3. Tag
Dienstag der 16. September 2003 08.00 Uhr
Ich erwachte mit leichten Kopfschmerzen und dem Ohrwurm „Anton Anton“ im Hirn. Irgendwann in den Morgenstunden hatte der donnernde Bass seinen Geist aufgegeben.
Stöhnend machte ich mich auf den Weg ins Bad.
An diesem Morgen, bei Tageslicht, konnte ich diesen Teil unserer Behausung besser betrachten. Das Bad wirkte wie aus einem der alten Kinoklassiker aus den fünfziger Jahren, wenn man Toiletten in Ruinen zeigt. Die Fliesen waren teilweise gesprungen, abgeplatzt und der Rest so schlecht geklebt, das es fast wie moderne Kunst aussah. Dort, wo sich noch Fugenmaterial zwischen den Kacheln befand, war auch der meiste Schimmel. Er reichte von leicht grau bis tiefschwarz.
Hotelbewertung Akazia II August 2003 http://www.Holidaycheck.de
Das Toilettenbecken war aus dem Boden gerissen und es trat Wasser aus wenn man abspülte oder duschte. Die Duschtüren konnte man nicht bewegen. Nach Beschwerde unsererseits erklärte man, dass die Duschtüren im ganzen Hotel nicht funktionierten.
In unserem Badezimmer befand sich zwar keine Duschkabine, dafür aber eine Badewanne die an der Seite einen vergilbten und fleckigen Plastikvorhang hatte. Da die Wanne selber nicht sehr einladend aussah, stellte ich mich kurz entschlossen hinein und bemühte mich, nicht mit den schimmeligen Kacheln und dem Plastikvorhang in Berührung zu kommen. Das Wasser wurde überraschenderweise recht schnell warm.
Bei der anschließenden Rasur ließ ich mir Zeit. Ich hatte das Gefühl in einem wandlosen, riesigen Raum zu stehen und das war nicht uninteressant. Die Geräusche, die aus den umliegenden Zimmern kamen, drangen durch die Wände, als wenn diese gar nicht vorhanden wären.
Im Bad nebenan saß jemand lautstark auf der Toilette. Über uns wurde heftig gestritten und irgendwo anders wurde diskutiert, wohin man heute gehen sollte. Nach einigen Tagen fühlte man sich wie in einer großen Familie. Es blieben einfach keine Geheimnisse offen.
Kopfschüttelnd verließ ich das Gemeinschaftsbad und überließ es meiner Frau, die bereits nach wenigen Augenblicken entsetzt wieder heraus stürmte. Aber da musste sie nun durch.
Als wir nach acht Uhr mit unseren Freunden an der Rezeption vorbei kamen, winkte uns das nette Mädchen dahinter zu. Der zweite Koffer von Helmut war tatsächlich schon eingetroffen und sogar in das richtige Hotel geliefert worden. Die junge Frau machte uns außerdem darauf Aufmerksam, dass um 10 Uhr vor dem Hotel ein Bus auf uns wartet. Er würde alle Neu angekommenen Gäste zu einem Begrüßungstrunk fahren.
Vom Frühstück will ich lieber schweigen. Einziger Pluspunkt an diesem Morgen war, dass diesmal im Wintergarten Plätze frei waren und wir so im hellen Licht die Bescherung auf unseren Tellern betrachten konnten. Nicht nur unser pingeliger Helmut stocherte lustlos in den teilweise undefinierbaren Materialien herum.
Da das Wetter an diesem Morgen nur um einen Hauch besser war als am Montag, entschieden wir uns, das Angebot der Reiseleitung anzunehmen. Zumindest waren so einige Stunden der Zerstreuung gegeben.
Helmut und Roswitha brachten zuerst ihren Koffer nach oben und ich ging mit meiner Frau voraus auf den Rasenvorplatz um dort auf den Bus zu warten.
Ein Mann, irgendwo zwischen 35 bis 45, stand bereits dort mit einem kleinen Regenschirm in der Hand. Er trug eine helle Windjacke, war vielleicht 1,70 groß, schlank und hatte abfallende Schultern. Auf seinem Kopf war auffallend dünnes Haar und sein schmales Gesicht Zierte ein dünner Schnauzbart sowie eine Metallbrille. Er wirkte wie ein typischer kleiner Beamter oder städtischen Angestellter.
Ich tippte auf Gerichtsvollzieher oder Finanzamtbeamter. Sein Gesicht erinnerte mich an ein Frettchen, wohingegen meine Frau später mehr zu einem Rattengesicht tendierte.
„Warten se ooch uffn Bus?“, sprach er uns direkt an.
Hatte er jetzt Sie gesagt, dachte ich bei mir. Im Urlaub sieze ich eigentlich nur das Personal und die Polizei. Urlaubsgäste sitzen im gleichen Boot und werden wie Verwandte behandelt: freundschaftlich und perdu, aber mit Vorsicht.
Ich bestätigte, dass auch wir beabsichtigten, uns der Begrüßung zu stellen, aber auch noch auf unsere Freunde warteten. Seine Augen flitzten zwischen uns, der Straße und dem Hotel hin und her.
„Ick hab ma zur Vorsicht mein Schirm mitjenommen, man weeß hier ja nie so jenau, wie dat Wetter so wird.“
Dabei kicherte er ein wenig und schaute dann misstrauisch zum Himmel.
Nach der Aussprache konnte es sich nur einen Berliner Beamten handeln. .
„Ham se eene oder zwee Wochen jebucht?“, versuchte er uns auszuhorchen.
„Wir bleiben nur 7 Tage“, sprang meine Frau sofort darauf an.
„Also der Fraß war ja ne einzije Katastrophe“, quasselte er weiter, „Aber ick schreibe mir allet uff, det jibt ne orndliche Rückzahlung vom Veranstalta. Jeden einzelnen Punkt schreibe ich uff, da könn se Jifft druff nehm.“
Während meine Frau weiter mit ihm über die Essenqualitäten und sonstigen Mängel des Hotels tratschte, suchte ich die Straße nach dem Bus ab.
Das wir bei diesem Urlaubstrip die Arschkarte gezogen hatten, war mir schon lange klar. Es fiel mir allerdings nicht im Traum ein das ganze auch noch zu dokumentieren, um hinterher 20 Euro zurück zu bekommen.
