Bruch & Suche

Rikyu

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Einige Monate später erlebte Rikyu eine Überraschung: sein Lehrer MORJ Akimoto-sensei brach das Training ab, kaum dass sie so richtig damit begonnen hatten. Rikyu wunderte sich zwar, war aber zu beherrscht, um sich neugierig zu zeigen. Er wartete ab; Akimoto würde ihm schon eine Erklärung geben, wenn er es für richtig hielte.
Diese ließ nicht lange auf sich warten. Sein Lehrer ließ sich am Rand des Übungsplatzes nieder und sah Rikyu an. Rikyu verstand und kniete sich ihm gegenüber auf den Boden – in respektvoller Entfernung, so wie es seinem Meister zukam.
Akimoto ergriff bald darauf das Wort. »Rikyu-san, heute ist der Tag, an dem du deine letzte Unterweisung von mir erhalten hast.«
Rikyu richtete sich auf, diese Mitteilung hatte ihn nun wirklich überrascht. Aber sogar jetzt sah er seinen Lehrmeister nur abwartend an.
»Meine Tage in diesem Leben sind abgelaufen.« Akimoto machte eine Pause und Rikyu fiel erst jetzt auf, dass der alte Mann schwer atmete – viel schwerer als früher. Eine Ahnung stieg in ihm auf, eine Ahnung, die ihn erschreckte.
Akimoto sprach weiter. »Das Letzte, von dem ich dir erzählen werden, wird die Bewahrung des Andenkens jedes CHOSON an seine Ahnen sein.«
Er legte erneut eine Pause ein. Dann berichtete er Rikyu, wie das Volk der CHOSON seine Toten behandelte, wie es ihrer gedachte. Er erklärte ihm, wie die CHOSON ihre Toten würdevoll aus dieser Welt entließen.
Er berichtete Rikyu vom Rad des Lebens, auf das jeder gebunden sei. Er sprach von Verdiensten und Verfehlungen aus früheren Leben und wie diese die Wiedergeburt beeinflussten.
Er erzählte von dem Bestreben jedes CHOSON, aus diesem Kreislauf entbunden zu werden und schließlich das Ziel zu erreichen, das Nirwana, das ‚Nichts’.
Akimoto schloss mit den Worten: »Rikyu-san, du bist ein Angehöriger der Familie der HOSHEI, ich gehöre zu den MORJ. Dennoch bin ich gewiss, dass du dafür Sorge tragen wirst, damit ich von meiner Familie auch nach meinem Weggang aus dieser Welt geachtet werde.«
Rikyu wollte aufbegehren und seinem Lehrer widersprechen – ein Ding der Unmöglichkeit für einen CHOSON. Doch dann siegte seine Selbstbeherrschung und er schwieg auch weiterhin.
»Wenn ich dereinst in ein neues Leben auf dieser Welt eintrete, hoffe ich, dass mir meine Bemühungen um dich angerechnet werden.« Akimoto holte tief Luft. »Dies waren meine letzten Worte an dich. Denke an das, was du gelernt hast.«
MORJ Akimoto, der Lehrer, verneigte sich so tief, dass seine Stirn der Boden berührte. HOSHEI Rikyu, der Schüler, erwiderte den Gruß in gleicher Weise.
Sie hatten Abschied voneinander genommen.
MORJ Akimotos Leben endete in der folgenden Nacht – friedlich und ruhig.
Rikyu hatte nicht viele Mühe, Santas-Gor davon zu überzeugen, dass der CHOSON ein Anrecht darauf hatte, nach den Gepflogenheiten seines Volkes bestattet zu werden. Die Korsaren rekrutierten sich aus so vielen unterschiedlichen Völkern, dass es eine Vielzahl von Zeremonien für alle Arten von Feiern gab, warum also nicht auch eine Totenfeier für einen CHOSON?
Rikyu sorgte zunächst dafür, dass MORJ Akimoto eine würdige Feuerbestattung erhielt. Mit der Asche verließ er den Stützpunkt der Freibeuter und streute sie vor dem geheimen Eingang ins Meer.
Die Strömung würde sie mit der Zeit nach Mir treiben.
Hätte man ihn in diesem Augenblick nach dem Warum gefragt, hätte Rikyu nicht zu antworten vermocht. Er hätte nicht erklären können, warum er diese Richtung für die richtige hielt, aber er wusste instinktiv, dass dem so war.
Der Körper Akimotos mochte nicht mehr existieren, das Angedenken an ihn würde Rikyu jedoch nicht verblassen. MORJ Akimoto hatte ihn zum CHOSON erzogen, ihm all das Wissen und die Einstellung vermittelt, die er jetzt als sein geistiges Bollwerk gegen die Widrigkeiten einbringen konnte, welche die Zukunft über ihn bringen würde.
HOSHEI Rikyu wandte sich vom Meer ab und ging zurück in den Korsarenhafen.
Er war jetzt bereit, sein weiteres Leben alleine zu bestehen.

**********

Der Kurs führte hinaus in die Strasse der Helden. Santas-Gor kreuzte dort auf einer Linie, die Händlerschiffe unbedingt passieren mussten, wenn sie die Meerenge von Arull passieren wollten. Nur auf diesem Kurs konnten sie sich bei einem plötzlichen Umschlagen des Windes von den gefährlichen Leeküsten freihalten, nur hier liefen sie nicht Gefahr, auf eines der sonst zahlreichen Riffe aufzulaufen.
Dafür lauerten ihnen oft genug Korsaren auf, die natürlich ebenfalls um diese Gegebenheiten wussten. Doch alles half nichts, die Kapitäne hatten keine andere Möglichkeit.
Santas-Gor ließ sich Zeit. Er hatte es nicht eilig, denn er musste seine Opfer nicht suchen – sie würden zu ihm kommen. Er brauchte nur abzuwarten.
Bei den geringen Geschwindigkeiten, die er fuhr, brauchte er auch ein plötzliches Umschlagen des Windes nicht zu fürchten.
Auch der aufkommende Nebel beunruhigte ihn nicht. Er ließ zwar ein weiteres Reff stecken, wartete im übrigen aber ab. Drei Posten saßen im Krähennest und hielten nach Segeln Ausschau.
Und sie kamen! In Luv tauchte plötzlich ein Mast auf, kam schnell näher. »Segel in Richtung auf uns aus Luv!« Der Posten brüllte seine Meldung herunter aufs Deck und augenblicklich herrschte emsiges Treiben unter ihm. Feuer wurden angefacht, um Brandpfeile verschießen zu können, die Boote wurden mit Wasser gefüllt und sämtliche erreichbaren Fässer ebenfalls. Dadurch stand im Notfall ein größerer Löschwasservorrat zur Verfügung. Außerdem konnten die Fässer und Boote auch gekippt werden und mit den Sturzseen evtl. enternde Feinde abgewehrt werden.
Jeder Korsar sah seine Waffen durch, kontrollierte die Spannung seiner Bogensehnen, wetzte vielleicht noch einmal die Klinge seines Entermessers oder seiner Axt nach, und griff probehalber nach seinem Dolch, um sich bereit zu wissen.
Aber die Aufregung legte sich schnell. Jeder der Mannschaft, Rikyu nicht ausgenommen, befand sich in Deckung, nur einige wenige, der Steuermann, die Ausgucke sowie ein Lotgast im Bug, der jedoch nicht lotete, blieben sichtbar.
Das fremde Schiff trug dunkle Segel. Es schien sich nicht um den Seeräuber zu kümmern. Auch bei dem Fremden waren nur wenige Mannschaften zu sehen, doch ehe sich Santas-Gor darüber Gedanken machen konnte, war er schon herangekommen.
Der Rudergänger hatte schon vorher seinen Befehlen gemäß Rammkurs genommen und der Bug zielte auf die Steuerbordseite des Opfers.
Da! Im letzten Augenblick schwenkte der Schiffskörper herum und ließ den Kaperer durch dieses überraschende Manöver an sich vorbeilaufen. Es geschah so schnell und vor allen Dingen so unerwartet, dass niemand an Bord des Korsaren noch rechtzeitig reagieren konnte.
Auf diese Weise kamen beide Schiffe nun längsseits zu liegen und die Korsaren nutzten die Lage, um das gegnerische Schiff zu stürmen. Doch sie kamen nicht weit.
Kaum waren sie auf dem fremden Deck gelandet, zischte aus der Takelage eine beachtliche Menge Speere und Lanzen herab, die vorher nicht sichtbar gewesen waren. Irgend jemand hatte an einem Tau gezogen und dadurch die Falle ausgelöst. Und die Spieße fanden ihre Ziele: von den etwa fünfzehn zuerst übergesprungenen Seeräubern überstanden nur vier unverletzt diesen ersten Gegenangriff, dem sogleich der zweite folgte.
Ein Pfeilhagel ging auf die inzwischen aus der Deckung hervorgekrochenen Männer hernieder und tötete weitere unter ihnen.
So erfolgreich der erste Angriff aber auch gewesen sein mochte, die Korsaren, die sich jetzt von ihrer Überraschung erholt hatten, verstanden ebenfalls zu kämpfen.
Sie drängten auf das gegnerische Deck. Zwar wehrten sich die Verteidiger verbissen und schickten noch manchen Angreifer ins Wasser, das sich alsbald vom Blut rötete. Doch schließlich erkannte auch der Kapitän des angegriffenen Schiffes, dass er keine Chance mehr hatte, dieser Übermacht noch Herr zu werden.
Er gab einen kurzen Befehl, der aber im herrschenden Durcheinander nicht beachtet wurde. Daraufhin wiederholte er ihn lauter, so dass die ihn Umgebenden ihn hörten und höchst verwundert zu ihm herüberschauten. Seine Unaufmerksamkeit kostete einem weiteren Seemann das Leben.
Der Kapitän wiederholte seinen Befehl jetzt ein weiteres Mal, diesmal mit erheblich größerer Lautstärke und jetzt endlich wurde er verstanden.
Die Fremden traten plötzlich zurück, senkten die Waffen und beendeten so den Kampf.
Der fremde Kapitän kam auf Santas-Gor zu, den er als den Anführer erkannt hatte und drang mit einem Schwall Worte auf ihn ein, die Santas-Gor jedoch nicht verstand. Sein Gesprächspartner bemerkte dies sehr schnell und wechselte dann die Sprache, um auf Wolsi weiter zu reden.
»Warum überfallt ihr uns? Wir sind friedliche Kauffahrer aus Arakossum und haben keinerlei Angriffabsichten gegen Euch. Lasst uns friedlich unseres Weges nach Testar ziehen! Oder tragt ihr eine Fehde gegen einer meiner Leute? Nennt ihn mir und ich werde ihn befragen. Sollte er wirklich schuldig...«
»Dummes Geschwätz!« unterbrach Santas-Gor den Redeschwall seines Gegenübers, der ihm allmählich auf die Nerven ging. »Was habe ich mit einer billigen Fehde zwischen euch und uns zu schaffen! Ihr wart so freundlich, mir zu verraten, dass ihr Händler seid. Ich hoffe, dass Ihr genügend Waren mit euch führt, die wir gebrauchen können.
Überlasst sie uns und Ihr könnt Eures Weges ziehen. Überlasst sie uns nicht, dann holen wir sie uns selbst. Aber dann werdet ihr nicht mehr Eures Weges ziehen! Entscheidet Euch schnell, ich habe keine Lust, zu warten.«
Der andere mochte merken, dass es Santas-Gor ernst war und rief mit einem Blick einige seiner Leute herbei, um sich mit ihnen zu besprechen. Dabei fielen sie wieder in ihren Dialekt, den sonst keiner verstehen schien. Für den Merunen klang es wie Geschnatter.
»Nun?« Die Ungeduld Santas-Gors war kaum zu überhören. »Habt Ihr Euch entschieden?«
»Dass ihr Piraten seid, die keinen Pardon kennen, weiß ich,« bekam er zur Antwort. »Schwört mir, dass Ihr das Leben meiner Leute verschont. Bei Scios, dieser Priester der Bruderschaft gab mir den schlechtesten Rat, den ich jemals erhielt, als er mir vorschlug, ich solle den Weg durch die Strasse der Helden nehmen. Möge er an seinen Hühnchen ersticken!«
Er atmete schwer. »Wie stehe ich jetzt vor meinen Leuten da, ohne Waren, ohne Geld, nur mit einem leeren Schiff? Niemand wird mir abnehmen, dass ich nur damit das Leben meiner Mannschaft retten konnte.«
Er gab sich einen Ruck. »Doch es bleibt mir keine andere Wahl!« Er holte tief Luft. »Ja, ich bin einverstanden. Nehmt meine Ladung und lasst uns dann ziehen.«
»Und ich schwöre, dass ich euch schonen werde. Keiner meiner Leute wird einen von euch töten. An Bord meines Schiffes seid ihr sicher.« Die Stimme des Seeräubers grollte ein wenig, er war ungeduldig.
Santas-Gor wandte sich seinen Leuten zu. »Kümmert euch um die Waren. Füllt unseren Laderaum damit. Aber lasst sämtliche Fässer geschlossen, gleichgültig, was sich darin befindet: Wein, Schnaps oder sonst etwas! Wer sich an der Ladung unbefugterweise zu schaffen macht, ist ein toter Mann!«
Er wandte sich wieder zu dem Fremden. »So, Kapitän, kommt mit auf mein Schiff, dort lässt es sich bequemer plaudern.« Er führte ihn in seine Kajüte und bot ihm ei-nen Platz an, während die Ladung im Korsarenschiff verstaut wurde.
So sprachen sie eine Weile miteinander. Auf dem Oberdeck wurde es allmählich leiser, als sich die Ladarbeiten ihrem Ende zuneigten. Ein Klopfen an der Tür beendete die Unterhaltung.
Rikyu trat ein. »Die Ladung befindet sich in den Laderäumen des Schiffes, das andere ist leer. Die Mannschaft wartet.« Sprachs und ging wieder hinaus.
Santas-Gor und der gekaperte Kapitän folgten ihm. Der Korsarenchef wandte sich an einen seiner Männer. »Wie sieht es mit dem Platz unter Deck aus?«
»Gut, Herr! Wir haben alles aus dem anderen Schiff herübergeholt, was nicht angenagelt war. Der Platz hat gerade noch gereicht. Doch viel mehr hätten wir nicht übernehmen können. Wir sind voll.« Ein Aufstoßen gab seinen Worten eine zusätzliche Bedeutung, doch Santas-Gor ging nicht weiter darauf ein.
Mit einem verschlagenen Grinsen im Gesicht drehte sich der Korsar um. »Darf ich Euch nun bitten, Euch zusammen mit Euren Leuten an der Leereeling aufzustellen?« Es war keine Frage, sonder mehr eine Aufforderung, die keinerlei Widerspruch duldete. Die Überfallenen gehorchten denn auch schweigend.
Santas-Gor richtet seine nächsten Worte an seine eigene Männer: »Kampfgefährten! Durch dieses Schiff«, er wies auf den verlassenen Rumpf, »durch dieses Schiff war es uns möglich, unsere Lademöglichkeiten bis an die Lukenunterseite auszunutzen. Wir haben keinen Platz für weitere Ladung.« Eine kleine Pause betonte die folgenden Worte.
»Wir haben hier ein schwerbeladenes Schiff, das sicher nach Hause gebracht werden will. Dazu brauche ich jeden einzelnen von euch. Wir haben hier aber auch eine Anzahl von Kämpfern, die uns nicht sonderlich wohlgesonnen sind.«
Ein dröhnendes Lachen belohnte ihn für seinen Scherz.
»Wenn wir diese 25 Leute auf unserem Schiff behalten wollen, muss ich dafür sorgen, dass sie keine Dummheiten anstellen können. Dazu brauche ich einige von euch. Ihr würdet mir also im Schiffsbetrieb fehlen. Das wiederum geht auf die Sicherheit aller.
Seht ihr eine Möglichkeit, dieses Problem zu lösen?« Er schaute in die Runde. »Antwortet!«
Betroffene Gesichter sahen ihn an. Sie gehörten sowohl den Ranabari als auch seinen Leuten.
»Ich sehe, dass Ihr den gleichen Gedanken habt wie ich selbst. Wenn ich keine Leute habe, die Wache gehen können, kann ich keinen Grund brauchen, überhaupt Wache gehen zu müssen. Wachen fallen flach!« Er steigerte seine Stimme. »Der Grund für diese Wachen steht hier. Schaffen wir ihn beiseite!«
Er holte Luft. »Über Bord mit ihnen!« Gleichzeitig mit seinen letzten Worten trat er einen Schritt auf den fremden Kapitän zu. Er bückte sich ein wenig, riss ihm die Beine unter dem Körper weg, um ihn in weitem Bogen über Bord zu werfen.
Das war das Signal. Johlend und schreiend stürzten sich die Korsaren auf völlig überraschten Mannschaften des fremden Schiffes und warfen sie ins Wasser. Das Geschrei der Opfer, die noch immer nicht so recht wussten, was mit ihnen geschah, verging schnell. Nicht viele von ihnen konnten schwimmen, die meisten versanken sofort.
Auch die Schwimmer trieben schnell ab und wurden leiser mit ihren Rufen, bis man auch sie nicht mehr hörte.
Schwer atmend blieb der Kaperer stehen und sah sich um. Seine Mannschaft stand hinter ihm, das wusste er. Jeder von ihnen freute sich über den gelungenen Coup, keiner machte sich Gedanken über das eben Geschehene. Auch der Kapitän selbst scherte sich keinen Deut um seine Tat.
Santas-Gor gab den Befehl, das fremde Schiff zu versenken und seine Mannschaft kam seiner Anordnung umgehend nach. Gurgelnd versank das Handelsschiff in den Fluten.
Er wandte sich zum Niedergang und trampelten die Stufen hinunter. Vor seiner Kajüte wartete Rikyu. Santas-Gor beachtete ihn nicht weiter und wollte eintreten, als ihm der CHOSON den Weg verstellte. Seine Augen glühten.
»Warum?« Nur dieses eine Wort sprach er.
»Warum? Was soll ich mich mit diesem Gesindel abgeben? Sie werden doch nur Ärger machen und uns in Trab halten. Letzten Endes hätte ich sie doch aufhängen müssen. Warum uns also lange damit abplagen? Warum den Ärger erst zum Ärger werden lassen?«
»Du gabst ihnen dein Wort!«
»Mein Wort, dass ich ihnen zusage, dass ihnen an Bord nichts geschehen würde.
Ich habe es gehalten. Kannst du mir einen einzigen nennen, dessen Leben ich ihn genommen habe? Liegt es nicht bei jedem einzelnen, sein Leben weiterzuführen oder unterzugehen?
Lass mich doch mit solchen Redensarten in Ruhe, Rikyu!« Er trat die Tür hinter sich zu.

**********

Einige Wochen später war Santas-Gor wieder mit seinem Kaperer auf See, diesmal lauerte er im Mir von Tanilorn auf Beute.
Der Kapitän grübelte über das Verhalten seines Pflegesohnes nach, der ihn einmal mehr verblüfft hatte.
Nachdem er ihn bei letzten Beutegang fast an Bord hatte zwingen müssen, hatte er diesmal nicht im Geringsten daran gezweifelt, dass sich Rikyu bei dieser Fahrt nicht mehr beteiligen werde.
Santas-Gor hatte ihm die Aufsicht über den Stützpunkt geben wollen. Damit hätte er ein erneutes Zusammenstoßen um ein paar Tage hinausgeschoben.
Nun, das war sein Gedanke gewesen, doch Rikyu hatte offensichtlich ebenfalls nachgedacht und war an Bord gegangen, ohne sich vorher in eine Diskussion mit seinem Pflegevater eingelassen zu haben. Er hatte wortlos seine gesamte Ausrüstung an Deck gebracht und war gerade mit dem Verstauen fertig geworden, als Santas-Gor ihn entdeckte.
Der Freibeuter wertete Rikyus Verhalten als Ergebnis eines Nachdenke-Prozesses und verkniff sich jeglichen Kommentar; er wollte Rikyu keinerlei Anlass geben, seine Entscheidung im letzten Augenblick noch einmal zu überdenken oder gar zu revidieren. Daher brummte er nur zustimmend und machte sich daran, die übrigen Vorbereitungen zum Auslaufen zu beaufsichtigen.
Santas-Gor hatte Recht, wenn er davon ausging, dass Rikyu lange nachgedacht hatte. Er hatte aber unrecht, wenn er als Ergebnis annahm, dass sein Pflegesohn letztlich nachgegeben hätte und ihn nun unterstützen würde.
Das Schiff passierte die Höhe von Alalia in Tanilorn auf dem Weg in die See von Erewyn, dem Ziel dieser Fahrt.
Bisher war alles ruhig geblieben, die Besatzung begann bereits, sich zu langweilen. Rikyu war bisher nicht an Deck erschienen, Santas-Gor war es zufrieden.
Voraus war bereits Kap Phelorn mit den zahlreichen vorgelagerten Inseln in Sicht, weit in Wes Ydd konnte man Chara erahnen.
Der Wind frischte etwas auf und drehte leicht nach Est. Zwar schlugen die Segel noch nicht, doch Hartamos ließ dennoch neu brassen, um die größtmögliche Geschwindigkeit herauszuholen. Der Ex-Wolsi war immer auf der Hut, Santas-Gor konnte sich auf ihn verlassen.
Kap Phelorn lag nun hinter ihnen und der Merune ließ mehrere Reffs stecken. Es blieb gerade genug Segelfläche an den Rahen, damit das Schiff manövrierfähig blieb.
Auf diese Weise war das Schiff schwerer von anderen Schiffen zu entdecken. Nackte Masten lassen sich nun mal nicht so leicht erkennen wie pralle Segel.
Nun begann das Lauern auf Beute, auf Schiffe, die den zahlreichen Inseln und Inselchen um Kap Phelorn ausgewichen waren und nun wieder ihrem eigentlichen Kurs folgten.
»Schiff in Sicht aus Est! Kurs Wes!« Mit einem Satz, der einem Jaguar Ehre gemacht hätte, war der Kapitän oben. Ein kurzer Blick zum Ausguck zeigt ihm die genaue Richtung. »Schiff zeigt tarcysche Flagge.« Das war wieder der Ausguck. »Bug zeigt auf uns!«
»Die wollen etwas von uns, Herr.« Hartamos stand neben seinem Vorgesetzten. Er wandte sich zum Rudergänger. »Wenden und ihnen entgegenfahren!«
»Belege Befehl!« Santas-Gors schneidende Stimme ließ seinen Stellvertreter zusammenzucken.
»Was soll der Unsinn!« Santas-Gor wirkte verärgert. Hartamos duckte sich noch etwas mehr. »Denk zur Abwechslung doch mal nach! Hat uns das Schiff schon gesehen?« – »Wohl nicht. Sein Kurs ist noch unverändert« – »Wohin will es demnach?« »Nach Worm oder Timenon, glaube ich.« – »Glauben kannst du bei deinen Göttern, wenn es dir Spaß macht, bei mir ist Wissen angesagt. Aber du hast recht.« Santas-Gor macht eine kleine Pause und blickte wieder zum Ausguck.
»Welche Flagge zeigt das Schiff dort hinten?« – »Tarcy«, kam kleinlaut die Antwort.
»Dann kennst du deine Aufgabe, Hartamos.« Damit war für Santas-Gor die Angelegenheit erledigt und er überließ es seinem Stellvertreter, die Verfolgungsjagd einzuleiten.
Dieser erteilte auch sofort neue Befehle. Die Segel an den Rahen wurden gelockert blieben aber noch gerefft. Die Männer warteten auf den Rahen. Hartamos wartete auf den Ruf des Ausgucks. Das Schiff wartete auf den Gegner.
»Schiff ändert Kurs! Dreht auf Mir zu Est!« Sofort kam Leben in den Korsaren. Seine Befehle gellten über das Deck. Die Männer ließen die Segel von den Rahen herab, schlugen kurz back, wurden angebrasst und kamen steif. Das Schiff nahm Fahrt auf, seiner Beute hinterher.
Der fremde Kapitän hatte allerdings das Setzen der Segel auf dem Korsarenschiff richtig gedeutet und holte jeden Fetzen Segeltuch hervor, der er finden konnte.
Doch schon bald musste er einsehen, dass der Kaperer das Wettrennen beim gegenwärtigen Wind gewinnen würde. Der Tarcyer war deutlich langsamer.
Und jetzt, bei steifem Wind aus Est, zeigte sich endgültig, dass der Korsar das bessere Schiff hatte. Santas-Gor konnte dichter an den Wind gehen und auch in Sachen Geschwindigkeit einiges wett machen. Zudem vermochte er die einzelnen Schläge zwischen den Wendemanövern länger auszudehnen als sein Gegner.
Schließlich war es soweit. Der Fremde geriet in den Windschatten. Die Korsaren legten sich genauso dicht neben den Tarcyer, wie sie es vorher mit dem Händler aus Ranabar angestellt hatten.
Wieder enterten sie. Doch diesmal rissen keine Speere aus den Wanten blutige Löcher in die Reihen der Korsaren, die wieder stürmten. Diesmal hielten ihre Äxte und Entermesser reiche Ernte unter den Feinden.
Doch so viele auch niedergemacht wurde, immer neue Gegner standen den Freibeutern gegenüber. Machten sie einen nieder, traten zwei neue an seine Stelle.
Dieser Übermacht konnten auch die Korsaren nicht allzu lange standhalten, ganz allmählich wurden sie zurückgedrängt.
Santas-Gor hatte sich wie immer eine Stelle gesucht hatte, von der aus er Übersicht über den Verlauf des Kampfes hatte. Er sah, wie immer neue Gegner aus den Luken und Niedergängen kamen und in den Kampf eingriffen. Doch viel Zeit, darüber nachzudenken, blieb ihm nicht, auch er musste sich gehörig wehren.
Schließlich, als der Kampf ihm eine kleine Pause gönnte, verstand er, was geschehen war. Die Gesichter der Gegner war typisch: Tanilorner!
Offenbar war er an einen Kapitän geraten, der flüchtende Tanilorner außer Landes brachte. Kein Wunder bei den Unruhen um Fliegengötter und andere zweifelhafte Erscheinungen.
Dies erklärte auch, warum seine Leute diesmal nicht recht Fuß fassen konnten, warum sie zurückgedrängt wurden. Dieses Schiff konnte die dreifache Menge derer aufbieten, die er als Mannschaft zur Verfügung hatte.
Dieser Übermacht war er nicht gewachsen. Zum Teufel auch! Warum musste er gerade jetzt diesem Transport in die Quere kommen!
Plötzlich aber kniff er seine Augen zusammen, so dass er einer Katze verzweifelt ähnlich sah. Wenn ihn seine Sinne nicht gänzlich im Stich ließen, dann kannte er den Kämpen dort am Mast.
Rikyu!!!
Doch er focht nicht gegen die Tanilorner, er befand sich in deren Reihen, er kämpfte für sie!
Rikyu hatte sich auf die Seite der Feinde geschlagen! Santas-Gor konnte und wollte seinen Augen nicht trauen, seine Knie drohten nachzugeben.
Das Schwert, das der CHOSON vor Jahren von seinem Lehrmeister erhalten hatte, brachte jetzt seinen eigenen Leuten den Tod. Immer wieder blitzte die Klinge auf, immer wieder sank einer der Korsaren zusammen, fand einer von ihnen den Tod.
Santas-Gor war nicht mehr in der Lage, weiter zu kämpfen. Er starrte wie gebannt zum Mast, sah zu, wie seine Männer fielen. Bilder aus längst vergangenen Zeiten tauchten vor seinem inneren Auge auf, Bilder aus den Tagen, in denen der Vater seines Sohnes, seines Pflegesohnes, ebenfalls am Mast stehend, kämpfte und niemand sein Tun beenden konnte. Da, soeben sank der vorletzte seiner Gegner zusammen, er war in einen blitzschnellen, kaum erkennbaren Aufwärtsstreich gelaufen, dessen Wirkung erst Sekunden später sichtbar wurde. Der CHOSON ließ den Arm...
Ein Geräusch ließ Santas-Gor herumfahren, sein Arm mit dem Schwert schnellte nach oben. Der fremde Kapitän hatte sich von hinten an ihn herangeschlichen und wollte ihm nun den Garaus machen. Zwar konnte der Korsar den tödlichen Hieb noch abfangen – er traf nur seine Schulter. Doch er wusste sehr gut, dass auch diese Verwundung ihn töten würde, denn er war nun nicht mehr voll einsatzfähig gegen diesen rasenden Gegner vor ihm. Blindlings stieß er mit seiner Klinge vor, fühlte Widerstand und setzte nach. Ein Gurgeln signalisierte ihm den Erfolg seines Ausfalls. Er wollte nachsetzen und den letzten Stich tun, doch – seine Kraft war gewichen. Er konnte sein Schwert nicht mehr heben, die auf ihn niedersausende Klinge nicht mehr abwehren.
Tief biss der Stahl in seinen Arm, glitt weiter, öffnete seine Seite. Ein Blutstrahl spritzte auf das Deck, mehr als einen Finger dick, und Santas-Gor fiel in sich zusammen, wohl wissend, dass er nur das Los seiner Männer geteilt hatte. Keiner von ihnen hatte über-lebt, er war der Letzte. Die Kraft entwich ihm.
Doch das Schwert seines Gegners war noch nicht zur Ruhe gekommen. Der Stahl fuhr weiter und schnitt sich in eine Talje. Der Block, durch den sie lief, kam frei und sauste nach oben. Dafür kam die zugehörige Rah nach unten. Sie schlug auf Deck auf, zermalmte einige Belegnägel auf der Bank und schnellte dann herum.
Santas-Gor sah sie kommen, vermochte ihr aber nicht mehr auszuweichen, sein Blutverlust hatte ihn bereits zu sehr geschwächt.
So erwischte ihn das Ende der Rah unmittelbar unter seiner Verwundung, um diese noch zu verschlimmern. Der Korsar wurde gegen den Mast geschleudert und spürte Rippen brechen.
Verschwommene Bilder wallten vor seinen Augen auf, Bilder aus längst vergangenen Zeiten. Er sah sich selbst am Mast liegen und eine Rah über dem Unterleib. Nein, das war nicht er selbst, da war ein anderer.
Er versuchte, die Bilder klarer zu bekommen. Schließlich konnte er das Gesicht des Verletzten erkennen – Rikyu.
Nein, nicht Rikyu, verbesserte er sich sofort. Dieser Mann war älter, aber wer war er?
Mit einem Mal schlug die Erkenntnis wie ein Sturmbrecher über ihm zusammen.
Vor vielen Jahren hatte ihm gerade dieser Mann seinen leiblichen Sohn überlassen. Der Vater von Rikyu war genauso gestorben wie er, Santas-Gor, jetzt von der Bühne des Lebens abtreten würde.
Lange Sekunden lag er da, dann riss er sich zusammen. Mühsam öffnete er die Augen und sah Rikyu, der den Kampf eingestellt hatte. Er versuchte, ihm zu winken. Eine müde schwache Geste wurde daraus, mehr nicht, doch sie genügte. Rikyu kam heran.
»Rikyu, warum hast du gegen mich gekämpft? Warum stellst du dich gegen uns?«
»Warum stellst du dich gegen die Menschlichkeit? Warum betrügst du Menschen um ihr Leben, das sie dir abkaufen wollten? Warum benimmst du dich nicht wie ein Mensch?« Die Gegenfragen kamen sachlich, scheinbar ohne Anteilnahme an seinem Schicksal aus dem Mund seines Pflegesohnes.
»Rikyu, du weißt es, ich weiß es auch: ich werde sterben. Sag mir noch eines: war ich nicht immer wie ein Vater um dich besorgt, wollte ich nicht immer nur das Beste für dich? Was ist es, das dich davon abhält, mich ‚Vater’ zu nennen? Was ist es? Was?« Die Worte hatten ihn angestrengt, er keuch-te.
HOSHEI Rikyu kniete nieder und nahm den Kopf seines Pflegevaters in seine Hände. Bewegt sah er in bleiche, zusammengefallene Züge. Der Körper des Korsaren zog sich krampfartig zusammen, entspannte sich dann wieder. Seine Augen öffneten sich.
»Vater!« Die Augen brachen, der Kopf fiel zur Seite, der Körper erschlaffte. Der Korsar war tot. Er hatte die Erfüllung seiner letzten Bitte nicht mehr mitbekommen. Wirklich nicht?!?
Ein seltsames Gefühl befällt den jungen Krieger. Wehmut ist dabei, Bitterkeit, auch Einsamkeit. Er bleibt ruhig sitzen, versucht nicht, die Gefühle abzuwehren. Eine Weile verharrt er so, dann lässt er den Kopf des Toten auf das harte Deckholz gleiten, richtet sich auf und schaut sich um. Er befindet sich wieder in der Realität.


