BLIMPER (18) Oregon

Michael Kempa

Mitglied
Oregon





Fünf Tage später war sie wieder in Oregon, in Netarts Bay. Das Haus war unberührt. Die Türe stand offen, so wie sie das Haus verlassen hatte. Im Haus war niemand. Die ANACONDA schnallte sie zum Faltboot an der Garagenwand, die Energypacks verstaute sie hinter den Müllcontainern. Nach einem gründlichen Rundgang ging sie erschöpft schlafen.

Die nächsten Tage verbrachte sie wieder am Strand. Die Wellen waren heftig, an Schwimmen war nicht zu denken. Sie dachte an das Meer wie es sein konnte, sanft, warm und voller Abenteuer, wenn eine Tauchermaske da war. Oregon war kalt, auch im Sommer. So pendelte Hannah vom Haus zur See und fand langsam ihr Gleichgewicht wieder.

Os meldete sich. Vorsichtig peilte er die Lage. Hannah war froh, seine Stimme zu hören und ihr Streit war schon im Gespräch vergessen. Os bot ihr einen Flug an. Quer durch die USA. Der Musterblimp war nun in der Lage, fast 4000 Kilometer ohne Pause zu fahren. Hannah war erfreut, im Spaß schlug sie eine Reise von Netarts Bay nach Alberton vor. Os schluckte hörbar. Nach einer Weile hörte Blimper sein OK. Sie konnte es fast nicht glauben. „Os, ist das dein Ernst?“, fragte sie. „Sicher ist es das, ich scherze nicht, das ist nicht meine Art.“ Os blieb ernst.
„Wie heißt dein Blimp?“, fragte Hannah.
„TB 015/2, es ist der zweite Testblimp aus der Entwicklungsreihe 15.“
„Das ist kein schöner Name“, kritisierte Hannah, „wäre eine kleine Taufe, mit einem schönen Namen nicht angebracht?“, fragte sie.
„Hast du einen Vorschlag?“, fragte Os.
„Wie wäre es mit Namen von Bundesstaaten? Das ist einprägsam. Weil es das erste Schiff in der Art ist, zum Beispiel: Alaska!“
Pause in der Leitung. Dann: „OK!“
Es dauerte noch Wochen, dann landete die TB 015/2 in Netarts. Es war ein Medienspektakel. Der erste Interkontinentalflug, quer durch die USA. Hannah hatte die Ehre das Schiff zu taufen, weil eine Sektflasche nicht machbar war, goss sie einfach den Sekt auf die Hülle und damit war die „Alaska“ in Dienst. Tausendfach in allen Medien. Mit Oswald und Hannah auf den Titelseiten.

Zwei Tage später begann der Flug. Nach 10 Stunden wurde es dunkel und die „Alaska“ stoppte. In der Nacht sollte sie nicht fliegen, Hannah gelang ein Ankermanöver auf Anhieb. Die Nacht war gesichert. Am nächsten Morgen begann das Manöver zum Ablegen. Der Ankerhaken war fest. Os schlug das Kappen vor. Der Anker wäre dann zwar ein Verlust, aber zu verkraften.
Hannah ging an das Steuer. Sie senkte Nase, flog rückwärts und drehte den Blimp in alle Richtungen. Vorsichtig manövrierte sie das riesige Schiff in alle denkbaren Richtungen und bekam tatsächlich den Anker frei. Os war erstaunt. „Wo hast du das gelernt?“
Hannah zuckte nur mit den Schultern.

Der zweite Tag war langweilig, mit Os sprach Hannah über Verbesserungen. Hannah versuchte Os nicht zu reizen, sie verstand nun, dass die „Alaska“ sein Kind war. Os wollte dann doch wissen, warum das Schiff nicht auf den Namen „Alabama“ getauft wurde. Hannah wand sich etwas und meinte Alaska sei irgendwie eindrucksvoller. Os war damit zufrieden. Das nächste Schiff würde dann aber sicher „Alabama“ heißen. Hannah stimmte zu.

Die Ankunft in Elberton wurde zu einem Spektakel, die Presse war da und tausende neugierige Menschen, die filmten und jubelten. Nach ein paar Stunden wurde es ruhiger. Am Rand der Landezone standen noch drei Menschen. Ruhig und aufmerksam. Hannah verließ den Blimp über die kurze Gangway, ging langsam auf die kleine Gruppe zu. Dann erkannte sie Alaska. Es gab kein Halten mehr. Paul sprang in die Luft und winkte mit dem Arm. Ein kleines Mädchen schaute gebannt auf die Szene. Alaska und Hannah lagen sich in den Armen und es flossen Tränen. Unbeschreibliche Tränen, Tränen des Verlustes, der Angst, der Freude, des Wiedersehens. Alles gemischt und durcheinander, nicht mehr kontrollierbar. Paul hielt das kleine Mädchen und sorgte so für einen ruhigen Punkt. Nachdem Hannah Paul umarmt hatte, sich dann mit einem Tuch trocken gerieben hatte, fragte sie das Mädchen: „Wer bist denn du?“
„Sophie“ säuselte das kleine Mädchen. Dann stand die Kleine fest auf dem Boden und wiederholte: „Sophie, Eve, Lorson!“
Alaska weinte und trocknete ihre Tränen. Paul schwieg. Hannah nahm das Mädchen in den Arm und mit einem Schlag war das Eis gebrochen, pure Freude strömte durch Sophie und Hannah. Sie nahm die Kleine hoch und küsste sie auf die Wange, Sophie schlug in Freude auf Hannahs Brust. Sie waren Freunde. Der Funke schlug über.