Als unsere Freunde eintrudelten, fragte mich Helmut: „Will dat Männeken da au mit?“
„Dat Männeken“ fühlte sich direkt angesprochen. „Ick schließe mir Sie ma an“, meinte er zu uns, „Schmitt is übrijens meen Name.“
„Tach Schmitti “, begrüßte ihn Helmut und damit hatte er seinen Spitznamen weg, „Kannz dich ruhich bei uns setzen.“
Schmitti wiederholte nochmals seinen Sermon vom Aufschreiben aller Mängelpunkte und bedrängte auch Helmut so zu verfahren.
„Ick krieje nämlich meistens Jeld zurück vom Veranstalta. Aba dissma will ick ooch noch ne Urlaubsentschädigung. Det Hotel hier is ja wirklich det Letzte, ne Zumutung. Alleene de Schrippen sind tödlich.“, schimpfte er wieder.
„Dat lohnt doch nich für die paa Kröten. Wir ham ja nich viel bezahlt für die paa Tage hier.“, winkte auch Helmut ab.
In diesem Moment kam auch schon der Bus, wir konnten einsteigen
und dabei raunte Helmut mir zu:
„Watt is datt denn fürn verstraalten Pannemann?“
Ich zuckte nur mit den Schultern und hoffte das Beste. Wir fuhren erst noch kreuz und quer durch den Ort und sammelten solange Urlaubsgäste ein, bis der Bus richtig voll war. Die anschließende Fahrt war recht kurz. Die Fernstraße, die um den Goldstrand herumführt, war unser Ziel. Zu Fuß vielleicht 15 Minuten.
Auf einem großen Parkplatz, worauf bereits mehrere Busse parkten, wurden wir hinaus gelassen. In einem schönen Wäldchen nebenan befand sich ein großes Lokal. Der Eingang wurde gebildet von einem Steintor und dahinter gingen große Steinstufen in eine natürliche Talsenke hinab. Von oben konnte man einen Festplatz mit Bühne erkennen.
Der Platz selber war kreisrund und umsäumt von niedrigen Gebäuden die zur Bühne hin offen waren. Gestützt wurden diese Überdachungen alle mit Holzbalken und waren mit roten Schindeln gedeckt.
Unter den Dächern war alles voll gestellt mit langen Tischen. Etliche hundert Leute saßen bereits dort und warteten vermutlich auf die Begrüßung.
Bevor wir aber durch das Steintor treten durften, mussten wir erst einen kleinen Obolus in Höhe von 5 Lewa pro Person für gewisse Nebenkosten entrichten.
Nun wussten wir auch, dass in Bulgarien die Begrüßungen Geld kosten. Aber Neugierig geworden wollten wir jetzt auch wissen, was man dabei so alles geboten bekam.
Wir suchten uns unter der Überdachung einen freien Tisch und wurden sofort um unsere Getränkewünsche gebeten. Besonders groß war die Auswahl allerdings nicht: Rot oder weiß?
„Watt denn, kein Bierken?“, maulte Helmut gleich.
Es gab nur roten oder weißen Wein. Pro Person eine kleine Karaffe und ein noch kleineres Glas dazu. Helmut und Schmitti bestellten zwar, verzichteten aber lieber aufs trinken. Da ich auch gerne Wein trinke hatte ich bald 3 Karaffen Wein vor mir stehen. Eine weiße und zwei rote. Die Herren mochten keinen Wein und den Damen war er zu sauer.
Nach einer Weile betrat ein gemischtes Paar mittleren Alters die Bühne, vermutlich vom Tourismusbüro. Beide sprachen einige freundliche Worte auf Deutsch und dann in Englisch an alle Urlaubsgäste.
Es folgten Erläuterungen zu Land und Leute, Währung und Wechselstuben sowie weitere Tipps und Vorschläge.
Meldung des Auswärtigen Amtes
Das Auswärtige Amt rät vom Geldumtausch in Wechselstuben ab, da Touristen einerseits aufgrund der häufig nur in bulgarischer Sprache ausgehängten Geschäftsbedingungen und andererseits aufgrund von unlauteren Praktiken in manchen Wechselstuben häufig erheblich weniger Geld erhalten, als sie erwarten. Auch ist es in diesem Zusammenhang bereits des öfteren zu Gewaltanwendungen seitens der Wechselstubenbetreiber gegen sich beschwerende Touristen gekommen. Daher rät das Auswärtige Amt zum Geldtausch in Geschäftsbanken. 1,-- EURO entspricht ca. 2,-- Lewa.
Danach gab es eine lange Litanei von Einladungen zu Dorftouren, Schifffahrten, Veranstaltungen und so weiter.
Gegen Ende der Begrüßung, oder man könnte es auch fast Verkaufsveranstaltung nennen, wurde dann noch ein landestypisches Gericht offeriert, das gleich serviert werden sollte.
Und wie auf Stichwort eilten Dutzende von Kellnern mit winzigen Tellerchen von Tisch zu Tisch. Jeder Gast erhielt eine Portion des landestypischen Gerichts das wie ein Auflauf aussah.
Die Menge auf dem Tellerchen befand sich im unteren Grammbereich, war kalt und schmeckte mir nicht. Den anderen erging es nicht besser. Nach einigen vorsichtigen Probehappen ließen wir alle den Rest stehen.
Nun durften auch neue Getränke geordert werden, die allerdings extra bezahlt werden mussten. Da ich immer noch zwei Karaffen des sauren Weines vor mir stehen hatte, verzichtete ich dankenswerter weise.
Bald darauf wurden verschiedene Folklore Tänzer und Sänger angemeldet. Die erste Gruppe erklomm die Bühne und folkloristisches Gedudel sprang aus den überall hängenden Lautsprechern. Zumindest schön bunt sahen die Tänzer und Tänzerinnen aus. Meinen Reisefreunden wurde es langsam langweilig und Schmitti lästerte die ganze Zeit mit Helmut um die Wette. Mit der Zeit war sogar unser Berliner Beamter endlich zum freundschaftlichen Du über übergegangen.
„Sacht ma, habt ihr keene Lust nach Varna zu fahrn? Vors Haus is ne Bushalte un fürn paar Kröten kann man bis inne City fahrn. Dat is doch interessanter als der Mist hier.“, schlug Schmitti vor.
„Gibbet da auchen Bier?“, wollte Helmut zuerst geklärt wissen.
„Da jibbet allet, wat man sich wünscht, ooch Bier.“, lockte Schmitti.
Gesagt getan, ich nahm noch einen kleinen Schluck sauren Wein mit auf dem Weg, die Damen zogen wieder ihre Jacken an und wir quetschten uns durch die Tische nach draußen.