Die Tarcyer hatten es geschafft, während des Kampfes auf den Kaperer zu gelangen und dort Feuer zu legen. Jetzt zeigten sich die ersten Flammenzungen und machten auch dem letzten Korsaren klar, dass ihr ärgster Feind nicht ein gegnerischer Degen oder ein Schwert war, sondern das alles verzehrende Feuer.
Der Kampf war beendet. Die Taue, die sich zwischen den beiden Rümpfen spannten, wurden gekappt und die Schiffe kamen voneinander frei.
Nein, der Kampf war noch nicht vorbei. Als sich die Schiffe wieder frei bewegten, kam Bewegung in einen der Liegenden. Er hatte seine Finger um ein schartiges Schwert gekrallt und schlug jetzt wild um sich. Der junge CHOSON musste erneut sein Schwert ziehen und die Hiebe abwehren. Der Fremde war in seinem Blick behindert und schien nur so viel zu sehen, dass sein Gegner nicht von seinem eigenen Schiff stammte. Das schien ihm zu genügen.
Aus einer Stirnwunde lief ihm Blut über die Augen und behinderte ihn noch mehr. Wild drang er auf Rikyu ein, der sich kaum zu helfen wusste, da er den Gegner nicht töten wollte. Mit dem Mut der Verzweiflung griff der Tanilorner immer wieder von Neuem an. Endlich gelang es Rikyu, ihm einen Hieb mit der Breitseite des Kenzen zu versetzen und ihn damit ins Land der Träume zu schicken.
Die Mannschaft des fremden Schiffes hatte dem Kampf zugesehen, sie wusste inzwischen, dass sich der Fremde gegen die Korsaren gestellt hatte, also ein Freund von ihnen selbst sein musste, ein Freund der Tanilorner.
Müde schob Rikyu die Klinge wieder in das Saya, während andere herbeisprangen und sich um seinen Gegner bemühten, den die Ohnmacht wohltätig umschlungen hielt.
Er wurde unter Deck gebracht, niemand belästigte Rikyu mit Fragen. Der CHOSON fand endlich Zeit, über das Geschehen nachzudenken. Er legte Rechenschaft vor sich selbst ab.
Warum hatte er sich gegen seine bisherigen Kameraden, gegen seinen Pflegevater gestellt? Warum kämpfte er auf der Seite der Fremden? Warum hatte er den jungen Mann nicht töten wollen, obwohl dieser ihn so hart bedrängt hatte?
Rikyu ahnte, dass die Antwort auf alle diese Fragen im Verhalten von Santas-Gor lag, der die Ranabari so schmählich hintergangen hatte. Bei diesem Verrat war etwas in ihm zerbrochen, ein letzter Halt. Dieser fehlte ihm nun.
Gleichzeit wusste der CHOSON aber auch, dass er jetzt noch keine endgültige Antwort auf seine Fragen finden würde. Diese würde erst die Zeit ihm geben. Er öffnete die Au-gen.
Auf seine Fragen - sein Wolsisch war ausreichend - wies man ihm den Weg zum Krankenlager seines Gegners. Bereitwillig öffnete sich ihm die Türen und gleich darauf war er allein mit ihm. Er setzte sich nieder und wartete.
Irgendwann öffnete der Kranke die Augen und sah sich suchend um. Jede Bewegung schien ihm Schmerzen zu bereiten, doch er ignorierte sie, so gut es eben ging. »Wer – wer seid ihr?« fragte er mühsam. Das Sprechen fiel ihm noch schwer. Rikyu antwortete ihm.
»Man nennt mich HOSHEI Rikyu. Ich gehöre dem Volk der CHOSON an.«
»CHOSON? HOSHEI ? Nie gehört.«
»Die CHOSON leben für sich auf einer Reihe von Inseln. Wir mischen uns nicht in Angelegenheiten anderer. Es ist gut möglich, dass Ihr noch nichts von unserem Volk gehört habt.«
»Verzeiht, wenn meine Worte barsch klangen. Es war nicht meine Absicht«, beeilte sich der Fremde zu beschwichtigen. »Ich bin Tirson aus Tanibar auf der Flucht vor den Merunen, die ganz Tanilorn besetzt haben. Meines Bleibens dort war nicht länger, ich hätte keine Dekade mehr überlebt.«
Tirson versuchte sich aufzurichten, doch noch fehlte ihm die Kraft dazu. Rikyu sprang hinzu und half ihm. Der Tanilorner hielt sich an einem Balken in der Kajüte fest und sah den CHOSON an.
»Viel hätte wohl nicht gefehlt und ich hätte diese Tage trotzdem nicht überstanden, wie?« Fragend blickte er sein Gegenüber an.
Rikyu verstand den Blick und berichtete über ihren Kampf, wie er schließlich die Auseinandersetzung beendete und Tirson betäubte.
Dieser fuhr sich mit den Hand über den Hinterkopf und verzog schmerzlich das Gesicht, als er die hühnereingroße Beule berührte, die die Antwort auf Rikyus Flachhieb war. »Soso, nur betäuben wolltet Ihr mich, heh? Hätte es nicht auch ein geringerer Hieb getan?«
»Möglich«, gab Rikyu zu, fragte dann aber wieder nach der Flucht. »Wie erging es Euch auf dem Schiff?«
»Auf welchem ... ach so, ja. Höllisch eng war es hier, der Kapitän wollte wohl des Guten zu viel tun und nahm fast doppelt so viele auf, wie er eigentlich verantworten konnte. Vielleicht war es ihm ja auch um das Gold zu tun, das er von jedem abkassierte, bevor er ihn aufs Deck und ins Schiff ließ.
Auch von mir hat er sich bezahlen lassen, wenn die meisten Goldstücke auch nicht meinem eigenen Beutel angehörten. Dennoch blieb mir nicht mehr viel. Wir wollten nach Tarcy hinüber, um von dort aus eine Möglichkeit zu suchen, unser Land wieder frei zu bekommen. Lange können sie sich ohnehin nicht halten, die Herren Besetzer.«
Erneut verzog er das Gesicht. »Mehr gibt es eigentlich für den Augenblick nicht zu sagen. Vielleicht erzähle ich Euch später etwas mehr? Doch wie kommt es, dass Ihr plötzlich auf diesem Schiff seid?«
Jetzt war es Rikyus Sache, zu berichten. Er gab bereitwillig Auskunft, erzählte seine Geschichte, immer wieder unterbrochen von Tirson, der ohne Zwischenfragen offensichtlich nicht auskommen konnte. Auch der Tanilorner erzählte mehr von sich.
In den folgenden Abenden und Nächten an Bord lernten sich die beiden so ungleichen Charaktere kennen und schätzen und schließlich wurden sie Freunde.
Siebzehn Tage nach dem Überfall legten sie in Tarcy an. Rikyu und Tirson verließen gemeinsam das Schiff. In einer Herberge quartierten sie sich ein. Tirson besaß noch einige Goldstücke, von denen sie lebten und auch der CHOSON konnte noch einige Goldstücke seines Pflegevaters beisteuern.
Lange Gespräche drehten sich um die Handhabung von Waffen. Tirson lernte von Rikyu den Gebrauch des Jittedolches und brachte es darin zu beachtlichen Leistungen.
Jeden Tag gingen sie zum Hafen hinunter und suchten nach neu angekommenen Schiffe, um die neuesten Nachrichten aus Tanilorn zu erfahren. Im Laufe der Zeit wurden diese auch erfreulicher und schließlich hielt es Tirson nicht länger aus.
»Rikyu, wenn ich noch weiter in diesem Nest herumsitze, kann ich für nichts mehr garantieren. Ich muss einfach etwas tun, um meinem Land zu helfen. Gestern habe ich von einem Matrosen eines Fischkutters Neues über Celdar Rusius gehört. Er will ein Heer aufstellen, das er später nach Tanilorn zu dessen Rückeroberung führen will. Ich werde mich ihm anschließen. Vielleicht kann er mich gebrauchen.« Seine Stimme klang hoffnungsvoll.
»Tirson, mein Freund, wenn Du weißt, was Du tun musst, dann hast Du es besser als ich. Meine Bestimmung ist mir noch nicht klar geworden.« Rikyu stand auf. »Ich wünsche Dir, dass deine Träume und Erwartungen in Erfüllung gehen. AMIRADA-KAMI sei mit dir und wache über dich.«
Tirson schluckte. »Wir werden uns wieder-sehen – unter einem günstigeren Stern, Rikyu. Bis dahin, lebe wohl, möge Tan über dich wachen!«
Ein kurzer, kräftiger Druck seiner Hand, den Rikyu zurückgab.
Tirson wandte sich um und ging mit festen Schritten davon, ohne sich noch einmal umzusehen. Doch klangen seine Schritte nicht etwas zögernd, trotz allem? Rikyu würde es nicht mehr erfahren.
Er griff nach dem Kenzen, rückte es zurecht und wandte sich ebenfalls um. Was nun? Er wusste es nicht.
Zunächst einmal würde er in die Herberge gehen und dort seine Schulden begleichen. Dann war er zumindest unabhängig. Was er danach anfangen sollte, nun, das würde sich schon finden.
Rikyu setzte sich in Gang.

**********

Die nächsten drei Wochen waren ein einziges Herumlungern in der Stadt, am Hafen, im Landesinneren. Doch immer wieder zog es ihn zum Wasser. Es ließ ihn einfach nicht los.
Golden versank die Sonne im Meer. Es funkelte. Die See schien zu brennen, doch die Sonne erlosch noch nicht. Sie kämpfte um ihr Licht, wusste sie doch genau, dass sie schließlich nachgeben musste.

Rikyu sog diese Bilder in sich auf. Sie vermittelten ihm ein Gefühl innerer Zufriedenheit, innerer Ausgeglichenheit. Er würde aufs Meer hinausfahren.
Ja – das würde er, wenn er auch nicht zu sagen vermochte, woher dieser Entschluss so plötzlich gekommen war. Es schien beinahe so, als hätte ihm jemand diesen Gedanken in den Kopf gesetzt. Doch war die Entscheidung jetzt getroffen. Er jedenfalls, HOSHEI Rikyu, würde sie nicht mehr ändern.
Und als hätte wirklich jemand auf diese Reaktion gewartet, fühlte sich der junge Mann plötzlich viel leichter zumute. Ein Druck, den er gar nicht so richtig wahrgenommen hatte, war verschwunden. Fast schon beschwingt wandte er sich um, nachdem die Sonne vollständig im Meer versunken war. Langsam ging er zu seiner Unterkunft, zur Herberge, in der er sein Quartier aufgeschlagen hatte. Er überlegte.
Um aufs Meer fahren zu können, brauchte er ein Schiff oder ein Boot. Ein Schiff wäre zwar besser gewesen, doch das war unbezahlbar für ihn. Ein Boot war da schon leichter zu bekommen, doch er durfte nicht nur an das Boot denken.

Auch Vorräte und anderes mehr war zu besorgen, denn er wusste ja nicht, wohin er segeln und wie lange er kein Land mehr betre-en würde. Das aber bedingte gleichzeitig, dass er ohne jede Begleitung zu fahren hatte. Proviant und Ausrüstung konnte er ohnehin nur für sich selbst besorgen und die unbekannten Gefahren wollte er niemandem zumuten, den er nicht kannte, auf den er sich nicht verlassen konnte. Er kramte in seinem Ärmel und förderte nach einigem Suchen schließlich zwei Goldmünzen zu Tage, mehr nicht.
Die Stirn runzelnd, fragte er sich, ob er für dieses Gold ein kleines Boot und eine Ausrüstung bekommen könnte. Beziehungen hatte er hier nicht und anderenorts war er nicht einmal bekannt.
Er unterbrach seinen Heimweg und versuchte sein Glück sofort.
„Verzeiht, Schiffer, könnt Ihr mir vielleicht sagen, wo ich ein gutes Boot bekommen kann?“ wandte er sich an den nächsten Seemann, der seinen Weg kreuzte. Ein unwilliges Brummen war die einzige Antwort, dann war er vorbei.
Er versuchte es von neuem, indem er seine Frage an einen Mann richtete, der mit Fischernetzen handelte. Diesmal hatte er mehr Glück. Der Händler richtete sich kurz auf und wies mit dem Daumen die Straße entlang. „Wende dich an den Wirt der Taverne dort. ‚Stolz von Tarcy’ heißt sie zwar, ist aber nicht so stolz. Dort wirst du schon jemand finden, der dir einen Kahn gibt.“ Mit diesen Worten war Rikyu abgemeldet, der andere beachtete ihn nicht mehr.
Der CHOSON machte sich auf den Weg und fand die besagte Kneipe. Bevor er jedoch eintrat, rückte er sein Kenzen zurecht. Dann bückte er sich, um den niedrigen Eingang zu passieren, ohne sich den Kopf anzustoßen.
Drinnen sah er sich um. Die Luft bestand zum größten Teil aus Qualm und Rauch, die Tische waren gut besucht, Platz war nicht zu finden.
Er drückte sich auf eine Bank, auf der nicht ganz so viele Leute saßen wie auf den restlichen. Das heraneilende Schankmädchen bedachte er mit einem freundlichen Blick, be-vor er sich einen Krug Wein bestellte. „Und sag dem Wirt, ich möchte gerne ein paar Worte mit ihm wechseln,“ rief er ihr hinterher. Er lehnte sich zurück.
Der Wirt brachte den Krug selbst und setzte sich zu ihm. „Ihr wolltet mich sprechen?“ begrüßte er ihn. Rikyu nickte. „ Ja., guter Mann, ich bitte um eine Auskunft von Euch. Ein Händler draußen nannte mir Euren Namen, als ich nach einem Boot fragte. Er meinte, Ihr wäret sicher so freundlich, mir weiter zu helfen.“ Er machte eine Pause
„Doch trinkt doch zunächst!“ forderte er ihn auf, als sein Gegenüber zum Sprechen ansetzte. Dieser ließ sich das nicht zweimal sagen und tat Rikyu Bescheid. Dann antwortete er.
„Sicher, Euer Informant hat recht, wenn er meint, dass hier ab und zu mal jemand einen Becher trinkt, der auch Boote vermietet.“ Er sah sich um, schien aber den Gewünschten nicht zu finden.
„Wenn der rote Larsaf as Velor da wäre, Fremder, könnte ich Euch wohl helfen. Er hat, soweit mir bekannt ist, die besten Boote zur Verfügung. Allerdings kommt Larsaf nicht oft hierher.“ Er sah sich noch einmal um, stand sogar auf, um über die Köpfe hinweg blicken zu können. Doch auch jetzt sah er den Gesuchten nicht.
„Ah, das wäre auch eine Möglichkeit“ schien ihm eine Idee zu kommen, dann blickte er Rikyu prüfend an. „Diese Sache jedoch hat einen Haken.“
Der Angesprochene brauchte gar nicht erst hinzusehen, er wusste auch so, dass der Wirt die überall bekannte Bewegung des Geldzählens machte. „Die Auskunft kostet Euch etwas. Umsonst kann ich sie Euch nicht geben...“
Er brach ab und wartete auf Rikyus Antwort. Sie bestand aus einer Kupfermünze. Der Wirt drehte sie hin und her, um in dem diffusen Licht den Wert erkennen zu können. Es waren 2 Kupfer-Lant. Ein Grinsen stand auf seinem Gesicht, als er den Kopf wieder hob.
„Kommt!“ Er erhob sich. Rikyu folgte ihm in ein Nebenzimmer, die Hand am Schwert. Doch diese Vorsicht war nicht notwendig. Auch in diesem Raum saßen Männer und tranken. Doch diese Leute gehörten nicht zu dem Volk, das sich um die Plätze im großen Raum drängte. Hier waren die Tische nicht überfüllt.
Der Wirt führte seinen Gast zu einem Tisch an der Seite des Raumes. Dort wies er auf einen kleinen Mann, der eben einen neuen Krug vorgesetzt bekam. „Mit dem da werdet Ihr Euch schon einig werden, denke ich.. Er hat meistens ein paar passende Boote zur Hand. Thorn wird Euch helfen.“ „Habt Dank für Eure Hilfe.“ Rikyu verabschiedete sich vom Wirt, der sich wieder in den Vorderraum verdrückte.
„Verzeiht, wenn ich Euch als Fremder anspreche,“ begann er, als er wieder am Tisch war, an dem der Bezeichnete saß. „Der Wirt meinte, Ihr würdet mir helfen, Thorn“ – „So, meinte er das?“ Ein verschmitztes Lachen stahl sich in seine Züge. „Und aus welchem Grund sollte Ich Euch helfen? Was sucht Ihr hier“
Rikyu ließ sich nicht beeindrucken. „Ich suche ein Boot, das hochseetüchtig ist.“ Es war vielleicht am besten, sofort seine Vorstellungen klarzumachen. „Ich muss ein paar Tage hinausfahren.“ – „Ein paar Tage? Du allein?“ Er wartete die Antwort nicht ab, sondern winkte ihm zu.
„Setz dich!“ Er überlegte. „Wie weit soll's denn hinausgehen?“ „Das ist noch unklar. Es kommt auf die Verhältnisse an.“ „Was anderes: Kannst du mit Segeln umgehen? Hast du Erfahrung Im Seehandwerk?“ „Es wird reichen“, bekam er als Antwort.“
„Wenn Du 60 Silber-Lant bezahlst, würde ich mich von der Lythande trennen können, sofern du dich nach einer Woche wieder bli-cken lässt. Nun, wie steht's?“
60 Lant! Rikyu dachte an die beiden Goldmünzen in seinem Ärmel. Das eine war eine Münze von 50 Silber-Lant, die andere war 30 wert. Es würde wohl reichen, doch für Proviant war dann nicht mehr viel Platz.
„60 Lant? Ich möchte ein Boot mieten, und nicht eine ganze Galeere mit Mannschaft und Kapitän kaufen! Auf diese Weise kommen wir nicht ins Geschäft!“ lehnte er ab.
Der CHOSON machte Anstalten, aufzustehen und zu gehen. Sofort griff Thorn nach ihm und zog ihn wieder auf die Bank.
„Wer wird denn gleich beleidigt sein? Scherze machen kannst du ja! 60 Silber-Lant für eine vollständige Galeere!! Haha, das hat mir schon lange niemand mehr geboten!“ So klein der Bootsverkäufer auch sein mochte, sein Bauch wackelte doch recht munter, während sein Besitzer über den vermeintlichen Witz lachte. Langsam beruhigte er sich wieder.
„Ich kann doch ein Schiff nicht für 3000 Kupfer-Lant, für 30 ganze Silber–Lant kaufen und es dann für ein Fünftel weitergeben!“ Er unterbrach sich und schaute Rikyu misstrauisch an. „Oder war das kein Witz?“
Der CHOSON blieb unbeeindruckt. Er antwortete nicht direkt auf Thorns Frage. „Wenn ich ein kleines Boot miete und nicht kaufe, möchte ich das Objekt vorher sehen. Eher mache ich keinen Preis fest. Sollte es in Ordnung sein, lasse ich mich vielleicht erweichen, 30 Lant dafür anzulegen. Dafür will ich dann aber ein Boot bekommen, das ein paar Wellen verträgt und annehmbare Segeleigenschaften aufweist. Sonst kommen wir nicht zueinander. Ich...“ Thorn raufte sich die Haare. „30 Lant für meine Lythande!! Das kann ich ihr nicht antun. Das kann ich nicht.“
Er stöhnte vernehmlich und musste sich mit einem großen Schluck aus seinem Becher stärken. Danach rülpste er.
„Aber dein Gedanke ist nicht so übel. Vielleicht sollten wir uns mein Glanzstück wirklich einmal ansehen. Dann siehst du sicher ein, dass die 55 Lant nicht zuviel sind.“ Noch einmal setzte er den Becher an, leerte ihn und füllte sofort nach. Auch Rikyu be-diente sich noch einmal aus dem Krug und trank.
Dann standen sie beide auf. Thorn machte den Führer. Drei, vier Querstraßen weiter bog er ab und machte erst wieder halt, als die Gasse am Wasser endete. Hier öffnete er ein Hoftor und winkte Rikyu zu sich. „Hier, mein Freund! Siehst du meine Lythande?“ Plötzlich schien ihm etwas einzufallen. „Sag mal, du hast mir noch nicht gesagt, wie du heißt. Willst du mir nicht sagen, mit wen ich mich streiten muss?“
„Mein Name ist HOSHEI Rikyu. Ich komme aus Al Marun.“ Mehr sagte Rikyu nicht.
„HOSH was?“ Der Name brach Thorn auf der Zunge. „HOSHEI Rikyu“, half der CHOSON aus. „Nie gehört. Komische Namen haben die Merunen jetzt. Ts, ts, ts!“ Kopfschüttelnd schloss er das Tor.
„Ich stamme nicht aus Al Marun“ „Nicht? Woher kommst du dann? Welches Volk hat denn so verrückte Namen?“
Ein leises Geräusch ließ ihn zurückzucken. „Nein, nein, ich hab's ja nicht so gemeint. Dein Name klingt gar nicht so verrückt, wenn man sich's genau betrachtet. Deswegen brauchst du dich doch nicht so aufzuregen.“
Thorn war sehr ängstlich geworden. Offenbar hatte er schlechte Erfahrungen mit Waffen im Halbdunkel gemacht. Rikyu zögerte noch, aber dann ließ er sein Schwert wieder zurückgleiten.
Auch er befasste sich jetzt mit dem Boot, dessen Umrisse im Hof zu erkennen waren. Es schien auf einem Gestell zu ruhen, mit dem es leicht zu Wasser gebracht werden konnte. So weit Rikyu erkennen konnte, handelte es sich um eine Art Lugger, ein kleineres Boot also, jedoch ausreichend für sein Vorhaben.
„Das soll dein bestes Boot sein? Ein Boot, das an Land verrottet? Das ist ja nicht einmal 20 Lant wert. So etwas kann ich nicht brauchen. Wenn du nichts besseres zu bieten hast, dann...“ – „Nein, nein, so darfst du das nicht sehen. Die Lythande war vorige Woche noch im Wasser. Ich habe sie reparieren lassen. Jetzt ist sie wieder wie neu.“
„Repariert? Was denn?“ - „Äh, der Boden war zu bewachsen, ich habe ihn abgekratzt.“ Das klang nicht sehr überzeugend, doch Rikyu ließ es darauf beruhen.
40 Lant und keinen mehr! Dafür bin ich in zwei Wochen wieder da.“
„Unmöglich! Wovon soll ich denn die ganzen Kosten bezahlen, die ich durch das Boot habe? Zum Leben bleibt mir dann überhaupt nichts mehr. Das geht nicht!“
Jetzt hob ein langes Feilschen an, In dessen Verlauf sich beide Seiten nichts schenkten. Thorn wurde immer nervöser und unsicherer, während der CHOSON allmählich seine Ruhe wiederfand und der Tarcyer schließlich bei einem Preis von 46 Lant zustimmte. Rikyu verlangte noch ein Segel als Reserve und musste dafür weitere 50 Kupfer-Lant zahlen.
Schließlich überredete er Thorn noch dazu, ihm das Boot am nächsten Tag zu Wasser zu lassen und es mit Proviant und einigen Ausrüstungsgegenständen zu versehen, die Rikyu ihm angab.
Der CHOSON würde sich das Boot bei hellem Tag noch einmal anschauen, schon wissend, dass der Händler immer noch ein gutes Geschäft gemacht hatte. Hoffentlich hielt es das, was der Händler versprach.
Übermorgen sollte die Fahrt dann beginnen. Ein Handschlag besiegelte das Geschäft und der Händler schloss den Hof wieder ab.
„Glaube mir, du hast ein vorzügliches Boot bekommen für diese paar Kröten. Etwas Besseres wirst du in ganz Tarcy nicht finden.“
Rikyu ließ ihn reden. Durch den schnellen Erfolg mit Thorn war er noch nicht dazu gekommen, zu essen. Das aber gedachte er jetzt in seiner Herberge nachzuholen. Mor-gen würde er dann weitersehen.

