Bücherverbrennung

fossie

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Es beginnt, unerträglich zu werden. Dennoch hegte ich vor einem Jahr eine leise Hoffnung, dass es sich zum Guten wenden würde. Nach vielen Kundgebungen und Demos glaubte ich, dass wir das Schreckgespenst des Rechtsextremismus für immer in die Flucht schlagen könnten, dass alle aufwachen würden aus einem Alptraum, den manche mehr, manche weniger vor sich herschleppten. Dass wir der menschlichen Dummheit den Nährboden entzogen hätten. Damals war ich der Meinung, es gäbe keine dummen Menschen, sondern nur dumme Handlungen, die aus vielen Gründen bei ihnen entstehen würden. Diese würde sie dazu bringen, so und nicht anders zu handeln.

Bei den Wahlen erfolgte der jähe Schock, ein Vorgang, der mehr als nur Kopfschütteln bei denjenigen hinterließ, für die das Wort „Demokratie“ noch eine große Bedeutung besaß. Aber es war zu spät. Schon bald bekamen sie die Quittung, ausnahmslos.

Ein rascher Vollzug von Maßnahmen, die sie in ihrem kranken Parteiprogramm ankündigt hatten, erfolgte in Windeseile. Glaubte man vor der Wahl noch, das konspirative Treffen der Rechten an einem geheim gehaltenen Ort in einer deutschen Stadt sei nur eine Scheinveranstaltung gewesen, so wurden alle, die es nicht wahrhaben wollten, bald eines Besseren belehrt. Als dann auch noch junge Menschen auf öffentlichen Partys rechte Parolen zu Schlagermelodien grölten, nahm man sie nur ganz kurz ernst und war gleichzeitig bestürzt, obwohl man es längst hätte besser wissen müssen. Dennoch verschwand dieses Phänomen kurz darauf wieder in der Versenkung einschlägiger Nachrichtenkanäle.

Im Fokus ihrer Politik steht seit Jahren schon die Abschiebung aller Flüchtlinge, deren Vollzug sie wenige Tage nach ihrer Machtübernahme ankündigten. Bei den Betroffenen sorgt es für Panik und Angst, von Seiten der Bürger gibt es keinerlei Reaktion darauf, es scheint ihnen nichts auszumachen oder sie haben einfach Angst und stecken den Kopf in den Sand, das konnten sie ja immer schon am besten. Vielleicht hassen sie nach wie vor Ausländer, wer weiß? Das wäre ja nichts Neues. Gingen sie noch vor gar nicht langer Zeit auf die Straße gegen Rechtsextremismus, so ducken sie sich jetzt weg. Keiner traut sich mehr etwas dagegen zu sagen oder zu unternehmen.

Fragst du sie, wer sie gewählt hat, dann will es keiner gewesen sein, ein typisches Verhaltensmuster nach jeder Wahl. Sie wollen mit Politik nichts mehr zu tun haben und gehen ihrem geregelten Alltag nach. „So schlimm wird es schon nicht kommen“, hört man sie sagen. Aber: Wie feige ist das denn!

Ich bin hin- und hergerissen zwischen dem Gedanken, hier zu bleiben und Widerstand zu leisten oder ich versuche, aus der Trostlosigkeit herauszukommen, indem ich mein Land verlasse. Eine Entscheidung, die mir keiner abnehmen kann.

Ich wohne am Marktplatz, musste es ertragen, als sie von einem Tag auf den anderen an die Macht kamen und mit lauter knallharter Rockmusik, untermalt mit faschistischem Gegröle, den gesamten Platz beschallten und ausgelassen und laut feierten. Irgendwie war es trotz seiner Andersartigkeit vergleichbar mit damals, als man in einem Fackelzug durch die Straßen marschierte. Kein Mensch traute sich damals wie heute genau an diesem Tag gegen die seltsame Prozession zu protestieren.

Nach der erneuten Machtübernahme hatten sie Tische und Bierbänke aufgebaut, im Rausch des Wahlsieges ihrer Partei waren sie erheblich angetrunken. Vorbeigehende Passanten versuchten, einen weiten Bogen um sie zu machen, um erst gar nicht mit ihnen in Berührung zu kommen. Ansonsten befürchteten sie, beim geringsten Anlass von ihnen verprügelt zu werden. Nicht einmal die Polizei hätte es wahrscheinlich gewagt, an jenem Tag einzugreifen, denn auch die waren verunsichert, weil sie nicht wussten, wie es weitergeht.

Aus dem nahen Supermarkt sah ich den Pöbel immer wieder Dosen und Flaschen mit Bier oder härteren Sachen herausschleppen. Ich schloss alle Fenster meiner Wohnung und ließ die Rollläden herunter, bestimmt war ich damit nicht alleine. Es dauerte bis spät in die Nacht hinein, bis endlich Ruhe einkehrte. So ging es bisher tagelang.