Tatsächlich befand sich vor dem Gartenlokal eine Bushaltestelle. Kaum hatten wir mit dem Studium des Fahrplanes, natürlich in Kyrillisch, begonnen, hielt auch schon ein Bus. Das Wort Varna konnten sogar wir auf dem Busschild entziffern. Kurz entschlossen sprangen wir alle hinein. Die Fahrt nach Varna kostete pro Person einen Lewa. Der Bus selbst war recht karg ausgestattet, aber wenigstens mit genügend Halteschlaufen versehen.
Interessiert beobachtete ich die Gegend. Vereinzelt standen Häuser in wilden Gärten und wir fuhren auch eine ganze Zeit lang am Meer entlang.
„Kumma Hämman.“, rief plötzlich Helmut zu mir, „Willze da nich einziehn?“ und zeigte auf ein vier Stockwerk hohes Gebäude am linken Straßenrand. Der Strand befand an dieser Stelle etwa 20 Meter unterhalb der Straße und der flache Streifen Land neben der Straße war keine 30 Meter breit.
Bei einer der letzten Sturmfluten hatten vermutlich die Wellen wieder ein Stück Land ergattern können. Dabei muss die eine Hälfte des Hauses abgerutscht sein und war dadurch in der Mitte auseinander gebrochen. Die hintere Hälfte stand nun gut einen Meter tiefer als die vordere und der Riss verlief genau in der Mitte durch alle Stockwerke.
Ich wusste im ersten Momente nicht, ob ich es lustig finden sollte, oder ob mich der Anblick eher traurig stimmte. Die Häuser und Wohnsiedlungen, die in der Nähe von Varna immer häufiger auftauchten, machten allgemein einen ziemlich heruntergekommenen und traurigen Eindruck.
Varna ist Bulgariens drittgrößte Stadt und hat ca. 320.000 Einwohner. Es ist nicht nur die größte Hafenstadt sondern zugleich auch Seebad und wird von allen Seiten von Bergen umgeben. Bis 1956 hieß diese Stadt übrigens Stalin und bis Anfang des letzten Jahrhunderts war es die erste Endstation des berühmten Orientexpress.
Die Stadt ist Terrassenförmig gebaut und besitzt ein großzügig angelegtes Zentrum mit einem großen Park sowie vielen historischen Gebäuden.
Selbst vom Bus aus konnten wir viele schöne Straßenzüge erkennen.
An der berühmten orthodoxen „Christi Himmelfahrt Kathedrale“ stiegen wir aus und betrachteten dieses riesige Steingebäude.
Um die Kathedrale herum findet täglich ein Trödelmarkt statt, wo man von altem sowjetischen Krimskrams bis zu den typischen bulgarischen Häkel-Deckchen alles Mögliche erwerben kann.
Wir unterquerten die Hauptstraße an der Kathedrale und gelangten durch einen Park in das Geschäftsviertel der Stadt. Sogar in dem Tunnel unter der Straße waren Trödelstände aufgebaut. Hier unten gab es auch die erste öffentliche Toilette. Ein altes Mütterchen saß davor und kassierte von jedem der sich herein traute 1 Lewa.
In Gedanken noch die unbewachte Toilette vom Flughafen in der Nase, konnte ich es nicht lassen auch diese Anlage zu testen. Die Sauberkeit konnte zwar nicht überzeugen, aber die Geruchsbelästigung beschränkte sich tatsächlich auf ein Minimum. Ein wenig seltsam fand ich nur, dass das alte Mütterchen von ihrem Stuhl aus die Toilettengänger genau im Auge behalten konnte. Eine Sichtschützende Innentüre war praktischerweise ausgebaut. Anscheinend war der Diebstahl von Toilettenpapier kein Kavaliersdelikt in Bulgarien. Eine ganz neue Erfahrung für mich.
Auch in dem großen Park waren überall Stände aufgebaut. Immer wieder blieben Helmut und ich stehen und mussten dafür Sorgen, dass wir unsere Damen in dem Gedränge nicht verloren. Aber auch nach Schmitti hielten wir jedes Mal Ausschau, da wir uns ein wenig für ihn verantwortlich fühlten. Er verschwand des Öfteren, tauchte dann aber urplötzlich wie von Geisterhand an unserer Seite wieder auf.
Die Wahl, an der Kathedrale auszusteigen, war gut gewesen. Von hier aus verlief die Geschäftsstraße, die übrigens eine reine Fußgängerzone war, immer bergab. Das ermöglichte zumindest ein müheloses Bummeln.
Von den Preisen angelockt, stürmten die Damen fast jeden Jeansshop. Unzählige Hosen wurden angeschaut und auch anprobiert. Helmut und ich standen uns derweil vor den Geschäften die Füße platt. Helmut als Uhrensammler zog mich dann meist bis zum nächsten Juwelier um die Auslagen sowie deren Preise zu begutachten. Hierbei ging uns Schmitti einige male verloren. Einmal entdeckte ich ihn wieder in einer Bank, an einer langen Schlange anstehend. Als er endlich wieder heraus kam, rieb er sich die Hände.
„Det war der jünstichste Wechselkurs von janz Varna. Da konnt ick nich widastehn und hab en paar Piepen jewechselt.“
„Und wie viel hasse riskiert?“, fragte Helmut neugierig.
„Na 50 Euro, mehr jeb ick hier nich aus.“, erklärte Schmitti.
„Na, dann hasse ja fast 10 Cent gespart.“
„Dat is schließlich ooch Jeld“, meinte Schmitti im Brustton der Überzeugung. Eben typischer Beamter.
Gemeinsam schlenderten wir weiter bis zu einem größeren Platz, an dem es mehrere Cafes gab. Nachdem wir die außen angebrachten Speisekarten studiert hatten, die übrigens auch in Deutsch und Englisch abgefasst waren, entschieden wir uns für das Marktcafe. Die Einrichtung war recht ansprechend und modern mit viel Marmor und Edelstahl. Die Bedienung bestand aus einem ganzen Rudel bildhübscher junger Frauen.
Was mir hier zum wiederholten Male auffiel, war, das es so gut wie nur junge, hübsche und besonders schlanke Frauen in Bulgarien gab. Das ließ eigentlich nur zwei Möglichkeiten zu. Der Bevölkerung wurden nur soviel Kalorien zugeteilt das ein dick werden unmöglich war und die Bulgaren sind von Natur aus ein hübsches Volk. Oder aber in den Touristenzentren durften sich nur die hübschen und schlanken Mädchen aufhalten, alle anderen wurden im Landesinnern versteckt. Helmut und ich tendierten nach langer Diskussion später doch zu der ersten Annahme.