**********

HOSHEI Rikyu ließ sich zurücksinken, hielt aber das Ruder weiterhin fest. Seit drei Tagen war jetzt auf See und war mal hierhin, mal dorthin gesegelt. Ein bestimmtes Ziel hatte er nicht, doch manchmal gewann er den Eindruck, dass der Ydd–Kurs ihm am meisten zusagte. Doch dort lag das Land, von dem er gekommen war. Von dort hatte es ihn auf das Wasser gezogen. Sollte er die Zeichen falsch gedeutet haben? Unwahrwahrscheinlich! Doch der Drang blieb. Vielleicht stimmte auch nur die Richtung, das Ziel jedoch befand sich im Wasser?
Entschlossen setzte Rikyu das Segel wieder, trimmte es gegen den Wind und setzte Kurs nach Sud ab. Er würde Esran umrunden und dann auf Nor–Kurs gehen. Vielleicht kam er so seinem unbekannten Ziel näher.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Korrekturvorschläge:

Bruch & Suche
Veröffentlicht von Rikyu am 27. 01. 2008 13:18
Einige Monate später erlebte Rikyu eine Überraschung: sein Lehrer MORJ Akimoto-sensei brach das Training ab, kaum dass sie so richtig damit begonnen hatten. Rikyu wunderte sich zwar, war aber zu beherrscht, um sich neugierig zu zeigen. Er wartete ab; Akimoto würde ihm schon eine Erklärung geben, wenn er es für richtig hielte.
Diese ließ nicht lange auf sich warten. Sein Lehrer ließ sich am Rand des Übungsplatzes nieder und sah Rikyu an. Rikyu verstand und kniete sich ihm gegenüber auf den Boden – in respektvoller Entfernung, so wie es seinem Meister zukam.
Akimoto ergriff bald darauf das Wort. »Rikyu-san, heute ist der Tag, an dem du deine letzte Unterweisung von mir erhalten hast.«
Rikyu richtete sich auf, diese Mitteilung hatte ihn nun wirklich überrascht. Aber sogar jetzt sah er seinen Lehrmeister nur abwartend an.
»Meine Tage in diesem Leben sind abgelaufen.« Akimoto machte eine Pause und Rikyu fiel erst jetzt auf, dass der alte Mann schwer atmete – viel schwerer als früher. Eine Ahnung stieg in ihm auf, eine Ahnung, die ihn erschreckte.
Akimoto sprach weiter. »Das Letzte, von dem ich dir erzählen werden, wird die Bewahrung des Andenkens jedes CHOSON an seine Ahnen sein.«
Er legte erneut eine Pause ein. Dann berichtete er Rikyu, wie das Volk der CHOSON seine Toten behandelte, wie es ihrer gedachte. Er erklärte ihm, wie die CHOSON ihre Toten würdevoll aus dieser Welt entließen.
Er berichtete Rikyu vom Rad des Lebens, auf das jeder gebunden sei. Er sprach von Verdiensten und Verfehlungen aus früheren Leben und wie diese die Wiedergeburt beeinflussten.
Er erzählte von dem Bestreben jedes CHOSON, aus diesem Kreislauf entbunden zu werden und schließlich das Ziel zu erreichen, das Nirwana, das ‚Nichts’.
Akimoto schloss mit den Worten: »Rikyu-san, du bist ein Angehöriger der Familie der HOSHEI, ich gehöre zu den MORJ. Dennoch bin ich gewiss, dass du dafür Sorge tragen wirst, damit ich von meiner Familie auch nach meinem Weggang aus dieser Welt geachtet werde.«
Rikyu wollte aufbegehren und seinem Lehrer widersprechen – ein Ding der Unmöglichkeit für einen CHOSON. [blue] Doch dann [/blue] (Darum) siegte seine Selbstbeherrschung und er schwieg auch weiterhin.
»Wenn ich dereinst in ein neues Leben auf dieser Welt eintrete, hoffe ich, dass mir meine Bemühungen um dich angerechnet werden.« Akimoto holte tief Luft. »Dies waren meine letzten Worte an dich. Denke an das, was du gelernt hast.«
MORJ Akimoto, der Lehrer, verneigte sich so tief, dass seine Stirn [red] der [/red] (den) Boden berührte. HOSHEI Rikyu, der Schüler, erwiderte den Gruß in gleicher Weise.
Sie hatten Abschied voneinander genommen.
MORJ Akimotos Leben endete in der folgenden Nacht – friedlich und ruhig.
Rikyu hatte nicht viele Mühe, Santas-Gor davon zu überzeugen, dass der CHOSON ein Anrecht darauf hatte, nach den Gepflogenheiten seines Volkes bestattet zu werden. Die Korsaren rekrutierten sich aus so vielen unterschiedlichen Völkern, dass es eine Vielzahl von Zeremonien für alle Arten von Feiern gab, warum also nicht auch eine Totenfeier für einen CHOSON?
Rikyu sorgte zunächst dafür, dass MORJ Akimoto eine würdige Feuerbestattung erhielt. Mit der Asche verließ er den Stützpunkt der Freibeuter und streute sie vor dem geheimen Eingang ins Meer.
Die Strömung würde sie mit der Zeit nach Mir treiben.
Hätte man ihn in diesem Augenblick nach dem Warum gefragt, hätte Rikyu nicht zu antworten vermocht. Er hätte nicht erklären können, warum er diese Richtung für die richtige hielt, aber er wusste instinktiv, dass dem so war.
Der Körper Akimotos mochte nicht mehr existieren, das Angedenken an ihn würde (in) Rikyu jedoch nicht verblassen. MORJ Akimoto hatte ihn zum CHOSON erzogen, ihm all das Wissen und die Einstellung vermittelt, die er jetzt als sein geistiges Bollwerk gegen die Widrigkeiten einbringen konnte, welche die Zukunft über ihn bringen würde.
HOSHEI Rikyu wandte sich vom Meer ab und ging zurück in den Korsarenhafen.
Er war jetzt bereit, sein weiteres Leben alleine zu bestehen.

**********

Der Kurs führte hinaus in die Strasse der Helden. Santas-Gor kreuzte dort auf einer Linie, die Händlerschiffe unbedingt passieren mussten, wenn sie die Meerenge von Arull passieren wollten. Nur auf diesem Kurs konnten sie sich bei einem plötzlichen Umschlagen des Windes von den gefährlichen Leeküsten freihalten, nur hier liefen sie nicht Gefahr, auf eines der [blue] sonst [/blue] (überflüssig) zahlreichen Riffe aufzulaufen.
Dafür lauerten ihnen oft genug Korsaren auf, die natürlich ebenfalls um diese Gegebenheiten wussten. Doch alles half nichts, die Kapitäne hatten keine andere Möglichkeit.
Santas-Gor ließ sich Zeit. Er hatte es nicht eilig, denn er musste seine Opfer nicht suchen – sie würden zu ihm kommen. Er brauchte nur abzuwarten.
Bei den geringen Geschwindigkeiten, die er fuhr, brauchte er auch ein plötzliches Umschlagen des Windes nicht zu fürchten.
Auch der aufkommende Nebel beunruhigte ihn nicht. Er ließ zwar ein weiteres Reff stecken, wartete im [red] übrigen [/red] (Übrigen) aber ab. Drei Posten saßen im Krähennest und hielten nach Segeln Ausschau.
Und sie kamen! In Luv tauchte plötzlich ein Mast auf, kam schnell näher. »Segel in Richtung auf uns aus Luv!« Der Posten brüllte seine Meldung herunter aufs Deck und augenblicklich herrschte emsiges Treiben unter ihm. Feuer wurden angefacht, um Brandpfeile verschießen zu können, die Boote wurden mit Wasser gefüllt und sämtliche erreichbaren Fässer ebenfalls. Dadurch stand im Notfall ein größerer Löschwasservorrat zur Verfügung. Außerdem konnten die Fässer und Boote auch gekippt werden und mit den Sturzseen evtl. enternde Feinde abgewehrt werden.
Jeder Korsar sah seine Waffen durch, kontrollierte die Spannung seiner Bogensehnen, wetzte vielleicht noch einmal die Klinge seines Entermessers oder seiner Axt nach, und griff probehalber nach seinem Dolch, um sich bereit zu wissen.
Aber die Aufregung legte sich schnell. Jeder der Mannschaft, Rikyu nicht ausgenommen, befand sich in Deckung, nur einige wenige, der Steuermann, die Ausgucke sowie ein Lotgast im Bug, der jedoch nicht lotete, blieben sichtbar.
Das fremde Schiff trug dunkle Segel. Es schien sich nicht um den Seeräuber zu kümmern. Auch bei dem Fremden waren nur wenige Mannschaften zu sehen, doch ehe sich Santas-Gor darüber Gedanken machen konnte, war er schon herangekommen.
Der Rudergänger hatte schon vorher seinen Befehlen gemäß Rammkurs genommen und der Bug zielte auf die Steuerbordseite des Opfers.
Da! Im letzten Augenblick schwenkte der Schiffskörper herum und ließ den Kaperer durch dieses überraschende Manöver an sich vorbeilaufen. Es geschah so schnell und vor allen Dingen so unerwartet, dass niemand an Bord des Korsaren noch rechtzeitig reagieren konnte.
Auf diese Weise kamen beide Schiffe nun längsseits zu liegen und die Korsaren nutzten die Lage, um das gegnerische Schiff zu stürmen. Doch sie kamen nicht weit.
Kaum waren sie auf dem fremden Deck gelandet, zischte aus der Takelage eine beachtliche Menge Speere und Lanzen herab, die vorher nicht sichtbar gewesen waren. Irgend jemand hatte an einem Tau gezogen und dadurch die Falle ausgelöst. Und die Spieße fanden ihre Ziele: von den etwa fünfzehn zuerst übergesprungenen Seeräubern überstanden nur vier unverletzt diesen ersten Gegenangriff, dem sogleich der zweite folgte.
Ein Pfeilhagel ging auf die inzwischen aus der Deckung hervor(getrennt)gekrochenen Männer hernieder und tötete weitere unter ihnen.
So erfolgreich der erste Angriff aber auch gewesen sein mochte, die Korsaren, die sich jetzt von ihrer Überraschung erholt hatten, verstanden ebenfalls zu kämpfen.
Sie drängten auf das gegnerische Deck. Zwar wehrten sich die Verteidiger verbissen und schickten noch manchen Angreifer ins Wasser, das sich alsbald vom Blut rötete. Doch schließlich erkannte auch der Kapitän des angegriffenen Schiffes, dass er keine Chance mehr hatte, dieser Übermacht noch Herr zu werden.
Er gab einen kurzen Befehl, der aber im herrschenden Durcheinander nicht beachtet wurde. Daraufhin wiederholte er ihn lauter, so dass die ihn Umgebenden ihn hörten und höchst verwundert zu ihm[blue] herüberschauten[/blue] (hinüber . . .). Seine Unaufmerksamkeit kostete einem weiteren Seemann das Leben.
Der Kapitän wiederholte seinen Befehl jetzt ein weiteres Mal, diesmal mit erheblich größerer Lautstärke und jetzt endlich wurde er verstanden.
Die Fremden traten plötzlich zurück, senkten die Waffen und beendeten so den Kampf.
Der fremde Kapitän kam auf Santas-Gor zu, den er als den Anführer erkannt hatte und drang mit einem Schwall Worte auf ihn ein, die Santas-Gor jedoch nicht verstand. Sein Gesprächspartner bemerkte dies sehr schnell und wechselte dann die Sprache, um auf Wolsi weiter zu reden.
»Warum überfallt ihr uns? Wir sind friedliche Kauffahrer aus Arakossum und haben keinerlei Angriffabsichten gegen Euch. Lasst uns friedlich unseres Weges nach Testar ziehen! Oder tragt ihr eine Fehde gegen einer meiner Leute? Nennt ihn mir und ich werde ihn befragen. Sollte er wirklich schuldig...«
»Dummes Geschwätz!«(Komma) unterbrach Santas-Gor den Redeschwall seines[red] Gegenübers[/red] (Gegenüber) , der ihm allmählich auf die Nerven ging. »Was habe ich mit einer billigen Fehde zwischen euch und uns zu schaffen! Ihr wart so freundlich, mir zu verraten, dass ihr Händler seid. Ich hoffe, dass Ihr genügend Waren mit euch führt, die wir gebrauchen können.
Überlasst sie uns und Ihr könnt Eures Weges ziehen. Überlasst sie uns nicht, dann holen wir sie uns selbst. Aber dann werdet [red] ihr [/red] (Ihr) nicht mehr Eures Weges ziehen! Entscheidet Euch schnell, ich habe keine Lust, zu warten.«
Der andere mochte merken, dass es Santas-Gor ernst war und rief mit einem Blick einige seiner Leute herbei, um sich mit ihnen zu besprechen. Dabei fielen sie wieder in ihren Dialekt, den sonst keiner (zu) verstehen schien. Für den Merunen klang es wie Geschnatter.
»Nun?« Die Ungeduld Santas-Gors war kaum zu überhören. »Habt Ihr Euch entschieden?«
»Dass ihr Piraten seid, die [red] keinen [/red] (kein) Pardon kennen, weiß ich,(kein Komma)«(Komma) bekam er zur Antwort. »Schwört mir, dass Ihr das Leben meiner Leute verschont. Bei Scios, dieser Priester der Bruderschaft gab mir den schlechtesten Rat, den ich jemals erhielt, als er mir vorschlug, ich solle den Weg durch die Strasse der Helden nehmen. Möge er an seinen Hühnchen ersticken!«
Er atmete schwer. »Wie stehe ich jetzt vor meinen Leuten da, ohne Waren, ohne Geld, nur mit einem leeren Schiff? Niemand wird mir abnehmen, dass ich nur damit das Leben meiner Mannschaft retten konnte.«
Er gab sich einen Ruck. »Doch es bleibt mir keine andere Wahl!« Er holte tief Luft. »Ja, ich bin einverstanden. Nehmt meine Ladung und lasst uns dann ziehen.«
»Und ich schwöre, dass ich euch schonen werde. Keiner meiner Leute wird einen von euch töten. An Bord meines Schiffes seid ihr sicher.« Die Stimme des Seeräubers grollte ein wenig, er war ungeduldig.
Santas-Gor wandte sich seinen Leuten zu. »Kümmert euch um die Waren. Füllt unseren Laderaum damit. Aber lasst sämtliche Fässer geschlossen, gleichgültig, was sich darin befindet: Wein, Schnaps oder sonst etwas! Wer sich an der Ladung unbefugterweise zu schaffen macht, ist ein toter Mann!«
Er wandte sich wieder zu dem Fremden. »So, Kapitän, kommt mit auf mein Schiff, dort lässt es sich bequemer plaudern.« Er führte ihn in seine Kajüte und bot ihm [blue] ei-nen [/blue] Platz an, während die Ladung im Korsarenschiff verstaut wurde.
So sprachen sie eine Weile miteinander. Auf dem Oberdeck wurde es allmählich leiser, als sich die Ladarbeiten ihrem Ende zuneigten. Ein Klopfen an der Tür beendete die Unterhaltung.
Rikyu trat ein. »Die Ladung befindet sich in den Laderäumen des Schiffes, das andere ist leer. Die Mannschaft wartet.« Sprachs und ging wieder hinaus.
Santas-Gor und der gekaperte Kapitän folgten ihm. Der Korsarenchef wandte sich an einen seiner Männer. »Wie sieht es mit dem Platz unter Deck aus?«
»Gut, Herr! Wir haben alles aus dem anderen Schiff herübergeholt, was nicht angenagelt war. Der Platz hat gerade noch gereicht. Doch viel mehr hätten wir nicht übernehmen können. Wir sind voll.« Ein Aufstoßen gab seinen Worten eine zusätzliche Bedeutung, doch Santas-Gor ging nicht weiter darauf ein.
Mit einem verschlagenen Grinsen im Gesicht drehte sich der Korsar um. »Darf ich Euch nun bitten, Euch zusammen mit Euren Leuten an der [red] Leereeling [/red] (Leereling) aufzustellen?« Es war keine Frage, sonder mehr eine Aufforderung, die keinerlei Widerspruch duldete. Die Überfallenen gehorchten denn auch schweigend.
Santas-Gor richtet seine nächsten Worte an seine eigene Männer: »Kampfgefährten! Durch dieses Schiff«, er wies auf den verlassenen Rumpf, »durch dieses Schiff war es uns möglich, unsere Lademöglichkeiten bis an die Lukenunterseite auszunutzen. Wir haben keinen Platz für weitere Ladung.« Eine kleine Pause betonte die folgenden Worte.
»Wir haben hier ein schwer(getrennt)beladenes Schiff, das sicher nach Hause gebracht werden will. Dazu brauche ich jeden einzelnen von euch. Wir haben hier aber auch eine Anzahl von Kämpfern, die uns nicht sonderlich wohl(getrennt)gesonnen sind.«
Ein dröhnendes Lachen belohnte ihn für seinen Scherz.
»Wenn wir diese 25 Leute auf unserem Schiff behalten wollen, muss ich dafür sorgen, dass sie keine Dummheiten anstellen können. Dazu brauche ich einige von euch. Ihr würdet mir also im Schiffsbetrieb fehlen. Das wiederum geht auf die Sicherheit aller.
Seht ihr eine Möglichkeit, dieses Problem zu lösen?« Er schaute in die Runde. »Antwortet!«
Betroffene Gesichter sahen ihn an. Sie gehörten sowohl den Ranabari als auch seinen Leuten.
»Ich sehe, dass Ihr den gleichen Gedanken habt wie ich selbst. Wenn ich keine Leute habe, die Wache gehen können, kann ich keinen Grund brauchen, überhaupt Wache gehen zu müssen. Wachen fallen flach!« Er steigerte seine Stimme. »Der Grund für diese Wachen steht hier. Schaffen wir ihn beiseite!«
Er holte Luft. »Über Bord mit ihnen!« Gleichzeitig mit seinen letzten Worten trat er einen Schritt auf den fremden Kapitän zu. Er bückte sich ein wenig, riss ihm die Beine unter dem Körper weg, um ihn in weitem Bogen über Bord zu werfen.
Das war das Signal. Johlend und schreiend stürzten sich die Korsaren auf (die) völlig überraschten [blue] Mannschaften [/blue] (das verwirrt mich. Hat ein Schiff mehrere Mannschaften?) des fremden Schiffes und warfen sie ins Wasser. Das Geschrei der Opfer, die noch immer nicht so recht wussten, was mit ihnen geschah, verging schnell. Nicht viele von ihnen konnten schwimmen, die meisten versanken sofort.
Auch die Schwimmer trieben schnell ab und wurden leiser mit ihren Rufen, bis man auch sie nicht mehr hörte.
Schwer atmend blieb der Kaperer stehen und sah sich um. Seine Mannschaft stand hinter ihm, das wusste er. Jeder von ihnen freute sich über den gelungenen Coup, keiner machte sich Gedanken über das eben Geschehene. Auch der Kapitän selbst scherte sich keinen Deut um seine Tat.

Dass Piraten so handeln, hatte sich also noch nicht herumgesprochen. Sonst wäre die überfallene Mannschaft nicht so gutgläubig gewesen.


Santas-Gor gab den Befehl, das fremde Schiff zu versenken und seine Mannschaft kam seiner Anordnung umgehend nach. Gurgelnd versank das Handelsschiff in den Fluten.
Er wandte sich zum Niedergang und [red] trampelten [/red] (trampelte) die Stufen hinunter. Vor seiner Kajüte wartete Rikyu. Santas-Gor beachtete ihn nicht weiter und wollte eintreten, als ihm der CHOSON den Weg verstellte. Seine Augen glühten.
»Warum?« Nur dieses eine Wort sprach er.
»Warum? Was soll ich mich mit diesem Gesindel abgeben? Sie werden doch nur Ärger machen und uns in Trab halten. Letzten Endes hätte ich sie doch aufhängen müssen. Warum uns also lange damit abplagen? Warum den Ärger erst zum Ärger werden lassen?«
»Du gabst ihnen dein Wort!«
»Mein Wort, dass ich ihnen zusage, dass ihnen an Bord nichts geschehen würde.
Ich habe es gehalten. Kannst du mir einen einzigen nennen, dessen Leben ich [red] ihn [/red] (ihm kann aber auch weg) genommen habe? Liegt es nicht bei jedem einzelnen, sein Leben weiterzuführen oder unterzugehen?
Lass mich doch mit solchen Redensarten in Ruhe, Rikyu!« Er trat die Tür hinter sich zu.

**********

Einige Wochen später war Santas-Gor wieder mit seinem Kaperer auf See, diesmal lauerte er im Mir von Tanilorn auf Beute.
Der Kapitän grübelte über das Verhalten seines Pflegesohnes nach, der ihn einmal mehr verblüfft hatte.
Nachdem er ihn [red] bei [/red] (beim) letzten Beutegang fast an Bord hatte zwingen müssen, hatte er diesmal nicht im Geringsten daran gezweifelt, dass sich Rikyu bei dieser Fahrt nicht mehr beteiligen werde.
Santas-Gor hatte ihm die Aufsicht über den Stützpunkt geben wollen. Damit hätte er ein erneutes Zusammenstoßen um ein paar Tage hinausgeschoben.
Nun, das war sein Gedanke gewesen, doch Rikyu hatte offensichtlich ebenfalls nachgedacht und war an Bord gegangen, ohne sich vorher in eine Diskussion mit seinem Pflegevater eingelassen zu haben. Er hatte wortlos seine gesamte Ausrüstung an Deck gebracht und war gerade mit dem Verstauen fertig geworden, als Santas-Gor ihn entdeckte.
Der Freibeuter wertete Rikyus Verhalten als Ergebnis eines Nachdenke-Prozesses und verkniff sich jeglichen Kommentar; er wollte Rikyu keinerlei Anlass geben, seine Entscheidung im letzten Augenblick noch einmal zu überdenken oder gar zu revidieren. Daher brummte er nur zustimmend und machte sich daran, die übrigen Vorbereitungen zum Auslaufen zu beaufsichtigen.
Santas-Gor hatte Recht, wenn er davon ausging, dass Rikyu lange nachgedacht hatte. Er hatte aber[red] unrecht[/red] (Unrecht) , wenn er als Ergebnis annahm, dass sein Pflegesohn letztlich nachgegeben hätte und ihn nun unterstützen würde.
Das Schiff passierte die Höhe von Alalia in Tanilorn auf dem Weg in die See von Erewyn, dem Ziel dieser Fahrt.
Bisher war alles ruhig geblieben, die Besatzung begann bereits, sich zu langweilen. Rikyu war bisher nicht an Deck erschienen, Santas-Gor war es zufrieden.
Voraus war bereits Kap Phelorn mit den zahlreichen vorgelagerten Inseln in Sicht, weit in Wes Ydd konnte man Chara erahnen.
Der Wind frischte etwas auf und drehte leicht nach Est. Zwar schlugen die Segel noch nicht, doch Hartamos ließ dennoch neu brassen, um die größtmögliche Geschwindigkeit herauszuholen. Der Ex-Wolsi war immer auf der Hut, Santas-Gor konnte sich auf ihn verlassen.
Kap Phelorn lag nun hinter ihnen und der Merune ließ mehrere Reffs stecken. Es blieb gerade genug Segelfläche an den Rahen, damit das Schiff manövrierfähig blieb.
Auf diese Weise war das Schiff schwerer von anderen Schiffen zu entdecken. Nackte Masten lassen sich nun mal nicht so leicht erkennen wie pralle Segel.
Nun begann das Lauern auf Beute, auf Schiffe, die den zahlreichen Inseln und Inselchen um Kap Phelorn ausgewichen waren und nun wieder ihrem eigentlichen Kurs folgten.
»Schiff in Sicht aus Est! Kurs Wes!« Mit einem Satz, der einem Jaguar Ehre gemacht hätte, war der Kapitän oben. Ein kurzer Blick zum Ausguck zeigt ihm die genaue Richtung. »Schiff zeigt tarcysche Flagge.« Das war wieder der Ausguck. »Bug zeigt auf uns!«
»Die wollen etwas von uns, Herr.« Hartamos stand neben seinem Vorgesetzten. Er wandte sich zum Rudergänger. »Wenden und ihnen entgegenfahren!«
»Belege Befehl!« Santas-Gors schneidende Stimme ließ seinen Stellvertreter zusammenzucken.
»Was soll der Unsinn!« Santas-Gor wirkte verärgert. Hartamos duckte sich noch etwas mehr. »Denk zur Abwechslung doch mal nach! Hat uns das Schiff schon gesehen?« – »Wohl nicht. Sein Kurs ist noch unverändert« – »Wohin will es demnach?« »Nach Worm oder Timenon, glaube ich.« – »Glauben kannst du bei deinen Göttern, wenn es dir Spaß macht, bei mir ist Wissen angesagt. Aber du hast recht.« Santas-Gor macht eine kleine Pause und blickte wieder zum Ausguck.
»Welche Flagge zeigt das Schiff dort hinten?« – »Tarcy«, kam kleinlaut die Antwort.
»Dann kennst du deine Aufgabe, Hartamos.« Damit war für Santas-Gor die Angelegenheit erledigt und er überließ es seinem Stellvertreter, die Verfolgungsjagd einzuleiten.
Dieser erteilte auch sofort neue Befehle. Die Segel an den Rahen wurden gelockert(Komma) blieben aber noch gerefft. Die Männer warteten auf den Rahen. Hartamos wartete auf den Ruf des Ausgucks. Das Schiff wartete auf den Gegner.
»Schiff ändert Kurs! Dreht auf Mir zu Est!« Sofort kam Leben in den Korsaren. Seine Befehle gellten über das Deck. Die Männer ließen die Segel von den Rahen herab, schlugen kurz back, wurden angebrasst und kamen steif. Das Schiff nahm Fahrt auf, seiner Beute hinterher.
Der fremde Kapitän hatte allerdings das Setzen der Segel auf dem Korsarenschiff richtig gedeutet und holte jeden Fetzen Segeltuch hervor, der er finden konnte.
Doch schon bald musste er einsehen, dass der Kaperer das Wettrennen beim gegenwärtigen Wind gewinnen würde. Der Tarcyer war deutlich langsamer.
Und jetzt, bei steifem Wind aus Est, zeigte sich endgültig, dass der Korsar das bessere Schiff hatte. Santas-Gor konnte dichter an den Wind gehen und auch in Sachen Geschwindigkeit einiges[red] wett machen[/red] (wettmachen) . Zudem vermochte er die einzelnen Schläge zwischen den Wendemanövern länger auszudehnen als sein Gegner.
Schließlich war es soweit. Der Fremde geriet in den Windschatten. Die Korsaren legten sich genauso dicht neben den Tarcyer, wie sie es vorher mit dem Händler aus Ranabar angestellt hatten.
Wieder enterten sie. Doch diesmal rissen keine Speere aus den Wanten blutige Löcher in die Reihen der Korsaren, die wieder stürmten. Diesmal hielten ihre Äxte und Entermesser reiche Ernte unter den Feinden.
Doch so viele auch niedergemacht wurde, immer neue Gegner standen den Freibeutern gegenüber. Machten sie einen nieder, traten zwei neue an seine Stelle.
Dieser Übermacht konnten auch die Korsaren nicht allzu lange standhalten, ganz allmählich wurden sie zurückgedrängt.
Santas-Gor hatte sich wie immer eine Stelle gesucht[blue] hatte[/blue] (doppelt), von der aus er Übersicht über den Verlauf des Kampfes hatte. Er sah, wie immer neue Gegner aus den Luken und Niedergängen kamen und in den Kampf eingriffen. Doch viel Zeit, darüber nachzudenken, blieb ihm nicht, auch er musste sich gehörig wehren.
Schließlich, als der Kampf ihm eine kleine Pause gönnte, verstand er, was geschehen war. Die Gesichter der Gegner war typisch: Tanilorner!
Offenbar war er an einen Kapitän geraten, der flüchtende Tanilorner außer Landes brachte. Kein Wunder bei den Unruhen um Fliegengötter und andere zweifelhafte Erscheinungen.
Dies erklärte auch, warum seine Leute diesmal nicht recht Fuß fassen konnten, warum sie zurückgedrängt wurden. Dieses Schiff konnte die dreifache Menge derer aufbieten, die er als Mannschaft zur Verfügung hatte.
Dieser Übermacht war er nicht gewachsen. Zum Teufel auch! Warum musste er gerade jetzt diesem Transport in die Quere kommen!
Plötzlich aber kniff er seine Augen zusammen, so dass er einer Katze verzweifelt ähnlich sah. Wenn ihn seine Sinne nicht gänzlich im Stich ließen, dann kannte er den Kämpen dort am Mast.
Rikyu!!!
Doch er focht nicht gegen die Tanilorner, er befand sich in deren Reihen, er kämpfte für sie!
Rikyu hatte sich auf die Seite der Feinde geschlagen! Santas-Gor konnte und wollte seinen Augen nicht trauen, seine Knie drohten nachzugeben.
Das Schwert, das der CHOSON vor Jahren von seinem Lehrmeister erhalten hatte, brachte jetzt seinen eigenen Leuten den Tod. Immer wieder blitzte die Klinge auf, immer wieder sank einer der Korsaren zusammen, fand einer von ihnen den Tod.
Santas-Gor war nicht mehr in der Lage, weiter zu kämpfen. Er starrte wie gebannt zum Mast, sah zu, wie seine Männer fielen. Bilder aus längst vergangenen Zeiten tauchten vor seinem inneren Auge auf, Bilder aus den Tagen, in denen der Vater seines Sohnes, seines Pflegesohnes, ebenfalls am Mast stehend, kämpfte und niemand sein Tun beenden konnte. Da, soeben sank der vorletzte seiner Gegner zusammen, er war in einen blitzschnellen, kaum erkennbaren Aufwärtsstreich gelaufen, dessen Wirkung erst Sekunden später sichtbar wurde. Der CHOSON ließ den Arm...
Ein Geräusch ließ Santas-Gor herumfahren, sein Arm mit dem Schwert schnellte nach oben. Der fremde Kapitän hatte sich von hinten an ihn herangeschlichen und wollte ihm nun den Garaus machen. Zwar konnte der Korsar den tödlichen Hieb noch abfangen – er traf nur seine Schulter. Doch er wusste sehr gut, dass auch diese Verwundung ihn töten würde, denn er war nun nicht mehr voll einsatzfähig gegen diesen rasenden Gegner vor ihm. Blindlings stieß er mit seiner Klinge vor, fühlte Widerstand und setzte nach. Ein Gurgeln signalisierte ihm den Erfolg seines Ausfalls. Er wollte nachsetzen und den letzten Stich tun, doch – seine Kraft war gewichen. Er konnte sein Schwert nicht mehr heben, die auf ihn niedersausende Klinge nicht mehr abwehren.
Tief biss der Stahl in seinen Arm, glitt weiter, öffnete seine Seite. Ein Blutstrahl spritzte auf das Deck, mehr als einen Finger dick, und Santas-Gor fiel in sich zusammen, wohl wissend, dass er nur das Los seiner Männer geteilt hatte. Keiner von ihnen hatte[blue] über-lebt[/blue], er war der Letzte. Die Kraft entwich ihm.
Doch das Schwert seines Gegners war noch nicht zur Ruhe gekommen. Der Stahl fuhr weiter und schnitt sich in eine Talje. Der Block, durch den sie lief, kam frei und sauste nach oben. Dafür kam die zugehörige Rah nach unten. Sie schlug auf Deck auf, zermalmte einige Belegnägel auf der Bank und schnellte dann herum.
Santas-Gor sah sie kommen, vermochte ihr aber nicht mehr auszuweichen, sein Blutverlust hatte ihn bereits zu sehr geschwächt.
So erwischte ihn das Ende der Rah unmittelbar unter seiner Verwundung, um diese noch zu verschlimmern. Der Korsar wurde gegen den Mast geschleudert und spürte Rippen brechen.
Verschwommene Bilder wallten vor seinen Augen auf, Bilder aus längst vergangenen Zeiten. Er sah sich selbst am Mast liegen und eine Rah über dem Unterleib. Nein, das war nicht er selbst, [blue] da [/blue] (das) war ein anderer.
Er versuchte, die Bilder klarer zu bekommen. Schließlich konnte er das Gesicht des Verletzten erkennen – Rikyu.
Nein, nicht Rikyu, verbesserte er sich sofort. Dieser Mann war älter, aber wer war er?
Mit einem Mal schlug die Erkenntnis wie ein Sturmbrecher über ihm zusammen.
Vor vielen Jahren hatte ihm gerade dieser Mann seinen leiblichen Sohn überlassen. Der Vater von Rikyu war genauso gestorben wie er, Santas-Gor, jetzt von der Bühne des Lebens abtreten würde.
Lange Sekunden lag er da, dann riss er sich zusammen. Mühsam öffnete er die Augen und sah Rikyu, der den Kampf eingestellt hatte. Er versuchte, ihm zu winken. Eine müde schwache Geste wurde daraus, mehr nicht, doch sie genügte. Rikyu kam heran.
»Rikyu, warum hast du gegen mich gekämpft? Warum stellst du dich gegen uns?«
»Warum stellst du dich gegen die Menschlichkeit? Warum betrügst du Menschen um ihr Leben, das sie dir abkaufen wollten? Warum benimmst du dich nicht wie ein Mensch?« Die Gegenfragen kamen sachlich, scheinbar ohne Anteilnahme an seinem Schicksal aus dem Mund seines Pflegesohnes.
»Rikyu, du weißt es, ich weiß es auch: ich werde sterben. Sag mir noch eines: war ich nicht immer wie ein Vater um dich besorgt, wollte ich nicht immer nur das Beste für dich? Was ist es, das dich davon abhält, mich ‚Vater’ zu nennen? Was ist es? Was?« Die Worte hatten ihn angestrengt, er[blue] keuch-te[/blue] .
HOSHEI Rikyu kniete nieder und nahm den Kopf seines Pflegevaters in seine Hände. Bewegt sah er in bleiche, zusammengefallene Züge. Der Körper des Korsaren zog sich krampfartig zusammen, entspannte sich dann wieder. Seine Augen öffneten sich.
»Vater!« Die Augen brachen, der Kopf fiel zur Seite, der Körper erschlaffte. Der Korsar war tot. Er hatte die Erfüllung seiner letzten Bitte nicht mehr mitbekommen. Wirklich nicht?!?
Ein seltsames Gefühl [blue] befällt [/blue] (befiel) den jungen Krieger. Wehmut ist dabei, Bitterkeit, auch Einsamkeit. Er bleibt ruhig sitzen, versucht nicht, die Gefühle abzuwehren. Eine Weile verharrt er so, dann lässt er den Kopf des Toten auf das harte Deckholz gleiten, richtet sich auf und schaut sich um. Er befindet sich wieder in der Realität.


