Betrat man ein bürgerliches Wohnzimmer, war der Bücherschrank ein Blickfang. Ehrfürchtig musterte der Besucher die Buchrücken. War ihm ein Titel bekannt, war dies Anlass zu einem Gespräch. Über Generationen wurden die Bücherschätze zusammengehalten. Die Bibliothek wurde vererbt und im Fall einer Ehescheidung auch schon einmal geteilt. In besseren Kreisen hatte man sein Exlibris, andere schrieben ihren Namen auf Vorsatz oder Titel. Manche vermerkten, von wem sie das Buch geschenkt erhalten hatten oder wann sie es erworben oder gelesen hatten. Andere unterstrichen Sätze, die ihnen bedeutsam erschienen. Verschenkte man ein Buch, dann meist mit Widmung: zum Geburtstag, zu Weihnachten … Man überlegte lange, welches Buch zum Anlass oder zum Beschenkten passen würde. Man empfahl anderen seine Bücher zur Lektüre und verlieh sie - nicht immer gerne; es gehörte zum guten Benehmen, nach angemessener Zeit und in tadellosem Zustand wieder zurückzugeben.
Und heute?
Es sind zu viele Bücher im Haus. Die, die nach mir alles leerräumen müssen. werden einen großen Container kommen lassen und für die Entsorgung noch bezahlen müssen. Vielleicht steht irgendwann ein Umzug an, und es wird weniger Platz geben. Da ist es besser, die Selektion selbst in die Hand zu nehmen.
Ich kenne niemanden, dem ich eins meiner vielen Bücher schenken könnte. Biete ich jemandem ein Buch an, von dem ich annehme, dass es seine Interessen trifft, ernte ich ein abwehrendes Naserümpfen. Komme ich heute in das Wohnzimmer besserer Leute, stehen dort keine Bücherwände mehr. Es finden sich höchstens einige großformatige Bildbände über beliebte Urlaubsziele. Man spricht vom coffee table book, das in den Bereich der Dekoration gehört.
Nein, sich über Stunden, Tage oder gar Wochen mit dem zu beschäftigen, was zwischen zwei Buchdeckeln steht, das gelingt nur noch wenigen. Unvergesslich, die Aussage einer jungen Frau, die mir - schon vor vielen Jahren - sagte, sie empfände es als eine Unverschämtheit, jemandem ein Buch zu schenken. Auf meine erstaunte Frage, wie sie denn das meine, erklärte sie mir: “Wenn ich jemandem ein Buch schenke, erwarte ich, dass die Person das Buch auch liest. Und jemanden zu einem so hohen, viele Stunden dauernden Zeitaufwand zu nötigen, das ist einfach eine Unverschämtheit.”
Viel Zeit, oft Jahre, wendet ein Autor auf, um das, was er mitteilen will, in Buchform zu bringen. Ein Buch ist verdichtete Erfahrung, und in wenigen Stunden kann ein ein Leser, oft auch auf unterhaltsame Weise, eine Weltsicht kennenlernen, hinter der jahrelange Mühen stecken.
Da die Erfahrung des Bücherlesens offenbar von vielen als nutzlose Zeitverschwendung empfunden wird, muss ich selbst zur historischen Selektion übergehen. Schon immer haben Menschen weggeworfen, was sie nicht mehr benötigten, und was blieb, wurde dann wertvoll.
Als gehe ich die Regale entlang, und mir wird klar, dass die Arbeit nicht in einem Rutsch erledigt werden kann. Nicht nur der Aufbau, auch der Abbau einer Bibliothek braucht Zeit.
Jeder Band, den ich in die Hand nehme, weckt Zweifel. Aber es braucht Entscheidungen!
Bücher aus meiner Studentenzeit, die ich bis heute nicht gelesen habe: weg damit! Nachschlagewerke aller Art: weg damit! Unterhaltsame Romane, die man an einem verregneten Nachmittag liest; schwer, eine Entscheidung zu treffen. Man sollte sie verschenken oder behalten, um sie noch einmal zu lesen und dann zu sehen, ob man das gleiche wie bei der ersten Lektüre empfindet. Goethe bleibt. Fontane bleibt. Hölderlin, ETA Hoffmann dito. Natürlich auch die Bibliophilie. Max Frisch, Peter Weiss - gar keine Frage. Die Klassiker aus Frankreich - von Moliere bis Sartre und Beauvoir, bleiben natürlich. Dann Foto- und Kunstbände, so weit mich die Künstler interessieren: vielleicht komme ich später einmal in die Lage, nicht mehr gut lesen und nur noch Bilder betrachten zu können. Geschichte bleibt auch; ich schaue jedoch, ob der jeweilige Historiker es auch verdient.
Über Monate zieht sich die Selektion hin. In vielen Bänden, die der Zerstörung übergeben werden, blättere ich noch einmal, lese darin herum; manche werden in letzter Sekunde gerettet. Ich betrachte die Bilder, den Einband, den Umschlag und denke, schade, schade. Mir bricht jedesmal das Herz. Ich zerstöre selbst einen Teil meiner Biographie.