Da inzwischen Mittagszeit war bestellten alle eine Kleinigkeit zu essen. Da keiner bereit war ein Risiko einzugehen, entschieden sich alle für ein Omelett mit Schinken und Pilzen. Bei Eiern konnte man nicht allzu viel verkehrt machen. Dazu wurde das auch hier bekannte Kamikazebier bestellt. Schmitti verlangte außerdem noch Brot zu seinem Omelett. Serviert wurde recht schnell und das Essen war ausgezeichnet. Nur Schmitti bekam natürlich sein Brot nicht mitgeliefert. Lautstark versuchte er sich bei einem der jungen Frauen verständlich zu machen.
Sein Berliner Akzent war schon schwer verständlich genug, aber wie immer im Ausland bei Servierproblemen, verstand urplötzlich keine Kellnerin mehr Deutsch. Helmut grinste mir zu und feuerte den kleinen Kerl auch noch an. In diesem Lokal hatte ich vermutlich das erste und letzte mal verkehrt.
Als Schmitti sein Omelett verzehrt hatte, bekam er auch endlich sein Brot serviert. Wir rieten ihm es einfach mitzunehmen. Er tat das dann tatsächlich, nahm einige Servietten, wickelte das Brot ein und packte es in seine Windjackentaschen. Für meine Frau und mich kostete der Spaß inklusive drei großen Bieren keine 7 Lewa. Ich fragte mich, wie die Preise wohl außerhalb der großen Touristenzentren wären. In diesem Land konnte man wirklich mit kleinem Geld groß Leben. Solange man den Urlaub auf Essen und Trinken reduzierte.
Beim weiteren Bummel schlugen Rita und Roswitha irgendwann zu und kamen jede mit einer Jeans bewaffnet wieder aus einer Boutique.
Keine 20 Lewa hatte eine der Hosen gekostet.
Nicht so schön waren einige Kinder in wirklich verwahrlosten Zustand die genau erkannten, wer hier die Touristen waren. Im ganzen Rudel umkreisten sie einen und bettelten. Dabei kannten sie nur wenige Wörter, die aber mit echtem Können vorgetragen wurden.
Darunter mehrmals Pappa oder auch Mamma, Hunger und Bitte.
Wir waren allerdings gewarnt worden, ja nicht die Geldbörse zu zücken. Kleingeld das man lose in der Hosentasche hat, konnte man unbesehen spenden. Eine gezückte Brieftasche aber war meist das Angriffsignal für die Bande, die dann nach geglücktem Zugriff auf das begehrte Objekt wie ein Spuk verschwindet. Eingedenk dieser Warnung zuckten wir mit den Schultern, worauf diese kleinen Bengel sich den nächsten Touris zuwandten.
Es war später Nachmittag als wir am Ende der Einkaufsmeile angelangt waren. Hier gab es auch wieder verschiedene Bushaltestellen. Schmitti hatte sich die Busnummer gemerkt und wir suchten die entsprechende Haltestelle. Plötzlich zeigte Helmut aufgeregt auf einen Bus mit der richtigen Nummer. Der fuhr allerdings an allen Haltestellen vorbei Richtung Stadtausgang.
Erst einige hundert Meter weiter hielt der Bus an einer kleinen Haltestelle. Schmitti warf plötzlich den Turbogang ein, raffte seine Windjacke und flitzte mit einem Affenzahn quer über die breite Straße in Richtung des Busses. Helmut und ich, beide mit leichtem Handicap an Fuß und Bein, hatten da überhaupt keine Chance.
So schnell wir konnten humpelten wir mit unseren Frauen hinterher, waren aber in Gedanken bereits beim nächsten Bus. Schmitti war wie der geölte Blitz in dem Bus verschwunden und grinste uns aus der hinteren Scheibe frech entgegen. Entweder hatte der Busfahrer unser Malheur bemerkt, oder er parkte hier immer besonders lange. Am Ende konnten wir tatsächlich auch den Bus erreichen und mitfahren.
„Äh du Ratte, wollze uns alleine lassen hier?“, schimpfte Helmut auf ihn ein.
Der druckste ein wenig herum.
„Wat denn, bleib ma janz locka, musste eben schneller loofen, hier is sich ehmt jeder selbst der nächste.“, antwortete Schmitti frech.
Die Rückfahrt verlief dementsprechend still.
Wir hielten nach einer guten halben Stunde Fahrt an der Fernstraße, cirka 500 Meter vor dem Goldstrand. Mit uns stiegen auch noch andere Urlaubsgäste aus, die ebenfalls das kalte Wetter für einen Ausflug nach Varna genutzt hatten.
Die Straße zum Eingang des Goldstrandes war noch mit einer alten Schranke bestückt, die aber weit geöffnet war. Daneben befand sich ich ein im Stadium des Zerfalls befindliches Wachhäuschen.
Einer der mit uns laufenden Urlaubsgäste erklärte uns, wie es hier vor über 20 Jahren ausgesehen hatte, also noch vor der großen Wende. Da standen an dieser Stelle jede Menge Wachsoldaten mit umgehängten Maschinengewehren. Aber nicht etwa um die Feriengäste drinnen zu bewachen, sondern um die hungernde Bevölkerung außen vor zu lassen. Und wenn Honni hier seinen Sommerurlaub verbrachte, wurden ganze Teile des Strandes für ihn abgeriegelt. Einer der Gäste aus dem Osten kam dabei ins Erzählen.
„Hier traf sich das geteilte deutsche Volk. Nirgendwo spürte man die Unterschiede der Gesellschaftssysteme so krass und so nah wie in den Badeorten der Volksrepublik Bulgarien. Da lagen Kapitalismus und Sozialismus Handtuch an Handtuch und wussten noch nichts von Ozonloch, Aids und Solidaritätszuschlag.
Der Ost-Reisende, minderbemittelt durch mangelnde Devisenkraft, schielte mit Respekt und Neid auf die Ruhrgebietsbienen. Der westdeutsche Landsmann ging derweil mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in die Restaurants am Strand, um lachend die komplette Menüpalette für seine Nachzucht zu bestellen.
Die Reisekasse des Ossis wäre damit restlos erschöpft gewesen.“
Viele der Mitlaufenden pflichteten ihm bei. Aber das verstanden die Wessis natürlich wieder nicht.
Schmitti klebte uns bis ins Hotel an den Hacken. Wir genehmigten uns an der Bar alle noch einige Bier, um die Zeit bis zum Abendessen in angenehmer Umgebung zu verbringen.