Die Tarcyer hatten es geschafft, während des Kampfes auf den Kaperer zu gelangen und dort Feuer zu legen. Jetzt zeigten sich die ersten Flammenzungen und machten auch dem letzten Korsaren klar, dass ihr ärgster Feind nicht ein gegnerischer Degen oder ein Schwert war, sondern das alles verzehrende Feuer.
Der Kampf war beendet. Die Taue, die sich zwischen den beiden Rümpfen spannten, wurden gekappt und die Schiffe kamen voneinander frei.
Nein, der Kampf war noch nicht vorbei. Als sich die Schiffe wieder frei bewegten, kam Bewegung in einen der Liegenden. Er hatte seine Finger um ein schartiges Schwert gekrallt und schlug jetzt wild um sich. Der junge CHOSON musste erneut sein Schwert ziehen und die Hiebe abwehren. Der Fremde war in seinem Blick behindert und schien nur so viel zu sehen, dass sein Gegner nicht von seinem eigenen Schiff stammte. Das schien ihm zu genügen.
Aus einer Stirnwunde lief ihm Blut über die Augen und behinderte ihn noch mehr. Wild drang er auf Rikyu ein, der sich kaum zu helfen wusste, da er den Gegner nicht töten wollte. Mit dem Mut der Verzweiflung griff der Tanilorner immer wieder von [red] Neuem [/red] (neuem) an. Endlich gelang es Rikyu, ihm einen Hieb mit der Breitseite des Kenzen zu versetzen und ihn damit ins Land der Träume zu schicken.
Die Mannschaft des fremden Schiffes hatte dem Kampf zugesehen, sie wusste inzwischen, dass sich der Fremde gegen die Korsaren gestellt hatte, also ein Freund von ihnen [blue] selbst [/blue] (überflüssig) sein musste, ein Freund der Tanilorner.
Müde schob Rikyu die Klinge wieder in das Saya, während andere herbei(getrennt)sprangen und sich um seinen Gegner bemühten, den die Ohnmacht wohltätig umschlungen hielt.
Er wurde unter Deck gebracht, niemand belästigte Rikyu mit Fragen. Der CHOSON fand endlich Zeit, über das Geschehen nachzudenken. Er legte Rechenschaft vor sich selbst ab.
Warum hatte er sich gegen seine bisherigen Kameraden, gegen seinen Pflegevater gestellt? Warum kämpfte er auf der Seite der Fremden? Warum hatte er den jungen Mann nicht töten wollen, obwohl dieser ihn so hart bedrängt hatte?
Rikyu ahnte, dass die Antwort auf alle diese Fragen im Verhalten von Santas-Gor lag, der die Ranabari so schmählich hintergangen hatte. Bei diesem Verrat war etwas in ihm zerbrochen, ein letzter Halt. Dieser fehlte ihm nun.
Gleichzeit wusste der CHOSON aber auch, dass er jetzt noch keine endgültige Antwort auf seine Fragen finden würde. Diese würde erst die Zeit ihm geben. Er öffnete die[blue] Au-gen[/blue] .
Auf seine Fragen - sein Wolsisch war ausreichend - wies man ihm den Weg zum Krankenlager seines Gegners. Bereitwillig [red] öffnete [/red] (öffneten) sich ihm die Türen und gleich darauf war er allein mit ihm. Er setzte sich nieder und wartete.
Irgendwann öffnete der Kranke die Augen und sah sich suchend um. Jede Bewegung schien ihm Schmerzen zu bereiten, doch er ignorierte sie, so gut es eben ging. »Wer – wer seid[red] ihr[/red] (Ihr) ?« fragte er mühsam. Das Sprechen fiel ihm noch schwer. Rikyu antwortete ihm.
»Man nennt mich HOSHEI Rikyu. Ich gehöre dem Volk der CHOSON an.«
»CHOSON? HOSHEI ? Nie gehört.«
»Die CHOSON leben für sich auf einer Reihe von Inseln. Wir mischen uns nicht in Angelegenheiten anderer. Es ist gut möglich, dass Ihr noch nichts von unserem Volk gehört habt.«
»Verzeiht, wenn meine Worte barsch klangen. Es war nicht meine Absicht«, beeilte sich der Fremde zu beschwichtigen. »Ich bin Tirson aus Tanibar auf der Flucht vor den Merunen, die ganz Tanilorn besetzt haben. Meines Bleibens dort war nicht länger, ich hätte keine Dekade mehr überlebt.«
Tirson versuchte sich aufzurichten, doch noch fehlte ihm die Kraft dazu. Rikyu sprang hinzu und half ihm. Der Tanilorner hielt sich an einem Balken in der Kajüte fest und sah den CHOSON an.
»Viel hätte wohl nicht gefehlt und ich hätte diese Tage trotzdem nicht überstanden, wie?« Fragend blickte er sein Gegenüber an.
Rikyu verstand den Blick und berichtete über ihren Kampf, wie er schließlich die Auseinandersetzung beendete und Tirson betäubte.
Dieser fuhr sich mit [red] den [/red] Hand über den Hinterkopf und verzog schmerzlich das Gesicht, als er die hühnereingroße Beule berührte, die die Antwort auf Rikyus Flachhieb war. »Soso, nur betäuben wolltet Ihr mich, heh? Hätte es nicht auch ein geringerer Hieb getan?«
»Möglich«, gab Rikyu zu, fragte dann aber wieder nach der Flucht. »Wie erging es Euch auf dem Schiff?«
»Auf welchem ... ach so, ja. Höllisch eng war es hier, der Kapitän wollte wohl des Guten zu viel tun und nahm fast doppelt so viele auf, wie er eigentlich verantworten konnte. Vielleicht war es ihm ja auch um das Gold zu tun, das er von jedem abkassierte, bevor er ihn aufs Deck und ins Schiff ließ.
Auch von mir hat er sich bezahlen lassen, wenn die meisten Goldstücke auch nicht meinem eigenen Beutel angehörten. Dennoch blieb mir nicht mehr viel. Wir wollten nach Tarcy hinüber, um von dort aus eine Möglichkeit zu suchen, unser Land wieder frei zu bekommen. Lange können sie sich ohnehin nicht halten, die Herren Besetzer.«
Erneut verzog er das Gesicht. »Mehr gibt es eigentlich für den Augenblick nicht zu sagen. Vielleicht erzähle ich Euch später etwas mehr? Doch wie kommt es, dass Ihr plötzlich auf diesem Schiff seid?«
Jetzt war es Rikyus Sache, zu berichten. Er gab bereitwillig Auskunft, erzählte seine Geschichte, immer wieder unterbrochen von Tirson, der ohne Zwischenfragen offensichtlich nicht auskommen konnte. Auch der Tanilorner erzählte mehr von sich.
In den folgenden Abenden und Nächten an Bord lernten sich die beiden so ungleichen Charaktere kennen und schätzen und schließlich wurden sie Freunde.
Siebzehn Tage nach dem Überfall legten sie in Tarcy an. Rikyu und Tirson verließen gemeinsam das Schiff. In einer Herberge quartierten sie sich ein. Tirson besaß noch einige Goldstücke, von denen sie lebten und auch der CHOSON konnte noch einige Goldstücke seines Pflegevaters beisteuern.
Lange Gespräche drehten sich um die Handhabung von Waffen. Tirson lernte von Rikyu den Gebrauch des Jittedolches und brachte es darin zu beachtlichen Leistungen.
Jeden Tag gingen sie zum Hafen hinunter und suchten nach neu angekommenen[red] Schiffe[/red] (Schiffen) , um die neuesten Nachrichten aus Tanilorn zu erfahren. Im Laufe der Zeit wurden diese auch erfreulicher und schließlich hielt es Tirson nicht länger aus.
»Rikyu, wenn ich noch weiter in diesem Nest herumsitze, kann ich für nichts mehr garantieren. Ich muss einfach etwas tun, um meinem Land zu helfen. Gestern habe ich von einem Matrosen eines Fischkutters Neues über Celdar Rusius gehört. Er will ein Heer aufstellen, das er später nach Tanilorn zu dessen Rückeroberung führen will. Ich werde mich ihm anschließen. Vielleicht kann er mich gebrauchen.« Seine Stimme klang hoffnungsvoll.
»Tirson, mein Freund, wenn [red] Du [/red] (du) weißt, was [red] Du [/red] tun musst, dann hast [red] Du [/red] es besser als ich. Meine Bestimmung ist mir noch nicht klar geworden.« Rikyu stand auf. »Ich wünsche[red] Dir[/red] (dir) , dass deine Träume und Erwartungen in Erfüllung gehen. AMIRADA-KAMI sei mit dir und wache über dich.«
Tirson schluckte. »Wir werden uns[blue] wieder-sehen [/blue] – unter einem günstigeren Stern, Rikyu. Bis dahin, lebe wohl, möge Tan über dich wachen!«
Ein kurzer, kräftiger Druck seiner Hand, den Rikyu zurückgab.
Tirson wandte sich um und ging mit festen Schritten davon, ohne sich noch einmal umzusehen. Doch klangen seine Schritte nicht etwas zögernd, trotz allem? Rikyu würde es nicht mehr erfahren.
Er griff nach dem Kenzen, rückte es zurecht und wandte sich ebenfalls um. Was nun? Er wusste es nicht.
Zunächst einmal würde er in die Herberge gehen und dort seine Schulden begleichen. Dann war er zumindest unabhängig. Was er danach anfangen sollte, nun, das würde sich schon finden.
Rikyu setzte sich in Gang.

**********

Die nächsten drei Wochen waren ein einziges Herumlungern in der Stadt, am Hafen, im Landesinneren. Doch immer wieder zog es ihn zum Wasser. Es ließ ihn einfach nicht los.
Golden versank die Sonne im Meer. Es funkelte. Die See schien zu brennen, doch die Sonne erlosch noch nicht. Sie kämpfte um ihr Licht, wusste sie doch genau, dass sie schließlich nachgeben musste.

Rikyu sog diese Bilder in sich auf. Sie vermittelten ihm ein Gefühl innerer Zufriedenheit, innerer Ausgeglichenheit. Er würde aufs Meer hinausfahren.
Ja – das würde er, wenn er auch nicht zu sagen vermochte, woher dieser Entschluss so plötzlich gekommen war. Es schien beinahe so, als hätte ihm jemand diesen Gedanken in den Kopf gesetzt. Doch war die Entscheidung jetzt getroffen. Er jedenfalls, HOSHEI Rikyu, würde sie nicht mehr ändern.
Und als hätte wirklich jemand auf diese Reaktion gewartet, fühlte sich der junge Mann plötzlich viel leichter[blue] zumute[/blue] (überflüssig es war ihm zumute) . Ein Druck, den er gar nicht so richtig wahrgenommen hatte, war verschwunden. Fast schon beschwingt wandte er sich um, nachdem die Sonne vollständig im Meer versunken war. Langsam ging er zu seiner Unterkunft, zur Herberge, in der er sein Quartier aufgeschlagen hatte. Er überlegte.
Um aufs Meer fahren zu können, brauchte er ein Schiff oder ein Boot. Ein Schiff wäre zwar besser gewesen, doch das war unbezahlbar für ihn. Ein Boot war da schon leichter zu bekommen, doch er durfte nicht nur an das Boot denken.

Auch Vorräte und anderes mehr war zu besorgen, denn er wusste ja nicht, wohin er segeln und wie lange er kein Land mehr [red] betre-en [/red] würde. Das aber bedingte gleichzeitig, dass er ohne jede Begleitung zu fahren hatte. Proviant und Ausrüstung konnte er ohnehin nur für sich selbst besorgen und die unbekannten Gefahren wollte er niemandem zumuten, den er nicht kannte, auf den er sich nicht verlassen konnte. Er kramte in seinem Ärmel und förderte nach einigem Suchen schließlich zwei Goldmünzen zu Tage, mehr nicht.
Die Stirn runzelnd, fragte er sich, ob er für dieses Gold ein kleines Boot und eine Ausrüstung bekommen könnte. Beziehungen hatte er hier nicht und anderenorts war er nicht einmal bekannt.
Er unterbrach seinen Heimweg und versuchte sein Glück sofort.
„Verzeiht, Schiffer, könnt Ihr mir vielleicht sagen, wo ich ein gutes Boot bekommen kann?“(Komma) wandte er sich an den nächsten Seemann, der seinen Weg kreuzte. Ein unwilliges Brummen war die einzige Antwort, dann war er vorbei.
Er versuchte es von neuem, indem er seine Frage an einen Mann richtete, der mit Fischernetzen handelte. Diesmal hatte er mehr Glück. Der Händler richtete sich kurz auf und wies mit dem Daumen die Straße entlang. „Wende dich an den Wirt der Taverne dort. ‚Stolz von Tarcy’ heißt sie zwar, ist aber nicht so stolz. Dort wirst du schon jemand finden, der dir einen Kahn gibt.“ Mit diesen Worten war Rikyu abgemeldet, der andere beachtete ihn nicht mehr.
Der CHOSON machte sich auf den Weg und fand die besagte Kneipe. Bevor er jedoch eintrat, rückte er sein Kenzen zurecht. Dann bückte er sich, um den niedrigen Eingang zu passieren, ohne sich den Kopf anzustoßen.
Drinnen sah er sich um. Die Luft bestand zum größten Teil aus Qualm und Rauch, die Tische waren gut besucht, Platz war nicht zu finden.
Er drückte sich auf eine Bank, auf der nicht ganz so viele Leute saßen wie auf den restlichen. Das heraneilende Schankmädchen bedachte er mit einem freundlichen Blick, [blue] be-vor [/blue] er sich einen Krug Wein bestellte. „Und sag dem Wirt, ich möchte gerne ein paar Worte mit ihm wechseln,(kein Komma)“(Komma) rief er ihr hinterher. Er lehnte sich zurück.
Der Wirt brachte den Krug selbst und setzte sich zu ihm. „Ihr wolltet mich sprechen?“(Komma) begrüßte er ihn. Rikyu nickte. „ (kein Leerfeld)Ja.(kein Punkt), guter Mann, ich bitte um eine Auskunft von Euch. Ein Händler draußen nannte mir Euren Namen, als ich nach einem Boot fragte. Er meinte, Ihr wäret sicher so freundlich, mir weiter zu helfen.“ Er machte eine Pause(Punkt)
„Doch trinkt doch zunächst!“(Komma) forderte er ihn auf, als sein Gegenüber zum Sprechen ansetzte. Dieser ließ sich das nicht zweimal sagen und tat Rikyu Bescheid. Dann antwortete er.
„Sicher, Euer Informant hat recht, wenn er meint, dass hier ab und zu mal jemand einen Becher trinkt, der auch Boote vermietet.“ Er sah sich um, schien aber den Gewünschten nicht zu finden.
„Wenn der rote Larsaf as Velor da wäre, Fremder, könnte ich Euch wohl helfen. Er hat, soweit mir bekannt ist, die besten Boote zur Verfügung. Allerdings kommt Larsaf nicht oft hierher.“ Er sah sich noch einmal um, stand sogar auf, um über die Köpfe hinweg blicken zu können. Doch auch jetzt sah er den Gesuchten nicht.
„Ah, das wäre auch eine Möglichkeit“(Komma) schien ihm eine Idee zu kommen, dann blickte er Rikyu prüfend an. „Diese Sache jedoch hat einen Haken.“
Der Angesprochene brauchte gar nicht erst hinzusehen, er wusste auch so, dass der Wirt die überall bekannte Bewegung des Geldzählens machte. „Die Auskunft kostet Euch etwas. Umsonst kann ich sie Euch nicht geben...“
Er brach ab und wartete auf Rikyus Antwort. Sie bestand aus einer Kupfermünze. Der Wirt drehte sie hin und her, um in dem diffusen Licht den Wert erkennen zu können. Es waren 2 Kupfer-Lant. Ein Grinsen stand auf seinem Gesicht, als er den Kopf wieder hob.
„Kommt!“ Er erhob sich. Rikyu folgte ihm in ein Nebenzimmer, die Hand am Schwert. Doch diese Vorsicht war nicht notwendig. Auch in diesem Raum saßen Männer und tranken. Doch diese Leute gehörten nicht zu dem Volk, das sich um die Plätze im großen Raum drängte. Hier waren die Tische nicht überfüllt.
Der Wirt führte seinen Gast zu einem Tisch an der Seite des Raumes. Dort wies er auf einen kleinen Mann, der eben einen neuen Krug vorgesetzt bekam. „Mit dem da werdet Ihr Euch schon einig werden, denke ich..(Punkt zuviel) Er hat meistens ein paar passende Boote zur Hand. Thorn wird Euch helfen.“ (Trennstrich oder Absatz)„Habt Dank für Eure Hilfe.“ Rikyu verabschiedete sich vom Wirt, der sich wieder in den Vorderraum verdrückte.
„Verzeiht, wenn ich Euch als Fremder anspreche,(kein Komma)“(Komma) begann er, als er wieder am Tisch war, an dem der Bezeichnete saß. „Der Wirt meinte, Ihr würdet mir helfen, Thorn“ – „So, meinte er das?“ Ein verschmitztes Lachen stahl sich in seine Züge. „Und aus welchem Grund sollte [red] Ich [/red] (ich) Euch helfen? Was sucht Ihr hier“
Rikyu ließ sich nicht beeindrucken. „Ich suche ein Boot, das hochseetüchtig ist.“ Es war vielleicht am besten, sofort seine Vorstellungen klarzumachen. „Ich muss ein paar Tage hinausfahren.“ – „Ein paar Tage? Du allein?“ Er wartete die Antwort nicht ab, sondern winkte ihm zu.
„Setz dich!“ Er überlegte. „Wie weit soll's denn hinausgehen?“ (Trennstrich oder Absatz) „Das ist noch unklar. Es kommt auf die Verhältnisse an.“ (Trennstrich oder Absatz)„Was anderes: Kannst du mit Segeln umgehen? Hast du Erfahrung [red] Im [/red] Seehandwerk?“ „Es wird reichen“, bekam er als Antwort.“
„Wenn [red] Du [/red] 60 Silber-Lant bezahlst, würde ich mich von der Lythande trennen können, sofern du dich nach einer Woche wieder [blue] bli-cken [/blue] lässt. Nun, wie steht's?“
60 Lant! Rikyu dachte an die beiden Goldmünzen in seinem Ärmel. Das eine war eine Münze von 50 Silber-Lant, die andere war 30 wert. Es würde wohl reichen, doch für Proviant war dann nicht mehr viel Platz.
„60 Lant? Ich möchte ein Boot mieten, und nicht eine ganze Galeere mit Mannschaft und Kapitän kaufen! Auf diese Weise kommen wir nicht ins Geschäft!“(Komma) lehnte er ab.
Der CHOSON machte Anstalten, aufzustehen und zu gehen. Sofort griff Thorn nach ihm und zog ihn wieder auf die Bank.
„Wer wird denn gleich beleidigt sein? Scherze machen kannst du ja! 60 Silber-Lant für eine vollständige Galeere!! Haha, das hat mir schon lange niemand mehr geboten!“ So klein der Bootsverkäufer auch sein mochte, sein Bauch wackelte doch recht munter, während sein Besitzer über den vermeintlichen Witz lachte. Langsam beruhigte er sich wieder.
„Ich kann doch ein Schiff nicht für 3000 Kupfer-Lant, für 30 ganze Silber–Lant kaufen und es dann für ein Fünftel weitergeben!“ Er unterbrach sich und schaute Rikyu misstrauisch an. „Oder war das kein Witz?“
Der CHOSON blieb unbeeindruckt. Er antwortete nicht direkt auf Thorns Frage. „Wenn ich ein kleines Boot miete und nicht kaufe, möchte ich das Objekt vorher sehen. Eher mache ich keinen Preis fest. Sollte es in Ordnung sein, lasse ich mich vielleicht erweichen, 30 Lant dafür anzulegen. Dafür will ich dann aber ein Boot bekommen, das ein paar Wellen verträgt und annehmbare Segeleigenschaften aufweist. Sonst kommen wir nicht zueinander. Ich...“ Thorn raufte sich die Haare. „30 Lant für meine Lythande!! Das kann ich ihr nicht antun. Das kann ich nicht.“
Er stöhnte vernehmlich und musste sich mit einem großen Schluck aus seinem Becher stärken. Danach rülpste er.
„Aber dein Gedanke ist nicht so übel. Vielleicht sollten wir uns mein Glanzstück wirklich einmal ansehen. Dann siehst du sicher ein, dass die 55 Lant nicht zuviel sind.“ Noch einmal setzte er den Becher an, leerte ihn und füllte sofort nach. Auch Rikyu [blue] be-diente [/blue] sich noch einmal aus dem Krug und trank.
Dann standen sie beide auf. Thorn machte den Führer. Drei, vier Querstraßen weiter bog er ab und machte erst wieder halt, als die Gasse am Wasser endete. Hier öffnete er ein Hoftor und winkte Rikyu zu sich. „Hier, mein Freund! Siehst du meine Lythande?“ Plötzlich schien ihm etwas einzufallen. „Sag mal, du hast mir noch nicht gesagt, wie du heißt. Willst du mir nicht sagen, mit [red] wen [/red] (wem) ich mich streiten muss?“
„Mein Name ist HOSHEI Rikyu. Ich komme aus Al Marun.“ Mehr sagte Rikyu nicht.
„HOSH was?“ Der Name brach Thorn auf der Zunge. „HOSHEI Rikyu“, half der CHOSON aus. „Nie gehört. Komische Namen haben die Merunen jetzt. Ts, ts, ts!“ Kopfschüttelnd schloss er das Tor.
„Ich stamme nicht aus Al Marun“(Punkt Trennstrich oder Absatz) „Nicht? Woher kommst du dann? Welches Volk hat denn so verrückte Namen?“
Ein leises Geräusch ließ ihn zurückzucken. „Nein, nein, ich hab's ja nicht so gemeint. Dein Name klingt gar nicht so verrückt, wenn man sich's genau betrachtet. Deswegen brauchst du dich doch nicht so aufzuregen.“
Thorn war sehr ängstlich geworden. Offenbar hatte er schlechte Erfahrungen mit Waffen im Halbdunkel gemacht. Rikyu zögerte noch, aber dann ließ er sein Schwert wieder zurück(getrennt)gleiten.
Auch er befasste sich jetzt mit dem Boot, dessen Umrisse im Hof zu erkennen waren. Es schien auf einem Gestell zu ruhen, mit dem es leicht zu Wasser gebracht werden konnte. So weit Rikyu erkennen konnte, handelte es sich um eine Art Lugger, ein kleineres Boot also, jedoch ausreichend für sein Vorhaben.
„Das soll dein bestes Boot sein? Ein Boot, das an Land verrottet? Das ist ja nicht einmal 20 Lant wert. So etwas kann ich nicht brauchen. Wenn du nichts [red] besseres [/red] (Besseres) zu bieten hast, dann...“ – „Nein, nein, so darfst du das nicht sehen. Die Lythande war vorige Woche noch im Wasser. Ich habe sie reparieren lassen. Jetzt ist sie wieder wie neu.“
„Repariert? Was denn?“ - „Äh, der Boden war zu bewachsen, ich habe ihn abgekratzt.“ Das klang nicht sehr überzeugend, doch Rikyu ließ es darauf beruhen.
(Anführungszeichen) 40 Lant und keinen mehr! Dafür bin ich in zwei Wochen wieder da.“
„Unmöglich! Wovon soll ich denn die ganzen Kosten bezahlen, die ich durch das Boot habe? Zum Leben bleibt mir dann überhaupt nichts mehr. Das geht nicht!“
Jetzt hob ein langes Feilschen an, [red] In [/red] dessen Verlauf sich beide Seiten nichts schenkten. Thorn wurde immer nervöser und unsicherer, während der CHOSON allmählich seine Ruhe wieder(getrennt)fand und der Tarcyer schließlich bei einem Preis von 46 Lant zustimmte. Rikyu verlangte noch ein Segel als Reserve und musste dafür weitere 50 Kupfer-Lant zahlen.
Schließlich überredete er Thorn noch dazu, ihm das Boot am nächsten Tag zu Wasser zu lassen und es mit Proviant und einigen Ausrüstungsgegenständen zu versehen, die Rikyu ihm angab.
Der CHOSON würde sich das Boot bei hellem Tag noch einmal anschauen, schon wissend, dass der Händler immer noch ein gutes Geschäft gemacht hatte. Hoffentlich hielt es das, was der Händler versprach.
Übermorgen sollte die Fahrt dann beginnen. Ein Handschlag besiegelte das Geschäft und der Händler schloss den Hof wieder ab.
„Glaube mir, du hast ein vorzügliches Boot bekommen für diese paar Kröten. Etwas Besseres wirst du in ganz Tarcy nicht finden.“
Rikyu ließ ihn reden. Durch den schnellen Erfolg mit Thorn war er noch nicht dazu gekommen, zu essen. Das aber gedachte er jetzt in seiner Herberge nachzuholen. [blue] Mor-gen [/blue]würde er dann weitersehen.

