Blut das vor den Adern flieht

4,00 Stern(e) 3 Bewertungen

Trasla

Mitglied
11.11.2009

Es war nicht so schlimm wie ich befürchtet hatte.
Sicher, man konnte schon deutlich erkennen, dass die Band in die Gothic Szene gehörte, nicht nur aber auch an der Kleidung der Besucher, die sich mit mir zusammen an diesem Mittwochabend im Musikzentrum Hannover versammelt hatten, um Samsas Traum zu sehen. Mit Caro und mir, um genau zu sein.
Ich war in Alltagskleidung da, das waren zwar nicht Anzug und Krawatte, aber immerhin herrschte bei mir ein auffälliger Mangel an Nietenarmbändern und Ähnlichem. Glücklicherweise hatte ich das Gefühl, nicht unangenehm aufzufallen. Ich bin in der Hinsicht zwar nicht sonderlich empfindlich, aber ich freue mich wenn ich keine abfälligen Bemerkungen ignorieren muss.
Caro hingegen war ganz und gar passend gekleidet. Von den erwähnten, großzügig mit Nieten versehen Accessoires mal abgesehen trug sie unter ihrem Ledermantel ein langes schwarzes Kleid und ewig viele kleine Glocken überall am Körper, weshalb sie den passenden Spitznamen „Glöckchen“ trägt.
Wenn ich mit ihr durch die Stadt ging fühlte ich in mir jedes Mal die Zerrissenheit, den Kampf zwischen dem Drang nicht unangenehm aufzufallen (und man fällt auf wenn jeder Schritt laut klimpert) und dem Wunsch, mit selbstbewusster Ignoranz gegenüber den gesellschaftlichen Konventionen durch die Reihen dieser angepassten Schafe zu wandeln.
Kennen gelernt habe ich sie bei einem Onlinespiel. Was meine Bekanntschaften mit Frauen angeht, zeichnet das Internet für einen nicht unwesentlichen Anteil meiner Trophäensammlung verantwortlich. Gemerkt habe ich das ziemlich früh, ich schreibe gerne und im Netz hat man eine riesige Auswahl an Gesprächspartnern. Ich werde nicht gleich auf Grund meines Alters oder Aussehens eingeschätzt, stattdessen sind die Menschen gezwungen sich näher mit mir auseinander zu setzen. Außerdem fühle ich mich wohl, während ich ansonsten absolut kein Party- oder Discogänger bin und während der Schulzeit außerdem ziemlich viel soziale Ablehnung erfahren habe. Kurzum, alleine schon aus Tradition fällt es mir leicht, Kontakt zu Netzbesuchern zu knüpfen und ganz erfolglos bin ich auch nicht wenn es darum geht, weibliches Interesse zu wecken. Caro war eine dieser weiblichen Interessenten.
Es war unser zweites Treffen, wir hatten einige Male telefoniert und beim letzten Mal miteinander geschlafen, wir küssten uns öfter und insgesamt war das Verhältnis recht innig und auch der Teil der Nacht nach dem Konzert versprach, interessant zu werden. Über Gefühle hatte bisher keiner gesprochen, und das war auch besser so. Ich fand sie nett, ganz ohne Frage, aber ich war nicht verliebt. Würde das Thema aufkommen oder sie den Eindruck erwecken mehr zu wollen, würde ich ihr das ganz klar auch so sagen müssen.
Bisher war sie allerdings diesen Fragen fern geblieben. Sie hatte eine ziemlich kaputte, und in ihrer Nachbereitung immer noch anstrengende Beziehung hinter sich, und ich merkte dass ich ihr gut tat. Dass es ihr gut tat Aufmerksamkeit zu bekommen, etwas zu unternehmen… Aber ich konnte nicht genau Einschätzen, ob sie auch nur das wollte, etwas Ablenkung, ein wenig Leben, oder ob ich ihr irgendwie mehr bedeutete. Ich traute ihr durchaus zu, zu spüren wie ich die Sache sah, und deshalb ihre wahren Gefühle zu verbergen. Irgendwann hatte mich mal ihr Ex angerufen, hat wohl meine Nummer aus ihrem Handy gesammelt und er dachte offensichtlich, ich wäre ihr neuer Freund. Ich habe mir das Gespräch nicht lange angetan, aber es schien als wäre er gekränkt weil sie dauernd von mir schwärmte.
Jetzt tratschte sie gerade mit einer guten Freundin, die ihr durch Zufall über den Weg gelaufen war. Wir standen etwas abseits, für die Musik konnte ich mich durchaus begeistern, dafür sich in einem wild springenden Pulk schwere Verletzungen durch Ellenbogen und Nietenarmbänder zuzuziehen allerdings nicht.
Die junge Dame war mit ihrem Verlobten hier, der gütiger weise gerade losgegangen war, um für alle Bier zu holen. Sie fröstelte und sagte, dass ihr ziemlich kalt sei. Ich reichte ihr meine Jacke, Caro stellte sich mit geschlossenen Augen und ausgestreckten Armen vor sie hin und begann, etwas zu murmeln. Sie war nach eigener Aussage eine Hexe, was ich ganz interessant fand. Der Naturwissenschaftler in mir hielt den größten Anteil meiner Weltsicht fest in der Hand, weshalb ich mit reichlich Skepsis gegenüber ihren Ausführungen bedacht war. Aber ich war auch neugierig und sah keinen Grund, ihre Ansichten in Frage zu stellen, also hörte ich mir gelegentlich aufmerksam ihre Schilderungen an.
Nachdem wir mit vereinten Kräften die Kälte bekämpft hatten und außerdem mit neuem Bier versorgt waren wurde ich mit einem besonderen Lied belohnt. Schon während der Ankündigung, die die klare Aufforderung erhielt, sich auf der Tanzfläche mal ordentlich auf die Schnauze zu hauen, ahnte ich, was kommen würde. Und dann spielten sie ihn, den ersten Samsas Traum Song den ich kennen gelernt hatte. Die Band spielte sich in Ekstase, das Publikum rastete völlig aus, und mich durchfuhr eine Woge der Erregung und Erinnerung.
Der Gesang setzte ein.

Mein Herz auf 180 stundenkilogramme Speed
Ein Puls der seinesgleichen sucht und Blut das vor den Adern flieht
Ich wünscht‘ ich wär‘ im Wunderland
Mit ‘ner dicken Wumme in der Hand
Und Alice lutschte meinen Schwanz
Komm schluck es Baby und dann tanz