Allerdings hatte sich auch der Kegelverein mit Vater Kugelbauch und Sohn Rübezahl eingefunden. Beide waren mal wieder in lautes Streitgespräch übergegangen zur allgemeinen Belustigung der anderen Gäste. Die Beschimpfungen und Pöbeleien gingen meist unter die Gürtellinie und riefen schallendes Gelächter hervor. Auch wir verfolgten das ganze mit einem breiten Grinsen.
Das Abendessen war auch diesmal keine Überraschung für uns. Viel kann ich darüber nicht mehr erzählen, da ich diese Erlebnisse am bulgarischen Buffet zum Teil erfolgreich von meiner Festplatte gelöscht habe. Wir flanierten danach noch einige Zeit auf der Promenade und genossen das abendliche Spektakel ohne irgendwo besonders einzukehren.
Zu vorgerückter Stunde betraten wir wieder unsere Hotelbar und begannen unser Rommespiel vom letzten Abend weiterzuführen.
Bereits nach kurzer Zeit tauchte auch Schmitti auf und wollte am Spiel beteiligt werden. Helmut lehnte das kategorisch ab. Dieses Spiel war ersten zu schwer für Berliner, dabei grinste er mich an, und zweitens ein Familienspiel für nur vier Personen.
Maulend stellte sich der Kleine hinter mir und linste permanent in meine Karten. Was an sich nicht strafbar ist, aber nervend, wenn man laufend ungebetene Ratschläge erhält. Nur wenige Minuten nach dem Kartengeben wussten alle Mitspieler welche Karten ich auf der Hand hatte.
Gegen elf Uhr gaben wir entnervt auf und versuchten die nächste Nacht zu überstehen. Mit dem wohlbekannten Anton im Ohr duselte ich irgendwann in den Morgenstunden weg.
Dienstag der 16. September 2003 08.00 Uhr
Ich erwachte mit leichten Kopfschmerzen und dem Ohrwurm „Anton Anton“ im Hirn. Irgendwann in den Morgenstunden hatte der donnernde Bass seinen Geist aufgegeben.
Stöhnend machte ich mich auf den Weg ins Bad.
An diesem Morgen, bei Tageslicht, konnte ich diesen Teil unserer Behausung besser betrachten. Das Bad wirkte wie aus einem der alten Kinoklassiker aus den fünfziger Jahren, wenn man Toiletten in Ruinen zeigt. Die Fliesen waren teilweise gesprungen, abgeplatzt und der Rest so schlecht geklebt, das es fast wie moderne Kunst aussah. Dort, wo sich noch Fugenmaterial zwischen den Kacheln befand, war auch der meiste Schimmel. Er reichte von leicht grau bis tiefschwarz.
Hotelbewertung Akazia II August 2003 http://www.Holidaycheck.de
Das Toilettenbecken war aus dem Boden gerissen und es trat Wasser aus wenn man abspülte oder duschte. Die Duschtüren konnte man nicht bewegen. Nach Beschwerde unsererseits erklärte man, dass die Duschtüren im ganzen Hotel nicht funktionierten.
In unserem Badezimmer befand sich zwar keine Duschkabine, dafür aber eine Badewanne die an der Seite einen vergilbten und fleckigen Plastikvorhang hatte. Da die Wanne selber nicht sehr einladend aussah, stellte ich mich kurz entschlossen hinein und bemühte mich, nicht mit den schimmeligen Kacheln und dem Plastikvorhang in Berührung zu kommen. Das Wasser wurde überraschenderweise recht schnell warm.
Bei der anschließenden Rasur ließ ich mir Zeit. Ich hatte das Gefühl in einem wandlosen, riesigen Raum zu stehen und das war nicht uninteressant. Die Geräusche, die aus den umliegenden Zimmern kamen, drangen durch die Wände, als wenn diese gar nicht vorhanden wären.
Im Bad nebenan saß jemand lautstark auf der Toilette. Über uns wurde heftig gestritten und irgendwo anders wurde diskutiert, wohin man heute gehen sollte. Nach einigen Tagen fühlte man sich wie in einer großen Familie. Es blieben einfach keine Geheimnisse offen.
Kopfschüttelnd verließ ich das Gemeinschaftsbad und überließ es meiner Frau, die bereits nach wenigen Augenblicken entsetzt wieder heraus stürmte. Aber da musste sie nun durch.
Als wir nach acht Uhr mit unseren Freunden an der Rezeption vorbei kamen, winkte uns das nette Mädchen dahinter zu. Der zweite Koffer von Helmut war tatsächlich schon eingetroffen und sogar in das richtige Hotel geliefert worden. Die junge Frau machte uns außerdem darauf Aufmerksam, dass um 10 Uhr vor dem Hotel ein Bus auf uns wartet. Er würde alle Neu angekommenen Gäste zu einem Begrüßungstrunk fahren.
Vom Frühstück will ich lieber schweigen. Einziger Pluspunkt an diesem Morgen war, dass diesmal im Wintergarten Plätze frei waren und wir so im hellen Licht die Bescherung auf unseren Tellern betrachten konnten. Nicht nur unser pingeliger Helmut stocherte lustlos in den teilweise undefinierbaren Materialien herum.
Da das Wetter an diesem Morgen nur um einen Hauch besser war als am Montag, entschieden wir uns, das Angebot der Reiseleitung anzunehmen. Zumindest waren so einige Stunden der Zerstreuung gegeben.
Helmut und Roswitha brachten zuerst ihren Koffer nach oben und ich ging mit meiner Frau voraus auf den Rasenvorplatz um dort auf den Bus zu warten.
Ein Mann, irgendwo zwischen 35 bis 45, stand bereits dort mit einem kleinen Regenschirm in der Hand. Er trug eine helle Windjacke, war vielleicht 1,70 groß, schlank und hatte abfallende Schultern. Auf seinem Kopf war auffallend dünnes Haar und sein schmales Gesicht Zierte ein dünner Schnauzbart sowie eine Metallbrille. Er wirkte wie ein typischer kleiner Beamter oder städtischen Angestellter.
Ich tippte auf Gerichtsvollzieher oder Finanzamtbeamter. Sein Gesicht erinnerte mich an ein Frettchen, wohingegen meine Frau später mehr zu einem Rattengesicht tendierte.
„Warten se ooch uffn Bus?“, sprach er uns direkt an.
Hatte er jetzt Sie gesagt, dachte ich bei mir. Im Urlaub sieze ich eigentlich nur das Personal und die Polizei. Urlaubsgäste sitzen im gleichen Boot und werden wie Verwandte behandelt: freundschaftlich und perdu, aber mit Vorsicht.