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HOSHEI Rikyu ließ sich zurücksinken, hielt aber das Ruder weiterhin fest. Seit drei Tagen war jetzt auf See und war mal hierhin, mal dorthin gesegelt. Ein bestimmtes Ziel hatte er nicht, doch manchmal gewann er den Eindruck, dass der Ydd–Kurs ihm am meisten zusagte. Doch dort lag das Land, von dem er gekommen war. Von dort hatte es ihn auf das Wasser gezogen. Sollte er die Zeichen falsch gedeutet haben? Unwahrwahrscheinlich! Doch der Drang blieb. Vielleicht stimmte auch nur die Richtung, das Ziel jedoch befand sich im Wasser?
Entschlossen setzte Rikyu das Segel wieder, trimmte es gegen den Wind und setzte Kurs nach Sud ab. Er würde Esran umrunden und dann auf Nor–Kurs gehen. Vielleicht kam er so seinem unbekannten Ziel näher.
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Rikyu


Jeder vernünftige Mensch kauft oder mietet ein Boot bei guten Lichtverhältnissen. Er vertraut ihm schließlich sein Leben an. Warum kauft Rikyu praktisch die Katze im Sack?
Fragend guckt
 

Rikyu

Mitglied
Einige Monate später erlebte Rikyu eine Überraschung: sein Lehrer MORJ Akimoto-sensei brach das Training ab, kaum dass sie so richtig damit begonnen hatten. Rikyu wunderte sich zwar, war aber zu beherrscht, um sich neugierig zu zeigen. Er wartete ab; Akimoto würde ihm schon eine Erklärung geben, wenn er es für richtig hielte.
Diese ließ nicht lange auf sich warten. Sein Lehrer ließ sich am Rand des Übungsplatzes nieder und sah Rikyu an. Rikyu verstand und kniete sich ihm gegenüber auf den Boden – in respektvoller Entfernung, so wie es seinem Meister zukam.
Akimoto ergriff bald darauf das Wort. »Rikyu-san, heute ist der Tag, an dem du deine letzte Unterweisung von mir erhalten hast.«
Rikyu richtete sich auf, diese Mitteilung hatte ihn nun wirklich überrascht. Aber sogar jetzt sah er seinen Lehrmeister nur abwartend an.
»Meine Tage in diesem Leben sind abgelaufen.« Akimoto machte eine Pause und Rikyu fiel erst jetzt auf, dass der alte Mann schwer atmete – viel schwerer als früher. Eine Ahnung stieg in ihm auf, eine Ahnung, die ihn erschreckte.
Akimoto sprach weiter. »Das Letzte, von dem ich dir erzählen werden, wird die Bewahrung des Andenkens jedes CHOSON an seine Ahnen sein.«
Er legte erneut eine Pause ein. Dann berichtete er Rikyu, wie das Volk der CHOSON seine Toten behandelte, wie es ihrer gedachte. Er erklärte ihm, wie die CHOSON ihre Toten würdevoll aus dieser Welt entließen.
Er berichtete Rikyu vom Rad des Lebens, auf das jeder gebunden sei. Er sprach von Verdiensten und Verfehlungen aus früheren Leben und wie diese die Wiedergeburt beeinflussten.
Er erzählte von dem Bestreben jedes CHOSON, aus diesem Kreislauf entbunden zu werden und schließlich das Ziel zu erreichen, das Nirwana, das ‚Nichts’.
Akimoto schloss mit den Worten: »Rikyu-san, du bist ein Angehöriger der Familie der HOSHEI, ich gehöre zu den MORJ. Dennoch bin ich gewiss, dass du dafür Sorge tragen wirst, damit ich von meiner Familie auch nach meinem Weggang aus dieser Welt geachtet werde.«
Rikyu wollte aufbegehren und seinem Lehrer widersprechen – ein Ding der Unmöglichkeit für einen CHOSON. Darum siegte seine Selbstbeherrschung und er schwieg auch weiterhin.
»Wenn ich dereinst in ein neues Leben auf dieser Welt eintrete, hoffe ich, dass mir meine Bemühungen um dich angerechnet werden.« Akimoto holte tief Luft. »Dies waren meine letzten Worte an dich. Denke an das, was du gelernt hast.«
MORJ Akimoto, der Lehrer, verneigte sich so tief, dass seine Stirn den Boden berührte. HOSHEI Rikyu, der Schüler, erwiderte den Gruß in gleicher Weise.
Sie hatten Abschied voneinander genommen.
MORJ Akimotos Leben endete in der folgenden Nacht – friedlich und ruhig.
Rikyu hatte nicht viele Mühe, Santas-Gor davon zu überzeugen, dass der CHOSON ein Anrecht darauf hatte, nach den Gepflogenheiten seines Volkes bestattet zu werden. Die Korsaren rekrutierten sich aus so vielen unterschiedlichen Völkern, dass es eine Vielzahl von Zeremonien für alle Arten von Feiern gab, warum also nicht auch eine Totenfeier für einen CHOSON?
Rikyu sorgte zunächst dafür, dass MORJ Akimoto eine würdige Feuerbestattung erhielt. Mit der Asche verließ er den Stützpunkt der Freibeuter und streute sie vor dem geheimen Eingang ins Meer.
Die Strömung würde sie mit der Zeit nach Mir treiben.
Hätte man ihn in diesem Augenblick nach dem Warum gefragt, hätte Rikyu nicht zu antworten vermocht. Er hätte nicht erklären können, warum er diese Richtung für die richtige hielt, aber er wusste instinktiv, dass dem so war.
Der Körper Akimotos mochte nicht mehr existieren, das Angedenken an ihn würde Rikyu jedoch nicht verblassen. MORJ Akimoto hatte ihn zum CHOSON erzogen, ihm all das Wissen und die Einstellung vermittelt, die er jetzt als sein geistiges Bollwerk gegen die Widrigkeiten einbringen konnte, welche die Zukunft über ihn bringen würde.
HOSHEI Rikyu wandte sich vom Meer ab und ging zurück in den Korsarenhafen.
Er war jetzt bereit, sein weiteres Leben alleine zu bestehen.

**********

Der Kurs führte hinaus in die Strasse der Helden. Santas-Gor kreuzte dort auf einer Linie, die Händlerschiffe unbedingt passieren mussten, wenn sie die Meerenge von Arull passieren wollten. Nur auf diesem Kurs konnten sie sich bei einem plötzlichen Umschlagen des Windes von den gefährlichen Leeküsten freihalten, nur hier liefen sie nicht Gefahr, auf eines der zahlreichen Riffe aufzulaufen.
Dafür lauerten ihnen oft genug Korsaren auf, die natürlich ebenfalls um diese Gegebenheiten wussten. Doch alles half nichts, die Kapitäne hatten keine andere Möglichkeit.
Santas-Gor ließ sich Zeit. Er hatte es nicht eilig, denn er musste seine Opfer nicht suchen – sie würden zu ihm kommen. Er brauchte nur abzuwarten.
Bei den geringen Geschwindigkeiten, die er fuhr, brauchte er auch ein plötzliches Umschlagen des Windes nicht zu fürchten.
Auch der aufkommende Nebel beunruhigte ihn nicht. Er ließ zwar ein weiteres Reff stecken, wartete im Übrigen aber ab. Drei Posten saßen im Krähennest und hielten nach Segeln Ausschau.
Und sie kamen! In Luv tauchte plötzlich ein Mast auf, kam schnell näher. »Segel in Richtung auf uns aus Luv!« Der Posten brüllte seine Meldung herunter aufs Deck und augenblicklich herrschte emsiges Treiben unter ihm. Feuer wurden angefacht, um Brandpfeile verschießen zu können, die Boote wurden mit Wasser gefüllt und sämtliche erreichbaren Fässer ebenfalls. Dadurch stand im Notfall ein größerer Löschwasservorrat zur Verfügung. Außerdem konnten die Fässer und Boote auch gekippt werden und mit den Sturzseen evtl. enternde Feinde abgewehrt werden.
Jeder Korsar sah seine Waffen durch, kontrollierte die Spannung seiner Bogensehnen, wetzte vielleicht noch einmal die Klinge seines Entermessers oder seiner Axt nach, und griff probehalber nach seinem Dolch, um sich bereit zu wissen.
Aber die Aufregung legte sich schnell. Jeder der Mannschaft, Rikyu nicht ausgenommen, befand sich in Deckung, nur einige wenige, der Steuermann, die Ausgucke sowie ein Lotgast im Bug, der jedoch nicht lotete, blieben sichtbar.
Das fremde Schiff trug dunkle Segel. Es schien sich nicht um den Seeräuber zu kümmern. Auch bei dem Fremden waren nur wenige Mannschaften zu sehen, doch ehe sich Santas-Gor darüber Gedanken machen konnte, war er schon herangekommen.
Der Rudergänger hatte schon vorher seinen Befehlen gemäß Rammkurs genommen und der Bug zielte auf die Steuerbordseite des Opfers.
Da! Im letzten Augenblick schwenkte der Schiffskörper herum und ließ den Kaperer durch dieses überraschende Manöver an sich vorbeilaufen. Es geschah so schnell und vor allen Dingen so unerwartet, dass niemand an Bord des Korsaren noch rechtzeitig reagieren konnte.
Auf diese Weise kamen beide Schiffe nun längsseits zu liegen und die Korsaren nutzten die Lage, um das gegnerische Schiff zu stürmen. Doch sie kamen nicht weit.
Kaum waren sie auf dem fremden Deck gelandet, zischte aus der Takelage eine beachtliche Menge Speere und Lanzen herab, die vorher nicht sichtbar gewesen waren. Irgend jemand hatte an einem Tau gezogen und dadurch die Falle ausgelöst. Und die Spieße fanden ihre Ziele: von den etwa fünfzehn zuerst übergesprungenen Seeräubern überstanden nur vier unverletzt diesen ersten Gegenangriff, dem sogleich der zweite folgte.
Ein Pfeilhagel ging auf die inzwischen aus der Deckung hervorgekrochenen Männer hernieder und tötete weitere unter ihnen.
So erfolgreich der erste Angriff aber auch gewesen sein mochte, die Korsaren, die sich jetzt von ihrer Überraschung erholt hatten, verstanden ebenfalls zu kämpfen.
Sie drängten auf das gegnerische Deck. Zwar wehrten sich die Verteidiger verbissen und schickten noch manchen Angreifer ins Wasser, das sich alsbald vom Blut rötete. Doch schließlich erkannte auch der Kapitän des angegriffenen Schiffes, dass er keine Chance mehr hatte, dieser Übermacht noch Herr zu werden.
Er gab einen kurzen Befehl, der aber im herrschenden Durcheinander nicht beachtet wurde. Daraufhin wiederholte er ihn lauter, so dass die ihn Umgebenden ihn hörten und höchst verwundert zu ihm hinüberschauten. Seine Unaufmerksamkeit kostete einem weiteren Seemann das Leben.
Der Kapitän wiederholte seinen Befehl jetzt ein weiteres Mal, diesmal mit erheblich größerer Lautstärke und jetzt endlich wurde er verstanden.
Die Fremden traten plötzlich zurück, senkten die Waffen und beendeten so den Kampf.
Der fremde Kapitän kam auf Santas-Gor zu, den er als den Anführer erkannt hatte und drang mit einem Schwall Worte auf ihn ein, die Santas-Gor jedoch nicht verstand. Sein Gesprächspartner bemerkte dies sehr schnell und wechselte dann die Sprache, um auf Wolsi weiter zu reden.
»Warum überfallt ihr uns? Wir sind friedliche Kauffahrer aus Arakossum und haben keinerlei Angriffabsichten gegen Euch. Lasst uns friedlich unseres Weges nach Testar ziehen! Oder tragt ihr eine Fehde gegen einer meiner Leute? Nennt ihn mir und ich werde ihn befragen. Sollte er wirklich schuldig...«
»Dummes Geschwätz!« unterbrach Santas-Gor den Redeschwall seines Gegenüber, der ihm allmählich auf die Nerven ging. »Was habe ich mit einer billigen Fehde zwischen euch und uns zu schaffen! Ihr wart so freundlich, mir zu verraten, dass ihr Händler seid. Ich hoffe, dass Ihr genügend Waren mit euch führt, die wir gebrauchen können.
Überlasst sie uns und Ihr könnt Eures Weges ziehen. Überlasst sie uns nicht, dann holen wir sie uns selbst. Aber dann werdet ihr nicht mehr Eures Weges ziehen! Entscheidet Euch schnell, ich habe keine Lust, zu warten.«
Der andere mochte merken, dass es Santas-Gor ernst war und rief mit einem Blick einige seiner Leute herbei, um sich mit ihnen zu besprechen. Dabei fielen sie wieder in ihren Dialekt, den sonst keiner verstehen schien. Für den Merunen klang es wie Geschnatter.
»Nun?« Die Ungeduld Santas-Gors war kaum zu überhören. »Habt Ihr Euch entschieden?«
»Dass ihr Piraten seid, die kein Pardon kennen, weiß ich,« bekam er zur Antwort. »Schwört mir, dass Ihr das Leben meiner Leute verschont. Bei Scios, dieser Priester der Bruderschaft gab mir den schlechtesten Rat, den ich jemals erhielt, als er mir vorschlug, ich solle den Weg durch die Strasse der Helden nehmen. Möge er an seinen Hühnchen ersticken!«
Er atmete schwer. »Wie stehe ich jetzt vor meinen Leuten da, ohne Waren, ohne Geld, nur mit einem leeren Schiff? Niemand wird mir abnehmen, dass ich nur damit das Leben meiner Mannschaft retten konnte.«
Er gab sich einen Ruck. »Doch es bleibt mir keine andere Wahl!« Er holte tief Luft. »Ja, ich bin einverstanden. Nehmt meine Ladung und lasst uns dann ziehen.«
»Und ich schwöre, dass ich euch schonen werde. Keiner meiner Leute wird einen von euch töten. An Bord meines Schiffes seid ihr sicher.« Die Stimme des Seeräubers grollte ein wenig, er war ungeduldig.
Santas-Gor wandte sich seinen Leuten zu. »Kümmert euch um die Waren. Füllt unseren Laderaum damit. Aber lasst sämtliche Fässer geschlossen, gleichgültig, was sich darin befindet: Wein, Schnaps oder sonst etwas! Wer sich an der Ladung unbefugterweise zu schaffen macht, ist ein toter Mann!«
Er wandte sich wieder zu dem Fremden. »So, Kapitän, kommt mit auf mein Schiff, dort lässt es sich bequemer plaudern.« Er führte ihn in seine Kajüte und bot ihm einen Platz an, während die Ladung im Korsarenschiff verstaut wurde.
So sprachen sie eine Weile miteinander. Auf dem Oberdeck wurde es allmählich leiser, als sich die Ladearbeiten ihrem Ende zuneigten. Ein Klopfen an der Tür beendete die Unterhaltung.
Rikyu trat ein. »Die Ladung befindet sich in den Laderäumen des Schiffes, das andere ist leer. Die Mannschaft wartet.« Sprachs und ging wieder hinaus.
Santas-Gor und der gekaperte Kapitän folgten ihm. Der Korsarenchef wandte sich an einen seiner Männer. »Wie sieht es mit dem Platz unter Deck aus?«
»Gut, Herr! Wir haben alles aus dem anderen Schiff herübergeholt, was nicht angenagelt war. Der Platz hat gerade noch gereicht. Doch viel mehr hätten wir nicht übernehmen können. Wir sind voll.« Ein Aufstoßen gab seinen Worten eine zusätzliche Bedeutung, doch Santas-Gor ging nicht weiter darauf ein.
Mit einem verschlagenen Grinsen im Gesicht drehte sich der Korsar um. »Darf ich Euch nun bitten, Euch zusammen mit Euren Leuten an der Leereling aufzustellen?« Es war keine Frage, sonder mehr eine Aufforderung, die keinerlei Widerspruch duldete. Die Überfallenen gehorchten denn auch schweigend.
Santas-Gor richtet seine nächsten Worte an seine eigene Männer: »Kampfgefährten! Durch dieses Schiff«, er wies auf den verlassenen Rumpf, »durch dieses Schiff war es uns möglich, unsere Lademöglichkeiten bis an die Lukenunterseite auszunutzen. Wir haben keinen Platz für weitere Ladung.« Eine kleine Pause betonte die folgenden Worte.
»Wir haben hier ein schwerbeladenes Schiff, das sicher nach Hause gebracht werden will. Dazu brauche ich jeden einzelnen von euch. Wir haben hier aber auch eine Anzahl von Kämpfern, die uns nicht sonderlich wohlgesonnen sind.«
Ein dröhnendes Lachen belohnte ihn für seinen Scherz.
»Wenn wir diese 25 Leute auf unserem Schiff behalten wollen, muss ich dafür sorgen, dass sie keine Dummheiten anstellen können. Dazu brauche ich einige von euch. Ihr würdet mir also im Schiffsbetrieb fehlen. Das wiederum geht auf die Sicherheit aller.
Seht ihr eine Möglichkeit, dieses Problem zu lösen?« Er schaute in die Runde. »Antwortet!«
Betroffene Gesichter sahen ihn an. Sie gehörten sowohl den Ranabari als auch seinen Leuten.
»Ich sehe, dass Ihr den gleichen Gedanken habt wie ich selbst. Wenn ich keine Leute habe, die Wache gehen können, kann ich keinen Grund brauchen, überhaupt Wache gehen zu müssen. Wachen fallen flach!« Er steigerte seine Stimme. »Der Grund für diese Wachen steht hier. Schaffen wir ihn beiseite!«
Er holte Luft. »Über Bord mit ihnen!« Gleichzeitig mit seinen letzten Worten trat er einen Schritt auf den fremden Kapitän zu. Er bückte sich ein wenig, riss ihm die Beine unter dem Körper weg, um ihn in weitem Bogen über Bord zu werfen.
Das war das Signal. Johlend und schreiend stürzten sich die Korsaren auf völlig überraschten Mannschaft des fremden Schiffes und warfen sie ins Wasser. Das Geschrei der Opfer, die noch immer nicht so recht wussten, was mit ihnen geschah, verging schnell. Nicht viele von ihnen konnten schwimmen, die meisten versanken sofort.
Auch die Schwimmer trieben schnell ab und wurden leiser mit ihren Rufen, bis man auch sie nicht mehr hörte.
Schwer atmend blieb der Kaperer stehen und sah sich um. Seine Mannschaft stand hinter ihm, das wusste er. Jeder von ihnen freute sich über den gelungenen Coup, keiner machte sich Gedanken über das eben Geschehene. Auch der Kapitän selbst scherte sich keinen Deut um seine Tat.
Santas-Gor gab den Befehl, das fremde Schiff zu versenken und seine Mannschaft kam seiner Anordnung umgehend nach. Gurgelnd versank das Handelsschiff in den Fluten.
Er wandte sich zum Niedergang und trampelte die Stufen hinunter. Vor seiner Kajüte wartete Rikyu. Santas-Gor beachtete ihn nicht weiter und wollte eintreten, als ihm der CHOSON den Weg verstellte. Seine Augen glühten.
»Warum?« Nur dieses eine Wort sprach er.
»Warum? Was soll ich mich mit diesem Gesindel abgeben? Sie werden doch nur Ärger machen und uns in Trab halten. Letzten Endes hätte ich sie doch aufhängen müssen. Warum uns also lange damit abplagen? Warum den Ärger erst zum Ärger werden lassen?«
»Du gabst ihnen dein Wort!«
»Mein Wort, dass ich ihnen zusage, dass ihnen an Bord nichts geschehen würde.
Ich habe es gehalten. Kannst du mir einen einzigen nennen, dessen Leben ich ihm genommen habe? Liegt es nicht bei jedem einzelnen, sein Leben weiterzuführen oder unterzugehen?
Lass mich doch mit solchen Redensarten in Ruhe, Rikyu!« Er trat die Tür hinter sich zu.

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Einige Wochen später war Santas-Gor wieder mit seinem Kaperer auf See, diesmal lauerte er im Mir von Tanilorn auf Beute.
Der Kapitän grübelte über das Verhalten seines Pflegesohnes nach, der ihn einmal mehr verblüfft hatte.
Nachdem er ihn beim letzten Beutegang fast an Bord hatte zwingen müssen, hatte er diesmal nicht im Geringsten daran gezweifelt, dass sich Rikyu bei dieser Fahrt nicht mehr beteiligen werde.
Santas-Gor hatte ihm die Aufsicht über den Stützpunkt geben wollen. Damit hätte er ein erneutes Zusammenstoßen um ein paar Tage hinausgeschoben.
Nun, das war sein Gedanke gewesen, doch Rikyu hatte offensichtlich ebenfalls nachgedacht und war an Bord gegangen, ohne sich vorher in eine Diskussion mit seinem Pflegevater eingelassen zu haben. Er hatte wortlos seine gesamte Ausrüstung an Deck gebracht und war gerade mit dem Verstauen fertig geworden, als Santas-Gor ihn entdeckte.
Der Freibeuter wertete Rikyus Verhalten als Ergebnis eines Nachdenke-Prozesses und verkniff sich jeglichen Kommentar; er wollte Rikyu keinerlei Anlass geben, seine Entscheidung im letzten Augenblick noch einmal zu überdenken oder gar zu revidieren. Daher brummte er nur zustimmend und machte sich daran, die übrigen Vorbereitungen zum Auslaufen zu beaufsichtigen.
Santas-Gor hatte Recht, wenn er davon ausging, dass Rikyu lange nachgedacht hatte. Er hatte aber Unrecht, wenn er als Ergebnis annahm, dass sein Pflegesohn letztlich nachgegeben hätte und ihn nun unterstützen würde.
Das Schiff passierte die Höhe von Alalia in Tanilorn auf dem Weg in die See von Erewyn, dem Ziel dieser Fahrt.
Bisher war alles ruhig geblieben, die Besatzung begann bereits, sich zu langweilen. Rikyu war bisher nicht an Deck erschienen, Santas-Gor war es zufrieden.
Voraus war bereits Kap Phelorn mit den zahlreichen vorgelagerten Inseln in Sicht, weit in Wes Ydd konnte man Chara erahnen.
Der Wind frischte etwas auf und drehte leicht nach Est. Zwar schlugen die Segel noch nicht, doch Hartamos ließ dennoch neu brassen, um die größtmögliche Geschwindigkeit herauszuholen. Der Ex-Wolsi war immer auf der Hut, Santas-Gor konnte sich auf ihn verlassen.
Kap Phelorn lag nun hinter ihnen und der Merune ließ mehrere Reffs stecken. Es blieb gerade genug Segelfläche an den Rahen, damit das Schiff manövrierfähig blieb.
Auf diese Weise war das Schiff schwerer von anderen Schiffen zu entdecken. Nackte Masten lassen sich nun mal nicht so leicht erkennen wie pralle Segel.
Nun begann das Lauern auf Beute, auf Schiffe, die den zahlreichen Inseln und Inselchen um Kap Phelorn ausgewichen waren und nun wieder ihrem eigentlichen Kurs folgten.
»Schiff in Sicht aus Est! Kurs Wes!« Mit einem Satz, der einem Jaguar Ehre gemacht hätte, war der Kapitän oben. Ein kurzer Blick zum Ausguck zeigt ihm die genaue Richtung. »Schiff zeigt tarcysche Flagge.« Das war wieder der Ausguck. »Bug zeigt auf uns!«
»Die wollen etwas von uns, Herr.« Hartamos stand neben seinem Vorgesetzten. Er wandte sich zum Rudergänger. »Wenden und ihnen entgegenfahren!«
»Belege Befehl!« Santas-Gors schneidende Stimme ließ seinen Stellvertreter zusammenzucken.
»Was soll der Unsinn!« Santas-Gor wirkte verärgert. Hartamos duckte sich noch etwas mehr. »Denk zur Abwechslung doch mal nach! Hat uns das Schiff schon gesehen?« – »Wohl nicht. Sein Kurs ist noch unverändert« – »Wohin will es demnach?« »Nach Worm oder Timenon, glaube ich.« – »Glauben kannst du bei deinen Göttern, wenn es dir Spaß macht, bei mir ist Wissen angesagt. Aber du hast recht.« Santas-Gor macht eine kleine Pause und blickte wieder zum Ausguck.
»Welche Flagge zeigt das Schiff dort hinten?« – »Tarcy«, kam kleinlaut die Antwort.
»Dann kennst du deine Aufgabe, Hartamos.« Damit war für Santas-Gor die Angelegenheit erledigt und er überließ es seinem Stellvertreter, die Verfolgungsjagd einzuleiten.
Dieser erteilte auch sofort neue Befehle. Die Segel an den Rahen wurden gelockert, blieben aber noch gerefft. Die Männer warteten auf den Rahen. Hartamos wartete auf den Ruf des Ausgucks. Das Schiff wartete auf den Gegner.
»Schiff ändert Kurs! Dreht auf Mir zu Est!« Sofort kam Leben in den Korsaren. Seine Befehle gellten über das Deck. Die Männer ließen die Segel von den Rahen herab, schlugen kurz back, wurden angebrasst und kamen steif. Das Schiff nahm Fahrt auf, seiner Beute hinterher.
Der fremde Kapitän hatte allerdings das Setzen der Segel auf dem Korsarenschiff richtig gedeutet und holte jeden Fetzen Segeltuch hervor, der er finden konnte.
Doch schon bald musste er einsehen, dass der Kaperer das Wettrennen beim gegenwärtigen Wind gewinnen würde. Der Tarcyer war deutlich langsamer.
Und jetzt, bei steifem Wind aus Est, zeigte sich endgültig, dass der Korsar das bessere Schiff hatte. Santas-Gor konnte dichter an den Wind gehen und auch in Sachen Geschwindigkeit einiges wettmachen. Zudem vermochte er die einzelnen Schläge zwischen den Wendemanövern länger auszudehnen als sein Gegner.
Schließlich war es soweit. Der Fremde geriet in den Windschatten. Die Korsaren legten sich genauso dicht neben den Tarcyer, wie sie es vorher mit dem Händler aus Ranabar angestellt hatten.
Wieder enterten sie. Doch diesmal rissen keine Speere aus den Wanten blutige Löcher in die Reihen der Korsaren, die wieder stürmten. Diesmal hielten ihre Äxte und Entermesser reiche Ernte unter den Feinden.
Doch so viele auch niedergemacht wurde, immer neue Gegner standen den Freibeutern gegenüber. Machten sie einen nieder, traten zwei neue an seine Stelle.
Dieser Übermacht konnten auch die Korsaren nicht allzu lange standhalten, ganz allmählich wurden sie zurückgedrängt.
Santas-Gor hatte sich wie immer eine Stelle gesucht, von der aus er Übersicht über den Verlauf des Kampfes hatte. Er sah, wie immer neue Gegner aus den Luken und Niedergängen kamen und in den Kampf eingriffen. Doch viel Zeit, darüber nachzudenken, blieb ihm nicht, auch er musste sich gehörig wehren.
Schließlich, als der Kampf ihm eine kleine Pause gönnte, verstand er, was geschehen war. Die Gesichter der Gegner war typisch: Tanilorner!
Offenbar war er an einen Kapitän geraten, der flüchtende Tanilorner außer Landes brachte. Kein Wunder bei den Unruhen um Fliegengötter und andere zweifelhafte Erscheinungen.
Dies erklärte auch, warum seine Leute diesmal nicht recht Fuß fassen konnten, warum sie zurückgedrängt wurden. Dieses Schiff konnte die dreifache Menge derer aufbieten, die er als Mannschaft zur Verfügung hatte.
Dieser Übermacht war er nicht gewachsen. Zum Teufel auch! Warum musste er gerade jetzt diesem Transport in die Quere kommen!
Plötzlich aber kniff er seine Augen zusammen, so dass er einer Katze verzweifelt ähnlich sah. Wenn ihn seine Sinne nicht gänzlich im Stich ließen, dann kannte er den Kämpen dort am Mast.
Rikyu!!!
Doch er focht nicht gegen die Tanilorner, er befand sich in deren Reihen, er kämpfte für sie!
Rikyu hatte sich auf die Seite der Feinde geschlagen! Santas-Gor konnte und wollte seinen Augen nicht trauen, seine Knie drohten nachzugeben.
Das Schwert, das der CHOSON vor Jahren von seinem Lehrmeister erhalten hatte, brachte jetzt seinen eigenen Leuten den Tod. Immer wieder blitzte die Klinge auf, immer wieder sank einer der Korsaren zusammen, fand einer von ihnen den Tod.
Santas-Gor war nicht mehr in der Lage, weiter zu kämpfen. Er starrte wie gebannt zum Mast, sah zu, wie seine Männer fielen. Bilder aus längst vergangenen Zeiten tauchten vor seinem inneren Auge auf, Bilder aus den Tagen, in denen der Vater seines Sohnes, seines Pflegesohnes, ebenfalls am Mast stehend, kämpfte und niemand sein Tun beenden konnte. Da, soeben sank der vorletzte seiner Gegner zusammen, er war in einen blitzschnellen, kaum erkennbaren Aufwärtsstreich gelaufen, dessen Wirkung erst Sekunden später sichtbar wurde. Der CHOSON ließ den Arm...
Ein Geräusch ließ Santas-Gor herumfahren, sein Arm mit dem Schwert schnellte nach oben. Der fremde Kapitän hatte sich von hinten an ihn herangeschlichen und wollte ihm nun den Garaus machen. Zwar konnte der Korsar den tödlichen Hieb noch abfangen – er traf nur seine Schulter. Doch er wusste sehr gut, dass auch diese Verwundung ihn töten würde, denn er war nun nicht mehr voll einsatzfähig gegen diesen rasenden Gegner vor ihm. Blindlings stieß er mit seiner Klinge vor, fühlte Widerstand und setzte nach. Ein Gurgeln signalisierte ihm den Erfolg seines Ausfalls. Er wollte nachsetzen und den letzten Stich tun, doch – seine Kraft war gewichen. Er konnte sein Schwert nicht mehr heben, die auf ihn niedersausende Klinge nicht mehr abwehren.
Tief biss der Stahl in seinen Arm, glitt weiter, öffnete seine Seite. Ein Blutstrahl spritzte auf das Deck, mehr als einen Finger dick, und Santas-Gor fiel in sich zusammen, wohl wissend, dass er nur das Los seiner Männer geteilt hatte. Keiner von ihnen hatte überlebt, er war der Letzte. Die Kraft entwich ihm.
Doch das Schwert seines Gegners war noch nicht zur Ruhe gekommen. Der Stahl fuhr weiter und schnitt sich in eine Talje. Der Block, durch den sie lief, kam frei und sauste nach oben. Dafür kam die zugehörige Rah nach unten. Sie schlug auf Deck auf, zermalmte einige Belegnägel auf der Bank und schnellte dann herum.
Santas-Gor sah sie kommen, vermochte ihr aber nicht mehr auszuweichen, sein Blutverlust hatte ihn bereits zu sehr geschwächt.
So erwischte ihn das Ende der Rah unmittelbar unter seiner Verwundung, um diese noch zu verschlimmern. Der Korsar wurde gegen den Mast geschleudert und spürte Rippen brechen.
Verschwommene Bilder wallten vor seinen Augen auf, Bilder aus längst vergangenen Zeiten. Er sah sich selbst am Mast liegen und eine Rah über dem Unterleib. Nein, das war nicht er selbst, das war ein anderer.
Er versuchte, die Bilder klarer zu bekommen. Schließlich konnte er das Gesicht des Verletzten erkennen – Rikyu.
Nein, nicht Rikyu, verbesserte er sich sofort. Dieser Mann war älter, aber wer war er?
Mit einem Mal schlug die Erkenntnis wie ein Sturmbrecher über ihm zusammen.
Vor vielen Jahren hatte ihm gerade dieser Mann seinen leiblichen Sohn überlassen. Der Vater von Rikyu war genauso gestorben wie er, Santas-Gor, jetzt von der Bühne des Lebens abtreten würde.
Lange Sekunden lag er da, dann riss er sich zusammen. Mühsam öffnete er die Augen und sah Rikyu, der den Kampf eingestellt hatte. Er versuchte, ihm zu winken. Eine müde schwache Geste wurde daraus, mehr nicht, doch sie genügte. Rikyu kam heran.
»Rikyu, warum hast du gegen mich gekämpft? Warum stellst du dich gegen uns?«
»Warum stellst du dich gegen die Menschlichkeit? Warum betrügst du Menschen um ihr Leben, das sie dir abkaufen wollten? Warum benimmst du dich nicht wie ein Mensch?« Die Gegenfragen kamen sachlich, scheinbar ohne Anteilnahme an seinem Schicksal aus dem Mund seines Pflegesohnes.
»Rikyu, du weißt es, ich weiß es auch: ich werde sterben. Sag mir noch eines: war ich nicht immer wie ein Vater um dich besorgt, wollte ich nicht immer nur das Beste für dich? Was ist es, das dich davon abhält, mich ‚Vater’ zu nennen? Was ist es? Was?« Die Worte hatten ihn angestrengt, er keuchte.
HOSHEI Rikyu kniete nieder und nahm den Kopf seines Pflegevaters in seine Hände. Bewegt sah er in bleiche, zusammengefallene Züge. Der Körper des Korsaren zog sich krampfartig zusammen, entspannte sich dann wieder. Seine Augen öffneten sich.
»Vater!« Die Augen brachen, der Kopf fiel zur Seite, der Körper erschlaffte. Der Korsar war tot. Er hatte die Erfüllung seiner letzten Bitte nicht mehr mitbekommen. Wirklich nicht?!?
Ein seltsames Gefühl befiel den jungen Krieger. Wehmut ist dabei, Bitterkeit, auch Einsamkeit. Er bleibt ruhig sitzen, versucht nicht, die Gefühle abzuwehren. Eine Weile verharrt er so, dann lässt er den Kopf des Toten auf das harte Deckholz gleiten, richtet sich auf und schaut sich um. Er befindet sich wieder in der Realität.