Sofort fühlte ich mich wie von einem Strudel in meine Erinnerung gesaugt. Und ich dachte daran, dass ich jetzt viel lieber mit ihr hier wäre. Vor zwei Tagen hatte sie mir eine sms geschrieben, nach langer Zeit. Ihr ging es nicht gut, ihr neuer Freund hatte Schluss gemacht. Und sie hatte gefragt, ob sie zu mir kommen darf. Oh wie sehnlich ich mir gewünscht hatte, sie endlich einmal wieder zu sehen.
Ich weiß nicht ob ich je glücklichere Momente erlebt hatte als mit Nadine. Und dieses lange Wochenende bei ihr, als sie noch in Wien wohnte, es war fest in meine Erinnerung gebrannt. Wir hatten den einen oder anderen Joint geraucht, hörten den Song der jetzt gerade wie durch Watte an meine Ohren drang in einer Endlosschleife und erinnerten uns, aneinander gekuschelt, an andere gemeinsame Momente des puren Glücks.
Sie konnte mich so verdammt glücklich und so verdammt traurig machen. Sie selbst schien als Gemütszustand nur diese beiden Extreme zu kennen. Und nun sollte ich sie endlich wieder treffen. Ich hatte ihr geantwortet, dass sie solange sie wollte bei mir unterschlüpfen konnte. Nadine würde ich wirklich ewig beherbergen. Ich würde sie durchfüttern und umsorgen und nichts als Gegenleistung verlangen, als dass ich ihre unbeschreibliche Gesellschaft genießen durfte. Ich hatte ihr auch geschrieben, dass Samsas Traum in Hannover spielen würde, hatte gefragt ob sie schon wisse, wann sie käme, aber noch keine Antwort bekommen.
Während das Lied langsam verklang kehrte ich aus meinen Gedanken zurück. Caro zog mich an sich, doch ich erwiderte ihren Kuss mechanisch, wie aus einem Reflex heraus. Es fühlte sich seltsam an, ich kam mir wie ein Verräter vor. Noch tobte in mir der emotionale Sturm von Erinnerungen an Nadine, da küsste ich jemanden den ich im besten Fall als gute Bekannte und im schlechtesten als One-Night-Stand bezeichnen könnte.
Als die letzten Abschiedsworte verklungen waren machten wir uns auf den Weg. Ein junger Kerl, der vor dem Musikzentrum mit anderen darüber sprach, bei McDonalds zu übernachten schlug mein Angebot aus, bei mir zu schlafen und so zogen wir alleine los. Sie merkte wohl, dass ich in seltsamer Stimmung war, aber ich behauptete müde und erschöpft zu sein und sie fragte nicht weiter nach. In meiner Wohnung vollzog sie noch irgendein Abendritual, während ich im Bad verschwand. Bald darauf schliefen wir ein.
Irgendwann in der Nacht wachte ich auf. Sie lag wach und hatte mich anscheinend beobachtet. Ich wusste nicht mehr, was ich geträumt hatte, aber in mir brannte ein unglaubliches Bedürfnis nach Nähe. Wir küssten uns. Mein Kopf fühlte sich taub an, von innen. Wir schliefen wortlos miteinander, danach spürte ich wie die Taubheit sich in meinem Körper ausbreitete. Sie schmiegte sich an mich, es tat mir irgendwie leid nicht so richtig da zu sein, aber nach ganz kurzer Zeit schlief ich wieder ein.
Nachdem ich Caro am nächsten Morgen zum Bahnhof begleitet hatte kramte ich in der Schublade mit Sachen von Nadine, die ich hatte. Mir fiel das Buch in die Hände, das sie mir geschenkt hatte. Durch den Besitz des Guten sind die Glückseligen glückselig. Darin das Magnetlesezeichen mit dem süßen Kätzchen drauf, an der Stelle „Sokrates‘ philosophischer Beitrag über die Liebe“. Sie hatte mir das Buch nach einer Unterhaltung über Kugelmenschen geschenkt. Ich hatte im wundervollen Roman „Vor mir den Tag und hinter mir die Nacht“ von den platonschen Kugeln gelesen. Früher waren die Menschen Kugeln, mit 4 Armen und 4 Beinen. Zeus aber hat sie durchgeschnitten, und seitdem irren wir umher wie wir sind, auf der Suche nach der anderen Hälfte, die zu uns gehört. Ich hatte das einmal Nadine gegenüber erwähnt und die Vermutung geäußert, dass wir die beiden Hälften der gleichen Kugel seien, weil ich mich mit ihr so vollständig fühlen würde. Was ich nicht wusste war, dass sie sich in der Thematik viel besser auskannte als ich und mir dann auch gleich die Basisliteratur zukommen ließ.
Ich freute mich so sehr auf sie, malte mir aus wie es werden würde sie zu sehen, versank in Träumereien über eine gemeinsame Zukunft, schwelgte in Erinnerungen. Ich versuchte, sie anzurufen um zu fragen, ob sie schon konkrete Pläne hat, aber sie ging nicht ans Handy. Das war nicht weiter verwunderlich, Nadine neigte nie allzu sehr zum Telefonieren. Und so träumte ich weiter, füllte mich mit Melancholie, Vorfreude und Dankbarkeit für die Möglichkeit, endlich so viel Ungesagtes zwischen uns zu besprechen.
Im Nachhinein weiß ich nicht, ob es mich dankbar oder traurig stimmen sollte, dass ich zu dem Zeitpunkt noch nicht wusste, dass all meine Pläne, Träume und Hoffnungen nichts als Staub im Wind waren, dass Nadine längst tot war.
 

jon

Mitglied
Gefällt mir gut, so als Text. Sehr gut sogar. Gelegentlich hatte ich aber das Gefühl, dass du ein bisschen(!) zu sehr plauderst. Vielleicht solltest du weniger Füllkonstruktionen und Satzketten benutzen, etwas straffer schreiben - einen Tick(!) literarischer halt.
 

Trasla

Mitglied
Vielen Dank für deine Anmerkungen, jon!
Kannst du mir vielleicht sagen, welche Textpassagen dir in der Hinsicht besonders aufgefallen sind? Was den Inhalt angeht möchte ich schon gerne einen gewissen Grad an "Plauderei" behalten, sprich genug Rahmeninformationen und Details liefern, um ein greifbares Gesamtbild zu erhalten.
Aber sprachlich und formal soll es natürlich schon einen literarischen Anschein haben - da wäre ich für (konkrete) Hinweise, welche Satzkonstrukte noch überarbeitet werden sollten, sehr dankbar!
 

jon

Mitglied
Es ist immer schwierig, die Gradwanderung zwischen "plaudern" und "Literatur-Ton", und für jeden liegt der Grad sicher an etwas anderer Stellen. Für meinen Geschmack triffst du es hier ja sehr gut, deshalb fiel mir vielleicht der ganz kleine Tick "zu viel" auch auf.

Ganz konkret war ich hier über "Füllsel" und/oder Umgangssprache ein wenig gestolpert:

und ewig viele kleine Glocken überall am Körper
Das ist deshalb sehr umgangssprachlich plaudernd, weil "viel" keine Zeitangabe ist, es deshalb kein "ewig viel" geben kann. "Literarisch plaudernd" kann man "ewig lange" sagen, obwohl es "hochdeutsch" nicht geht, dass lange (also eine unbestimmte, aber eindeutig endete Zeitspanne) "ewig" ist.

(und man fällt auf wenn jeder Schritt laut klimpert)
Die Schritte klimpern nicht, es klimpert bei jedem Schritt.

Außerdem fühle ich mich wohl, während ich ansonsten absolut kein Party- oder Discogänger bin und während der Schulzeit außerdem ziemlich viel soziale Ablehnung erfahren habe.
Der Ausflug in die Schulzeit empfand ich als überflüssig und "palaver-verdächtig". Dass du jetzt kein Partytyp bist, legt erstens nahe, dass du es nie warst (Wärst du's gewesen, hätte da vermutlich irgendwas wie "nicht mehr" gestanden, womöglich mit Verweis auf "Alltag frisst die Lust daran auf" oder sowas). Zudem ist hier nicht wichtig, was war, sondern was ist. (Das "was war" bei Caro z. B. ist wichtig, weil es die momentane Beziehung untermalt/erklärt.)

Die junge Dame war mit ihrem Verlobten hier, der gütiger weise gerade losgegangen war, um für alle Bier zu holen.
Dieser etwas blasierte oder genervte Unterton ist überflüssig. Sowas müsste eingebettet sein, z. B. in eine Diskussion, wer Getränke holt.

Nachdem ich Caro am nächsten Morgen zum Bahnhof begleitet hatte kramte ich in der Schublade mit Sachen von Nadine, die ich hatte.
… na klar, sonst hättest du ja nicht drin kramen können ;)

Was ich nicht wusste war, dass sie sich in der Thematik viel besser auskannte als ich und mir dann auch gleich die Basisliteratur zukommen ließ.
Hier hatte es mich richtig gestört, weil das die Pointe diese Stelle aufweicht. Einfach nur feststellen "Sie kannte sich besser aus und …" (Dass du es während des Erzählens nicht wusstest, steht in "ich erzählte ihr von den Kugeln" – hättest du es gewusst, stünde das was wie "ich sagte, ich hätte das gelsen, und wir sprachen dann darüber".

An der Stelle: Deine Fähigkeit, die andere nicht so ausgeprägt haben, besteht darin, die Dinge eben auf eine Weise zu sagen, dass sie zusätzliches implizieren. Dadurch wird der Text so intensiv. Das heißt aber auch, dass du dir dieser Ebene bewusst sein solltest, um Redundanz zu vermeiden. (Achtung an der Stelle: Obwohl ich diese Art von Präzision sehr schätze, bitte ich dich, sie nicht bewusst auf die Spitze zu treiben. Ich habe bei meinen Texten die Erfahrung gemacht, dass Texte ab einem bestimmten Punkt schwerer lesbar werden und den Leser schnell mal überfordern. Auch das ist also eine Gradwanderung: Präzision pflegen, damit die Intensität bleibt, aber nicht übertreiben, damit eine gewisse Leichtigkeit/Verdaulichkeit bleibt. )


Ich hatte im wundervollen Roman „Vor mir den Tag und hinter mir die Nacht“ von den platonschen Kugeln gelesen.
Das irrtierte mich hier, weil es eine starke Wertung ist, die mit dem Moment – also den beiden Frauen und der Musik (Erinnerung an Nadine) – nichts zu tun hat.


