BLIMPER (19) Weißer Adler

Michael Kempa

Mitglied
Weißer Adler





Die Ernteflüge gingen weiter. Hannah transportierte Holz. Sie flog, so wie sie es konnte und bemerkte die schwindenden Heliumreserven. Die Tanks leerten sich. Sie verbrauchte mehr, als produziert werden konnte. Für diese Mission sollte es noch reichen.
Dann kam der Waldbrand. Am Horizont leuchtete es rot. Im Revier gab es auch bald Feuer. Die Waldarbeiter bereiteten ihren Abzug vor. Der Vorarbeiter kam auf Hannah zu und fragte nach Möglichkeiten; ob der Blimp auch hier helfen könnte. Zusammen mit Mark flog sie das Gebiet ab. Dicht an die Brandherde. Viel Löschwasser konnte Hannah nicht ablassen, ohne Gegengewicht musste sie Helium ablassen oder warten, bis die Kompressoren Kapazität freigaben. Zusammen mit Mark flog sie einige Einsätze und in ein paar riskanten Manövern retteten sie auch einige Firefighters. Oft musste Hannah durch dicke Rauchwolken, oft knapp über das lodernde Feuer.
Der Blimp nahm Schaden. Die Ladeluke war verbeult, Löschwasser verteilte sich im Schiff. Das Zubehör war ausgeleiert, die Scheinwerfer trüb, einige Leuchten außer Betrieb. Im Gangway trat sich der Schlamm fest, den die Männer an ihren Stiefeln hereinbrachten.
Hannah sprach mit Os und er entschied den Abbruch der Mission.

Blimper verabschiedete sich von den Waldarbeitern und lud alles Brauchbare ungeordnet in den Laderaum, die Waldarbeiter brachen ihre Zelte ab. Einen Tag später zog ein Feuersturm über das Gebiet, alles was liegen blieb verbrannte. Eine Geschichte in Asche. Niemand starb, ein Hoffnungsschimmer. Hannah flog den Blimp nach Netarts Bay.

In Netarts gab es keine große Show, der Blimp wurde abgelassen, verladen und abtransportiert. Hannah sortierte sich in ihrem Haus und wusste nicht wofür sie noch kämpfen sollte.
Der Brandgeruch hing noch in ihren Kleidern, auch die Ausflüge an den Pazifik konnten das nicht ändern.

Jan kam und begann ein Gespräch. „Wie geht es dir?“
„Na, so wie es jemandem geht, der einen Blimp heruntergeritten hat!“
Jan beschwichtigte und legte eine Mappe auf den Tisch.
„Oswald ist zufrieden! Er hat Daten, die er auswerten kann. Die Transportfähigkeit seines Blimps ist ausgetestet worden, es gibt neue Perspektiven, Extremsituationen wurden getestet. Der Verlust der „Alaska“ war akzeptabel. Im Moment wird an der „Alabama“ gebaut, vieles von deinen Erfahrungen wird umgesetzt. Gestern hörte ich von stärkeren Helium-Kompressoren. Die „Alabama“ wird für Lastflüge gerüstet. Das ist ein Erfolg! Dein Löscheinsatz ist nicht unbemerkt geblieben, die Staaten denken über eine Löschflotte nach...“
„Schön.“ Das war Hannahs knappe Antwort.
„Ich glaube, du brauchst Ablenkung, dein Kopf ist nicht frei...“ so ging Jan zu seinem Wagen und ließ Hannah schmoren.
In der Mappe war genug Geld für die nächsten Monate.

Hannah telefonierte mit Os. Es war ein langes Gespräch. Os erzählte von den Fortschritten und der neuen Flotte. Er erzählte, dass die Reichweite der Blimps gestiegen sei, bis auf 5000 Kilometer. Eine Atlantiküberquerung war nun in reeller Reichweite. Os war dankbar und er schlug Hannah am Schluss vor, Chefpilotin in seinem Programm zu werden. Er steigerte sich: Hannah könnte die erste Frau sein, die den Atlantik in einem Blimp überquert. Angetrieben von elektrischen Motoren. Os wuchs über sich hinaus. Hannah bremste. „Lass mich überlegen, es war ein bisschen viel in letzter Zeit!“
„Natürlich, wir hören voneinander? Du bist wichtig für mich!“
„Klar.“ Das war Hannahs knappe Antwort.

