Ich reiste an die Sanriku-Küste in der Nähe von Hachinohe in der Präfektur Aomori. Dort befindet sich eines der sagenumwobensten Torii Nippons. Es heißt, dort könne man sich sehen. Nicht das, was wir nach außen darstellen, sondern unser wirkliches Ich.
Was soll ich sagen. Ich stand dort und fand es schön. Dieser Blick durchs Tor aufs Meer. Schön...wunderschön, mehr nicht. Aber so ist das meistens, wenn man ein Wunder erwartet. Es entspricht nie dem, was man sich davon erträumt. So dachte ich.
Dann kam dieser Mann. Ganz offensichtlich ein Bettelmönch. Er trug den typischen Strohhut, die offenen Holzsandalen, einen Hakama und eine schwarze Kariginu-Robe. Er schien mich nicht zu sehen, zumindest würdigte er mich keines Blickes.
Der Samana ging zum Wasser und wusch sich Hände und Mund. Danach stellte er sich vor das Torii, verbeugte sich und klatschte anschließend in die Hände. Der Mönch begann zu singen. Ein seltsamer Sprechgesang, der mir irgendwie vertraut war. Wie eine Melodie, die tief verborgen in einem ist und die man nun zum ersten Mal hört.
Schalaba mana, Schala mana, Schalaba mana
Ich stellte mich hinter den Mönch, blickte durchs Tor aufs Meer und lauschte dem Gesang und dem Branden der Wellen.
Schalaba mana, Schala mana, Schalaba mana
Ich schloss die Augen. Zeit und Raum verloren sich. Nur noch dieser Gesang und die Wellen. Wie lange ich dort stand, weiß ich nicht. Als ich die Augen öffnete, war der Mönch verschwunden.
Vor mir das Tor. Nein...Es war, als ob ich durch tausend Tore sähe und hinter all den Toren eine leuchtende Welt. Ob dies einem Traum oder der Wirklichkeit entsprang...wer weiß? Auf jeden Fall ging ich durch die Tore dem Horizont entgegen, auf dem eine lichte Insel zu schwimmen schien.
Je näher ich kam, umso deutlicher zeichneten sich die Konturen der Welt ab. Es war ein Abbild all dessen, was ich mir immer erträumt. All die Wünsche und Träume lagen vor mir, zum Greifen nah. Die Erfüllung eines Lebens.
Wenige Schritte nur...ein Schritt. Doch dann vernahm ich die Stimme. Meine Stimme. Sie rief vom Ufer her zu mir herüber.
'Erkenne die Wahrheit', rief sie, 'erkenne die Wahrheit'.
Ich blickte zurück und sah mich neben dem Samana stehen. Ich winkte mir zu. Schalaba mana, Schala mana, Schalaba mana, sang mein Ich. Mein Blick schwenkte vom Paradies zum Ufer. Immer wieder und immer wieder. Im nächsten Augenblick stand ich am Ufer. Vor mir das Tor. Ich lächelte und ging meinem nächsten Schritt entgegen.
https://scontent.ftxl1-1.fna.fbcdn....=b1d9b3205960ed106e87c9e727b3da91&oe=58DBAA01