Im Nachhinein weiß ich nicht, ob es mich dankbar oder traurig stimmen sollte, dass ich zu dem Zeitpunkt noch nicht wusste, dass all meine Pläne, Träume und Hoffnungen nichts als Staub im Wind waren, dass Nadine längst tot war.
Hier muss unbedingt ein Punkt hin, damit dieser Text einen Schlusspunkt kriegt. So jetzt schlittert es am Ende so dahin und hört dann "mitten im Gedankengang" auf. Mit Punkt ist "Dass Nadine tot war." (ruhig so als unvollständiger Satz) der Schlusspunkt, die Quintessenz hier.



Wie gesagt: Das alles ist Kritik auf sehr hohem Niveau. Der Text funktioniert auch ohne diese Änderungen - mit fände ich ihn allerdings (bis auf die noch nicht erwähnten Komma-Fehler, die auch in den anderen Texten häufig sind) perfekt. ;)
 

Trasla

Mitglied
Hey jon!
Vielen Dank für deine ausführliche Antwort!


ewig viele kleine Glocken:
Stimmt, habe ich garnicht bemerkt. Bei der Gelegenheit fällt mir auch auf, dass ich die Anzahl garnicht so stark betonen muss, weshalb ich auch auf "sehr viele" verzichten werde und es einfach bei "viele" belasse.

jeder Schritt klimpert:
Auch richtig. Hier würde ich aber statt "es klimpert bei jedem Schritt" ein "jeder Schritt verursacht ein Klimpern" versuchen, das klingt für mich symphatischer...

Schulzeit blabla:
Tatsächlich wirkt das für mich nicht nur unnötig, sonder ein wenig wie "Achja, ich hatte ne doofe Kindheit". Das stimmt nicht und es soll auch nicht weinerlich sein. Ich streich den Halbsatz einfach.

gütiger weise:
Hmm, das war garnicht genervt gemeint, und mir kommt es auch gelesen garnicht so blasiert vor, aber ich sehe ein, dass es so wirken kann. Vorsichtshalber gestrichen, ändert ja an der Aussage nichts.

die Schublade mit Sachen von Nadine, die ich hatte:
Ohja, das klingt doof. "Die ich hatte" sollte sich garnicht auf die offensichtlich vorhandene Schublade beziehen, sondern auf die Sachen, die ich von Nadine (bekommen) hatte.
Wird jetzt also zu "Schublade mit den Sachen, die ich im Laufe der Zeit von Nadine bekommen hatte."

was ich nicht wusste war:
Hmm, in der Tat war mir garnicht bewusst, dass ich die entsprechende Information schon impliziert habe. Es fällt mir allgemein schwer zu merken, was ich explizit sagen muss und was sich aus dem Zusammenhang ergibt. Ich selbst kenne ja immer alle Rahmenfakten...
Ich streich das "was ich nicht wusste" mal und versuche insgesamt drauf zu achten,w as ich vielleicht unwissentlich sage, aber das stelle ich mir schwer vor.

im wundervollen Roman:
Hmm, das hab ich einfach deshalb egschrieben, weil ich den tatsächlich ganz wundervoll fand. Interessant, dass das irritiert - da wäre ich neimals drauf gekommen. Ich würde die Wertung eigentlich auch gerne beibehalten - es ist mir ein (vermutlich irrationales) Bedürfnis, auszudrücken dass ich das Buch sehr geschätzt habe. Kann ich das evtl auf eine Weise, die weniger irritiert?

Schlusspunkt:
Das kann ich nachvollziehen, ich ändere es entsprechend deines Vorschlages. dadurch bekommt das ganze auch irgendwie mehr Nachdruck.



Vielen Dank, Kritik auf hohem Niveau ist mir am liebsten, die ist gleichzeitig eine Hilfe und ein Kompliment! Das gab mir viele Ansätze auch ganz allgemein bei allen Texten mehr aufzupassen - ich muss nochmal dazu kommen alles durchzugehen...

Und was die Kommasetzung angeht: Das hab ich am Anfang einfach intuitiv gemacht, und eine Bekannte hat es dann für schlecht befunden und "korrigiert", wie es scheint ja nicht so erfolgreich... Wenn dir mal langweilig ist zähl mir die Fehler gerne auf!
 

Trasla

Mitglied
11.11.2009

Es war nicht so schlimm wie ich befürchtet hatte.
Sicher, man konnte schon deutlich erkennen, dass die Band in die Gothic Szene gehörte, nicht nur aber auch an der Kleidung der Besucher, die sich mit mir zusammen an diesem Mittwochabend im Musikzentrum Hannover versammelt hatten, um Samsas Traum zu sehen. Mit Caro und mir, um genau zu sein.
Ich war in Alltagskleidung da, das waren zwar nicht Anzug und Krawatte, aber immerhin herrschte bei mir ein auffälliger Mangel an Nietenarmbändern und Ähnlichem. Glücklicherweise hatte ich das Gefühl, nicht unangenehm aufzufallen. Ich bin in der Hinsicht zwar nicht sonderlich empfindlich, aber ich freue mich wenn ich keine abfälligen Bemerkungen ignorieren muss.
Caro hingegen war ganz und gar passend gekleidet. Von den erwähnten, großzügig mit Nieten versehen Accessoires mal abgesehen trug sie unter ihrem Ledermantel ein langes schwarzes Kleid und viele kleine Glocken überall am Körper, weshalb sie den passenden Spitznamen „Glöckchen“ trägt.
Wenn ich mit ihr durch die Stadt ging fühlte ich in mir jedes Mal die Zerrissenheit, den Kampf zwischen dem Drang nicht unangenehm aufzufallen (und man fällt auf wenn jeder Schritt ein lautes Klimpern verursacht) und dem Wunsch, mit selbstbewusster Ignoranz gegenüber den gesellschaftlichen Konventionen durch die Reihen dieser angepassten Schafe zu wandeln.
Kennen gelernt habe ich sie bei einem Onlinespiel. Was meine Bekanntschaften mit Frauen angeht, zeichnet das Internet für einen nicht unwesentlichen Anteil meiner Trophäensammlung verantwortlich. Gemerkt habe ich das ziemlich früh, ich schreibe gerne und im Netz hat man eine riesige Auswahl an Gesprächspartnern. Ich werde nicht gleich auf Grund meines Alters oder Aussehens eingeschätzt, stattdessen sind die Menschen gezwungen sich näher mit mir auseinander zu setzen. Außerdem fühle ich mich wohl, während ich ansonsten absolut kein Party- oder Discogänger. Kurzum, alleine schon aus Tradition fällt es mir leicht, Kontakt zu Netzbesuchern zu knüpfen und ganz erfolglos bin ich auch nicht wenn es darum geht, weibliches Interesse zu wecken. Caro war eine dieser weiblichen Interessenten.
Es war unser zweites Treffen, wir hatten einige Male telefoniert und beim letzten Mal miteinander geschlafen, wir küssten uns öfter und insgesamt war das Verhältnis recht innig und auch der Teil der Nacht nach dem Konzert versprach, interessant zu werden. Über Gefühle hatte bisher keiner gesprochen, und das war auch besser so. Ich fand sie nett, ganz ohne Frage, aber ich war nicht verliebt. Würde das Thema aufkommen oder sie den Eindruck erwecken mehr zu wollen, würde ich ihr das ganz klar auch so sagen müssen.
Bisher war sie allerdings diesen Fragen fern geblieben. Sie hatte eine ziemlich kaputte, und in ihrer Nachbereitung immer noch anstrengende Beziehung hinter sich, und ich merkte dass ich ihr gut tat. Dass es ihr gut tat Aufmerksamkeit zu bekommen, etwas zu unternehmen… Aber ich konnte nicht genau Einschätzen, ob sie auch nur das wollte, etwas Ablenkung, ein wenig Leben, oder ob ich ihr irgendwie mehr bedeutete. Ich traute ihr durchaus zu, zu spüren wie ich die Sache sah, und deshalb ihre wahren Gefühle zu verbergen. Irgendwann hatte mich mal ihr Ex angerufen, hat wohl meine Nummer aus ihrem Handy gesammelt und er dachte offensichtlich, ich wäre ihr neuer Freund. Ich habe mir das Gespräch nicht lange angetan, aber es schien als wäre er gekränkt weil sie dauernd von mir schwärmte.
Jetzt tratschte sie gerade mit einer guten Freundin, die ihr durch Zufall über den Weg gelaufen war. Wir standen etwas abseits, für die Musik konnte ich mich durchaus begeistern, dafür sich in einem wild springenden Pulk schwere Verletzungen durch Ellenbogen und Nietenarmbänder zuzuziehen allerdings nicht.
Die junge Dame war mit ihrem Verlobten hier, der gerade losgegangen war, um für alle Bier zu holen. Sie fröstelte und sagte, dass ihr ziemlich kalt sei. Ich reichte ihr meine Jacke, Caro stellte sich mit geschlossenen Augen und ausgestreckten Armen vor sie hin und begann, etwas zu murmeln. Sie war nach eigener Aussage eine Hexe, was ich ganz interessant fand. Der Naturwissenschaftler in mir hielt den größten Anteil meiner Weltsicht fest in der Hand, weshalb ich mit reichlich Skepsis gegenüber ihren Ausführungen bedacht war. Aber ich war auch neugierig und sah keinen Grund, ihre Ansichten in Frage zu stellen, also hörte ich mir gelegentlich aufmerksam ihre Schilderungen an.
Nachdem wir mit vereinten Kräften die Kälte bekämpft hatten und außerdem mit neuem Bier versorgt waren wurde ich mit einem besonderen Lied belohnt. Schon während der Ankündigung, die die klare Aufforderung erhielt, sich auf der Tanzfläche mal ordentlich auf die Schnauze zu hauen, ahnte ich, was kommen würde. Und dann spielten sie ihn, den ersten Samsas Traum Song den ich kennen gelernt hatte. Die Band spielte sich in Ekstase, das Publikum rastete völlig aus, und mich durchfuhr eine Woge der Erregung und Erinnerung.
Der Gesang setzte ein.