Jan übernachtete das erste mal in Netarts Bay, auf der Couch. Hannah wälzte sich in ihrem Bett und fand keine Ruhe.
Das gemeinsame Frühstück war eher ein Arbeitsessen, Jan machte Hannah ihre Möglichkeiten klar und Hannah gab zu, dass sie darunter litt, keine Wurzeln zu spüren.
Jan zog eine Augenbraue hoch. Irgendwo hatte Hannah das schon einmal gesehen, sie wusste nur nicht wo, doch es war seltsam. Jan verließ Netarts und versprach, bald wieder vorbeizuschauen. In den nächsten Tagen studierte Hannah die Liste der Verbesserungsvorschläge und sie studierte die Baupläne der „Alabama“.
Etwas sträubte sich in ihr. Sie fühlte, dass dies nicht ihr Weg war.

Jan kam wieder, hatte wieder einen Koffer dabei. Hannah beachtete das nicht und ließ den Koffer einfach im Flur stehen. Zusammen mit Jan trank sie Tee in der Küche. Jan hatte noch etwas zu sagen. „Ich habe eine Botschaft von Eve für dich...“
„Ja? Ich höre!“ Hannah wärmte ihre Hände an der Tasse.
„Vergiss nicht dein Palindrom.“
Hannah stellte die Tasse ab. „Das war alles?“
„Alles.“

Der Abend wurde noch lang. Jan wurde etwas entspannter. „Du kannst mit vielen Dingen Geld verdienen, es muss nicht der Blimp sein, es können auch Pilze sein...“
„Pilze?“ Hannah verstand nicht.
„Es ist Saison.“ Jan wollte das Gespräch abbrechen.
Hannah hakte nach, alles was nicht mit Luftschiffen zu tun hatte, schien ihr interessant. Jan erwärmte sich für das Thema. „Auch ich habe Hobbys, es ist nicht mein Lebenszweck für Leute wie Eve zu arbeiten, ich bin gerne Agent, doch ich habe auch ein Privatleben. Es ist nicht aufregend, doch es entspannt mich, es ist ein Gegenpol, eine Abwechslung und ein Ruhepol.“
„Ach?“, entfuhr es Hannah.
Jan begann von den Pilzen zu erzählen, Hannah hörte zu. Sie erinnerte sich an die Pilzsuche in den Badlands und sie erinnerte sich an bessere Zeiten und an Prisca und Dana und an Talbot, ihrem Mentor den sie so lange nicht gesehen hatte. Sie nickte mit dem Kopf. „Eine Möglichkeit, ich brauche eine Aus-Zeit...“
Jan schaute erstaunt. „Zwei Telefonate und du weißt mehr.“
Jan fing Feuer, nach ein paar Minuten kam er aus der Diele und legte zufrieden das Mobile auf den Tisch. „Os ist einverstanden, er versteht das mit der Auszeit, außerdem ist er mit Umsetzungen deiner Ideen beschäftigt, er braucht auch Zeit... Eve antwortete mit einem knappen ja. Wir können starten!“ Jan war in seinem Element und kaum zu stoppen. Er erklärte, dass sie ein Wohnmobil bräuchten und er sein eigenes holen könnte, in zwei Tagen wäre er zurück und dann könnte es losgehen mit der Pilzjagd, ein Traum von ihm. Jan fuhr ab und ließ Hannah alleine, die in Seelenruhe alles für einen Outdooraufenthalt vorbereiten konnte.

Nach zwei Tagen fuhr ein riesiges Wohnmobil knirschend auf die Auffahrt und stoppte sanft. Jan stieg aus, die Fahrt konnte beginnen. Im Wohnmobil gab es zwei Schlafbereiche, eine Küche, Sanitär und jede Menge freien Platz. Hannah war beeindruckt, fast ein Blimp für die Straße. Luxus pur.
Die Weiterfahrt dauerte nur wenige Stunden, Jan fand einen Standplatz mitten in den Wäldern von Oregon. Jan hielt noch einen kleinen Vortrag über den Matsutake-Pilz und die erste Pirsch konnte beginnen. An diesem Abend fanden sie – Nichts!