Heute auf einmal ist es verdächtig ruhig. Ich schiebe vorsichtig den Vorhang beiseite, spähe nach unten und traue meinen Augen nicht. In der Mitte des Platzes haben sie eine große Menge Holz aufgeschichtet, es sieht aus wie vor einer Hexenverbrennung, aber irgendwie ist es anders. Zum Beispiel gibt es kein Podest in der Mitte, auf das man die Verurteilten stellen kann. Dennoch bleibt mir der mulmige Gedanke, dass sie nichts Gutes vorhaben. Alles weist auf ein makabres Schauspiel hin, das hier bald stattfinden wird. Die allgegenwärtige Feststellung „Geschichte wiederholt sich“ kommt mir in den Sinn. Es scheint sich nichts geändert zu haben.

Dann dröhnt Motorengeräusch zu mir hoch, es klingt nach einem LKW, aber ich habe mich geirrt. Ein riesiger HighTech-Traktor mit einem Anhänger fährt zum ersten Akt des Spektakels vor. Bei genauem Hinsehen ist er über und über mit Büchern bestückt. Langsam näherkommend, gleichsam in einem Kreis, der sich um das Gefährt und den Holzhaufen schließt, versammelt sich eine neugierige Menge. Da trauen sie sich hin, denn die Neugier ist wie immer stärker als die eigentliche Angst bei ihnen. Die einen gaffen nur, als wären sie auf der Autobahn, die anderen zücken ihre Handys, um ja nichts zu verpassen. Klar, dass man alles ins Netz stellen will, die Community muss schließlich auf dem Laufenden gehalten werden. Polizisten haben große Mühe, die Passanten auf Distanz zu halten. Eine explosive, angespannte Stimmung verbreitet sich. Eine zum Greifen knisternde Spannung liegt in der Luft. „Wann geht es endlich los?“, prescht einer aus dem Publikum ungezügelt vor.

Einer der Protagonisten und Rädelsführer hält eine Tasche in der Hand, aus der er ein Megaphon herauszieht. „Bürger Deutschlands“, brüllt er in sein völlig übersteuertes Gerät, ein Satz, mit dem ein früherer Bundeskanzler oft seine Ansprachen ans Volk eröffnete. Aus der Flüstertüte ertönt erst einmal ein mehrsekündliches Pfeifen und quält die Ohren der Umstehenden. „Wir haben allzu lange zugesehen, wie dreckige Schmierfinken und linken kommunistischen Schriftsteller und Zeitungsschreiberlinge ihren geistigen Müll unter unser deutsches Volk gebracht haben“, fährt ihr Anführer fort. „Damit ist jetzt ein für alle Mal Schluss. In den nächsten Wochen wird man sie alle verhaften und vor Gericht stellen, dafür werden wir sorgen. Sie werden nie mehr unser Volk vergiften.“ Eine Pause folgt, in der sich die Umstehenden erwartungsvoll und zugleich fragend gegenseitig in ihre Gesichter sehen.

Dann hebt er erneut, ganz in der Art eines Volksverhetzers an: „Damit bis dahin ihre gedanklichen Ergüsse keine Möglichkeit mehr haben, unser deutsches Volk zu vergiften, werden wir ein Exempel statuieren.“

Mir wird sofort klar, was sie vorhaben. Ob ihr die Bücher, welche ihr gleich in die Hand nehmen werdet, tatsächlich gelesen habt, möchte ich stark bezweifeln, geht mir durch den Kopf. Wahrscheinlich habt ihr das in der Schule nicht einmal richtig gelernt. Wer hat es euch befohlen? Garantiert diese aalglatten Typen in der Führung der rechten Partei in ihren Nadelstreifen-Anzügen, die jetzt triumphierend die Macht ergriffen haben. Ihr Ziel, die Demokratie unseres Landes zu zerstören, zeigt erste Auswirkungen.

Die Helle des Tages schwindet langsam und die Dämmerung setzt ein, was die gesamte Szenerie noch gespenstischer erscheinen lässt. Der Obernazi auf dem Marktplatz gibt seinen Kameraden ein Zeichen und sie entzünden den vor ihnen stehenden Scheiterhaufen. Zunächst qualmt es nur und einmal mehr erinnert die unheimliche Szene an das Bevorstehen schrecklicher Verbrechen, die man bisher mehrmals in der Vergangenheit öffentlich praktiziert hat.

Einer aus dem Pöbel steigt auf den Anhänger des Traktors, nimmt das erste Buch, hält es triumphierend in die Höhe und wirft nun eines nach dem anderen seinen Kumpels zu, die es wie bei Wassereimern einer Feuerlöschkette ins inzwischen hell auflodernde und prasselnde Feuer werfen. Der mit dem Megaphon schreit dabei jeweils nur den Namen des Autors, weil es ihm nach eigenem Bekunden davor ekelt, die Titel der einzelnen Bücher, auch noch auszusprechen. Im Hintergrund läuft nun umso lauter unvermindert die harte und eintönige rechte Rockmusik von Bands, die vor allem wegen ihrer kruden Texte bekannt sind.