Ich bestätigte, dass auch wir beabsichtigten, uns der Begrüßung zu stellen, aber auch noch auf unsere Freunde warteten. Seine Augen flitzten zwischen uns, der Straße und dem Hotel hin und her.
„Ick hab ma zur Vorsicht mein Schirm mitjenommen, man weeß hier ja nie so jenau, wie dat Wetter so wird.“
Dabei kicherte er ein wenig und schaute dann misstrauisch zum Himmel.
Nach der Aussprache konnte es sich nur einen Berliner Beamten handeln. .
„Ham se eene oder zwee Wochen jebucht?“, versuchte er uns auszuhorchen.
„Wir bleiben nur 7 Tage“, sprang meine Frau sofort darauf an.
„Also der Fraß war ja ne einzije Katastrophe“, quasselte er weiter, „Aber ick schreibe mir allet uff, det jibt ne orndliche Rückzahlung vom Veranstalta. Jeden einzelnen Punkt schreibe ich uff, da könn se Jifft druff nehm.“
Während meine Frau weiter mit ihm über die Essenqualitäten und sonstigen Mängel des Hotels tratschte, suchte ich die Straße nach dem Bus ab.
Das wir bei diesem Urlaubstrip die Arschkarte gezogen hatten, war mir schon lange klar. Es fiel mir allerdings nicht im Traum ein das ganze auch noch zu dokumentieren, um hinterher 20 Euro zurück zu bekommen.
Als unsere Freunde eintrudelten, fragte mich Helmut: „Will dat Männeken da au mit?“
„Dat Männeken“ fühlte sich direkt angesprochen. „Ick schließe mir Sie ma an“, meinte er zu uns, „Schmitt is übrijens meen Name.“
„Tach Schmitti “, begrüßte ihn Helmut und damit hatte er seinen Spitznamen weg, „Kannz dich ruhich bei uns setzen.“
Schmitti wiederholte nochmals seinen Sermon vom Aufschreiben aller Mängelpunkte und bedrängte auch Helmut so zu verfahren.
„Ick krieje nämlich meistens Jeld zurück vom Veranstalta. Aba dissma will ick ooch noch ne Urlaubsentschädigung. Det Hotel hier is ja wirklich det Letzte, ne Zumutung. Alleene de Schrippen sind tödlich.“, schimpfte er wieder.
„Dat lohnt doch nich für die paa Kröten. Wir ham ja nich viel bezahlt für die paa Tage hier.“, winkte auch Helmut ab.
In diesem Moment kam auch schon der Bus, wir konnten einsteigen
und dabei raunte Helmut mir zu:
„Watt is datt denn fürn verstraalten Pannemann?“
Ich zuckte nur mit den Schultern und hoffte das Beste. Wir fuhren erst noch kreuz und quer durch den Ort und sammelten solange Urlaubsgäste ein, bis der Bus richtig voll war. Die anschließende Fahrt war recht kurz. Die Fernstraße, die um den Goldstrand herumführt, war unser Ziel. Zu Fuß vielleicht 15 Minuten.
Auf einem großen Parkplatz, worauf bereits mehrere Busse parkten, wurden wir hinaus gelassen. In einem schönen Wäldchen nebenan befand sich ein großes Lokal. Der Eingang wurde gebildet von einem Steintor und dahinter gingen große Steinstufen in eine natürliche Talsenke hinab. Von oben konnte man einen Festplatz mit Bühne erkennen.
Der Platz selber war kreisrund und umsäumt von niedrigen Gebäuden die zur Bühne hin offen waren. Gestützt wurden diese Überdachungen alle mit Holzbalken und waren mit roten Schindeln gedeckt.
Unter den Dächern war alles voll gestellt mit langen Tischen. Etliche hundert Leute saßen bereits dort und warteten vermutlich auf die Begrüßung.
Bevor wir aber durch das Steintor treten durften, mussten wir erst einen kleinen Obolus in Höhe von 5 Lewa pro Person für gewisse Nebenkosten entrichten.
Nun wussten wir auch, dass in Bulgarien die Begrüßungen Geld kosten. Aber Neugierig geworden wollten wir jetzt auch wissen, was man dabei so alles geboten bekam.
Wir suchten uns unter der Überdachung einen freien Tisch und wurden sofort um unsere Getränkewünsche gebeten. Besonders groß war die Auswahl allerdings nicht: Rot oder weiß?
„Watt denn, kein Bierken?“, maulte Helmut gleich.
Es gab nur roten oder weißen Wein. Pro Person eine kleine Karaffe und ein noch kleineres Glas dazu. Helmut und Schmitti bestellten zwar, verzichteten aber lieber aufs trinken. Da ich auch gerne Wein trinke hatte ich bald 3 Karaffen Wein vor mir stehen. Eine weiße und zwei rote. Die Herren mochten keinen Wein und den Damen war er zu sauer.
Nach einer Weile betrat ein gemischtes Paar mittleren Alters die Bühne, vermutlich vom Tourismusbüro. Beide sprachen einige freundliche Worte auf Deutsch und dann in Englisch an alle Urlaubsgäste.
Es folgten Erläuterungen zu Land und Leute, Währung und Wechselstuben sowie weitere Tipps und Vorschläge.
Meldung des Auswärtigen Amtes
Das Auswärtige Amt rät vom Geldumtausch in Wechselstuben ab, da Touristen einerseits aufgrund der häufig nur in bulgarischer Sprache ausgehängten Geschäftsbedingungen und andererseits aufgrund von unlauteren Praktiken in manchen Wechselstuben häufig erheblich weniger Geld erhalten, als sie erwarten. Auch ist es in diesem Zusammenhang bereits des öfteren zu Gewaltanwendungen seitens der Wechselstubenbetreiber gegen sich beschwerende Touristen gekommen. Daher rät das Auswärtige Amt zum Geldtausch in Geschäftsbanken. 1,-- EURO entspricht ca. 2,-- Lewa.
Danach gab es eine lange Litanei von Einladungen zu Dorftouren, Schifffahrten, Veranstaltungen und so weiter.
Gegen Ende der Begrüßung, oder man könnte es auch fast Verkaufsveranstaltung nennen, wurde dann noch ein landestypisches Gericht offeriert, das gleich serviert werden sollte.
Und wie auf Stichwort eilten Dutzende von Kellnern mit winzigen Tellerchen von Tisch zu Tisch. Jeder Gast erhielt eine Portion des landestypischen Gerichts das wie ein Auflauf aussah.