Die Tarcyer hatten es geschafft, während des Kampfes auf den Kaperer zu gelangen und dort Feuer zu legen. Jetzt zeigten sich die ersten Flammenzungen und machten auch dem letzten Korsaren klar, dass ihr ärgster Feind nicht ein gegnerischer Degen oder ein Schwert war, sondern das alles verzehrende Feuer.
Der Kampf war beendet. Die Taue, die sich zwischen den beiden Rümpfen spannten, wurden gekappt und die Schiffe kamen voneinander frei.
Nein, der Kampf war noch nicht vorbei. Als sich die Schiffe wieder frei bewegten, kam Bewegung in einen der Liegenden. Er hatte seine Finger um ein schartiges Schwert gekrallt und schlug jetzt wild um sich. Der junge CHOSON musste erneut sein Schwert ziehen und die Hiebe abwehren. Der Fremde war in seinem Blick behindert und schien nur so viel zu sehen, dass sein Gegner nicht von seinem eigenen Schiff stammte. Das schien ihm zu genügen.
Aus einer Stirnwunde lief ihm Blut über die Augen und behinderte ihn noch mehr. Wild drang er auf Rikyu ein, der sich kaum zu helfen wusste, da er den Gegner nicht töten wollte. Mit dem Mut der Verzweiflung griff der Tanilorner immer wieder an. Endlich gelang es Rikyu, ihm einen Hieb mit der Breitseite des Kenzen zu versetzen und ihn damit ins Land der Träume zu schicken.
Die Mannschaft des fremden Schiffes hatte dem Kampf zugesehen, sie wusste inzwischen, dass sich der Fremde gegen die Korsaren gestellt hatte, also ein Freund von ihnen sein musste, ein Freund der Tanilorner.
Müde schob Rikyu die Klinge wieder in das Saya, während andere herbeisprangen und sich um seinen Gegner bemühten, den die Ohnmacht wohltätig umschlungen hielt.
Er wurde unter Deck gebracht, niemand belästigte Rikyu mit Fragen. Der CHOSON fand endlich Zeit, über das Geschehen nachzudenken. Er legte Rechenschaft vor sich selbst ab.
Warum hatte er sich gegen seine bisherigen Kameraden, gegen seinen Pflegevater gestellt? Warum kämpfte er auf der Seite der Fremden? Warum hatte er den jungen Mann nicht töten wollen, obwohl dieser ihn so hart bedrängt hatte?
Rikyu ahnte, dass die Antwort auf alle diese Fragen im Verhalten von Santas-Gor lag, der die Ranabari so schmählich hintergangen hatte. Bei diesem Verrat war etwas in ihm zerbrochen, ein letzter Halt. Dieser fehlte ihm nun.
Gleichzeit wusste der CHOSON aber auch, dass er jetzt noch keine endgültige Antwort auf seine Fragen finden würde. Diese würde erst die Zeit ihm geben. Er öffnete die Augen.
Auf seine Fragen - sein Wolsisch war ausreichend - wies man ihm den Weg zum Krankenlager seines Gegners. Bereitwillig öffneten sich ihm die Türen und gleich darauf war er allein mit ihm. Er setzte sich nieder und wartete.
Irgendwann öffnete der Kranke die Augen und sah sich suchend um. Jede Bewegung schien ihm Schmerzen zu bereiten, doch er ignorierte sie, so gut es eben ging. »Wer – wer seid Ihr?« fragte er mühsam. Das Sprechen fiel ihm noch schwer. Rikyu antwortete ihm.
»Man nennt mich HOSHEI Rikyu. Ich gehöre dem Volk der CHOSON an.«
»CHOSON? HOSHEI? Nie gehört.«
»Die CHOSON leben für sich auf einer Reihe von Inseln. Wir mischen uns nicht in Angelegenheiten anderer. Es ist gut möglich, dass Ihr noch nichts von unserem Volk gehört habt.«
»Verzeiht, wenn meine Worte barsch klangen. Es war nicht meine Absicht«, beeilte sich der Fremde zu beschwichtigen. »Ich bin Tirson aus Tanibar auf der Flucht vor den Merunen, die ganz Tanilorn besetzt haben. Meines Bleibens dort war nicht länger, ich hätte keine Dekade mehr überlebt.«
Tirson versuchte sich aufzurichten, doch noch fehlte ihm die Kraft dazu. Rikyu sprang hinzu und half ihm. Der Tanilorner hielt sich an einem Balken in der Kajüte fest und sah den CHOSON an.
»Viel hätte wohl nicht gefehlt und ich hätte diese Tage trotzdem nicht überstanden, wie?« Fragend blickte er sein Gegenüber an.
Rikyu verstand den Blick und berichtete über ihren Kampf, wie er schließlich die Auseinandersetzung beendete und Tirson betäubte.
Dieser fuhr sich mit der Hand über den Hinterkopf und verzog schmerzlich das Gesicht, als er die hühnereigroße Beule berührte, die die Antwort auf Rikyus Flachhieb war. »Soso, nur betäuben wolltet Ihr mich, heh? Hätte es nicht auch ein geringerer Hieb getan?«
»Möglich«, gab Rikyu zu, fragte dann aber wieder nach der Flucht. »Wie erging es Euch auf dem Schiff?«
»Auf welchem ... ach so, ja. Höllisch eng war es hier, der Kapitän wollte wohl des Guten zu viel tun und nahm fast doppelt so viele auf, wie er eigentlich verantworten konnte. Vielleicht war es ihm ja auch um das Gold zu tun, das er von jedem abkassierte, bevor er ihn aufs Deck und ins Schiff ließ.
Auch von mir hat er sich bezahlen lassen, wenn die meisten Goldstücke auch nicht meinem eigenen Beutel angehörten. Dennoch blieb mir nicht mehr viel. Wir wollten nach Tarcy hinüber, um von dort aus eine Möglichkeit zu suchen, unser Land wieder frei zu bekommen. Lange können sie sich ohnehin nicht halten, die Herren Besetzer.«
Erneut verzog er das Gesicht. »Mehr gibt es eigentlich für den Augenblick nicht zu sagen. Vielleicht erzähle ich Euch später etwas mehr? Doch wie kommt es, dass Ihr plötzlich auf diesem Schiff seid?«
Jetzt war es Rikyus Sache, zu berichten. Er gab bereitwillig Auskunft, erzählte seine Geschichte, immer wieder unterbrochen von Tirson, der ohne Zwischenfragen offensichtlich nicht auskommen konnte. Auch der Tanilorner erzählte mehr von sich.
In den folgenden Abenden und Nächten an Bord lernten sich die beiden so ungleichen Charaktere kennen und schätzen und schließlich wurden sie Freunde.
Siebzehn Tage nach dem Überfall legten sie in Tarcy an. Rikyu und Tirson verließen gemeinsam das Schiff. In einer Herberge quartierten sie sich ein. Tirson besaß noch einige Goldstücke, von denen sie lebten und auch der CHOSON konnte noch einige Goldstücke seines Pflegevaters beisteuern.
Lange Gespräche drehten sich um die Handhabung von Waffen. Tirson lernte von Rikyu den Gebrauch des Jittedolches und brachte es darin zu beachtlichen Leistungen.
Jeden Tag gingen sie zum Hafen hinunter und suchten nach neu angekommenen Schiffen, um die neuesten Nachrichten aus Tanilorn zu erfahren. Im Laufe der Zeit wurden diese auch erfreulicher und schließlich hielt es Tirson nicht länger aus.
»Rikyu, wenn ich noch weiter in diesem Nest herumsitze, kann ich für nichts mehr garantieren. Ich muss einfach etwas tun, um meinem Land zu helfen. Gestern habe ich von einem Matrosen eines Fischkutters Neues über Celdar Rusius gehört. Er will ein Heer aufstellen, das er später nach Tanilorn zu dessen Rückeroberung führen will. Ich werde mich ihm anschließen. Vielleicht kann er mich gebrauchen.« Seine Stimme klang hoffnungsvoll.
»Tirson, mein Freund, wenn du weißt, was du tun musst, dann hast du es besser als ich. Meine Bestimmung ist mir noch nicht klar geworden.« Rikyu stand auf. »Ich wünsche dir, dass deine Träume und Erwartungen in Erfüllung gehen. AMIRADA-KAMI sei mit dir und wache über dich.«
Tirson schluckte. »Wir werden uns wiedersehen – unter einem günstigeren Stern, Rikyu. Bis dahin, lebe wohl, möge Tan über dich wachen!«
Ein kurzer, kräftiger Druck seiner Hand, den Rikyu zurückgab.
Tirson wandte sich um und ging mit festen Schritten davon, ohne sich noch einmal umzusehen. Doch klangen seine Schritte nicht etwas zögernd, trotz allem? Rikyu würde es nicht mehr erfahren.
Er griff nach dem Kenzen, rückte es zurecht und wandte sich ebenfalls um. Was nun? Er wusste es nicht.
Zunächst einmal würde er in die Herberge gehen und dort seine Schulden begleichen. Dann war er zumindest unabhängig. Was er danach anfangen sollte, nun, das würde sich schon finden.
Rikyu setzte sich in Gang.

**********

Die nächsten drei Wochen waren ein einziges Herumlungern in der Stadt, am Hafen, im Landesinneren. Doch immer wieder zog es ihn zum Wasser. Es ließ ihn einfach nicht los.
Golden versank die Sonne im Meer. Es funkelte. Die See schien zu brennen, doch die Sonne erlosch noch nicht. Sie kämpfte um ihr Licht, wusste sie doch genau, dass sie schließlich nachgeben musste.

Rikyu sog diese Bilder in sich auf. Sie vermittelten ihm ein Gefühl innerer Zufriedenheit, innerer Ausgeglichenheit. Er würde aufs Meer hinausfahren.
Ja – das würde er, wenn er auch nicht zu sagen vermochte, woher dieser Entschluss so plötzlich gekommen war. Es schien beinahe so, als hätte ihm jemand diesen Gedanken in den Kopf gesetzt. Doch war die Entscheidung jetzt getroffen. Er jedenfalls, HOSHEI Rikyu, würde sie nicht mehr ändern.
Und als hätte wirklich jemand auf diese Reaktion gewartet, fühlte sich der junge Mann plötzlich viel leichter. Ein Druck, den er gar nicht so richtig wahrgenommen hatte, war verschwunden. Fast schon beschwingt wandte er sich um, nachdem die Sonne vollständig im Meer versunken war. Langsam ging er zu seiner Unterkunft, zur Herberge, in der er sein Quartier aufgeschlagen hatte. Er überlegte.
Um aufs Meer fahren zu können, brauchte er ein Schiff oder ein Boot. Ein Schiff wäre zwar besser gewesen, doch das war unbezahlbar für ihn. Ein Boot war da schon leichter zu bekommen, doch er durfte nicht nur an das Boot denken.

Auch Vorräte und anderes mehr war zu besorgen, denn er wusste ja nicht, wohin er segeln und wie lange er kein Land mehr betreten würde. Das aber bedingte gleichzeitig, dass er ohne jede Begleitung zu fahren hatte. Proviant und Ausrüstung konnte er ohnehin nur für sich selbst besorgen und die unbekannten Gefahren wollte er niemandem zumuten, den er nicht kannte, auf den er sich nicht verlassen konnte. Er kramte in seinem Ärmel und förderte nach einigem Suchen schließlich zwei Goldmünzen zu Tage, mehr nicht.
Die Stirn runzelnd, fragte er sich, ob er für dieses Gold ein kleines Boot und eine Ausrüstung bekommen könnte. Beziehungen hatte er hier nicht und anderenorts war er nicht einmal bekannt.
Er unterbrach seinen Heimweg und versuchte sein Glück sofort.
„Verzeiht, Schiffer, könnt Ihr mir vielleicht sagen, wo ich ein gutes Boot bekommen kann?“ wandte er sich an den nächsten Seemann, der seinen Weg kreuzte. Ein unwilliges Brummen war die einzige Antwort, dann war er vorbei.
Er versuchte es von neuem, indem er seine Frage an einen Mann richtete, der mit Fischernetzen handelte. Diesmal hatte er mehr Glück. Der Händler richtete sich kurz auf und wies mit dem Daumen die Straße entlang. „Wende dich an den Wirt der Taverne dort. ‚Stolz von Tarcy’ heißt sie zwar, ist aber nicht so stolz. Dort wirst du schon jemand finden, der dir einen Kahn gibt.“ Mit diesen Worten war Rikyu abgemeldet, der andere beachtete ihn nicht mehr.
Der CHOSON machte sich auf den Weg und fand die besagte Kneipe. Bevor er jedoch eintrat, rückte er sein Kenzen zurecht. Dann bückte er sich, um den niedrigen Eingang zu passieren, ohne sich den Kopf anzustoßen.
Drinnen sah er sich um. Die Luft bestand zum größten Teil aus Qualm und Rauch, die Tische waren gut besucht, Platz war nicht zu finden.
Er drückte sich auf eine Bank, auf der nicht ganz so viele Leute saßen wie auf den restlichen. Das heraneilende Schankmädchen bedachte er mit einem freundlichen Blick, bevor er sich einen Krug Wein bestellte. „Und sag dem Wirt, ich möchte gerne ein paar Worte mit ihm wechseln,“ rief er ihr hinterher. Er lehnte sich zurück.
Der Wirt brachte den Krug selbst und setzte sich zu ihm. „Ihr wolltet mich sprechen?“ begrüßte er ihn. Rikyu nickte. „ Ja., guter Mann, ich bitte um eine Auskunft von Euch. Ein Händler draußen nannte mir Euren Namen, als ich nach einem Boot fragte. Er meinte, Ihr wäret sicher so freundlich, mir weiter zu helfen.“ Er machte eine Pause
„Doch trinkt doch zunächst!“ forderte er ihn auf, als sein Gegenüber zum Sprechen ansetzte. Dieser ließ sich das nicht zweimal sagen und tat Rikyu Bescheid. Dann antwortete er.
„Sicher, Euer Informant hat recht, wenn er meint, dass hier ab und zu mal jemand einen Becher trinkt, der auch Boote vermietet.“ Er sah sich um, schien aber den Gewünschten nicht zu finden.
„Wenn der rote Larsaf as Velor da wäre, Fremder, könnte ich Euch wohl helfen. Er hat, soweit mir bekannt ist, die besten Boote zur Verfügung. Allerdings kommt Larsaf nicht oft hierher.“ Er sah sich noch einmal um, stand sogar auf, um über die Köpfe hinweg blicken zu können. Doch auch jetzt sah er den Gesuchten nicht.
„Ah, das wäre auch eine Möglichkeit“ schien ihm eine Idee zu kommen, dann blickte er Rikyu prüfend an. „Diese Sache jedoch hat einen Haken.“
Der Angesprochene brauchte gar nicht erst hinzusehen, er wusste auch so, dass der Wirt die überall bekannte Bewegung des Geldzählens machte. „Die Auskunft kostet Euch etwas. Umsonst kann ich sie Euch nicht geben...“
Er brach ab und wartete auf Rikyus Antwort. Sie bestand aus einer Kupfermünze. Der Wirt drehte sie hin und her, um in dem diffusen Licht den Wert erkennen zu können. Es waren 2 Kupfer-Lant. Ein Grinsen stand auf seinem Gesicht, als er den Kopf wieder hob.
„Kommt!“ Er erhob sich. Rikyu folgte ihm in ein Nebenzimmer, die Hand am Schwert. Doch diese Vorsicht war nicht notwendig. Auch in diesem Raum saßen Männer und tranken. Doch diese Leute gehörten nicht zu dem Volk, das sich um die Plätze im großen Raum drängte. Hier waren die Tische nicht überfüllt.
Der Wirt führte seinen Gast zu einem Tisch an der Seite des Raumes. Dort wies er auf einen kleinen Mann, der eben einen neuen Krug vorgesetzt bekam. „Mit dem da werdet Ihr Euch schon einig werden, denke ich.. Er hat meistens ein paar passende Boote zur Hand. Thorn wird Euch helfen.“ „Habt Dank für Eure Hilfe.“ Rikyu verabschiedete sich vom Wirt, der sich wieder in den Vorderraum verdrückte.
„Verzeiht, wenn ich Euch als Fremder anspreche“, begann er, als er wieder am Tisch war, an dem der Bezeichnete saß. „Der Wirt meinte, Ihr würdet mir helfen, Thorn“ – „So, meinte er das?“ Ein verschmitztes Lachen stahl sich in seine Züge. „Und aus welchem Grund sollte Ich Euch helfen? Was sucht Ihr hier“
Rikyu ließ sich nicht beeindrucken. „Ich suche ein Boot, das hochseetüchtig ist.“ Es war vielleicht am besten, sofort seine Vorstellungen klarzumachen. „Ich muss ein paar Tage hinausfahren.“ – „Ein paar Tage? Du allein?“ Er wartete die Antwort nicht ab, sondern winkte ihm zu.
„Setz dich!“ Er überlegte. „Wie weit soll's denn hinausgehen?“ „Das ist noch unklar. Es kommt auf die Verhältnisse an.“ „Was anderes: Kannst du mit Segeln umgehen? Hast du Erfahrung im Seehandwerk?“ „Es wird reichen“, bekam er als Antwort.“
„Wenn du 60 Silber-Lant bezahlst, würde ich mich von der Lythande trennen können, sofern du dich nach einer Woche wieder blicken lässt. Nun, wie steht's?“
60 Lant! Rikyu dachte an die beiden Goldmünzen in seinem Ärmel. Das eine war eine Münze von 50 Silber-Lant, die andere war 30 wert. Es würde wohl reichen, doch für Proviant war dann nicht mehr viel Platz.
„60 Lant? Ich möchte ein Boot mieten, und nicht eine ganze Galeere mit Mannschaft und Kapitän kaufen! Auf diese Weise kommen wir nicht ins Geschäft!“ lehnte er ab.
Der CHOSON machte Anstalten, aufzustehen und zu gehen. Sofort griff Thorn nach ihm und zog ihn wieder auf die Bank.
„Wer wird denn gleich beleidigt sein? Scherze machen kannst du ja! 60 Silber-Lant für eine vollständige Galeere!! Haha, das hat mir schon lange niemand mehr geboten!“ So klein der Bootsverkäufer auch sein mochte, sein Bauch wackelte doch recht munter, während sein Besitzer über den vermeintlichen Witz lachte. Langsam beruhigte er sich wieder.
„Ich kann doch ein Schiff nicht für 3000 Kupfer-Lant, für 30 ganze Silber–Lant kaufen und es dann für ein Fünftel weitergeben!“ Er unterbrach sich und schaute Rikyu misstrauisch an. „Oder war das kein Witz?“
Der CHOSON blieb unbeeindruckt. Er antwortete nicht direkt auf Thorns Frage. „Wenn ich ein kleines Boot miete und nicht kaufe, möchte ich das Objekt vorher sehen. Eher mache ich keinen Preis fest. Sollte es in Ordnung sein, lasse ich mich vielleicht erweichen, 30 Lant dafür anzulegen. Dafür will ich dann aber ein Boot bekommen, das ein paar Wellen verträgt und annehmbare Segeleigenschaften aufweist. Sonst kommen wir nicht zueinander. Ich...“ Thorn raufte sich die Haare. „30 Lant für meine Lythande!! Das kann ich ihr nicht antun. Das kann ich nicht.“
Er stöhnte vernehmlich und musste sich mit einem großen Schluck aus seinem Becher stärken. Danach rülpste er.
„Aber dein Gedanke ist nicht so übel. Vielleicht sollten wir uns mein Glanzstück wirklich einmal ansehen. Dann siehst du sicher ein, dass die 55 Lant nicht zuviel sind.“ Noch einmal setzte er den Becher an, leerte ihn und füllte sofort nach. Auch Rikyu bediente sich noch einmal aus dem Krug und trank.
Dann standen sie beide auf. Thorn machte den Führer. Drei, vier Querstraßen weiter bog er ab und machte erst wieder halt, als die Gasse am Wasser endete. Hier öffnete er ein Hoftor und winkte Rikyu zu sich. „Hier, mein Freund! Siehst du meine Lythande?“ Plötzlich schien ihm etwas einzufallen. „Sag mal, du hast mir noch nicht gesagt, wie du heißt. Willst du mir nicht sagen, mit wem ich mich streiten muss?“
„Mein Name ist HOSHEI Rikyu. Ich komme aus Al Marun.“ Mehr sagte Rikyu nicht.
„HOSH was?“ Der Name brach Thorn auf der Zunge. „HOSHEI Rikyu“, half der CHOSON aus. „Nie gehört. Komische Namen haben die Merunen jetzt. Ts, ts, ts!“ Kopfschüttelnd schloss er das Tor.
„Ich stamme nicht aus Al Marun“ „Nicht? Woher kommst du dann? Welches Volk hat denn so verrückte Namen?“
Ein leises Geräusch ließ ihn zurückzucken. „Nein, nein, ich hab's ja nicht so gemeint. Dein Name klingt gar nicht so verrückt, wenn man sich's genau betrachtet. Deswegen brauchst du dich doch nicht so aufzuregen.“
Thorn war sehr ängstlich geworden. Offenbar hatte er schlechte Erfahrungen mit Waffen im Halbdunkel gemacht. Rikyu zögerte noch, aber dann ließ er sein Schwert wieder zurückgleiten.
Auch er befasste sich jetzt mit dem Boot, dessen Umrisse im Hof zu erkennen waren. Es schien auf einem Gestell zu ruhen, mit dem es leicht zu Wasser gebracht werden konnte. So weit Rikyu erkennen konnte, handelte es sich um eine Art Lugger, ein kleineres Boot also, jedoch ausreichend für sein Vorhaben.
„Das soll dein bestes Boot sein? Ein Boot, das an Land verrottet? Das ist ja nicht einmal 20 Lant wert. So etwas kann ich nicht brauchen. Wenn du nichts Besseres zu bieten hast, dann...“ – „Nein, nein, so darfst du das nicht sehen. Die Lythande war vorige Woche noch im Wasser. Ich habe sie reparieren lassen. Jetzt ist sie wieder wie neu.“
„Repariert? Was denn?“ - „Äh, der Boden war zu bewachsen, ich habe ihn abgekratzt.“ Das klang nicht sehr überzeugend, doch Rikyu ließ es darauf beruhen.
40 Lant und keinen mehr! Dafür bin ich in zwei Wochen wieder da.“
„Unmöglich! Wovon soll ich denn die ganzen Kosten bezahlen, die ich durch das Boot habe? Zum Leben bleibt mir dann überhaupt nichts mehr. Das geht nicht!“
Jetzt hob ein langes Feilschen an, In dessen Verlauf sich beide Seiten nichts schenkten. Thorn wurde immer nervöser und unsicherer, während der CHOSON allmählich seine Ruhe wiederfand und der Tarcyer schließlich bei einem Preis von 46 Lant zustimmte. Rikyu verlangte noch ein Segel als Reserve und musste dafür weitere 50 Kupfer-Lant zahlen.
Schließlich überredete er Thorn noch dazu, ihm das Boot am nächsten Tag zu Wasser zu lassen und es mit Proviant und einigen Ausrüstungsgegenständen zu versehen, die Rikyu ihm angab.
Der CHOSON würde sich das Boot bei hellem Tag noch einmal anschauen, schon wissend, dass der Händler immer noch ein gutes Geschäft gemacht hatte. Hoffentlich hielt es das, was der Händler versprach.
Übermorgen sollte die Fahrt dann beginnen. Ein Handschlag besiegelte das Geschäft und der Händler schloss den Hof wieder ab.
„Glaube mir, du hast ein vorzügliches Boot bekommen für diese paar Kröten. Etwas Besseres wirst du in ganz Tarcy nicht finden.“
Rikyu ließ ihn reden. Durch den schnellen Erfolg mit Thorn war er noch nicht dazu gekommen, zu essen. Das aber gedachte er jetzt in seiner Herberge nachzuholen. Morgen würde er dann weitersehen.

**********

HOSHEI Rikyu ließ sich zurücksinken, hielt aber das Ruder weiterhin fest. Seit drei Tagen war jetzt auf See und war mal hierhin, mal dorthin gesegelt. Ein bestimmtes Ziel hatte er nicht, doch manchmal gewann er den Eindruck, dass der Ydd–Kurs ihm am meisten zusagte. Doch dort lag das Land, von dem er gekommen war. Von dort hatte es ihn auf das Wasser gezogen. Sollte er die Zeichen falsch gedeutet haben? Unwahrwahrscheinlich! Doch der Drang blieb. Vielleicht stimmte auch nur die Richtung, das Ziel jedoch befand sich im Wasser?
Entschlossen setzte Rikyu das Segel wieder, trimmte es gegen den Wind und setzte Kurs nach Sud ab. Er würde Esran umrunden und dann auf Nor–Kurs gehen. Vielleicht kam er so seinem unbekannten Ziel näher.
 