Mein Herz auf 180 stundenkilogramme Speed
Ein Puls der seinesgleichen sucht und Blut das vor den Adern flieht
Ich wünscht‘ ich wär‘ im Wunderland
Mit ‘ner dicken Wumme in der Hand
Und Alice lutschte meinen Schwanz
Komm schluck es Baby und dann tanz

Sofort fühlte ich mich wie von einem Strudel in meine Erinnerung gesaugt. Und ich dachte daran, dass ich jetzt viel lieber mit ihr hier wäre. Vor zwei Tagen hatte sie mir eine sms geschrieben, nach langer Zeit. Ihr ging es nicht gut, ihr neuer Freund hatte Schluss gemacht. Und sie hatte gefragt, ob sie zu mir kommen darf. Oh wie sehnlich ich mir gewünscht hatte, sie endlich einmal wieder zu sehen.
Ich weiß nicht ob ich je glücklichere Momente erlebt hatte als mit Nadine. Und dieses lange Wochenende bei ihr, als sie noch in Wien wohnte, es war fest in meine Erinnerung gebrannt. Wir hatten den einen oder anderen Joint geraucht, hörten den Song der jetzt gerade wie durch Watte an meine Ohren drang in einer Endlosschleife und erinnerten uns, aneinander gekuschelt, an andere gemeinsame Momente des puren Glücks.
Sie konnte mich so verdammt glücklich und so verdammt traurig machen. Sie selbst schien als Gemütszustand nur diese beiden Extreme zu kennen. Und nun sollte ich sie endlich wieder treffen. Ich hatte ihr geantwortet, dass sie solange sie wollte bei mir unterschlüpfen konnte. Nadine würde ich wirklich ewig beherbergen. Ich würde sie durchfüttern und umsorgen und nichts als Gegenleistung verlangen, als dass ich ihre unbeschreibliche Gesellschaft genießen durfte. Ich hatte ihr auch geschrieben, dass Samsas Traum in Hannover spielen würde, hatte gefragt ob sie schon wisse, wann sie käme, aber noch keine Antwort bekommen.
Während das Lied langsam verklang kehrte ich aus meinen Gedanken zurück. Caro zog mich an sich, doch ich erwiderte ihren Kuss mechanisch, wie aus einem Reflex heraus. Es fühlte sich seltsam an, ich kam mir wie ein Verräter vor. Noch tobte in mir der emotionale Sturm von Erinnerungen an Nadine, da küsste ich jemanden den ich im besten Fall als gute Bekannte und im schlechtesten als One-Night-Stand bezeichnen könnte.
Als die letzten Abschiedsworte verklungen waren machten wir uns auf den Weg. Ein junger Kerl, der vor dem Musikzentrum mit anderen darüber sprach, bei McDonalds zu übernachten schlug mein Angebot aus, bei mir zu schlafen und so zogen wir alleine los. Sie merkte wohl, dass ich in seltsamer Stimmung war, aber ich behauptete müde und erschöpft zu sein und sie fragte nicht weiter nach. In meiner Wohnung vollzog sie noch irgendein Abendritual, während ich im Bad verschwand. Bald darauf schliefen wir ein.
Irgendwann in der Nacht wachte ich auf. Sie lag wach und hatte mich anscheinend beobachtet. Ich wusste nicht mehr, was ich geträumt hatte, aber in mir brannte ein unglaubliches Bedürfnis nach Nähe. Wir küssten uns. Mein Kopf fühlte sich taub an, von innen. Wir schliefen wortlos miteinander, danach spürte ich wie die Taubheit sich in meinem Körper ausbreitete. Sie schmiegte sich an mich, es tat mir irgendwie leid nicht so richtig da zu sein, aber nach ganz kurzer Zeit schlief ich wieder ein.
Nachdem ich Caro am nächsten Morgen zum Bahnhof begleitet hatte kramte ich in der Schublade mit den Sachen, die ich im Laufe der Zeit von Nadine bekommen hatte. Mir fiel das Buch in die Hände, das sie mir geschenkt hatte. Durch den Besitz des Guten sind die Glückseligen glückselig. Darin das Magnetlesezeichen mit dem süßen Kätzchen drauf, an der Stelle „Sokrates‘ philosophischer Beitrag über die Liebe“. Sie hatte mir das Buch nach einer Unterhaltung über Kugelmenschen geschenkt. Ich hatte im wundervollen Roman „Vor mir den Tag und hinter mir die Nacht“ von den platonschen Kugeln gelesen. Früher waren die Menschen Kugeln, mit 4 Armen und 4 Beinen. Zeus aber hat sie durchgeschnitten, und seitdem irren wir umher wie wir sind, auf der Suche nach der anderen Hälfte, die zu uns gehört. Ich hatte das einmal Nadine gegenüber erwähnt und die Vermutung geäußert, dass wir die beiden Hälften der gleichen Kugel seien, weil ich mich mit ihr so vollständig fühlen würde. Sie kannte sich in der Thematik viel besser aus als ich und ließ mir dann auch gleich die Basisliteratur zukommen.
Ich freute mich so sehr auf sie, malte mir aus wie es werden würde sie zu sehen, versank in Träumereien über eine gemeinsame Zukunft, schwelgte in Erinnerungen. Ich versuchte, sie anzurufen um zu fragen, ob sie schon konkrete Pläne hat, aber sie ging nicht ans Handy. Das war nicht weiter verwunderlich, Nadine neigte nie allzu sehr zum Telefonieren. Und so träumte ich weiter, füllte mich mit Melancholie, Vorfreude und Dankbarkeit für die Möglichkeit, endlich so viel Ungesagtes zwischen uns zu besprechen.
Im Nachhinein weiß ich nicht, ob es mich dankbar oder traurig stimmen sollte, dass ich zu dem Zeitpunkt noch nicht wusste, dass all meine Pläne, Träume und Hoffnungen nichts als Staub im Wind waren. Dass Nadine tot war.
 

jon

Mitglied
Hallo Trasla,

wenn du die Buch-Wertung erwähnt lassen willst, dann ist das der "organischste" Weg: Nur ein Wort nebenbei, weil es grade dahin passt, keine Erklärungen oder so. Eine Art "zusätzliche Erinnerung", bei der du aber nicht verweilst.


Kommas:


Es war nicht so schlimm[red]Komma[/red] wie ich befürchtet hatte.

Ich bin in der Hinsicht zwar nicht sonderlich empfindlich, aber ich freue mich[red]Komma[/red] wenn ich keine abfälligen Bemerkungen ignorieren muss.
Caro hingegen war ganz und gar passend gekleidet. Von den erwähnten, großzügig mit Nieten versehen Accessoires mal abgesehen[blue]Komma? Ich bin nicht ganz sicher.[/blue] trug sie unter ihrem Ledermantel ein langes schwarzes Kleid und viele kleine Glocken überall am Körper, weshalb sie den passenden Spitznamen „Glöckchen“ trägt.
Wenn ich mit ihr durch die Stadt ging[red]Komma[/red] fühlte ich in mir jedes Mal die Zerrissenheit, den Kampf zwischen dem Drang[red]Komma[/red] nicht unangenehm aufzufallen (und man fällt auf wenn jeder Schritt ein lautes Klimpern verursacht)[red]Komma[/red] und dem Wunsch, mit selbstbewusster Ignoranz gegenüber den gesellschaftlichen Konventionen durch die Reihen dieser angepassten Schafe zu wandeln.


