BLIMPER (9) Viel mehr...

Michael Kempa

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Zögerlich kam die Zustimmung – doch sie kam.

„Wir steigen auf 1000 Meter!“ Das war Eves erster Befehl. Dann lief die kleine Flotte 15 Kilometer über das Meer hinaus. Der Lagerplatz war gerade noch erkennbar.
Eve fragte Marcel nach den Waffen. Marcel runzelte die Stirn und Blimper zuckte mit den Schultern.
„Wir haben noch nie Waffen gebraucht!“, warf Alaska von der „London“ aus ein.
Ricarda zeigte sich entsetzt. „Ich weiß nichts von Waffen auf der Kiew!“, rief sie in den Funk.
Eve ließ sich nicht beeindrucken. „Bei drei geht ihr in einen Sinkflug mit maximaler Beschleunigung bis runter auf hundert Meter über dem Meer und dann bleibt ihr in dieser Höhe! Und weiter mit maximaler Geschwindigkeit knapp über dem Wasser, raus aufs Meer. Die „Cairo“ wird das genau so machen, eine Sekunde später.“ Eve zeigte Kommandoeigenschaften, die ihr niemand zugetraut hätte. Sekunden später zog die Rakete ihre Bahn, die Blimps vergrößerten den Abstand und nutzten die Sinkgeschwindigkeit. Die Rakete brauchte nur Sekunden. Am nahen Horizont blitzte die freigewordene Energie auf. Wie tausend Sonnen blendete die Explosion. Ein Pilz stieg in den Himmel und flachte bald ab. Die Wucht traf die Fahrer nach einigen Sekunden. Die „London“ wurde unsanft auf die Wasseroberfläche gedrückt, die „Kiew“ drehte sich unkontrolliert und die „Cairo“ stand unfreiwillig senkrecht am Himmel. Die Druckwelle war vorüber und ein dumpfes Grollen füllte den Raum.

„Es ist vorbei...“, beruhigte Eve die erschrockenen Luftfahrer. „Ihr könnt es überprüfen, es war nicht nuklear, es war reine Energie! Es musste sein, es durfte keine Spur übrig bleiben!“
Über Funk kamen viele Botschaften, in verschiedenen Sprachen.
Die Botschaften wurden automatisch aufgezeichnet, die Blimps sortierten sich in eine Reihe und zogen weiter auf das Meer.

Eve beruhigte die Luftfahrer über Funk. „Ich weiß, es war eine gewaltige Explosion! Doch das war nötig, um unsere Spuren zu verwischen. Es war eine reine, thermische Reaktion, keine nukleare Energiequelle, keine Radioaktivität, auch wenn der Pilz so aussah. Es hat keine Opfer gegeben, nur einige Fische und begrenzt auch Pflanzen und wenige Tiere. Etwa so viele, wie ihr sie gegessen habt. Und: Der Angriff geschah monodimensional, also nur in dieser Dimension, in der wir uns aufhalten. Niemand wurde ernstlich verletzt, das war mir wichtig. Nun sollten wir sehr schnell das Gebiet verlassen, denn das Dorf hat diesen Angriff gespürt. Sie werden uns suchen und es ist besser, wenn wir nicht gefunden werden. Vorerst!“

Die Crew schwieg.

Marcel setzte den Kurs, die „London“ und die „Kiew“ folgten.
Mit gut 100 km/h verließ der Verband die Region.Mitten über dem Golf von Oman führte die Route. Unter der kleinen Flotte spiegelte sich das Wasser.
Eve gab das Kommando wieder ab, sie baute sich aus Decken eine Burg und schaute durch die Bodenluke auf das Wasser.
Der Kurs führte nun weit hinaus auf das Arabische Meer. Nur 500 Meter über der Wasseroberfläche. Es war klar, dass dies wieder eine tagelange Reise werden würde.

Paul sah sich die Fetzen der Informationen an, die kurz nach der Explosion aufgefangen wurden und wurde blass. Alaska fragte, was los ist.
„Du wirst es nicht glauben!“, antwortete Paul.
„Da waren Nachrichten, die können nicht vom Dorf stammen! Da waren Bilder dabei, Fragen, Berichte, Befehle! In vielen Sprachen, oft altes Englisch. Was war das denn nur?“, fragte Paul.
Paul sank in seinem Sessel zusammen. „Wir sind nicht alleine. Da gibt es mehr. Viel mehr...“