Rikyu

Mitglied
Einige Monate später erlebte Rikyu eine Überraschung: sein Lehrer MORJ Akimoto-sensei brach das Training ab, kaum dass sie so richtig damit begonnen hatten. Rikyu wunderte sich zwar, war aber zu beherrscht, um sich neugierig zu zeigen. Er wartete ab; Akimoto würde ihm schon eine Erklärung geben, wenn er es für richtig hielte.
Diese ließ nicht lange auf sich warten. Sein Lehrer ließ sich am Rand des Übungsplatzes nieder und sah Rikyu an. Rikyu verstand und kniete sich ihm gegenüber auf den Boden – in respektvoller Entfernung, so wie es seinem Meister zukam.
Akimoto ergriff bald darauf das Wort. »Rikyu-san, heute ist der Tag, an dem du deine letzte Unterweisung von mir erhalten hast.«
Rikyu richtete sich auf, diese Mitteilung hatte ihn nun wirklich überrascht. Aber sogar jetzt sah er seinen Lehrmeister nur abwartend an.
»Meine Tage in diesem Leben sind abgelaufen.« Akimoto machte eine Pause und Rikyu fiel erst jetzt auf, dass der alte Mann schwer atmete – viel schwerer als früher. Eine Ahnung stieg in ihm auf, eine Ahnung, die ihn erschreckte.
Akimoto sprach weiter. »Das Letzte, von dem ich dir erzählen werden, wird die Bewahrung des Andenkens jedes CHOSON an seine Ahnen sein.«
Er legte erneut eine Pause ein. Dann berichtete er Rikyu, wie das Volk der CHOSON seine Toten behandelte, wie es ihrer gedachte. Er erklärte ihm, wie die CHOSON ihre Toten würdevoll aus dieser Welt entließen.
Er berichtete Rikyu vom Rad des Lebens, auf das jeder gebunden sei. Er sprach von Verdiensten und Verfehlungen aus früheren Leben und wie diese die Wiedergeburt beeinflussten.
Er erzählte von dem Bestreben jedes CHOSON, aus diesem Kreislauf entbunden zu werden und schließlich das Ziel zu erreichen, das Nirwana, das ‚Nichts’.
Akimoto schloss mit den Worten: »Rikyu-san, du bist ein Angehöriger der Familie der HOSHEI, ich gehöre zu den MORJ. Dennoch bin ich gewiss, dass du dafür Sorge tragen wirst, damit ich von meiner Familie auch nach meinem Weggang aus dieser Welt geachtet werde.«
Rikyu wollte aufbegehren und seinem Lehrer widersprechen – ein Ding der Unmöglichkeit für einen CHOSON. Darum siegte seine Selbstbeherrschung und er schwieg auch weiterhin.
»Wenn ich dereinst in ein neues Leben auf dieser Welt eintrete, hoffe ich, dass mir meine Bemühungen um dich angerechnet werden.« Akimoto holte tief Luft. »Dies waren meine letzten Worte an dich. Denke an das, was du gelernt hast.«
MORJ Akimoto, der Lehrer, verneigte sich so tief, dass seine Stirn den Boden berührte. HOSHEI Rikyu, der Schüler, erwiderte den Gruß in gleicher Weise.
Sie hatten Abschied voneinander genommen.
MORJ Akimotos Leben endete in der folgenden Nacht – friedlich und ruhig.
Rikyu hatte nicht viele Mühe, Santas-Gor davon zu überzeugen, dass der CHOSON ein Anrecht darauf hatte, nach den Gepflogenheiten seines Volkes bestattet zu werden. Die Korsaren rekrutierten sich aus so vielen unterschiedlichen Völkern, dass es eine Vielzahl von Zeremonien für alle Arten von Feiern gab, warum also nicht auch eine Totenfeier für einen CHOSON?
Rikyu sorgte zunächst dafür, dass MORJ Akimoto eine würdige Feuerbestattung erhielt. Mit der Asche verließ er den Stützpunkt der Freibeuter und streute sie vor dem geheimen Eingang ins Meer.
Die Strömung würde sie mit der Zeit nach Mir treiben.
Hätte man ihn in diesem Augenblick nach dem Warum gefragt, hätte Rikyu nicht zu antworten vermocht. Er hätte nicht erklären können, warum er diese Richtung für die richtige hielt, aber er wusste instinktiv, dass dem so war.
Der Körper Akimotos mochte nicht mehr existieren, das Angedenken an ihn würde Rikyu jedoch nicht verblassen. MORJ Akimoto hatte ihn zum CHOSON erzogen, ihm all das Wissen und die Einstellung vermittelt, die er jetzt als sein geistiges Bollwerk gegen die Widrigkeiten einbringen konnte, welche die Zukunft über ihn bringen würde.
HOSHEI Rikyu wandte sich vom Meer ab und ging zurück in den Korsarenhafen.
Er war jetzt bereit, sein weiteres Leben alleine zu bestehen.

**********

Der Kurs führte hinaus in die Strasse der Helden. Santas-Gor kreuzte dort auf einer Linie, die Händlerschiffe unbedingt passieren mussten, wenn sie die Meerenge von Arull passieren wollten. Nur auf diesem Kurs konnten sie sich bei einem plötzlichen Umschlagen des Windes von den gefährlichen Leeküsten freihalten, nur hier liefen sie nicht Gefahr, auf eines der zahlreichen Riffe aufzulaufen.
Dafür lauerten ihnen oft genug Korsaren auf, die natürlich ebenfalls um diese Gegebenheiten wussten. Doch alles half nichts, die Kapitäne hatten keine andere Möglichkeit.
Santas-Gor ließ sich Zeit. Er hatte es nicht eilig, denn er musste seine Opfer nicht suchen – sie würden zu ihm kommen. Er brauchte nur abzuwarten.
Bei den geringen Geschwindigkeiten, die er fuhr, brauchte er auch ein plötzliches Umschlagen des Windes nicht zu fürchten.
Auch der aufkommende Nebel beunruhigte ihn nicht. Er ließ zwar ein weiteres Reff stecken, wartete im Übrigen aber ab. Drei Posten saßen im Krähennest und hielten nach Segeln Ausschau.
Und sie kamen! In Luv tauchte plötzlich ein Mast auf, kam schnell näher. »Segel in Richtung auf uns aus Luv!« Der Posten brüllte seine Meldung herunter aufs Deck und augenblicklich herrschte emsiges Treiben unter ihm. Feuer wurden angefacht, um Brandpfeile verschießen zu können, die Boote wurden mit Wasser gefüllt und sämtliche erreichbaren Fässer ebenfalls. Dadurch stand im Notfall ein größerer Löschwasservorrat zur Verfügung. Außerdem konnten die Fässer und Boote auch gekippt werden und mit den Sturzseen evtl. enternde Feinde abgewehrt werden.
Jeder Korsar sah seine Waffen durch, kontrollierte die Spannung seiner Bogensehnen, wetzte vielleicht noch einmal die Klinge seines Entermessers oder seiner Axt nach, und griff probehalber nach seinem Dolch, um sich bereit zu wissen.
Aber die Aufregung legte sich schnell. Jeder der Mannschaft, Rikyu nicht ausgenommen, befand sich in Deckung, nur einige wenige, der Steuermann, die Ausgucke sowie ein Lotgast im Bug, der jedoch nicht lotete, blieben sichtbar.
Das fremde Schiff trug dunkle Segel. Es schien sich nicht um den Seeräuber zu kümmern. Auch bei dem Fremden waren nur wenige Mannschaften zu sehen, doch ehe sich Santas-Gor darüber Gedanken machen konnte, war er schon herangekommen.
Der Rudergänger hatte schon vorher seinen Befehlen gemäß Rammkurs genommen und der Bug zielte auf die Steuerbordseite des Opfers.
Da! Im letzten Augenblick schwenkte der Schiffskörper herum und ließ den Kaperer durch dieses überraschende Manöver an sich vorbeilaufen. Es geschah so schnell und vor allen Dingen so unerwartet, dass niemand an Bord des Korsaren noch rechtzeitig reagieren konnte.
Auf diese Weise kamen beide Schiffe nun längsseits zu liegen und die Korsaren nutzten die Lage, um das gegnerische Schiff zu stürmen. Doch sie kamen nicht weit.
Kaum waren sie auf dem fremden Deck gelandet, zischte aus der Takelage eine beachtliche Menge Speere und Lanzen herab, die vorher nicht sichtbar gewesen waren. Irgend jemand hatte an einem Tau gezogen und dadurch die Falle ausgelöst. Und die Spieße fanden ihre Ziele: von den etwa fünfzehn zuerst übergesprungenen Seeräubern überstanden nur vier unverletzt diesen ersten Gegenangriff, dem sogleich der zweite folgte.
Ein Pfeilhagel ging auf die inzwischen aus der Deckung hervorgekrochenen Männer hernieder und tötete weitere unter ihnen.
So erfolgreich der erste Angriff aber auch gewesen sein mochte, die Korsaren, die sich jetzt von ihrer Überraschung erholt hatten, verstanden ebenfalls zu kämpfen.
Sie drängten auf das gegnerische Deck. Zwar wehrten sich die Verteidiger verbissen und schickten noch manchen Angreifer ins Wasser, das sich alsbald vom Blut rötete. Doch schließlich erkannte auch der Kapitän des angegriffenen Schiffes, dass er keine Chance mehr hatte, dieser Übermacht noch Herr zu werden.
Er gab einen kurzen Befehl, der aber im herrschenden Durcheinander nicht beachtet wurde. Daraufhin wiederholte er ihn lauter, so dass die ihn Umgebenden ihn hörten und höchst verwundert zu ihm hinüberschauten. Seine Unaufmerksamkeit kostete einem weiteren Seemann das Leben.
Der Kapitän wiederholte seinen Befehl jetzt ein weiteres Mal, diesmal mit erheblich größerer Lautstärke und jetzt endlich wurde er verstanden.
Die Fremden traten plötzlich zurück, senkten die Waffen und beendeten so den Kampf.
Der fremde Kapitän kam auf Santas-Gor zu, den er als den Anführer erkannt hatte und drang mit einem Schwall Worte auf ihn ein, die Santas-Gor jedoch nicht verstand. Sein Gesprächspartner bemerkte dies sehr schnell und wechselte dann die Sprache, um auf Wolsi weiter zu reden.
»Warum überfallt ihr uns? Wir sind friedliche Kauffahrer aus Arakossum und haben keinerlei Angriffabsichten gegen Euch. Lasst uns friedlich unseres Weges nach Testar ziehen! Oder tragt ihr eine Fehde gegen einer meiner Leute? Nennt ihn mir und ich werde ihn befragen. Sollte er wirklich schuldig...«
»Dummes Geschwätz!«, unterbrach Santas-Gor den Redeschwall seines Gegenüber, der ihm allmählich auf die Nerven ging. »Was habe ich mit einer billigen Fehde zwischen euch und uns zu schaffen! Ihr wart so freundlich, mir zu verraten, dass ihr Händler seid. Ich hoffe, dass Ihr genügend Waren mit euch führt, die wir gebrauchen können.
Überlasst sie uns und Ihr könnt Eures Weges ziehen. Überlasst sie uns nicht, dann holen wir sie uns selbst. Aber dann werdet ihr nicht mehr Eures Weges ziehen! Entscheidet Euch schnell, ich habe keine Lust, zu warten.«
Der andere mochte merken, dass es Santas-Gor ernst war und rief mit einem Blick einige seiner Leute herbei, um sich mit ihnen zu besprechen. Dabei fielen sie wieder in ihren Dialekt, den sonst keiner zu verstehen schien. Für den Merunen klang es wie Geschnatter.
»Nun?« Die Ungeduld Santas-Gors war kaum zu überhören. »Habt Ihr Euch entschieden?«
»Dass ihr Piraten seid, die kein Pardon kennen, weiß ich«, bekam er zur Antwort. »Schwört mir, dass Ihr das Leben meiner Leute verschont. Bei Scios, dieser Priester der Bruderschaft gab mir den schlechtesten Rat, den ich jemals erhielt, als er mir vorschlug, ich solle den Weg durch die Strasse der Helden nehmen. Möge er an seinen Hühnchen ersticken!«
Er atmete schwer. »Wie stehe ich jetzt vor meinen Leuten da, ohne Waren, ohne Geld, nur mit einem leeren Schiff? Niemand wird mir abnehmen, dass ich nur damit das Leben meiner Mannschaft retten konnte.«
Er gab sich einen Ruck. »Doch es bleibt mir keine andere Wahl!« Er holte tief Luft. »Ja, ich bin einverstanden. Nehmt meine Ladung und lasst uns dann ziehen.«
»Und ich schwöre, dass ich euch schonen werde. Keiner meiner Leute wird einen von euch töten. An Bord meines Schiffes seid ihr sicher.« Die Stimme des Seeräubers grollte ein wenig, er war ungeduldig.
Santas-Gor wandte sich seinen Leuten zu. »Kümmert euch um die Waren. Füllt unseren Laderaum damit. Aber lasst sämtliche Fässer geschlossen, gleichgültig, was sich darin befindet: Wein, Schnaps oder sonst etwas! Wer sich an der Ladung unbefugterweise zu schaffen macht, ist ein toter Mann!«
Er wandte sich wieder zu dem Fremden. »So, Kapitän, kommt mit auf mein Schiff, dort lässt es sich bequemer plaudern.« Er führte ihn in seine Kajüte und bot ihm einen Platz an, während die Ladung im Korsarenschiff verstaut wurde.
So sprachen sie eine Weile miteinander. Auf dem Oberdeck wurde es allmählich leiser, als sich die Ladearbeiten ihrem Ende zuneigten. Ein Klopfen an der Tür beendete die Unterhaltung.
Rikyu trat ein. »Die Ladung befindet sich in den Laderäumen des Schiffes, das andere ist leer. Die Mannschaft wartet.« Sprachs und ging wieder hinaus.
Santas-Gor und der gekaperte Kapitän folgten ihm. Der Korsarenchef wandte sich an einen seiner Männer. »Wie sieht es mit dem Platz unter Deck aus?«
»Gut, Herr! Wir haben alles aus dem anderen Schiff herübergeholt, was nicht angenagelt war. Der Platz hat gerade noch gereicht. Doch viel mehr hätten wir nicht übernehmen können. Wir sind voll.« Ein Aufstoßen gab seinen Worten eine zusätzliche Bedeutung, doch Santas-Gor ging nicht weiter darauf ein.
Mit einem verschlagenen Grinsen im Gesicht drehte sich der Korsar um. »Darf ich Euch nun bitten, Euch zusammen mit Euren Leuten an der Leereling aufzustellen?« Es war keine Frage, sonder mehr eine Aufforderung, die keinerlei Widerspruch duldete. Die Überfallenen gehorchten denn auch schweigend.
Santas-Gor richtet seine nächsten Worte an seine eigene Männer: »Kampfgefährten! Durch dieses Schiff«, er wies auf den verlassenen Rumpf, »durch dieses Schiff war es uns möglich, unsere Lademöglichkeiten bis an die Lukenunterseite auszunutzen. Wir haben keinen Platz für weitere Ladung.« Eine kleine Pause betonte die folgenden Worte.
»Wir haben hier ein schwer beladenes Schiff, das sicher nach Hause gebracht werden will. Dazu brauche ich jeden einzelnen von euch. Wir haben hier aber auch eine Anzahl von Kämpfern, die uns nicht sonderlich wohlgesonnen sind.«
Ein dröhnendes Lachen belohnte ihn für seinen Scherz.
»Wenn wir diese 25 Leute auf unserem Schiff behalten wollen, muss ich dafür sorgen, dass sie keine Dummheiten anstellen können. Dazu brauche ich einige von euch. Ihr würdet mir also im Schiffsbetrieb fehlen. Das wiederum geht auf die Sicherheit aller.
Seht ihr eine Möglichkeit, dieses Problem zu lösen?« Er schaute in die Runde. »Antwortet!«
Betroffene Gesichter sahen ihn an. Sie gehörten sowohl den Ranabari als auch seinen Leuten.
»Ich sehe, dass Ihr den gleichen Gedanken habt wie ich selbst. Wenn ich keine Leute habe, die Wache gehen können, kann ich keinen Grund brauchen, überhaupt Wache gehen zu müssen. Wachen fallen flach!« Er steigerte seine Stimme. »Der Grund für diese Wachen steht hier. Schaffen wir ihn beiseite!«
Er holte Luft. »Über Bord mit ihnen!« Gleichzeitig mit seinen letzten Worten trat er einen Schritt auf den fremden Kapitän zu. Er bückte sich ein wenig, riss ihm die Beine unter dem Körper weg, um ihn in weitem Bogen über Bord zu werfen.
Das war das Signal. Johlend und schreiend stürzten sich die Korsaren auf völlig überraschten Mannschaft des fremden Schiffes und warfen sie ins Wasser. Das Geschrei der Opfer, die noch immer nicht so recht wussten, was mit ihnen geschah, verging schnell. Nicht viele von ihnen konnten schwimmen, die meisten versanken sofort.
Auch die Schwimmer trieben schnell ab und wurden leiser mit ihren Rufen, bis man auch sie nicht mehr hörte.
Schwer atmend blieb der Kaperer stehen und sah sich um. Seine Mannschaft stand hinter ihm, das wusste er. Jeder von ihnen freute sich über den gelungenen Coup, keiner machte sich Gedanken über das eben Geschehene. Auch der Kapitän selbst scherte sich keinen Deut um seine Tat.
Santas-Gor gab den Befehl, das fremde Schiff zu versenken und seine Mannschaft kam seiner Anordnung umgehend nach. Gurgelnd versank das Handelsschiff in den Fluten.
Er wandte sich zum Niedergang und trampelte die Stufen hinunter. Vor seiner Kajüte wartete Rikyu. Santas-Gor beachtete ihn nicht weiter und wollte eintreten, als ihm der CHOSON den Weg verstellte. Seine Augen glühten.
»Warum?« Nur dieses eine Wort sprach er.
»Warum? Was soll ich mich mit diesem Gesindel abgeben? Sie werden doch nur Ärger machen und uns in Trab halten. Letzten Endes hätte ich sie doch aufhängen müssen. Warum uns also lange damit abplagen? Warum den Ärger erst zum Ärger werden lassen?«
»Du gabst ihnen dein Wort!«
»Mein Wort, dass ich ihnen zusage, dass ihnen an Bord nichts geschehen würde.
Ich habe es gehalten. Kannst du mir einen einzigen nennen, dessen Leben ich ihm genommen habe? Liegt es nicht bei jedem einzelnen, sein Leben weiterzuführen oder unterzugehen?
Lass mich doch mit solchen Redensarten in Ruhe, Rikyu!« Er trat die Tür hinter sich zu.

**********

Einige Wochen später war Santas-Gor wieder mit seinem Kaperer auf See, diesmal lauerte er im Mir von Tanilorn auf Beute.
Der Kapitän grübelte über das Verhalten seines Pflegesohnes nach, der ihn einmal mehr verblüfft hatte.
Nachdem er ihn beim letzten Beutegang fast an Bord hatte zwingen müssen, hatte er diesmal nicht im Geringsten daran gezweifelt, dass sich Rikyu bei dieser Fahrt nicht mehr beteiligen werde.
Santas-Gor hatte ihm die Aufsicht über den Stützpunkt geben wollen. Damit hätte er ein erneutes Zusammenstoßen um ein paar Tage hinausgeschoben.
Nun, das war sein Gedanke gewesen, doch Rikyu hatte offensichtlich ebenfalls nachgedacht und war an Bord gegangen, ohne sich vorher in eine Diskussion mit seinem Pflegevater eingelassen zu haben. Er hatte wortlos seine gesamte Ausrüstung an Deck gebracht und war gerade mit dem Verstauen fertig geworden, als Santas-Gor ihn entdeckte.
Der Freibeuter wertete Rikyus Verhalten als Ergebnis eines Nachdenke-Prozesses und verkniff sich jeglichen Kommentar; er wollte Rikyu keinerlei Anlass geben, seine Entscheidung im letzten Augenblick noch einmal zu überdenken oder gar zu revidieren. Daher brummte er nur zustimmend und machte sich daran, die übrigen Vorbereitungen zum Auslaufen zu beaufsichtigen.
Santas-Gor hatte Recht, wenn er davon ausging, dass Rikyu lange nachgedacht hatte. Er hatte aber Unrecht, wenn er als Ergebnis annahm, dass sein Pflegesohn letztlich nachgegeben hätte und ihn nun unterstützen würde.
Das Schiff passierte die Höhe von Alalia in Tanilorn auf dem Weg in die See von Erewyn, dem Ziel dieser Fahrt.
Bisher war alles ruhig geblieben, die Besatzung begann bereits, sich zu langweilen. Rikyu war bisher nicht an Deck erschienen, Santas-Gor war es zufrieden.
Voraus war bereits Kap Phelorn mit den zahlreichen vorgelagerten Inseln in Sicht, weit in Wes Ydd konnte man Chara erahnen.
Der Wind frischte etwas auf und drehte leicht nach Est. Zwar schlugen die Segel noch nicht, doch Hartamos ließ dennoch neu brassen, um die größtmögliche Geschwindigkeit herauszuholen. Der Ex-Wolsi war immer auf der Hut, Santas-Gor konnte sich auf ihn verlassen.
Kap Phelorn lag nun hinter ihnen und der Merune ließ mehrere Reffs stecken. Es blieb gerade genug Segelfläche an den Rahen, damit das Schiff manövrierfähig blieb.
Auf diese Weise war das Schiff schwerer von anderen Schiffen zu entdecken. Nackte Masten lassen sich nun mal nicht so leicht erkennen wie pralle Segel.
Nun begann das Lauern auf Beute, auf Schiffe, die den zahlreichen Inseln und Inselchen um Kap Phelorn ausgewichen waren und nun wieder ihrem eigentlichen Kurs folgten.
»Schiff in Sicht aus Est! Kurs Wes!« Mit einem Satz, der einem Jaguar Ehre gemacht hätte, war der Kapitän oben. Ein kurzer Blick zum Ausguck zeigt ihm die genaue Richtung. »Schiff zeigt tarcysche Flagge.« Das war wieder der Ausguck. »Bug zeigt auf uns!«
»Die wollen etwas von uns, Herr.« Hartamos stand neben seinem Vorgesetzten. Er wandte sich zum Rudergänger. »Wenden und ihnen entgegenfahren!«
»Belege Befehl!« Santas-Gors schneidende Stimme ließ seinen Stellvertreter zusammenzucken.
»Was soll der Unsinn!« Santas-Gor wirkte verärgert. Hartamos duckte sich noch etwas mehr. »Denk zur Abwechslung doch mal nach! Hat uns das Schiff schon gesehen?« – »Wohl nicht. Sein Kurs ist noch unverändert« – »Wohin will es demnach?« »Nach Worm oder Timenon, glaube ich.« – »Glauben kannst du bei deinen Göttern, wenn es dir Spaß macht, bei mir ist Wissen angesagt. Aber du hast recht.« Santas-Gor macht eine kleine Pause und blickte wieder zum Ausguck.
»Welche Flagge zeigt das Schiff dort hinten?« – »Tarcy«, kam kleinlaut die Antwort.
»Dann kennst du deine Aufgabe, Hartamos.« Damit war für Santas-Gor die Angelegenheit erledigt und er überließ es seinem Stellvertreter, die Verfolgungsjagd einzuleiten.
Dieser erteilte auch sofort neue Befehle. Die Segel an den Rahen wurden gelockert, blieben aber noch gerefft. Die Männer warteten auf den Rahen. Hartamos wartete auf den Ruf des Ausgucks. Das Schiff wartete auf den Gegner.
»Schiff ändert Kurs! Dreht auf Mir zu Est!« Sofort kam Leben in den Korsaren. Seine Befehle gellten über das Deck. Die Männer ließen die Segel von den Rahen herab, schlugen kurz back, wurden angebrasst und kamen steif. Das Schiff nahm Fahrt auf, seiner Beute hinterher.
Der fremde Kapitän hatte allerdings das Setzen der Segel auf dem Korsarenschiff richtig gedeutet und holte jeden Fetzen Segeltuch hervor, der er finden konnte.
Doch schon bald musste er einsehen, dass der Kaperer das Wettrennen beim gegenwärtigen Wind gewinnen würde. Der Tarcyer war deutlich langsamer.
Und jetzt, bei steifem Wind aus Est, zeigte sich endgültig, dass der Korsar das bessere Schiff hatte. Santas-Gor konnte dichter an den Wind gehen und auch in Sachen Geschwindigkeit einiges wettmachen. Zudem vermochte er die einzelnen Schläge zwischen den Wendemanövern länger auszudehnen als sein Gegner.
Schließlich war es soweit. Der Fremde geriet in den Windschatten. Die Korsaren legten sich genauso dicht neben den Tarcyer, wie sie es vorher mit dem Händler aus Ranabar angestellt hatten.
Wieder enterten sie. Doch diesmal rissen keine Speere aus den Wanten blutige Löcher in die Reihen der Korsaren, die wieder stürmten. Diesmal hielten ihre Äxte und Entermesser reiche Ernte unter den Feinden.
Doch so viele auch niedergemacht wurde, immer neue Gegner standen den Freibeutern gegenüber. Machten sie einen nieder, traten zwei neue an seine Stelle.
Dieser Übermacht konnten auch die Korsaren nicht allzu lange standhalten, ganz allmählich wurden sie zurückgedrängt.
Santas-Gor hatte sich wie immer eine Stelle gesucht, von der aus er Übersicht über den Verlauf des Kampfes hatte. Er sah, wie immer neue Gegner aus den Luken und Niedergängen kamen und in den Kampf eingriffen. Doch viel Zeit, darüber nachzudenken, blieb ihm nicht, auch er musste sich gehörig wehren.
Schließlich, als der Kampf ihm eine kleine Pause gönnte, verstand er, was geschehen war. Die Gesichter der Gegner war typisch: Tanilorner!
Offenbar war er an einen Kapitän geraten, der flüchtende Tanilorner außer Landes brachte. Kein Wunder bei den Unruhen um Fliegengötter und andere zweifelhafte Erscheinungen.
Dies erklärte auch, warum seine Leute diesmal nicht recht Fuß fassen konnten, warum sie zurückgedrängt wurden. Dieses Schiff konnte die dreifache Menge derer aufbieten, die er als Mannschaft zur Verfügung hatte.
Dieser Übermacht war er nicht gewachsen. Zum Teufel auch! Warum musste er gerade jetzt diesem Transport in die Quere kommen!
Plötzlich aber kniff er seine Augen zusammen, so dass er einer Katze verzweifelt ähnlich sah. Wenn ihn seine Sinne nicht gänzlich im Stich ließen, dann kannte er den Kämpen dort am Mast.
Rikyu!!!
Doch er focht nicht gegen die Tanilorner, er befand sich in deren Reihen, er kämpfte für sie!
Rikyu hatte sich auf die Seite der Feinde geschlagen! Santas-Gor konnte und wollte seinen Augen nicht trauen, seine Knie drohten nachzugeben.
Das Schwert, das der CHOSON vor Jahren von seinem Lehrmeister erhalten hatte, brachte jetzt seinen eigenen Leuten den Tod. Immer wieder blitzte die Klinge auf, immer wieder sank einer der Korsaren zusammen, fand einer von ihnen den Tod.
Santas-Gor war nicht mehr in der Lage, weiter zu kämpfen. Er starrte wie gebannt zum Mast, sah zu, wie seine Männer fielen. Bilder aus längst vergangenen Zeiten tauchten vor seinem inneren Auge auf, Bilder aus den Tagen, in denen der Vater seines Sohnes, seines Pflegesohnes, ebenfalls am Mast stehend, kämpfte und niemand sein Tun beenden konnte. Da, soeben sank der vorletzte seiner Gegner zusammen, er war in einen blitzschnellen, kaum erkennbaren Aufwärtsstreich gelaufen, dessen Wirkung erst Sekunden später sichtbar wurde. Der CHOSON ließ den Arm...
Ein Geräusch ließ Santas-Gor herumfahren, sein Arm mit dem Schwert schnellte nach oben. Der fremde Kapitän hatte sich von hinten an ihn herangeschlichen und wollte ihm nun den Garaus machen. Zwar konnte der Korsar den tödlichen Hieb noch abfangen – er traf nur seine Schulter. Doch er wusste sehr gut, dass auch diese Verwundung ihn töten würde, denn er war nun nicht mehr voll einsatzfähig gegen diesen rasenden Gegner vor ihm. Blindlings stieß er mit seiner Klinge vor, fühlte Widerstand und setzte nach. Ein Gurgeln signalisierte ihm den Erfolg seines Ausfalls. Er wollte nachsetzen und den letzten Stich tun, doch – seine Kraft war gewichen. Er konnte sein Schwert nicht mehr heben, die auf ihn niedersausende Klinge nicht mehr abwehren.
Tief biss der Stahl in seinen Arm, glitt weiter, öffnete seine Seite. Ein Blutstrahl spritzte auf das Deck, mehr als einen Finger dick, und Santas-Gor fiel in sich zusammen, wohl wissend, dass er nur das Los seiner Männer geteilt hatte. Keiner von ihnen hatte überlebt, er war der Letzte. Die Kraft entwich ihm.
Doch das Schwert seines Gegners war noch nicht zur Ruhe gekommen. Der Stahl fuhr weiter und schnitt sich in eine Talje. Der Block, durch den sie lief, kam frei und sauste nach oben. Dafür kam die zugehörige Rah nach unten. Sie schlug auf Deck auf, zermalmte einige Belegnägel auf der Bank und schnellte dann herum.
Santas-Gor sah sie kommen, vermochte ihr aber nicht mehr auszuweichen, sein Blutverlust hatte ihn bereits zu sehr geschwächt.
So erwischte ihn das Ende der Rah unmittelbar unter seiner Verwundung, um diese noch zu verschlimmern. Der Korsar wurde gegen den Mast geschleudert und spürte Rippen brechen.
Verschwommene Bilder wallten vor seinen Augen auf, Bilder aus längst vergangenen Zeiten. Er sah sich selbst am Mast liegen und eine Rah über dem Unterleib. Nein, das war nicht er selbst, das war ein anderer.
Er versuchte, die Bilder klarer zu bekommen. Schließlich konnte er das Gesicht des Verletzten erkennen – Rikyu.
Nein, nicht Rikyu, verbesserte er sich sofort. Dieser Mann war älter, aber wer war er?
Mit einem Mal schlug die Erkenntnis wie ein Sturmbrecher über ihm zusammen.
Vor vielen Jahren hatte ihm gerade dieser Mann seinen leiblichen Sohn überlassen. Der Vater von Rikyu war genauso gestorben wie er, Santas-Gor, jetzt von der Bühne des Lebens abtreten würde.
Lange Sekunden lag er da, dann riss er sich zusammen. Mühsam öffnete er die Augen und sah Rikyu, der den Kampf eingestellt hatte. Er versuchte, ihm zu winken. Eine müde schwache Geste wurde daraus, mehr nicht, doch sie genügte. Rikyu kam heran.
»Rikyu, warum hast du gegen mich gekämpft? Warum stellst du dich gegen uns?«
»Warum stellst du dich gegen die Menschlichkeit? Warum betrügst du Menschen um ihr Leben, das sie dir abkaufen wollten? Warum benimmst du dich nicht wie ein Mensch?« Die Gegenfragen kamen sachlich, scheinbar ohne Anteilnahme an seinem Schicksal aus dem Mund seines Pflegesohnes.
»Rikyu, du weißt es, ich weiß es auch: ich werde sterben. Sag mir noch eines: war ich nicht immer wie ein Vater um dich besorgt, wollte ich nicht immer nur das Beste für dich? Was ist es, das dich davon abhält, mich ‚Vater’ zu nennen? Was ist es? Was?« Die Worte hatten ihn angestrengt, er keuchte.
HOSHEI Rikyu kniete nieder und nahm den Kopf seines Pflegevaters in seine Hände. Bewegt sah er in bleiche, zusammengefallene Züge. Der Körper des Korsaren zog sich krampfartig zusammen, entspannte sich dann wieder. Seine Augen öffneten sich.
»Vater!« Die Augen brachen, der Kopf fiel zur Seite, der Körper erschlaffte. Der Korsar war tot. Er hatte die Erfüllung seiner letzten Bitte nicht mehr mitbekommen. Wirklich nicht?!?
Ein seltsames Gefühl befiel den jungen Krieger. Wehmut ist dabei, Bitterkeit, auch Einsamkeit. Er bleibt ruhig sitzen, versucht nicht, die Gefühle abzuwehren. Eine Weile verharrt er so, dann lässt er den Kopf des Toten auf das harte Deckholz gleiten, richtet sich auf und schaut sich um. Er befindet sich wieder in der Realität.