Ich werde nicht gleich auf Grund meines Alters oder Aussehens eingeschätzt, stattdessen sind die Menschen gezwungen[red]Komma[/red] sich näher mit mir auseinander zu setzen. Außerdem fühle ich mich wohl, während ich ansonsten absolut kein Party- oder Discogänger [red]bin[/red]. (NACHTRAG: Ich merke grade, dass das inhaltlich/kausal hakt. Sinnvoller wäre sowas: "Außerdem fühle ich mich hier wohl, anders als auf Partys und Discos, die ich lieber meide." ) Kurzum, alleine schon aus Tradition fällt es mir leicht, Kontakt zu Netzbesuchern zu knüpfen[red]Komma[/red] und ganz erfolglos bin ich auch nicht[red]Komma[/red] wenn es darum geht, weibliches Interesse zu wecken. Caro war eine dieser weiblichen Interessenten.

Würde das Thema aufkommen oder sie den Eindruck erwecken[red]Komma[/red] mehr zu wollen, würde ich ihr das ganz klar auch so sagen müssen.
Bisher war sie allerdings diesen Fragen fern geblieben. Sie hatte eine ziemlich kaputte,[red]entweder hier kein Komma[/red] und in ihrer Nachbereitung immer noch anstrengende[red]oder hier auch ein Komma[/red] Beziehung hinter sich, und ich merkte[red]Komma[/red] dass ich ihr gut tat. Dass es ihr gut tat[red]Komma[/red] Aufmerksamkeit zu bekommen, etwas zu unternehmen[red]Leerzeichen[/red]… Aber ich konnte nicht genau [strike]E[/strike][red]ea[/red]inschätzen, ob sie auch nur das wollte, etwas Ablenkung, ein wenig Leben, oder ob ich ihr irgendwie mehr bedeutete. Ich traute ihr durchaus zu, zu spüren[red]Komma[/red] wie ich die Sache sah, und deshalb ihre wahren Gefühle zu verbergen. Irgendwann hatte mich mal ihr Ex angerufen, hat wohl meine Nummer aus ihrem Handy gesammelt und er dachte offensichtlich, ich wäre ihr neuer Freund. Ich habe mir das Gespräch nicht lange angetan, aber es schien[red]Komma[/red] als wäre er gekränkt[red]Komma[/red] weil sie dauernd von mir schwärmte.
Jetzt tratschte sie gerade mit einer guten Freundin, die ihr durch Zufall über den Weg gelaufen war. Wir standen etwas abseits, für die Musik konnte ich mich durchaus begeistern, dafür[red]Komma[/red] sich in einem wild springenden Pulk schwere Verletzungen durch Ellenbogen und Nietenarmbänder zuzuziehen[red]Komma[/red] allerdings nicht.

Nachdem wir mit vereinten Kräften die Kälte bekämpft hatten und außerdem mit neuem Bier versorgt waren[red]Komma[/red] wurde ich mit einem besonderen Lied belohnt. Schon während der Ankündigung, die die klare Aufforderung erhielt, sich auf der Tanzfläche mal ordentlich auf die Schnauze zu hauen, ahnte ich, was kommen würde. Und dann spielten sie ihn, den ersten Samsas Traum Song[red]Samsas-Traum-Song[/red] den ich kennen gelernt hatte.

Vor zwei Tagen hatte sie mir eine sms[red]SMS[/red] geschrieben, nach langer Zeit.

Wir hatten den einen oder anderen Joint geraucht, hörten den Song[red]Komma[/red] der jetzt gerade wie durch Watte an meine Ohren drang[red]Komma[/red] in einer Endlosschleife und erinnerten uns, aneinander gekuschelt, an andere gemeinsame Momente des puren Glücks.
Sie konnte mich so verdammt glücklich und so verdammt traurig machen. Sie selbst schien als Gemütszustand nur diese beiden Extreme zu kennen. Und nun sollte ich sie endlich wieder treffen. Ich hatte ihr geantwortet, dass sie solange sie wollte bei mir unterschlüpfen konnte. Nadine würde ich wirklich ewig beherbergen. Ich würde sie durchfüttern und umsorgen und nichts als Gegenleistung verlangen, als dass ich ihre unbeschreibliche Gesellschaft genießen durfte. Ich hatte ihr auch geschrieben, dass Samsas Traum in Hannover spielen würde, hatte gefragt[red]Komma[/red] ob sie schon wisse, wann sie käme, aber noch keine Antwort bekommen. (NACHTRAG: Ach ich liebe diese Passage mit dem Beherbergen und Umsorgen und so. Da schmelz ich jedesmal wieder dahin.)
Während das Lied langsam verklang[red]Komma[/red] kehrte ich aus meinen Gedanken zurück. Caro zog mich an sich, doch ich erwiderte ihren Kuss mechanisch, wie aus einem Reflex heraus. Es fühlte sich seltsam an, ich kam mir wie ein Verräter vor. Noch tobte in mir der emotionale Sturm von Erinnerungen an Nadine, da küsste ich jemanden[red]Komma[/red] den ich im besten Fall als gute Bekannte und im schlechtesten als One-Night-Stand bezeichnen könnte.
Als die letzten Abschiedsworte verklungen waren[red]Komma[/red] machten wir uns auf den Weg. Ein junger Kerl, der vor dem Musikzentrum mit anderen darüber sprach, bei McDonalds zu übernachten[red]Komma[/red] schlug mein Angebot aus, bei mir zu schlafen[red]Komma[/red] und so zogen wir alleine los. Sie merkte wohl, dass ich in seltsamer Stimmung war, aber ich behauptete[red]Komma[/red] müde und erschöpft zu sein[red]Komma[/red] und sie fragte nicht weiter nach.

Sie schmiegte sich an mich, es tat mir irgendwie leid[red]Komma[/red] nicht so richtig da zu sein, aber nach ganz kurzer Zeit schlief ich wieder ein.
Nachdem ich Caro am nächsten Morgen zum Bahnhof begleitet hatte[red]Komma[/red] kramte ich in der Schublade mit den Sachen, die ich im Laufe der Zeit von Nadine bekommen hatte. Mir fiel das Buch in die Hände, das sie mir geschenkt hatte. Durch den Besitz des Guten sind die Glückseligen glückselig.[blue]das auch als Titel kennzeichnen? [/blue] Darin das Magnetlesezeichen mit dem süßen Kätzchen drauf, an der Stelle „Sokrates‘ philosophischer Beitrag über die Liebe“.
… Früher waren die Menschen Kugeln, mit 4 Armen und 4 Beinen. [red]Zahlen ausschreiben![/red]Zeus aber hat sie durchgeschnitten, und seitdem irren wir umher[red]Komma[/red] wie wir sind, auf der Suche nach der anderen Hälfte, die zu uns gehört.

Ich freute mich so sehr auf sie, malte mir aus[red]Komma[/red] wie es werden würde[red]Komma[/red] sie zu sehen, versank in Träumereien über eine gemeinsame Zukunft, schwelgte in Erinnerungen. Ich versuchte, sie anzurufen[red]Komma[/red] um zu fragen, ob sie schon konkrete Pläne hat, aber sie ging nicht ans Handy.
 