Die Menge auf dem Tellerchen befand sich im unteren Grammbereich, war kalt und schmeckte mir nicht. Den anderen erging es nicht besser. Nach einigen vorsichtigen Probehappen ließen wir alle den Rest stehen.
Nun durften auch neue Getränke geordert werden, die allerdings extra bezahlt werden mussten. Da ich immer noch zwei Karaffen des sauren Weines vor mir stehen hatte, verzichtete ich dankenswerter weise.
Bald darauf wurden verschiedene Folklore Tänzer und Sänger angemeldet. Die erste Gruppe erklomm die Bühne und folkloristisches Gedudel sprang aus den überall hängenden Lautsprechern. Zumindest schön bunt sahen die Tänzer und Tänzerinnen aus. Meinen Reisefreunden wurde es langsam langweilig und Schmitti lästerte die ganze Zeit mit Helmut um die Wette. Mit der Zeit war sogar unser Berliner Beamter endlich zum freundschaftlichen Du über übergegangen.
„Sacht ma, habt ihr keene Lust nach Varna zu fahrn? Vors Haus is ne Bushalte un fürn paar Kröten kann man bis inne City fahrn. Dat is doch interessanter als der Mist hier.“, schlug Schmitti vor.
„Gibbet da auchen Bier?“, wollte Helmut zuerst geklärt wissen.
„Da jibbet allet, wat man sich wünscht, ooch Bier.“, lockte Schmitti.
Gesagt getan, ich nahm noch einen kleinen Schluck sauren Wein mit auf dem Weg, die Damen zogen wieder ihre Jacken an und wir quetschten uns durch die Tische nach draußen.
Tatsächlich befand sich vor dem Gartenlokal eine Bushaltestelle. Kaum hatten wir mit dem Studium des Fahrplanes, natürlich in Kyrillisch, begonnen, hielt auch schon ein Bus. Das Wort Varna konnten sogar wir auf dem Busschild entziffern. Kurz entschlossen sprangen wir alle hinein. Die Fahrt nach Varna kostete pro Person einen Lewa. Der Bus selbst war recht karg ausgestattet, aber wenigstens mit genügend Halteschlaufen versehen.
Interessiert beobachtete ich die Gegend. Vereinzelt standen Häuser in wilden Gärten und wir fuhren auch eine ganze Zeit lang am Meer entlang.
„Kumma Hämman.“, rief plötzlich Helmut zu mir, „Willze da nich einziehn?“ und zeigte auf ein vier Stockwerk hohes Gebäude am linken Straßenrand. Der Strand befand an dieser Stelle etwa 20 Meter unterhalb der Straße und der flache Streifen Land neben der Straße war keine 30 Meter breit.
Bei einer der letzten Sturmfluten hatten vermutlich die Wellen wieder ein Stück Land ergattern können. Dabei muss die eine Hälfte des Hauses abgerutscht sein und war dadurch in der Mitte auseinander gebrochen. Die hintere Hälfte stand nun gut einen Meter tiefer als die vordere und der Riss verlief genau in der Mitte durch alle Stockwerke.
Ich wusste im ersten Momente nicht, ob ich es lustig finden sollte, oder ob mich der Anblick eher traurig stimmte. Die Häuser und Wohnsiedlungen, die in der Nähe von Varna immer häufiger auftauchten, machten allgemein einen ziemlich heruntergekommenen und traurigen Eindruck.
Varna ist Bulgariens drittgrößte Stadt und hat ca. 320.000 Einwohner. Es ist nicht nur die größte Hafenstadt sondern zugleich auch Seebad und wird von allen Seiten von Bergen umgeben. Bis 1956 hieß diese Stadt übrigens Stalin und bis Anfang des letzten Jahrhunderts war es die erste Endstation des berühmten Orientexpress.
Die Stadt ist Terrassenförmig gebaut und besitzt ein großzügig angelegtes Zentrum mit einem großen Park sowie vielen historischen Gebäuden.
Selbst vom Bus aus konnten wir viele schöne Straßenzüge erkennen.
An der berühmten orthodoxen „Christi Himmelfahrt Kathedrale“ stiegen wir aus und betrachteten dieses riesige Steingebäude.
Um die Kathedrale herum findet täglich ein Trödelmarkt statt, wo man von altem sowjetischen Krimskrams bis zu den typischen bulgarischen Häkel-Deckchen alles Mögliche erwerben kann.
Wir unterquerten die Hauptstraße an der Kathedrale und gelangten durch einen Park in das Geschäftsviertel der Stadt. Sogar in dem Tunnel unter der Straße waren Trödelstände aufgebaut. Hier unten gab es auch die erste öffentliche Toilette. Ein altes Mütterchen saß davor und kassierte von jedem der sich herein traute 1 Lewa.
In Gedanken noch die unbewachte Toilette vom Flughafen in der Nase, konnte ich es nicht lassen auch diese Anlage zu testen. Die Sauberkeit konnte zwar nicht überzeugen, aber die Geruchsbelästigung beschränkte sich tatsächlich auf ein Minimum. Ein wenig seltsam fand ich nur, dass das alte Mütterchen von ihrem Stuhl aus die Toilettengänger genau im Auge behalten konnte. Eine Sichtschützende Innentüre war praktischerweise ausgebaut. Anscheinend war der Diebstahl von Toilettenpapier kein Kavaliersdelikt in Bulgarien. Eine ganz neue Erfahrung für mich.
Auch in dem großen Park waren überall Stände aufgebaut. Immer wieder blieben Helmut und ich stehen und mussten dafür Sorgen, dass wir unsere Damen in dem Gedränge nicht verloren. Aber auch nach Schmitti hielten wir jedes Mal Ausschau, da wir uns ein wenig für ihn verantwortlich fühlten. Er verschwand des Öfteren, tauchte dann aber urplötzlich wie von Geisterhand an unserer Seite wieder auf.
Die Wahl, an der Kathedrale auszusteigen, war gut gewesen. Von hier aus verlief die Geschäftsstraße, die übrigens eine reine Fußgängerzone war, immer bergab. Das ermöglichte zumindest ein müheloses Bummeln.
Von den Preisen angelockt, stürmten die Damen fast jeden Jeansshop. Unzählige Hosen wurden angeschaut und auch anprobiert. Helmut und ich standen uns derweil vor den Geschäften die Füße platt. Helmut als Uhrensammler zog mich dann meist bis zum nächsten Juwelier um die Auslagen sowie deren Preise zu begutachten. Hierbei ging uns Schmitti einige male verloren. Einmal entdeckte ich ihn wieder in einer Bank, an einer langen Schlange anstehend. Als er endlich wieder heraus kam, rieb er sich die Hände.