Mir läuft es dabei eiskalt den Rücken herunter, weil ich mich erinnere, dass ich einige Bücher geschrieben habe, deren Inhalt ebenso nicht ihrer Meinung entspricht. Denn ich war stets ein kritischer Mensch und habe mir bei meinen Lesungen kein Blatt vor den Mund genommen. Ich wollte meine Leser und Zuhörer aufrütteln und überzeugen, dass wir unbedingt rechten Populisten und Verführern kein Forum geben dürfen, sie mit klugen Argumenten attackieren müssen, wo immer es uns nötig erscheint. Ich wollte damit keinen Wahlkampf betreiben, sondern mahnend den Zeigefinger erheben und ihnen einen Spiegel ihrer Dummheit vorhalten. Die Mühe war, wie wir jetzt sehen, vergebens – der Supergau ist eingetreten.

Und während ich hinter meiner Gardine überlege, fällt unten tatsächlich mein Name – laut und unüberhörbar. Schlagartig wird mir übel und ich renne zur Toilette, um mich zu übergeben. Schweißausbrüche folgen und endlich bekomme ich wahnsinnige Angst, Angst um mein Leben, um meine Freiheit. Ich muss mich dazu zu zwingen, klar zu denken. Jedoch, es ist umsonst.

Ob sie bereits meine Adresse kennen? Werden sie gleich an meiner Haustüre klingeln oder sie gar kurzerhand eintreten? Jene Fragen kommen mir in den Sinn. Ich begebe mich zögernd und trotzdem wie magisch angezogen erneut zum Fenster, verstecke mich hinter dem Vorhang, hat da nicht einer von ihnen nach oben gesehen? Sie johlen und sind inzwischen halb besoffen vom Bier, das sie ständig aus Dosen trinken. Ausgelassen torkeln sie um den lichterloh brennenden Scheiterhaufen. „Deutschland den Deutschen“, lallen sie in inzwischen verwaschener Sprache. Sie sehen in der Dunkelheit unheimlich aus, wie geisterhafte Scherenschnitte. Fast fallen sie mitsamt den Büchern in der Hand ins Feuer. Dessen Lodern sorgt dafür, dass das Ganze noch intensiver und abstoßender auf alle Umstehenden wirkt. Auch sie haben Angst, das kann ich von hier oben erkennen.

Ich kann mich dennoch nicht vom schrecklichen Anblick der Szene lösen, muss weiter zuschauen, bin wie hypnotisiert, dabei gleichzeitig frierend und zitternd. Erich Kästner kommt mir in den Sinn. Wie muss er sich gefühlt haben, als er auf dem Berliner Opernplatz am Abend des 10. Mai 1933 unerkannt Zeuge bei der Verbrennung seiner Bücher war.

Endlich komme ich zur Besinnung, renne wie ferngesteuert zum Kleiderschrank im Schlafzimmer. Dann reiße ich meinen größten Koffer heraus und werfe wahllos meine Sachen hinein. Mir bleibt keine andere Wahl, ich muss zum Bahnhof, denn ich habe mich entschieden. Genauso wie mein Lieblingsschriftsteller bin ich kein Märtyrer.
 

petrasmiles

Mitglied
Lieber fossie,

eine gut geschriebene Geschichte, die sehr gut die inneren Prozesse des Protagonisten wiedergibt.

Scheint mir nur vom Ansatz her ein bisschen unterkomplex. Die Ursachen des 'Rechtsrucks' nicht nur hier - und man fragt sich schon, ob das so ist - hat vielfältige Ursachen, und ich sehe da auch Wahrnehmungsverschiebungen. Ich sehe z.B. eher einen Konservativismus im Verein mit nationalistischen Tendenzen - das harrt noch einer eingehenden Analyse. Wir haben uns nur daran gewöhnt, diese Nicht-linken oder christdemokratischen Tendenzen als rechtsextrem oder gar neue Nazis zu betrachten. Was nicht heißen soll, dass es diese nicht gibt, nur scheint mir alles, was nicht in die Narrative passt, als 'rechtsextrem' bezeichnet zu werden.
Insbesondere Dein Hinweis darauf, dass die 'Neuen Rechten' in Deiner Geschichte als erstes ihrem ausländerfeindlichen Furor nachgehen, halte ich angesichts der aus der Mitte der Gesellschaft stattfindenden Aktionen rund um Abschiebungen von Asylanten und Kriminalisierung von Protest für eine Erzählgewohnheit, aber keine Tatsache. Ich sehe da nichts, was die AfD grölt, das die 'demokratische Mitte' nicht bereitwillig - und schärfer - umzusetzen sich anschickt.
Ich möchte da gar keine politische Diskussion vom Zaun brechen, aber wenn mir eine Geschichte aus diesen Gründen weniger gut erscheint als sie sein könnte, möchte ich das auch zum Ausdruck bringen.

Liebe Grüße
Petra
 



 
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