Ich bin mir sicher, mich später sagen hören, ja, das Buch habe ich einmal gehabt.
Dann kommt das schlechte Gewissen über diesen barbarischen Kulturfrevel. Zerstörung von Kultur gleich Vernichtung von Identitäten. Und die Erinnerung an den schönsten Satz in Günter Grass’ Blechtrommel: “Auch schlechte Bücher sind Bücher und deshalb heilig.”
Und heute?
Es sind zu viele Bücher im Haus. Die, die nach mir alles leerräumen müssen. werden einen großen Container kommen lassen und für die Entsorgung noch bezahlen müssen. Vielleicht steht irgendwann ein Umzug an, und es wird weniger Platz geben. Da ist es besser, die Selektion selbst in die Hand zu nehmen.
Ich kenne niemanden, dem ich eins meiner vielen Bücher schenken könnte. Biete ich jemandem ein Buch an, von dem ich annehme, dass es seine Interessen trifft, ernte ich ein abwehrendes Naserümpfen. Komme ich heute in das Wohnzimmer besserer Leute, stehen dort keine Bücherwände mehr. Es finden sich höchstens einige großformatige Bildbände über beliebte Urlaubsziele. Man spricht vom coffee table book, das in den Bereich der Dekoration gehört.
Nein, sich über Stunden, Tage oder gar Wochen mit dem zu beschäftigen, was zwischen zwei Buchdeckeln steht, das gelingt nur noch wenigen. Unvergesslich, die Aussage einer jungen Frau, die mir - schon vor vielen Jahren - sagte, sie empfände es als eine Unverschämtheit, jemandem ein Buch zu schenken. Auf meine erstaunte Frage, wie sie denn das meine, erklärte sie mir: “Wenn ich jemandem ein Buch schenke, erwarte ich, dass die Person das Buch auch liest. Und jemanden zu einem so hohen, viele Stunden dauernden Zeitaufwand zu nötigen, das ist einfach eine Unverschämtheit.”
Viel Zeit, oft Jahre, wendet ein Autor auf, um das, was er mitteilen will, in Buchform zu bringen. Ein Buch ist verdichtete Erfahrung, und in wenigen Stunden kann ein ein Leser, oft auch auf unterhaltsame Weise, eine Weltsicht kennenlernen, hinter der jahrelange Mühen stecken.
Da die Erfahrung des Bücherlesens offenbar von vielen als nutzlose Zeitverschwendung empfunden wird, muss ich selbst zur historischen Selektion übergehen. Schon immer haben Menschen weggeworfen, was sie nicht mehr benötigten, und was blieb, wurde dann wertvoll.
Als gehe ich die Regale entlang, und mir wird klar, dass die Arbeit nicht in einem Rutsch erledigt werden kann. Nicht nur der Aufbau, auch der Abbau einer Bibliothek braucht Zeit.
Jeder Band, den ich in die Hand nehme, weckt Zweifel. Aber es braucht Entscheidungen!
Bücher aus meiner Studentenzeit, die ich bis heute nicht gelesen habe: weg damit! Nachschlagewerke aller Art: weg damit! Unterhaltsame Romane, die man an einem verregneten Nachmittag liest; schwer, eine Entscheidung zu treffen. Man sollte sie verschenken oder behalten, um sie noch einmal zu lesen und dann zu sehen, ob man das gleiche wie bei der ersten Lektüre empfindet. Goethe bleibt. Fontane bleibt. Hölderlin, ETA Hoffmann dito. Natürlich auch die Bibliophilie. Max Frisch, Peter Weiss - gar keine Frage. Die Klassiker aus Frankreich - von Moliere bis Sartre und Beauvoir, bleiben natürlich. Dann Foto- und Kunstbände, so weit mich die Künstler interessieren: vielleicht komme ich später einmal in die Lage, nicht mehr gut lesen und nur noch Bilder betrachten zu können. Geschichte bleibt auch; ich schaue jedoch, ob der jeweilige Historiker es auch verdient.
Über Monate zieht sich die Selektion hin. In vielen Bänden, die der Zerstörung übergeben werden, blättere ich noch einmal, lese darin herum; manche werden in letzter Sekunde gerettet. Ich betrachte die Bilder, den Einband, den Umschlag und denke, schade, schade. Mir bricht jedesmal das Herz. Ich zerstöre selbst einen Teil meiner Biographie.
Ich bin mir sicher, mich später sagen hören, ja, das Buch habe ich einmal gehabt.
Dann kommt das schlechte Gewissen über diesen barbarischen Kulturfrevel. Zerstörung von Kultur gleich Vernichtung von Identitäten. Und die Erinnerung an den schönsten Satz in Günter Grass’ Blechtrommel: “Auch schlechte Bücher sind Bücher und deshalb heilig.”