Bürofragmente

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Tagmond

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Er schreit mich an, dieser widerliche Kerl; Hat eine Rechnung aus Deutschland bekommen und versteht das Problem natürlich nicht. "Geben sie mir ihren Stift, sie verstehen ja gar nichts, ich mal ihnen das auf." Und er malt mir mit aggressiven Bewegungen auf, warum die Technik dieses deutschen Systems eigentlich nicht funktionieren kann und weshalb in Frankreich…Ich fang an zu weinen, hab Durchfall mir tut alles weh, draußen Regen, Heimweh. Meine Kollegin ist traurig. Ihre Großmutter ist gestorben. Immer dieser Leistungsdruck, wie soll man da denn ruhig bleiben? Alle lieben Leute weit entfernt, mein Praktikant hat Zahnschmerzen und muss zur Wurzelbehandlung.
Ich werde nachher mit meinem wunderbaren Emanzenroman in mein Bett krabbeln und da bis morgen früh nicht mehr rauskriechen. Meine Kollegin weint immer noch, ich kann aber auch nicht mehr. Sie kann nicht zur Beerdigung, weil zu viele Kilometer dazwischen liegen. Was ist Entfernung, wenn jemand tot ist? Bizarr ist er eigentlich, dieser Gedanke .Körperlosigkeit, die Seele fliegt. Der Lebende aber muss sich in den Zug setzen, seinen Körper von einem Ort zum anderen transportieren lassen ,um anderswo um den Verlust des Verlorenen trauern zu können. Eine 99jährige vitale Holländerin mit guter Laune und einer Super-Enkelin und viel Wissen das aus ihren weisen Augen funkelte ,während sie in ihrem Schaukelstuhl saß und dieses großzügige Schmunzeln ihr Gesicht beherrschte. Plötzlich weg. Davon. Für immer! Warum lächerlich, zu glauben, warum schwach, zu hoffen? Bezieht man daraus Stärke ,ist doch Allen geholfen. Oder nicht? Vielleicht sollte ich sie umarmen, anstatt zu tippen?
 

GabiSils

Mitglied
Wenn du den Text *nicht* verstehst, bist du wohl eher dafür geschaffen als ich... vielleicht ´liegt's aber auch nur daran, daß du keine Frau bist <s>.

Gruß,
Gabi
 

Querdenker

Mitglied
Kann ich verstehen, dass der Text nicht verstanden wird. Das hat mit dem Titel und dem Inhalt zu tun.
Beginnen will ich mit dem Titel: Bürofragmente besagt zunächst nichts anderes, als dass fragmentarisch ein Büro-Tag, Alltag oder auch nur eine Stunde beschrieben wird.

Ein Vorhaben, das Achtung verdient. Das ist nicht einfach.
Unglückseligerweise wird aber der Alltag mit einem inneren Monolog vermengt.
Und es kommt ein dritter Aspekt hinzu. Es geht um Tod und Leben.
Der letzte Satz verwirrt nochmals. Er bezieht sich regulär auf die alte Dame, ist aber doch eigentlich der Kollegin zugedacht.

Wenn es eine reale Situation ist, mag es angehen, gehört dann aber in eine andere Rubrik und nicht in Kurzgeschichten. Sagen wir in die Rubrik Tagebuch.

Soll es tatsächlich eine Story sein, muss man sich beschränken : Entweder wir schildern einen Büro-Alltag mit all seinen Tücken oder aber wir schreiben über Tod und Leben. Wenn aber beides vermengt werden soll, ist der Aufhänger Büro – Alltag zu klein für den großen Tod.

Mann kann es aber auch, wenn man kann, verdichten.

Vielleicht bin ich ein wenig hart. Aber wer in die Öffentlichkeit geht, und öffentlich ist das Internet, sollte schon Kritik und Echo vertragen können. Streicheln nützt keinem Schreiber
Ich hoffe, ich habe jetzt einen ordentlichen Streit ausgelöst.
 

GabiSils

Mitglied
Hallo Querdenker,

richtig, als "ordentliche" Kurzgeschichte müßten die Themen entflochten werden, insofern wäre eine Veröffentlichung unter "Tagebuch" vielleicht besser gewesen.
Die Verquickung, die du ankreidest, beschreibt sehr gut den inneren Zustand der Protagonistin; die Alltagsszene mit dem unangenehmen Geschäftspartner ist ein Einstieg in den Monolog, der ihre Situation anreißt und zumindest mich gut verstehen läßt, wie überfordert sie ist. Die wirr erscheinenden, hüpfenden Gedanken sind ziemlich gut so beschrieben, wie sie wohl tatsächlich in so einer Situation ablaufen; die weinende Kollegin wird nur am Rande wahrgenommen, aber doch beschäftigt sich der Geist mit dem Thema, irrt ab zu den "großen" Themen, wodurch sich die eigene triste Situation möglicherweise relativiert.

Es steckt sehr viel drin in diesem kurzen Text. Ich finde ihn gut.

Gruß,
Gabi
 

Querdenker

Mitglied
Sag, ich doch.
Wäre es keine gute Story wäre ich nicht eingestiegen.
Die Situation ist für ein Tagebuch sogar hervorragend erfasst,aber eben nicht für eine Kurzgeschichte.Das macht die Sache so schwierig bei der Beurteilung
Gruß Querdenker
 

Tagmond

Mitglied
Ich danke euch sehr für die Kritik und fühle mich auch nicht angegriffen, sondern bin froh über solch konstruktive Beiträge. Es stimmt, der Text sollte eher in die Kategorie "Tagebuch", aber ich kann die auf dieser Seite irgendwie nicht finden (über welchen Link gelange ich dahin?). Das Ganze wirkt vielleicht etwas unstrukturiert und unüberdacht, weil es alles wirklich so passiert ist und auch so schnell aufeinanderfolgend. Ich arbeite im Moment in Frankreich und fand, der Text spiegele ganz gut mein inneres Durcheinander und die Erwartungshaltung meines Umfeldes wider.Jemand hat gesagt " Man kann alle Geschichten erzählen, nur nicht die Eigene" ( Ich glaub, es war in Stiller von Max Frisch) Ich kann mich schlecht in meine "Leser" hineinversetzen und muss daran arbeiten, zu berücksichtigen, dass diese meinen Kopfsalat nicht kennen können, ich also etwas strukturierter sein sollte...merci encore, tagmond.
 



 
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