Die nächsten Tage waren erfolgreicher, Hannah wusste nun, dass der Pilz sich nicht einfach zeigte, sie musste mit ihrem Stock stochern und knapp unter dem Bewuchs nachbohren. Erst fand sie wenig, doch dann entwickelte sich ihr Gespür. Im Korb sicher ein Kilo Pilze. Jan hatte die doppelte Menge gefunden. Drei Kilo Matsutake an einem Tag, nicht schlecht. Am Abend gab es Pilze. Matsutake pur, dazu Rührei. Hannah war von den Pilzen nicht begeistert, das Rührei schmeckte ihr besser, Jan hielt sich mehr an die Pilze. Am zweiten Tag lieferten sie ihren Fang ab. Es gab Geld dafür und eine Sammelstelle. Der Erlös kam in den Safe im Wohnmobil. Der dritte Tag steigerte die Ausbeute, Hannah wusste nun, wonach sie suchen musste. Dann trafen sie auf Gerald, ein wild aussehender Mann, der in aller Ruhe zwei volle Körbe Pilze vor sich herschleifte und gerade einen dritten Korb füllte. Er stellte sich kurz vor und zog weiter durch den Wald. Am nächsten Tag sahen sie ihn wieder. Am dritten Tag unterhielten sie sich kurz. Gerald und Hannah sahen sich kurz an, irgendetwas klingelte in Hannah, sie hatte das Gefühl Gerald zu kennen. Sie sammelte weiter.
Gerald beobachtete seine Kollegen, mit verstohlenen Blicken und er kreuzte immer wieder den Weg von Hannah und Jan. Schließlich blieb er stehen und sammelte seinen Mut. „Blimper?“, er sprach Hannah vorsichtig an. Hannah blieb wie angewurzelt stehen, die Erinnerung drang in ihr Bewusstsein. Sie gab sich vorsichtig zu erkennen. „Ja?“, erwiderte sie vorsichtig.
Dann sprudelte es aus Gerald heraus. Die erste Reise mit dem Luftschiff, die Ernte in den Badlands, die Katastrophe und wie er mit seiner Familie beinahe erfroren wäre. Er war Hannah heute noch dankbar für die Decken und die Suppe. Allerdings hatte er seine Leute verloren, irrte in einem Land umher, das er nicht kannte, suchte und fand nicht, bis er hier in Oregon ankam. Fremd und ohne Orientierung. Hannah lud ihn zum Essen ein und Gerald baute sein kleines Zelt neben dem Wohnmobil auf. Wie es so ist, in solchen Situationen, gesellte sich bald ein weiterer Gast dazu, ein indianisch aussehender Mann, der selbstbewusst sein Tipi aufbaute. Bald tauchte aus dem Wald seine Gefährtin auf und in dieser Nacht saßen nun fünf Sammler um das gemeinsame Lagerfeuer und erzählten sich ihre Geschichten. Hannah gefiel das, Jan wirkte etwas überrumpelt. Am nächsten Morgen streiften die Gruppen durch den Wald und am Abend stand ein weiteres Tipi auf dem Platz. Eine bunt gemischte Gruppe, die unterschiedlicher nicht sein konnte, doch mit einem gemeinsamen Ziel und Gesprächsstoff für viele Abende. Die Leute mit den Tipis übernahmen die Gestaltung des Abends, sie entfachten ein großes Lagerfeuer und unterhielten mit Geschichten und Gesang. Dann kreiste der erste Joint, Hannah und Jan lehnten ab, doch den Schwaden konnten sie nicht ausweichen und die Stimmung lockerte sich auf. Leicht schwankend suchte Hannah in ihrem Gepäck und fand was sie suchte. Das Päckchen war ihr geheimer Vorrat. In den Funken des Lagerfeuers mischte sich Rauch aller Arten, Jan wurde verdächtig still, doch dann gefiel ihm die Zusammenkunft und er begann auf einer einfachen Trommel den Rhythmus mitzuschlagen. Gerald vergaß seine Sorgen und brummte im monotonen Singsang.

„Weißer Adler“, so nannte sich der Tipi-Bewohner und schwang auf zu neuen Liedern und Geschichten. Story-Teller, so neckte ihn seine Gefährtin. Der „Weiße Adler“ erzählte mehr über die Natur, über die Sterne, über die Erde und schließlich über Planeten und Sterne und Meere. Seine Fantasie schweifte ab, die Geschichten wurden verworren und er begann abzuschweifen und er begann weitere Joints herumzureichen.



 



 
Oben Unten