Weit entfernt arbeite Georg Mansfeld in seinem Büro. Simone stieß die Tür auf und platzte mit ihrer Botschaft in seinen Seelenfrieden. „Wir haben ein Signal! Ein deutliches Signal! Am Persischen Golf hat es eine Energiespitze gegeben, es muss eine gewaltige Explosion gewesen sein!“
Mansfeld ließ seinen Becher mit Kaffee sinken. Er schaute erstaunt in das aufgeregte Gesicht von Simone Ford, seiner Militärexpertin. Georg nahm Haltung an. „Was für ein Signal? Was ist passiert?“
Simone zeigte ihm die Messwerte. „Eine Explosion, eine Energiespitze mit unserer Signatur! Ich denke es kam von einem der Blimps, sie haben die Waffen benutzt. Ich weiß ja, dass Waffen an Bord sind, doch nun sind sie eingesetzt worden! Das ist auch der Beweis, dass die Expedition noch unterwegs ist – oder war.“
Simone Ford war außer Atem. Die Neuigkeit war einfach zu gewaltig.
Mansfeld brauchte einen Moment, um zu verstehen.
Er erhob sich von seinem Schreibtisch und sah Simone in die Augen. „Was sollen wir tun?, fragte er. „Retten natürlich! Kontakt aufnehmen! Irgendwas unternehmen! Deshalb bin ich hier. Vielleicht sollten wir eine Aktion starten...“
Georg bremste Simones Aktionismus. „Nochmal drei Blimps in das Ungewisse starten?“, fragte er. „Wir können die Kurzwellensignale intensivieren, das ist eine Möglichkeit...“
Simone war nicht zufrieden. „Haben wir nicht die ANACONDA ?“ fragte sie.
„Was weißt du über die ANACONDA?“, wollte Georg wissen.
„Es wäre eine Möglichkeit.“, gab Simone knapp zurück.
Mansfeld unterbrach das Gespräch. „Ich danke für deine Nachricht und gebe dir bald Rückmeldung, doch nun lass mich nachdenken was ich tun kann, wir hören uns...“
Mansfeld kam direkt auf Simone zu, der nichts anderes übrig blieb, als tonlos das Büro zu verlassen.

Georg setzte sich wieder. Mit den Fingern spielte er an der Konsole, die auch die Steuerung für die ANACONDA enthielt. Mit der ANACONDA könnte er in kurzer Zeit in der Region sein und für Aufklärung sorgen, das Projektil, Schiff wollte er es nicht nennen, war schnell genug. Doch dann wäre er nicht mehr in der Zentrale der Macht. Ein gewisses Risiko war auch nicht auszuschließen. Es gab auch nur ein einziges Luftschiff dieser Art in der Zitadelle, die anderen Projektile waren verschollen oder an Bord der „Cairo“. Mansfeld überlegte.
Rosen war seine Rettung. Ein kurzer Anruf genügte. Die ANACONDA wurde ausgerüstet und startete ihren unbemannten Aufklärungsflug. Eine Drohne. Geniale Idee von Mansfeld. In drei Tagen war das Teil zurück und konnte neue Informationen liefern. Georg war beruhigt und goss sich seinen Lieblings-Brand ein. Für heute war die Welt in Ordnung.

Paul bestimmte den Kurs neu, es ging weiter auf das Arabische Meer. Die „Cairo“ und die „Kiew“ folgten in einem Kilometer Abstand. Eve grub sich immer mehr in ihren Deckenberg zurück und schaute durch die Bodenluke auf das unendliche Meer.

„Wir brauchen einen Kurs, wir brauchen ein Ziel!“ Sabrina brach damit die Funkstille.
Paul stimmte zu und schlug vor, zunächst mit reduzierter Geschwindigkeit weiter nach Süden zu fahren.
So wurde es gemacht, einen ganzen Tag lang, eine ganze Nacht lang und den folgenden Morgen.

Eve schälte sich aus den Decken und setzte sich neben Marcel an das Steuerpult. „Wo sind wir?“, wollte sie wissen.
Marcel deutete mit dem Finger auf die Karte, die am Steuerpult angezeigt wurde. Eve nickte zufrieden.

Paul meldete sich von der „London“. „Ist Eve wach?“, fragte er. Eve sprach selbst in das Mikrofon. „Ich bin da, wenn du eine Frage hast.“
Ricarda und Sabrina meldeten sich von der „Kiew“. Es entstand eine Konferenz. Alle konnten sich hören und hielten sich an die Regeln des Funkverkehrs.
Paul sprach von der „London“. „Ich habe Funksprüche gehört, die nicht von uns kamen und auch nicht aus dem Dorf. Kann das jemand erklären? Ich dachte, wir sind die letzten Überlebenden und nun hörte ich viele Stimmen, ist das ein Beweis, dass es noch weitere Überlebende gibt?“
Im Funk blieb es einige Zeit still.
Eve gab schließlich Antwort. „Du hast ein Echo gehört. Du hast etwas gehört, das du nicht hören solltest, es war eine Störung, die durch die Explosion verursacht wurde. Da ist schon etwas, doch du warst nicht der Empfänger, die Botschaften waren nicht für dich gedacht.“
„Sicher.“ Paul blieb still, im Funk war nur leichtes Rauschen zu hören.
„Wir sollten uns im Dorf melden!“ Ricarda forderte in weiteren Beiträgen eine Kontaktaufnahme und Sabrina stimmte zu. Alaska forderte eine neue Strategie und dazu musste das Dorf informiert werden.
Eve mischte sich wieder ein. „Bevor ihr eure Position bekannt gebt, solltet ihr eine Boje setzen. Dann solltet ihr rasch das Gebiet verlassen und abwarten was passiert. Ihr habt nicht nur Freunde im Dorf... Danach können wir weiter reden.“
Die Mannschaft stimmte zu und wartete den nächsten Tag ab.