Trasla

Mitglied
11.11.2009

Es war nicht so schlimm, wie ich befürchtet hatte.
Sicher, man konnte schon deutlich erkennen, dass die Band in die Gothic Szene gehörte, nicht nur aber auch an der Kleidung der Besucher, die sich mit mir zusammen an diesem Mittwochabend im Musikzentrum Hannover versammelt hatten, um Samsas Traum zu sehen. Mit Caro und mir, um genau zu sein.
Ich war in Alltagskleidung da, das waren zwar nicht Anzug und Krawatte, aber immerhin herrschte bei mir ein auffälliger Mangel an Nietenarmbändern und Ähnlichem. Glücklicherweise hatte ich das Gefühl, nicht unangenehm aufzufallen. Ich bin in der Hinsicht zwar nicht sonderlich empfindlich, aber ich freue mich, wenn ich keine abfälligen Bemerkungen ignorieren muss.
Caro hingegen war ganz und gar passend gekleidet. Von den erwähnten, großzügig mit Nieten versehen Accessoires mal abgesehen, trug sie unter ihrem Ledermantel ein langes schwarzes Kleid und viele kleine Glocken überall am Körper, weshalb sie den passenden Spitznamen „Glöckchen“ trägt.
Wenn ich mit ihr durch die Stadt ging, fühlte ich in mir jedes Mal die Zerrissenheit, den Kampf zwischen dem Drang, nicht unangenehm aufzufallen (und man fällt auf wenn jeder Schritt ein lautes Klimpern verursacht), und dem Wunsch, mit selbstbewusster Ignoranz gegenüber den gesellschaftlichen Konventionen durch die Reihen dieser angepassten Schafe zu wandeln.
Kennen gelernt habe ich sie bei einem Onlinespiel. Was meine Bekanntschaften mit Frauen angeht, zeichnet das Internet für einen nicht unwesentlichen Anteil meiner Trophäensammlung verantwortlich. Gemerkt habe ich das ziemlich früh, ich schreibe gerne und im Netz hat man eine riesige Auswahl an Gesprächspartnern. Ich werde nicht gleich auf Grund meines Alters oder Aussehens eingeschätzt, stattdessen sind die Menschen gezwungen, sich näher mit mir auseinander zu setzen. Außerdem fühle ich mich hier wohl, anders als auf Partys oder in Discos, die ich lieber meide. Kurzum, alleine schon aus Tradition fällt es mir leicht, Kontakt zu Netzbesuchern zu knüpfen, und ganz erfolglos bin ich auch nicht, wenn es darum geht, weibliches Interesse zu wecken. Caro war eine dieser weiblichen Interessenten.
Es war unser zweites Treffen, wir hatten einige Male telefoniert und beim letzten Mal miteinander geschlafen, wir küssten uns öfter und insgesamt war das Verhältnis recht innig und auch der Teil der Nacht nach dem Konzert versprach, interessant zu werden. Über Gefühle hatte bisher keiner gesprochen, und das war auch besser so. Ich fand sie nett, ganz ohne Frage, aber ich war nicht verliebt. Würde das Thema aufkommen oder sie den Eindruck erwecken, mehr zu wollen, würde ich ihr das ganz klar auch so sagen müssen.
Bisher war sie allerdings diesen Fragen fern geblieben. Sie hatte eine ziemlich kaputte und in ihrer Nachbereitung immer noch anstrengende Beziehung hinter sich, und ich merkte, dass ich ihr gut tat. Dass es ihr gut tat, Aufmerksamkeit zu bekommen, etwas zu unternehmen … Aber ich konnte nicht genau einschätzen, ob sie auch nur das wollte, etwas Ablenkung, ein wenig Leben, oder ob ich ihr irgendwie mehr bedeutete. Ich traute ihr durchaus zu, zu spüren, wie ich die Sache sah, und deshalb ihre wahren Gefühle zu verbergen. Irgendwann hatte mich mal ihr Ex angerufen, hat wohl meine Nummer aus ihrem Handy gesammelt und er dachte offensichtlich, ich wäre ihr neuer Freund. Ich habe mir das Gespräch nicht lange angetan, aber es schien, als wäre er gekränkt, weil sie dauernd von mir schwärmte.
Jetzt tratschte sie gerade mit einer guten Freundin, die ihr durch Zufall über den Weg gelaufen war. Wir standen etwas abseits, für die Musik konnte ich mich durchaus begeistern, dafür, sich in einem wild springenden Pulk schwere Verletzungen durch Ellenbogen und Nietenarmbänder zuzuziehen, allerdings nicht.
Die junge Dame war mit ihrem Verlobten hier, der gerade losgegangen war, um für alle Bier zu holen. Sie fröstelte und sagte, dass ihr ziemlich kalt sei. Ich reichte ihr meine Jacke, Caro stellte sich mit geschlossenen Augen und ausgestreckten Armen vor sie hin und begann, etwas zu murmeln. Sie war nach eigener Aussage eine Hexe, was ich ganz interessant fand. Der Naturwissenschaftler in mir hielt den größten Anteil meiner Weltsicht fest in der Hand, weshalb ich mit reichlich Skepsis gegenüber ihren Ausführungen bedacht war. Aber ich war auch neugierig und sah keinen Grund, ihre Ansichten in Frage zu stellen, also hörte ich mir gelegentlich aufmerksam ihre Schilderungen an.
Nachdem wir mit vereinten Kräften die Kälte bekämpft hatten und außerdem mit neuem Bier versorgt waren, wurde ich mit einem besonderen Lied belohnt. Schon während der Ankündigung, die die klare Aufforderung erhielt, sich auf der Tanzfläche mal ordentlich auf die Schnauze zu hauen, ahnte ich, was kommen würde. Und dann spielten sie ihn, den ersten Samsas-Traum-Song den ich kennen gelernt hatte. Die Band spielte sich in Ekstase, das Publikum rastete völlig aus, und mich durchfuhr eine Woge der Erregung und Erinnerung.
Der Gesang setzte ein.

Mein Herz auf 180 stundenkilogramme Speed
Ein Puls der seinesgleichen sucht und Blut das vor den Adern flieht
Ich wünscht‘ ich wär‘ im Wunderland
Mit ‘ner dicken Wumme in der Hand
Und Alice lutschte meinen Schwanz
Komm schluck es Baby und dann tanz

Sofort fühlte ich mich wie von einem Strudel in meine Erinnerung gesaugt. Und ich dachte daran, dass ich jetzt viel lieber mit ihr hier wäre. Vor zwei Tagen hatte sie mir eine SMS geschrieben, nach langer Zeit. Ihr ging es nicht gut, ihr neuer Freund hatte Schluss gemacht. Und sie hatte gefragt, ob sie zu mir kommen darf. Oh wie sehnlich ich mir gewünscht hatte, sie endlich einmal wieder zu sehen.
Ich weiß nicht ob ich je glücklichere Momente erlebt hatte als mit Nadine. Und dieses lange Wochenende bei ihr, als sie noch in Wien wohnte, es war fest in meine Erinnerung gebrannt. Wir hatten den einen oder anderen Joint geraucht, hörten den Song, der jetzt gerade wie durch Watte an meine Ohren drang, in einer Endlosschleife und erinnerten uns, aneinander gekuschelt, an andere gemeinsame Momente des puren Glücks.
Sie konnte mich so verdammt glücklich und so verdammt traurig machen. Sie selbst schien als Gemütszustand nur diese beiden Extreme zu kennen. Und nun sollte ich sie endlich wieder treffen. Ich hatte ihr geantwortet, dass sie solange sie wollte bei mir unterschlüpfen konnte. Nadine würde ich wirklich ewig beherbergen. Ich würde sie durchfüttern und umsorgen und nichts als Gegenleistung verlangen, als dass ich ihre unbeschreibliche Gesellschaft genießen durfte. Ich hatte ihr auch geschrieben, dass Samsas Traum in Hannover spielen würde, hatte gefragt, ob sie schon wisse, wann sie käme, aber noch keine Antwort bekommen.
Während das Lied langsam verklang, kehrte ich aus meinen Gedanken zurück. Caro zog mich an sich, doch ich erwiderte ihren Kuss mechanisch, wie aus einem Reflex heraus. Es fühlte sich seltsam an, ich kam mir wie ein Verräter vor. Noch tobte in mir der emotionale Sturm von Erinnerungen an Nadine, da küsste ich jemanden, den ich im besten Fall als gute Bekannte und im schlechtesten als One-Night-Stand bezeichnen könnte.
Als die letzten Abschiedsworte verklungen waren, machten wir uns auf den Weg. Ein junger Kerl, der vor dem Musikzentrum mit anderen darüber sprach, bei McDonalds zu übernachten, schlug mein Angebot aus, bei mir zu schlafen, und so zogen wir alleine los. Sie merkte wohl, dass ich in seltsamer Stimmung war, aber ich behauptete, müde und erschöpft zu sein, und sie fragte nicht weiter nach. In meiner Wohnung vollzog sie noch irgendein Abendritual, während ich im Bad verschwand. Bald darauf schliefen wir ein.
Irgendwann in der Nacht wachte ich auf. Sie lag wach und hatte mich anscheinend beobachtet. Ich wusste nicht mehr, was ich geträumt hatte, aber in mir brannte ein unglaubliches Bedürfnis nach Nähe. Wir küssten uns. Mein Kopf fühlte sich taub an, von innen. Wir schliefen wortlos miteinander, danach spürte ich wie die Taubheit sich in meinem Körper ausbreitete. Sie schmiegte sich an mich, es tat mir irgendwie leid, nicht so richtig da zu sein, aber nach ganz kurzer Zeit schlief ich wieder ein.
Nachdem ich Caro am nächsten Morgen zum Bahnhof begleitet hatte, kramte ich in der Schublade mit den Sachen, die ich im Laufe der Zeit von Nadine bekommen hatte. Mir fiel das Buch in die Hände, das sie mir geschenkt hatte. „Durch den Besitz des Guten sind die Glückseligen glückselig“. Darin das Magnetlesezeichen mit dem süßen Kätzchen drauf, an der Stelle „Sokrates‘ philosophischer Beitrag über die Liebe“. Sie hatte mir das Buch nach einer Unterhaltung über Kugelmenschen geschenkt. Ich hatte im wundervollen Roman „Vor mir den Tag und hinter mir die Nacht“ von den platonschen Kugeln gelesen. Früher waren die Menschen Kugeln, mit vier Armen und vier Beinen. Zeus aber hat sie durchgeschnitten, und seitdem irren wir umher, wie wir sind, auf der Suche nach der anderen Hälfte, die zu uns gehört. Ich hatte das einmal Nadine gegenüber erwähnt und die Vermutung geäußert, dass wir die beiden Hälften der gleichen Kugel seien, weil ich mich mit ihr so vollständig fühlen würde. Sie kannte sich in der Thematik viel besser aus als ich und ließ mir dann auch gleich die Basisliteratur zukommen.
Ich freute mich so sehr auf sie, malte mir aus, wie es werden würde, sie zu sehen, versank in Träumereien über eine gemeinsame Zukunft, schwelgte in Erinnerungen. Ich versuchte, sie anzurufen, um zu fragen, ob sie schon konkrete Pläne hat, aber sie ging nicht ans Handy. Das war nicht weiter verwunderlich, Nadine neigte nie allzu sehr zum Telefonieren. Und so träumte ich weiter, füllte mich mit Melancholie, Vorfreude und Dankbarkeit für die Möglichkeit, endlich so viel Ungesagtes zwischen uns zu besprechen.
Im Nachhinein weiß ich nicht, ob es mich dankbar oder traurig stimmen sollte, dass ich zu dem Zeitpunkt noch nicht wusste, dass all meine Pläne, Träume und Hoffnungen nichts als Staub im Wind waren. Dass Nadine tot war.
 