Der Abschied kam so schnell, wie das Wiedersehen. Os störte nicht gerne, doch der Abflug stand bevor. Alaska drückte Hannah einen Stik in die Hand, drehte sich weg, nahm ihre Familie und ging. Hannah stieg in den Blimp und konnte nichts mehr sagen oder tun, sie war einfach da und Os übernahm die Aufgaben des Starts. Nach Stunden gab es die nächste Zwangspause. Der Blimp durfte in der Nacht wieder nicht fliegen. Ankern musste er auch nicht. Mit Hilfe von Hannah hielten sie das Schiff ruhig 50 Meter in der Luft. Das Schiff schwankte einige Meter vor und zurück, hoch und runter, doch blieb über dem gezielten Punkt.

Das Schwanken machte müde und schaukelte Hannah in den Schlaf, bis erste Sonnenstrahlen den Tag ankündigten. Die Rückreise ging weiter. Wieder 1000 Kilometer.Tage später wieder in Netarts Bay. Die Reise war geglückt, Os war glücklich, Hannah erschöpft.

Sie öffnete ihr Haus und fand den Brief von Jan. „Ich war da, alles ist OK, später mehr!“
Hannah schlief und besuchte am nächsten Morgen das Meer.

Os hatte eine Aufgabe für Hannah, sie sollte mit der „Alaska“ in den Wäldern von Oregon arbeiten. Holz transportieren. Hannah willigte ein. Sie hatte nichts zu tun und einen Blimp zu fliegen, das war eine verlockende Aussicht. Dann kam die Holzrückarbeit. Hannah transportierte mit der „Alaska“ Holz durch undurchdringliche Gebiete. Sie entwickelte die Methode, das Holz direkt auf die Trucks zu laden, einen Zwischenstopp gab es nicht. Ein Problem war der Lastenausgleich. Der Blimp schoss in den Himmel, wenn keine Last zu heben war. Blimper löste das Problem mit Ausgleichgewichten aus Kiessäcken. Ein Biologe hatte die Idee, den Kies mit Düngemittel und Kalk zu mischen, ein Segen für die kahlen Waldflächen. Blimper transportierte und düngte, im Akkord. Knochenarbeit. Irgendwie gefiel ihr die Arbeit und oft war sie alleine im Blimp. Heben, senken, ausgleichen... Fliegen. Die Freiheit in der Luft. An einem Abend gesellte sie sie sich zu den Holzarbeitern, sie wusste ja, wo sie waren. Derbe Kerle. Aber immerhin brannte ein Lagerfeuer und das zog Hannah an.
Hannah näherte sich langsam dem Platz.
„Wer bist du?“, fragte der Vorarbeiter barsch. Fremde waren hier offenbar nicht willkommen.
„Der Pilot! Ich fliege den Blimp, der das Holz wegbringt.“
Einer der Arbeiter winkte sie heran. „Setz dich!“
Weiter nahmen die Männer keine Notiz und tauschten weiter ihre Witze aus, schlugen sich vor Lachen auf die Schenkel und drehten weiter am Spieß, an dem wohl eine komplette Sau aufs Verspeisen wartete. Es wurde dunkel, die Gespräche etwas leiser.
„Du fliegst den Blimp?“, fragte einer der Arbeiter und wischte sich das Fett vom Mund.
„Ja.“
„Wir hätten da einen größeren Mann erwartet, du bist ja eher ein schmächtiges Kerlchen! Wie heißt du?“
„Hannah.“
Die Runde wurde still. Der Vorarbeiter wachsam.
Hannah bekam einen Teller mit gegrilltem Fleisch und etwas Gemüse. Das war besser als die Rationen, dachte sie und ließ es sich schmecken.
„Du siehst das ganze von oben, wir sägen am Grund. Ich würde das ganze Gelände gerne mal aus der Luft sehen, raus aus meiner Sicht!“ Der Vorarbeiter war wieder etwas entspannter.
„Kein Problem!“, hörte Hannah sich sagen. „Kommt morgen einfach zusammen, wir machen einen Rundflug! 40 Leute kann ich mitnehmen.“
„Wir sind nur zwanzig, aber ich denke, wir kommen gerne!“ Sie machten eine Zeit aus und Hannah leerte ihren Teller. Es war Zeit zu gehen.

Am nächsten Abend landete sie den Blimp zur verabredeten Zeit am Lager der Waldarbeiter. Die Motoren liefen, der Blimp wartete auf seine Passagiere. Etwas zögerlich stiegen die Männer ein. Nach einer Weile kam keiner mehr dazu und Hannah schloss die Gangway. „Hallo, lasst uns starten!“, rief sie. Hannah steuerte das Schiff in einer sanften Kurve über das Lager. Dann stieg sie auf maximale Höhe, aus 6000 Metern Höhe war das Lager nicht mehr zu sehen, dafür eine gleißende Sonne und ein paar Wolken auf Augenhöhe. Der Abstieg führte über die Erntegebiete, abgeholzte Wälder, kahle Flächen. Blimper drehte das Schiff in alle Richtungen, jeder sollte eine gute Aussicht haben. Dann setzte Blimper zur Landung an. Einige Männer waren etwas grün im Gesicht, doch alle hatten dieses besondere Glänzen im Gesicht, das Hannah schon so lange vermisst hatte.
Der Abend wurde kurz, Hannah musste den Blimp sichern und der nächste Morgen stand bevor.
 



 
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