Die ANACONDA erreichte ihr Ziel. Über dem Meer startete sie die Videoaufzeichnung und konnte nichts dokumentieren, außer, dass ein Bereich wärmer war als die Umgebung. Nach einigen Runden brach die Drohne die Überwachung ab und begann den Rückflug. Ergebnislos.
Mansfeld war verwirrt und zufrieden zugleich. Die Expedition hatte offenbar ernste Probleme, eine Spur war nicht zu finden. Sein Plan könnte aufgehen.

Zur selben Zeit setzten die Blimper eine Boje ab. Das Teil würde in einer Stunde seine Position auf allen Funkfrequenzen senden. Die Flotte drehte derweil in Richtung Süden ab. Nach vier Stunden drifteten die Blimps im Passat und senkten die Höhe auf etwa 100 Meter über dem Wasserspiegel. Abwarten.
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten.

Mansfeld erhielt die neuen Koordinaten direkt aus Simones Büro. Er wartete nicht lange und öffnete seinen Aktenkoffer. Der Code war schnell eingegeben und die Koordinaten übernahm er einfach von Simones Botschaft. Er schloss den Koffer und stellte ihn wieder in den Aktenschrank, bevor Simone mit Schwung sein Büro stürmte. Simone lief auf, so wie sie vor einem Tag aufgelaufen war.
100 Kilometer weiter wurde eine Bunkerluke gesprengt und eine Interkontinentalrakete startete in den Weltraum, von niemandem bemerkt.

Die Flotte der Blimper gewann weiter Abstand von der Boje. Eve bestand darauf, den Abstand zu vergrößern. Paul befahl Schub auf alle Antriebe und die kleine Flotte erhöhte den Abstand deutlich.

Die Aufzeichnungen der Blimper waren deutlich. Die Interkontinentalrakete schlug ein und explodierte – nicht. Das Inferno blieb aus. Sicherheitshalber fuhren die Blimps weiter weg vom Zentrum, weiter in niedriger Höhe, doch Minute für Minute wurde der Abstand größer und die Gewissheit tröstete die Besatzung. Aus irgendeinem Grund war der nukleare Sprengsatz nicht explodiert.

In der Zitadelle trafen Mansfeld und Simone Ford aufeinander.
„Was hat dich geritten, die Rakete zu starten?“ Simone richtete ihren Blick voller Zorn auf Mansfeld. Der stand wieder direkt vor Simone. „Klarheit schaffen, Bedrohungen abwenden, mit allen Mitteln!
„Ohne mich zu fragen?“, fauchte Simone.
„Ich bin Leiter der Basis, ich brauche dich nicht zu fragen!“
„Für was brauchst du das Militär? Hä? Simone war außer sich. „Wir waren uns immer einig, dass Handlungen abgesprochen werden. Einer soll auf den anderen aufpassen. Wir haben die Forscher, wir haben die Leitung und wir haben das Militär! Sicher, es gab in den letzten Jahren keine Bedrohung, das Militär war eigentlich nicht nötig, doch eine Kontrolle kann nie schaden. So, wie heute!
Mansfeld goss sich einen Bourbon ein und dachte nicht daran, Simone etwas anzubieten. Er war sich seiner Sache sicher. „Für was brauche ich jemanden vom Militär? Für was brauche ich jemanden von der Forschung? Ich halte mich an an die Guidestones! Ich vermeide belanglose Gesetze und unnütze Beamte. Ich schaffe das Gleichgewicht!“

Georg Mansfeld kippte sein Glas und goss nach. Er erwartete einen stillen Abgang vom Militär. Simone dachte nicht daran zu weichen. Sie kochte vor Wut. „Du glaubst ja wohl selbst nicht, dass du hier der Alleinherrscher bist. Nicht umsonst ist die Macht geteilt worden. Wichtige Waffen werden vom Militär kontrolliert und dazu gehören auch Langstreckenwaffen und dazu gehören auch, erst recht, Nuklearwaffen!“
Simone Ford knallte die Tür zu und ließ den Leiter der Basis in seiner Selbstgefälligkeit zurück.

Mansfeld kontrollierte den Einschlag der Nuklearwaffe. Einen Einschlag gab es, doch keine Explosion. Ein Code fehlte. Die blöde Bombe ist einfach nicht detoniert. Georg kochte vor Wut. Seine mächtigste Waffe war einfach verpufft, Ford hatte das Teil gesperrt. Ford hatte seine Pläne einfach im Sand verlaufen lassen. Mansfeld tobte, er knallte sein Glas auf den Tisch und gab dem Koffer mit den Kontrollen einen Tritt. Er hätte gerne jemanden zur Schnecke gemacht, doch es war niemand da, der Sündenbock sein konnte. Das tat weh. Ein Schrei entwich seiner Kehle.






 



 
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