Trasla

Mitglied
Wow!

Vielen Dank für deine Mühe!
Du hilfst mir wirklich sehr viel weiter!

Und was deine Lieblingsstelle angeht: Der Part mit dem Umsorgen macht mich immer besonders traurig, weil ich mich oft frage, ob sie nicht noch leben würde, wenn ich offensiver darauf bestanden hätte, sie zu mir zu holen und mich um sie zu kümmern.

Sie war so... fragil, und ich fühle mich manchmal wie jemand, der einer fallenden Vase sagt: "Lande doch auf meinen Händen!", anstatt einen Hechtsprung zu machen um sie aufzufangen.
 

Haremsdame

Mitglied
Hallo Trasla,

für mich erreicht dieser Text nicht die Qualität des zuerst eingestellten. Allerdings hat ihm die Überarbeitung gut getan.
 

Trasla

Mitglied
Hallo Haremsdame,

ich nehme die Äußerung jetzt einfach als Kompliment für den ersten Teil :p Kannst du denn festmachen, warum dir dieser hier nicht so gut gefällt?
Wobei es ja nichts macht, wenn die Abschnitte nicht alle auf gleich viel Begeisterung stoßen, ich freue mich trotzdem sehr über deine immer noch ziemlich positive Bewertung!
 

Haremsdame

Mitglied
Hallo Trasla,

ich habe mal versucht herauszufinden, warum mir dieser Text nicht so gut wie der erste gefällt. Ich glaube einfach, es liegt daran, dass mir diese Nietengesellschaft zu fremd ist. Das zeigt mal wieder, wie subjektiv wir bewerten... Beim erneuten Lesen fand ich nur einen Satz, der mir nicht gefiel:

Von den erwähnten, großzügig mit Nieten versehen Accessoires mal abgesehen, trug sie unter ihrem Ledermantel ein langes schwarzes Kleid und viele kleine Glocken überall am Körper, weshalb sie den passenden Spitznamen „Glöckchen“ trägt.
Sie trug also ein schwarzes Kleid und Glöckchen
und
sie trug (oder trägt - meinetwegen) den Spitznamen.

Vielleicht kannst Du das noch anders formulieren, dann wäre es lesefreundlicher. Veilleicht:

weshalb sie Glöckchen genannt (oder gerufen) wurde ...
 

Trasla

Mitglied
11.11.2009

Es war nicht so schlimm, wie ich befürchtet hatte.
Sicher, man konnte schon deutlich erkennen, dass die Band in die Gothic Szene gehörte, nicht nur aber auch an der Kleidung der Besucher, die sich mit mir zusammen an diesem Mittwochabend im Musikzentrum Hannover versammelt hatten, um Samsas Traum zu sehen. Mit Caro und mir, um genau zu sein.
Ich war in Alltagskleidung da, das waren zwar nicht Anzug und Krawatte, aber immerhin herrschte bei mir ein auffälliger Mangel an Nietenarmbändern und Ähnlichem. Glücklicherweise hatte ich das Gefühl, nicht unangenehm aufzufallen. Ich bin in der Hinsicht zwar nicht sonderlich empfindlich, aber ich freue mich, wenn ich keine abfälligen Bemerkungen ignorieren muss.
Caro hingegen war ganz und gar passend gekleidet. Von den erwähnten, großzügig mit Nieten versehen Accessoires mal abgesehen, trug sie unter ihrem Ledermantel ein langes schwarzes Kleid und viele kleine Glocken überall am Körper, weshalb sie „Glöckchen“ genannt wurde.
Wenn ich mit ihr durch die Stadt ging, fühlte ich in mir jedes Mal die Zerrissenheit, den Kampf zwischen dem Drang, nicht unangenehm aufzufallen (und man fällt auf wenn jeder Schritt ein lautes Klimpern verursacht), und dem Wunsch, mit selbstbewusster Ignoranz gegenüber den gesellschaftlichen Konventionen durch die Reihen dieser angepassten Schafe zu wandeln.
Kennen gelernt habe ich sie bei einem Onlinespiel. Was meine Bekanntschaften mit Frauen angeht, zeichnet das Internet für einen nicht unwesentlichen Anteil meiner Trophäensammlung verantwortlich. Gemerkt habe ich das ziemlich früh, ich schreibe gerne und im Netz hat man eine riesige Auswahl an Gesprächspartnern. Ich werde nicht gleich auf Grund meines Alters oder Aussehens eingeschätzt, stattdessen sind die Menschen gezwungen, sich näher mit mir auseinander zu setzen. Außerdem fühle ich mich hier wohl, anders als auf Partys oder in Discos, die ich lieber meide. Kurzum, alleine schon aus Tradition fällt es mir leicht, Kontakt zu Netzbesuchern zu knüpfen, und ganz erfolglos bin ich auch nicht, wenn es darum geht, weibliches Interesse zu wecken. Caro war eine dieser weiblichen Interessenten.
Es war unser zweites Treffen, wir hatten einige Male telefoniert und beim letzten Mal miteinander geschlafen, wir küssten uns öfter und insgesamt war das Verhältnis recht innig und auch der Teil der Nacht nach dem Konzert versprach, interessant zu werden. Über Gefühle hatte bisher keiner gesprochen, und das war auch besser so. Ich fand sie nett, ganz ohne Frage, aber ich war nicht verliebt. Würde das Thema aufkommen oder sie den Eindruck erwecken, mehr zu wollen, würde ich ihr das ganz klar auch so sagen müssen.
Bisher war sie allerdings diesen Fragen fern geblieben. Sie hatte eine ziemlich kaputte und in ihrer Nachbereitung immer noch anstrengende Beziehung hinter sich, und ich merkte, dass ich ihr gut tat. Dass es ihr gut tat, Aufmerksamkeit zu bekommen, etwas zu unternehmen … Aber ich konnte nicht genau einschätzen, ob sie auch nur das wollte, etwas Ablenkung, ein wenig Leben, oder ob ich ihr irgendwie mehr bedeutete. Ich traute ihr durchaus zu, zu spüren, wie ich die Sache sah, und deshalb ihre wahren Gefühle zu verbergen. Irgendwann hatte mich mal ihr Ex angerufen, hat wohl meine Nummer aus ihrem Handy gesammelt und er dachte offensichtlich, ich wäre ihr neuer Freund. Ich habe mir das Gespräch nicht lange angetan, aber es schien, als wäre er gekränkt, weil sie dauernd von mir schwärmte.
Jetzt tratschte sie gerade mit einer guten Freundin, die ihr durch Zufall über den Weg gelaufen war. Wir standen etwas abseits, für die Musik konnte ich mich durchaus begeistern, dafür, sich in einem wild springenden Pulk schwere Verletzungen durch Ellenbogen und Nietenarmbänder zuzuziehen, allerdings nicht.
Die junge Dame war mit ihrem Verlobten hier, der gerade losgegangen war, um für alle Bier zu holen. Sie fröstelte und sagte, dass ihr ziemlich kalt sei. Ich reichte ihr meine Jacke, Caro stellte sich mit geschlossenen Augen und ausgestreckten Armen vor sie hin und begann, etwas zu murmeln. Sie war nach eigener Aussage eine Hexe, was ich ganz interessant fand. Der Naturwissenschaftler in mir hielt den größten Anteil meiner Weltsicht fest in der Hand, weshalb ich mit reichlich Skepsis gegenüber ihren Ausführungen bedacht war. Aber ich war auch neugierig und sah keinen Grund, ihre Ansichten in Frage zu stellen, also hörte ich mir gelegentlich aufmerksam ihre Schilderungen an.
Nachdem wir mit vereinten Kräften die Kälte bekämpft hatten und außerdem mit neuem Bier versorgt waren, wurde ich mit einem besonderen Lied belohnt. Schon während der Ankündigung, die die klare Aufforderung erhielt, sich auf der Tanzfläche mal ordentlich auf die Schnauze zu hauen, ahnte ich, was kommen würde. Und dann spielten sie ihn, den ersten Samsas-Traum-Song den ich kennen gelernt hatte. Die Band spielte sich in Ekstase, das Publikum rastete völlig aus, und mich durchfuhr eine Woge der Erregung und Erinnerung.
Der Gesang setzte ein.