Die Tarcyer hatten es geschafft, während des Kampfes auf den Kaperer zu gelangen und dort Feuer zu legen. Jetzt zeigten sich die ersten Flammenzungen und machten auch dem letzten Korsaren klar, dass ihr ärgster Feind nicht ein gegnerischer Degen oder ein Schwert war, sondern das alles verzehrende Feuer.
Der Kampf war beendet. Die Taue, die sich zwischen den beiden Rümpfen spannten, wurden gekappt und die Schiffe kamen voneinander frei.
Nein, der Kampf war noch nicht vorbei. Als sich die Schiffe wieder frei bewegten, kam Bewegung in einen der Liegenden. Er hatte seine Finger um ein schartiges Schwert gekrallt und schlug jetzt wild um sich. Der junge CHOSON musste erneut sein Schwert ziehen und die Hiebe abwehren. Der Fremde war in seinem Blick behindert und schien nur so viel zu sehen, dass sein Gegner nicht von seinem eigenen Schiff stammte. Das schien ihm zu genügen.
Aus einer Stirnwunde lief ihm Blut über die Augen und behinderte ihn noch mehr. Wild drang er auf Rikyu ein, der sich kaum zu helfen wusste, da er den Gegner nicht töten wollte. Mit dem Mut der Verzweiflung griff der Tanilorner immer wieder an. Endlich gelang es Rikyu, ihm einen Hieb mit der Breitseite des Kenzen zu versetzen und ihn damit ins Land der Träume zu schicken.
Die Mannschaft des fremden Schiffes hatte dem Kampf zugesehen, sie wusste inzwischen, dass sich der Fremde gegen die Korsaren gestellt hatte, also ein Freund von ihnen sein musste, ein Freund der Tanilorner.
Müde schob Rikyu die Klinge wieder in das Saya, während andere herbeisprangen und sich um seinen Gegner bemühten, den die Ohnmacht wohltätig umschlungen hielt.
Er wurde unter Deck gebracht, niemand belästigte Rikyu mit Fragen. Der CHOSON fand endlich Zeit, über das Geschehen nachzudenken. Er legte Rechenschaft vor sich selbst ab.
Warum hatte er sich gegen seine bisherigen Kameraden, gegen seinen Pflegevater gestellt? Warum kämpfte er auf der Seite der Fremden? Warum hatte er den jungen Mann nicht töten wollen, obwohl dieser ihn so hart bedrängt hatte?
Rikyu ahnte, dass die Antwort auf alle diese Fragen im Verhalten von Santas-Gor lag, der die Ranabari so schmählich hintergangen hatte. Bei diesem Verrat war etwas in ihm zerbrochen, ein letzter Halt. Dieser fehlte ihm nun.
Gleichzeit wusste der CHOSON aber auch, dass er jetzt noch keine endgültige Antwort auf seine Fragen finden würde. Diese würde erst die Zeit ihm geben. Er öffnete die Augen.
Auf seine Fragen - sein Wolsisch war ausreichend - wies man ihm den Weg zum Krankenlager seines Gegners. Bereitwillig öffneten sich ihm die Türen und gleich darauf war er allein mit ihm. Er setzte sich nieder und wartete.
Irgendwann öffnete der Kranke die Augen und sah sich suchend um. Jede Bewegung schien ihm Schmerzen zu bereiten, doch er ignorierte sie, so gut es eben ging. »Wer – wer seid Ihr?« fragte er mühsam. Das Sprechen fiel ihm noch schwer. Rikyu antwortete ihm.
»Man nennt mich HOSHEI Rikyu. Ich gehöre dem Volk der CHOSON an.«
»CHOSON? HOSHEI? Nie gehört.«
»Die CHOSON leben für sich auf einer Reihe von Inseln. Wir mischen uns nicht in Angelegenheiten anderer. Es ist gut möglich, dass Ihr noch nichts von unserem Volk gehört habt.«
»Verzeiht, wenn meine Worte barsch klangen. Es war nicht meine Absicht«, beeilte sich der Fremde zu beschwichtigen. »Ich bin Tirson aus Tanibar auf der Flucht vor den Merunen, die ganz Tanilorn besetzt haben. Meines Bleibens dort war nicht länger, ich hätte keine Dekade mehr überlebt.«
Tirson versuchte sich aufzurichten, doch noch fehlte ihm die Kraft dazu. Rikyu sprang hinzu und half ihm. Der Tanilorner hielt sich an einem Balken in der Kajüte fest und sah den CHOSON an.
»Viel hätte wohl nicht gefehlt und ich hätte diese Tage trotzdem nicht überstanden, wie?« Fragend blickte er sein Gegenüber an.
Rikyu verstand den Blick und berichtete über ihren Kampf, wie er schließlich die Auseinandersetzung beendete und Tirson betäubte.
Dieser fuhr sich mit der Hand über den Hinterkopf und verzog schmerzlich das Gesicht, als er die hühnereigroße Beule berührte, die die Antwort auf Rikyus Flachhieb war. »Soso, nur betäuben wolltet Ihr mich, heh? Hätte es nicht auch ein geringerer Hieb getan?«
»Möglich«, gab Rikyu zu, fragte dann aber wieder nach der Flucht. »Wie erging es Euch auf dem Schiff?«
»Auf welchem ... ach so, ja. Höllisch eng war es hier, der Kapitän wollte wohl des Guten zu viel tun und nahm fast doppelt so viele auf, wie er eigentlich verantworten konnte. Vielleicht war es ihm ja auch um das Gold zu tun, das er von jedem abkassierte, bevor er ihn aufs Deck und ins Schiff ließ.
Auch von mir hat er sich bezahlen lassen, wenn die meisten Goldstücke auch nicht meinem eigenen Beutel angehörten. Dennoch blieb mir nicht mehr viel. Wir wollten nach Tarcy hinüber, um von dort aus eine Möglichkeit zu suchen, unser Land wieder frei zu bekommen. Lange können sie sich ohnehin nicht halten, die Herren Besetzer.«
Erneut verzog er das Gesicht. »Mehr gibt es eigentlich für den Augenblick nicht zu sagen. Vielleicht erzähle ich Euch später etwas mehr? Doch wie kommt es, dass Ihr plötzlich auf diesem Schiff seid?«
Jetzt war es Rikyus Sache, zu berichten. Er gab bereitwillig Auskunft, erzählte seine Geschichte, immer wieder unterbrochen von Tirson, der ohne Zwischenfragen offensichtlich nicht auskommen konnte. Auch der Tanilorner erzählte mehr von sich.
In den folgenden Abenden und Nächten an Bord lernten sich die beiden so ungleichen Charaktere kennen und schätzen und schließlich wurden sie Freunde.
Siebzehn Tage nach dem Überfall legten sie in Tarcy an. Rikyu und Tirson verließen gemeinsam das Schiff. In einer Herberge quartierten sie sich ein. Tirson besaß noch einige Goldstücke, von denen sie lebten und auch der CHOSON konnte noch einige Goldstücke seines Pflegevaters beisteuern.
Lange Gespräche drehten sich um die Handhabung von Waffen. Tirson lernte von Rikyu den Gebrauch des Jittedolches und brachte es darin zu beachtlichen Leistungen.
Jeden Tag gingen sie zum Hafen hinunter und suchten nach neu angekommenen Schiffen, um die neuesten Nachrichten aus Tanilorn zu erfahren. Im Laufe der Zeit wurden diese auch erfreulicher und schließlich hielt es Tirson nicht länger aus.
»Rikyu, wenn ich noch weiter in diesem Nest herumsitze, kann ich für nichts mehr garantieren. Ich muss einfach etwas tun, um meinem Land zu helfen. Gestern habe ich von einem Matrosen eines Fischkutters Neues über Celdar Rusius gehört. Er will ein Heer aufstellen, das er später nach Tanilorn zu dessen Rückeroberung führen will. Ich werde mich ihm anschließen. Vielleicht kann er mich gebrauchen.« Seine Stimme klang hoffnungsvoll.
»Tirson, mein Freund, wenn du weißt, was du tun musst, dann hast du es besser als ich. Meine Bestimmung ist mir noch nicht klar geworden.« Rikyu stand auf. »Ich wünsche dir, dass deine Träume und Erwartungen in Erfüllung gehen. AMIRADA-KAMI sei mit dir und wache über dich.«
Tirson schluckte. »Wir werden uns wiedersehen – unter einem günstigeren Stern, Rikyu. Bis dahin, lebe wohl, möge Tan über dich wachen!«
Ein kurzer, kräftiger Druck seiner Hand, den Rikyu zurückgab.
Tirson wandte sich um und ging mit festen Schritten davon, ohne sich noch einmal umzusehen. Doch klangen seine Schritte nicht etwas zögernd, trotz allem? Rikyu würde es nicht mehr erfahren.
Er griff nach dem Kenzen, rückte es zurecht und wandte sich ebenfalls um. Was nun? Er wusste es nicht.
Zunächst einmal würde er in die Herberge gehen und dort seine Schulden begleichen. Dann war er zumindest unabhängig. Was er danach anfangen sollte, nun, das würde sich schon finden.
Rikyu setzte sich in Gang.

**********

Die nächsten drei Wochen waren ein einziges Herumlungern in der Stadt, am Hafen, im Landesinneren. Doch immer wieder zog es ihn zum Wasser. Es ließ ihn einfach nicht los.
Golden versank die Sonne im Meer. Es funkelte. Die See schien zu brennen, doch die Sonne erlosch noch nicht. Sie kämpfte um ihr Licht, wusste sie doch genau, dass sie schließlich nachgeben musste.

Rikyu sog diese Bilder in sich auf. Sie vermittelten ihm ein Gefühl innerer Zufriedenheit, innerer Ausgeglichenheit. Er würde aufs Meer hinausfahren.
Ja – das würde er, wenn er auch nicht zu sagen vermochte, woher dieser Entschluss so plötzlich gekommen war. Es schien beinahe so, als hätte ihm jemand diesen Gedanken in den Kopf gesetzt. Doch war die Entscheidung jetzt getroffen. Er jedenfalls, HOSHEI Rikyu, würde sie nicht mehr ändern.
Und als hätte wirklich jemand auf diese Reaktion gewartet, fühlte sich der junge Mann plötzlich viel leichter. Ein Druck, den er gar nicht so richtig wahrgenommen hatte, war verschwunden. Fast schon beschwingt wandte er sich um, nachdem die Sonne vollständig im Meer versunken war. Langsam ging er zu seiner Unterkunft, zur Herberge, in der er sein Quartier aufgeschlagen hatte. Er überlegte.
Um aufs Meer fahren zu können, brauchte er ein Schiff oder ein Boot. Ein Schiff wäre zwar besser gewesen, doch das war unbezahlbar für ihn. Ein Boot war da schon leichter zu bekommen, doch er durfte nicht nur an das Boot denken.

Auch Vorräte und anderes mehr war zu besorgen, denn er wusste ja nicht, wohin er segeln und wie lange er kein Land mehr betreten würde. Das aber bedingte gleichzeitig, dass er ohne jede Begleitung zu fahren hatte. Proviant und Ausrüstung konnte er ohnehin nur für sich selbst besorgen und die unbekannten Gefahren wollte er niemandem zumuten, den er nicht kannte, auf den er sich nicht verlassen konnte. Er kramte in seinem Ärmel und förderte nach einigem Suchen schließlich zwei Goldmünzen zu Tage, mehr nicht.
Die Stirn runzelnd, fragte er sich, ob er für dieses Gold ein kleines Boot und eine Ausrüstung bekommen könnte. Beziehungen hatte er hier nicht und anderenorts war er nicht einmal bekannt.
Er unterbrach seinen Heimweg und versuchte sein Glück sofort.
„Verzeiht, Schiffer, könnt Ihr mir vielleicht sagen, wo ich ein gutes Boot bekommen kann?“, wandte er sich an den nächsten Seemann, der seinen Weg kreuzte. Ein unwilliges Brummen war die einzige Antwort, dann war er vorbei.
Er versuchte es von neuem, indem er seine Frage an einen Mann richtete, der mit Fischernetzen handelte. Diesmal hatte er mehr Glück. Der Händler richtete sich kurz auf und wies mit dem Daumen die Straße entlang. „Wende dich an den Wirt der Taverne dort. ‚Stolz von Tarcy’ heißt sie zwar, ist aber nicht so stolz. Dort wirst du schon jemand finden, der dir einen Kahn gibt.“ Mit diesen Worten war Rikyu abgemeldet, der andere beachtete ihn nicht mehr.
Der CHOSON machte sich auf den Weg und fand die besagte Kneipe. Bevor er jedoch eintrat, rückte er sein Kenzen zurecht. Dann bückte er sich, um den niedrigen Eingang zu passieren, ohne sich den Kopf anzustoßen.
Drinnen sah er sich um. Die Luft bestand zum größten Teil aus Qualm und Rauch, die Tische waren gut besucht, Platz war nicht zu finden.
Er drückte sich auf eine Bank, auf der nicht ganz so viele Leute saßen wie auf den restlichen. Das heraneilende Schankmädchen bedachte er mit einem freundlichen Blick, bevor er sich einen Krug Wein bestellte. „Und sag dem Wirt, ich möchte gerne ein paar Worte mit ihm wechseln,“ rief er ihr hinterher. Er lehnte sich zurück.
Der Wirt brachte den Krug selbst und setzte sich zu ihm. „Ihr wolltet mich sprechen?“, begrüßte er ihn. Rikyu nickte. „Ja, guter Mann, ich bitte um eine Auskunft von Euch. Ein Händler draußen nannte mir Euren Namen, als ich nach einem Boot fragte. Er meinte, Ihr wäret sicher so freundlich, mir weiter zu helfen.“ Er machte eine Pause.
„Doch trinkt doch zunächst!“, forderte er ihn auf, als sein Gegenüber zum Sprechen ansetzte. Dieser ließ sich das nicht zweimal sagen und tat Rikyu Bescheid. Dann antwortete er.
„Sicher, Euer Informant hat recht, wenn er meint, dass hier ab und zu mal jemand einen Becher trinkt, der auch Boote vermietet.“ Er sah sich um, schien aber den Gewünschten nicht zu finden.
„Wenn der rote Larsaf as Velor da wäre, Fremder, könnte ich Euch wohl helfen. Er hat, soweit mir bekannt ist, die besten Boote zur Verfügung. Allerdings kommt Larsaf nicht oft hierher.“ Er sah sich noch einmal um, stand sogar auf, um über die Köpfe hinweg blicken zu können. Doch auch jetzt sah er den Gesuchten nicht.
„Ah, das wäre auch eine Möglichkeit.“ Ihm schien eine Idee zu kommen, dann blickte er Rikyu prüfend an. „Diese Sache jedoch hat einen Haken.“
Der Angesprochene brauchte gar nicht erst hinzusehen, er wusste auch so, dass der Wirt die überall bekannte Bewegung des Geldzählens machte. „Die Auskunft kostet Euch etwas. Umsonst kann ich sie Euch nicht geben...“
Er brach ab und wartete auf Rikyus Antwort. Sie bestand aus einer Kupfermünze. Der Wirt drehte sie hin und her, um in dem diffusen Licht den Wert erkennen zu können. Es waren 2 Kupfer-Lant. Ein Grinsen stand auf seinem Gesicht, als er den Kopf wieder hob.
„Kommt!“ Er erhob sich. Rikyu folgte ihm in ein Nebenzimmer, die Hand am Schwert. Doch diese Vorsicht war nicht notwendig. Auch in diesem Raum saßen Männer und tranken. Doch diese Leute gehörten nicht zu dem Volk, das sich um die Plätze im großen Raum drängte. Hier waren die Tische nicht überfüllt.
Der Wirt führte seinen Gast zu einem Tisch an der Seite des Raumes. Dort wies er auf einen kleinen Mann, der eben einen neuen Krug vorgesetzt bekam. „Mit dem da werdet Ihr Euch schon einig werden, denke ich... Er hat meistens ein paar passende Boote zur Hand. Thorn wird Euch helfen.“ - „Habt Dank für Eure Hilfe.“ Rikyu verabschiedete sich vom Wirt, der sich wieder in den Vorderraum verdrückte.
„Verzeiht, wenn ich Euch als Fremder anspreche“, begann er, als er wieder am Tisch war, an dem der Bezeichnete saß. „Der Wirt meinte, Ihr würdet mir helfen, Thorn“ – „So, meinte er das?“ Ein verschmitztes Lachen stahl sich in seine Züge. „Und aus welchem Grund sollte Ich Euch helfen? Was sucht Ihr hier“
Rikyu ließ sich nicht beeindrucken. „Ich suche ein Boot, das hochseetüchtig ist.“ Es war vielleicht am besten, sofort seine Vorstellungen klarzumachen. „Ich muss ein paar Tage hinausfahren.“ – „Ein paar Tage? Du allein?“ Er wartete die Antwort nicht ab, sondern winkte ihm zu.
„Setz dich!“ Er überlegte. „Wie weit soll's denn hinausgehen?“ „Das ist noch unklar. Es kommt auf die Verhältnisse an.“ „Was anderes: Kannst du mit Segeln umgehen? Hast du Erfahrung im Seehandwerk?“ „Es wird reichen“, bekam er als Antwort.“
„Wenn du 60 Silber-Lant bezahlst, würde ich mich von der Lythande trennen können, sofern du dich nach einer Woche wieder blicken lässt. Nun, wie steht's?“
60 Lant! Rikyu dachte an die beiden Goldmünzen in seinem Ärmel. Das eine war eine Münze von 50 Silber-Lant, die andere war 30 wert. Es würde wohl reichen, doch für Proviant war dann nicht mehr viel Platz.
„60 Lant? Ich möchte ein Boot mieten, und nicht eine ganze Galeere mit Mannschaft und Kapitän kaufen! Auf diese Weise kommen wir nicht ins Geschäft!“, lehnte er ab.
Der CHOSON machte Anstalten, aufzustehen und zu gehen. Sofort griff Thorn nach ihm und zog ihn wieder auf die Bank.
„Wer wird denn gleich beleidigt sein? Scherze machen kannst du ja! 60 Silber-Lant für eine vollständige Galeere!! Haha, das hat mir schon lange niemand mehr geboten!“ So klein der Bootsverkäufer auch sein mochte, sein Bauch wackelte doch recht munter, während sein Besitzer über den vermeintlichen Witz lachte. Langsam beruhigte er sich wieder.
„Ich kann doch ein Schiff nicht für 3000 Kupfer-Lant, für 30 ganze Silber–Lant kaufen und es dann für ein Fünftel weitergeben!“ Er unterbrach sich und schaute Rikyu misstrauisch an. „Oder war das kein Witz?“
Der CHOSON blieb unbeeindruckt. Er antwortete nicht direkt auf Thorns Frage. „Wenn ich ein kleines Boot miete und nicht kaufe, möchte ich das Objekt vorher sehen. Eher mache ich keinen Preis fest. Sollte es in Ordnung sein, lasse ich mich vielleicht erweichen, 30 Lant dafür anzulegen. Dafür will ich dann aber ein Boot bekommen, das ein paar Wellen verträgt und annehmbare Segeleigenschaften aufweist. Sonst kommen wir nicht zueinander. Ich...“ Thorn raufte sich die Haare. „30 Lant für meine Lythande!! Das kann ich ihr nicht antun. Das kann ich nicht.“
Er stöhnte vernehmlich und musste sich mit einem großen Schluck aus seinem Becher stärken. Danach rülpste er.
„Aber dein Gedanke ist nicht so übel. Vielleicht sollten wir uns mein Glanzstück wirklich einmal ansehen. Dann siehst du sicher ein, dass die 55 Lant nicht zuviel sind.“ Noch einmal setzte er den Becher an, leerte ihn und füllte sofort nach. Auch Rikyu bediente sich noch einmal aus dem Krug und trank.
Dann standen sie beide auf. Thorn machte den Führer. Drei, vier Querstraßen weiter bog er ab und machte erst wieder halt, als die Gasse am Wasser endete. Hier öffnete er ein Hoftor und winkte Rikyu zu sich. „Hier, mein Freund! Siehst du meine Lythande?“ Plötzlich schien ihm etwas einzufallen. „Sag mal, du hast mir noch nicht gesagt, wie du heißt. Willst du mir nicht sagen, mit wem ich mich streiten muss?“
„Mein Name ist HOSHEI Rikyu. Ich komme aus Al Marun.“ Mehr sagte Rikyu nicht.
„HOSH was?“ Der Name brach Thorn auf der Zunge. „HOSHEI Rikyu“, half der CHOSON aus. „Nie gehört. Komische Namen haben die Merunen jetzt. Ts, ts, ts!“ Kopfschüttelnd schloss er das Tor.
„Ich stamme nicht aus Al Marun.“ - „Nicht? Woher kommst du dann? Welches Volk hat denn so verrückte Namen?“
Ein leises Geräusch ließ ihn zurückzucken. „Nein, nein, ich hab's ja nicht so gemeint. Dein Name klingt gar nicht so verrückt, wenn man sich's genau betrachtet. Deswegen brauchst du dich doch nicht so aufzuregen.“
Thorn war sehr ängstlich geworden. Offenbar hatte er schlechte Erfahrungen mit Waffen im Halbdunkel gemacht. Rikyu zögerte noch, aber dann ließ er sein Schwert wieder zurück gleiten.
Auch er befasste sich jetzt mit dem Boot, dessen Umrisse im Hof zu erkennen waren. Es schien auf einem Gestell zu ruhen, mit dem es leicht zu Wasser gebracht werden konnte. So weit Rikyu erkennen konnte, handelte es sich um eine Art Lugger, ein kleineres Boot also, jedoch ausreichend für sein Vorhaben.
„Das soll dein bestes Boot sein? Ein Boot, das an Land verrottet? Das ist ja nicht einmal 20 Lant wert. So etwas kann ich nicht brauchen. Wenn du nichts Besseres zu bieten hast, dann...“ – „Nein, nein, so darfst du das nicht sehen. Die Lythande war vorige Woche noch im Wasser. Ich habe sie reparieren lassen. Jetzt ist sie wieder wie neu.“
„Repariert? Was denn?“ - „Äh, der Boden war zu bewachsen, ich habe ihn abgekratzt.“ Das klang nicht sehr überzeugend, doch Rikyu ließ es darauf beruhen.
"40 Lant und keinen mehr! Dafür bin ich in zwei Wochen wieder da."
„Unmöglich! Wovon soll ich denn die ganzen Kosten bezahlen, die ich durch das Boot habe? Zum Leben bleibt mir dann überhaupt nichts mehr. Das geht nicht!“
Jetzt hob ein langes Feilschen an, in dessen Verlauf sich beide Seiten nichts schenkten. Thorn wurde immer nervöser und unsicherer, während der CHOSON allmählich seine Ruhe wieder fand und der Tarcyer schließlich einem Preis von 46 Lant zustimmte. Rikyu verlangte noch ein Segel als Reserve und musste dafür weitere 5 Kupfer-Lant zahlen.
Schließlich überredete er Thorn noch dazu, ihm das Boot am nächsten Tag zu Wasser zu lassen und es mit Proviant und einigen Ausrüstungsgegenständen zu versehen, die Rikyu ihm angab.
Der CHOSON würde sich das Boot bei hellem Tag noch einmal anschauen, schon wissend, dass der Händler immer noch ein gutes Geschäft gemacht hatte. Hoffentlich hielt es das, was der Händler versprach.
Übermorgen sollte die Fahrt dann beginnen. Ein Handschlag besiegelte das Geschäft und der Händler schloss den Hof wieder ab.
„Glaube mir, du hast ein vorzügliches Boot bekommen für diese paar Kröten. Etwas Besseres wirst du in ganz Tarcy nicht finden.“
Rikyu ließ ihn reden. Durch den schnellen Erfolg mit Thorn war er noch nicht dazu gekommen, zu essen. Das aber gedachte er jetzt in seiner Herberge nachzuholen. Morgen würde er dann weitersehen.

**********

HOSHEI Rikyu ließ sich zurücksinken, hielt aber das Ruder weiterhin fest. Seit drei Tagen war jetzt auf See und war mal hierhin, mal dorthin gesegelt. Ein bestimmtes Ziel hatte er nicht, doch manchmal gewann er den Eindruck, dass der Ydd–Kurs ihm am meisten zusagte. Doch dort lag das Land, von dem er gekommen war. Von dort hatte es ihn auf das Wasser gezogen. Sollte er die Zeichen falsch gedeutet haben? Unwahrwahrscheinlich! Doch der Drang blieb. Vielleicht stimmte auch nur die Richtung, das Ziel jedoch befand sich im Wasser?
Entschlossen setzte Rikyu das Segel wieder, trimmte es gegen den Wind und setzte Kurs nach Sud ab. Er würde Esran umrunden und dann auf Nor–Kurs gehen. Vielleicht kam er so seinem unbekannten Ziel näher.
 

Rikyu

Mitglied
@FlamMarion
Auch hier noch einmal meinen Dank an dich für deine Arbeit.
Ich konnte auch hier feststellen, dass die wesentlichen Korrekturen formeller Art waren, die leicht zu korrigieren waren.

EIne Frage habe ich allerdings an dich: ist der Genitiv von 'Gegenüber' nicht 'Gegenübers'?

<Zitat>
Jeder vernünftige Mensch kauft oder mietet ein Boot bei guten Lichtverhältnissen. Er vertraut ihm schließlich sein Leben an. Warum kauft Rikyu praktisch die Katze im Sack?
</Zitat>
Du hast natürlich Recht.
Thorn ist daran interessiert, sein Boot so schnell wie möglich zu verkaufen. Der Kunde sollte nicht die Möglichkeit haben, allzu viel zu sehen, daher auch die nächtliche Besichtigung.
Rikyu wiederum verspürt ein seltsames Drängen, das ihn auf diese nächtliche Unternehmung eingehen lässt. Dieses Drängen wird im letzten Teil erklärt, wenn der Towan 'auftritt'. Ich wollte hier bereits einen kleinen Hinweis setzen, ohne ihn an dieser Stelle bereits zu erklären (wie denn auch?)
Auch an dieser Stelle wäre ich für Stellungnahmen anderer Leser ausgesprochen dankbar: wie haben sie diese Szene empfunden und aufgefasst?
 

flammarion

Foren-Redakteur
nee,

lieber Rikyu, Gegenüber bleibt Gegenüber, jedenfalls in der Literatursprache. es gibt noch einige Substantive, an die der Genitiv kein s zaubern kann. des Menschen zB, nicht des Menschens.
die Sache mit dem Bootskauf solltest du vielleicht so gestalten, dass jeder erkennt, dass Rikyu es eilig hat mit dem Kauf. gegenwärtig plätschert es sacht dahin.
lg
 



 
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