lager. Die Sonne stand schon dicht am Horizont, den Rückweg würden sie bei Tageslicht nicht schaffen. Alaska wurde unruhig und sagte das auch. Eve zuckte mit den Schultern, Alaska kramte das Talkie aus dem Rucksack. Der Kontakt zum Lager war da, eine einfache Lösung bot sich nicht an. Schließlich starteten Marcel und Paul die „London“. Ein kurzer Flug für einen Blimp, ein langer Marsch für zwei verwirrte Wanderer am Strand. Nach Sonnenuntergang hörten Alaska und Eve die „London“, ein leises Surren in der Luft, die Ahnung von einem Hauch. Kurze Zeit später stand der riesige Blimp direkt über ihnen, die Landescheinwerfer warfen einen Kreis aus Licht an den Strand. Im Zentrum standen die beiden Frauen, die blinzelnd in die Suchscheinwerfer starrten.
Tief in der Nacht war die Aktion beendet, es gab etwas zu essen und die Nachricht, dass es Kontakt zum Dorf gab.

Simon Rosen hatte geantwortet, er berichtete, dass es Probleme gab, dass Ford und Mansfeld nicht mehr da waren und das Dorf aktuell auf 2000 Bewohner geschrumpft sei. Rosen gab so etwas wie ein SOS ab. Die Lage im Dorf war nicht gut, es hörte sich nach Auflösung an.





 



 
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