Mein Herz auf 180 stundenkilogramme Speed
Ein Puls der seinesgleichen sucht und Blut das vor den Adern flieht
Ich wünscht‘ ich wär‘ im Wunderland
Mit ‘ner dicken Wumme in der Hand
Und Alice lutschte meinen Schwanz
Komm schluck es Baby und dann tanz

Sofort fühlte ich mich wie von einem Strudel in meine Erinnerung gesaugt. Und ich dachte daran, dass ich jetzt viel lieber mit ihr hier wäre. Vor zwei Tagen hatte sie mir eine SMS geschrieben, nach langer Zeit. Ihr ging es nicht gut, ihr neuer Freund hatte Schluss gemacht. Und sie hatte gefragt, ob sie zu mir kommen darf. Oh wie sehnlich ich mir gewünscht hatte, sie endlich einmal wieder zu sehen.
Ich weiß nicht ob ich je glücklichere Momente erlebt hatte als mit Nadine. Und dieses lange Wochenende bei ihr, als sie noch in Wien wohnte, es war fest in meine Erinnerung gebrannt. Wir hatten den einen oder anderen Joint geraucht, hörten den Song, der jetzt gerade wie durch Watte an meine Ohren drang, in einer Endlosschleife und erinnerten uns, aneinander gekuschelt, an andere gemeinsame Momente des puren Glücks.
Sie konnte mich so verdammt glücklich und so verdammt traurig machen. Sie selbst schien als Gemütszustand nur diese beiden Extreme zu kennen. Und nun sollte ich sie endlich wieder treffen. Ich hatte ihr geantwortet, dass sie solange sie wollte bei mir unterschlüpfen konnte. Nadine würde ich wirklich ewig beherbergen. Ich würde sie durchfüttern und umsorgen und nichts als Gegenleistung verlangen, als dass ich ihre unbeschreibliche Gesellschaft genießen durfte. Ich hatte ihr auch geschrieben, dass Samsas Traum in Hannover spielen würde, hatte gefragt, ob sie schon wisse, wann sie käme, aber noch keine Antwort bekommen.
Während das Lied langsam verklang, kehrte ich aus meinen Gedanken zurück. Caro zog mich an sich, doch ich erwiderte ihren Kuss mechanisch, wie aus einem Reflex heraus. Es fühlte sich seltsam an, ich kam mir wie ein Verräter vor. Noch tobte in mir der emotionale Sturm von Erinnerungen an Nadine, da küsste ich jemanden, den ich im besten Fall als gute Bekannte und im schlechtesten als One-Night-Stand bezeichnen könnte.
Als die letzten Abschiedsworte verklungen waren, machten wir uns auf den Weg. Ein junger Kerl, der vor dem Musikzentrum mit anderen darüber sprach, bei McDonalds zu übernachten, schlug mein Angebot aus, bei mir zu schlafen, und so zogen wir alleine los. Sie merkte wohl, dass ich in seltsamer Stimmung war, aber ich behauptete, müde und erschöpft zu sein, und sie fragte nicht weiter nach. In meiner Wohnung vollzog sie noch irgendein Abendritual, während ich im Bad verschwand. Bald darauf schliefen wir ein.
Irgendwann in der Nacht wachte ich auf. Sie lag wach und hatte mich anscheinend beobachtet. Ich wusste nicht mehr, was ich geträumt hatte, aber in mir brannte ein unglaubliches Bedürfnis nach Nähe. Wir küssten uns. Mein Kopf fühlte sich taub an, von innen. Wir schliefen wortlos miteinander, danach spürte ich wie die Taubheit sich in meinem Körper ausbreitete. Sie schmiegte sich an mich, es tat mir irgendwie leid, nicht so richtig da zu sein, aber nach ganz kurzer Zeit schlief ich wieder ein.
Nachdem ich Caro am nächsten Morgen zum Bahnhof begleitet hatte, kramte ich in der Schublade mit den Sachen, die ich im Laufe der Zeit von Nadine bekommen hatte. Mir fiel das Buch in die Hände, das sie mir geschenkt hatte. „Durch den Besitz des Guten sind die Glückseligen glückselig“. Darin das Magnetlesezeichen mit dem süßen Kätzchen drauf, an der Stelle „Sokrates‘ philosophischer Beitrag über die Liebe“. Sie hatte mir das Buch nach einer Unterhaltung über Kugelmenschen geschenkt. Ich hatte im wundervollen Roman „Vor mir den Tag und hinter mir die Nacht“ von den platonschen Kugeln gelesen. Früher waren die Menschen Kugeln, mit vier Armen und vier Beinen. Zeus aber hat sie durchgeschnitten, und seitdem irren wir umher, wie wir sind, auf der Suche nach der anderen Hälfte, die zu uns gehört. Ich hatte das einmal Nadine gegenüber erwähnt und die Vermutung geäußert, dass wir die beiden Hälften der gleichen Kugel seien, weil ich mich mit ihr so vollständig fühlen würde. Sie kannte sich in der Thematik viel besser aus als ich und ließ mir dann auch gleich die Basisliteratur zukommen.
Ich freute mich so sehr auf sie, malte mir aus, wie es werden würde, sie zu sehen, versank in Träumereien über eine gemeinsame Zukunft, schwelgte in Erinnerungen. Ich versuchte, sie anzurufen, um zu fragen, ob sie schon konkrete Pläne hat, aber sie ging nicht ans Handy. Das war nicht weiter verwunderlich, Nadine neigte nie allzu sehr zum Telefonieren. Und so träumte ich weiter, füllte mich mit Melancholie, Vorfreude und Dankbarkeit für die Möglichkeit, endlich so viel Ungesagtes zwischen uns zu besprechen.
Im Nachhinein weiß ich nicht, ob es mich dankbar oder traurig stimmen sollte, dass ich zu dem Zeitpunkt noch nicht wusste, dass all meine Pläne, Träume und Hoffnungen nichts als Staub im Wind waren. Dass Nadine tot war.
 

Trasla

Mitglied
Du hast recht - die Dopplung kann weg :)

Und ja - wir bewerten nunmal sehr subjektiv. Umso schöner, dass du zuordnen bzw. trennen kannst, was dir formal nicht gefällt (und behoben werden kann) und was dich inhaltlich nicht so anspricht.

Danke für deinen Hinweis!
 



 
Oben Unten