„Det war der jünstichste Wechselkurs von janz Varna. Da konnt ick nich widastehn und hab en paar Piepen jewechselt.“
„Und wie viel hasse riskiert?“, fragte Helmut neugierig.
„Na 50 Euro, mehr jeb ick hier nich aus.“, erklärte Schmitti.
„Na, dann hasse ja fast 10 Cent gespart.“
„Dat is schließlich ooch Jeld“, meinte Schmitti im Brustton der Überzeugung. Eben typischer Beamter.
Gemeinsam schlenderten wir weiter bis zu einem größeren Platz, an dem es mehrere Cafes gab. Nachdem wir die außen angebrachten Speisekarten studiert hatten, die übrigens auch in Deutsch und Englisch abgefasst waren, entschieden wir uns für das Marktcafe. Die Einrichtung war recht ansprechend und modern mit viel Marmor und Edelstahl. Die Bedienung bestand aus einem ganzen Rudel bildhübscher junger Frauen.
Was mir hier zum wiederholten Male auffiel, war, das es so gut wie nur junge, hübsche und besonders schlanke Frauen in Bulgarien gab. Das ließ eigentlich nur zwei Möglichkeiten zu. Der Bevölkerung wurden nur soviel Kalorien zugeteilt das ein dick werden unmöglich war und die Bulgaren sind von Natur aus ein hübsches Volk. Oder aber in den Touristenzentren durften sich nur die hübschen und schlanken Mädchen aufhalten, alle anderen wurden im Landesinnern versteckt. Helmut und ich tendierten nach langer Diskussion später doch zu der ersten Annahme.
Da inzwischen Mittagszeit war bestellten alle eine Kleinigkeit zu essen. Da keiner bereit war ein Risiko einzugehen, entschieden sich alle für ein Omelett mit Schinken und Pilzen. Bei Eiern konnte man nicht allzu viel verkehrt machen. Dazu wurde das auch hier bekannte Kamikazebier bestellt. Schmitti verlangte außerdem noch Brot zu seinem Omelett. Serviert wurde recht schnell und das Essen war ausgezeichnet. Nur Schmitti bekam natürlich sein Brot nicht mitgeliefert. Lautstark versuchte er sich bei einem der jungen Frauen verständlich zu machen.
Sein Berliner Akzent war schon schwer verständlich genug, aber wie immer im Ausland bei Servierproblemen, verstand urplötzlich keine Kellnerin mehr Deutsch. Helmut grinste mir zu und feuerte den kleinen Kerl auch noch an. In diesem Lokal hatte ich vermutlich das erste und letzte mal verkehrt.
Als Schmitti sein Omelett verzehrt hatte, bekam er auch endlich sein Brot serviert. Wir rieten ihm es einfach mitzunehmen. Er tat das dann tatsächlich, nahm einige Servietten, wickelte das Brot ein und packte es in seine Windjackentaschen. Für meine Frau und mich kostete der Spaß inklusive drei großen Bieren keine 7 Lewa. Ich fragte mich, wie die Preise wohl außerhalb der großen Touristenzentren wären. In diesem Land konnte man wirklich mit kleinem Geld groß Leben. Solange man den Urlaub auf Essen und Trinken reduzierte.
Beim weiteren Bummel schlugen Rita und Roswitha irgendwann zu und kamen jede mit einer Jeans bewaffnet wieder aus einer Boutique.
Keine 20 Lewa hatte eine der Hosen gekostet.
Nicht so schön waren einige Kinder in wirklich verwahrlosten Zustand die genau erkannten, wer hier die Touristen waren. Im ganzen Rudel umkreisten sie einen und bettelten. Dabei kannten sie nur wenige Wörter, die aber mit echtem Können vorgetragen wurden.
Darunter mehrmals Pappa oder auch Mamma, Hunger und Bitte.
Wir waren allerdings gewarnt worden, ja nicht die Geldbörse zu zücken. Kleingeld das man lose in der Hosentasche hat, konnte man unbesehen spenden. Eine gezückte Brieftasche aber war meist das Angriffsignal für die Bande, die dann nach geglücktem Zugriff auf das begehrte Objekt wie ein Spuk verschwindet. Eingedenk dieser Warnung zuckten wir mit den Schultern, worauf diese kleinen Bengel sich den nächsten Touris zuwandten.
Es war später Nachmittag als wir am Ende der Einkaufsmeile angelangt waren. Hier gab es auch wieder verschiedene Bushaltestellen. Schmitti hatte sich die Busnummer gemerkt und wir suchten die entsprechende Haltestelle. Plötzlich zeigte Helmut aufgeregt auf einen Bus mit der richtigen Nummer. Der fuhr allerdings an allen Haltestellen vorbei Richtung Stadtausgang.
Erst einige hundert Meter weiter hielt der Bus an einer kleinen Haltestelle. Schmitti warf plötzlich den Turbogang ein, raffte seine Windjacke und flitzte mit einem Affenzahn quer über die breite Straße in Richtung des Busses. Helmut und ich, beide mit leichtem Handicap an Fuß und Bein, hatten da überhaupt keine Chance.
So schnell wir konnten humpelten wir mit unseren Frauen hinterher, waren aber in Gedanken bereits beim nächsten Bus. Schmitti war wie der geölte Blitz in dem Bus verschwunden und grinste uns aus der hinteren Scheibe frech entgegen. Entweder hatte der Busfahrer unser Malheur bemerkt, oder er parkte hier immer besonders lange. Am Ende konnten wir tatsächlich auch den Bus erreichen und mitfahren.
„Äh du Ratte, wollze uns alleine lassen hier?“, schimpfte Helmut auf ihn ein.
Der druckste ein wenig herum.
„Wat denn, bleib ma janz locka, musste eben schneller loofen, hier is sich ehmt jeder selbst der nächste.“, antwortete Schmitti frech.
Die Rückfahrt verlief dementsprechend still.
Wir hielten nach einer guten halben Stunde Fahrt an der Fernstraße, cirka 500 Meter vor dem Goldstrand. Mit uns stiegen auch noch andere Urlaubsgäste aus, die ebenfalls das kalte Wetter für einen Ausflug nach Varna genutzt hatten.
Die Straße zum Eingang des Goldstrandes war noch mit einer alten Schranke bestückt, die aber weit geöffnet war. Daneben befand sich ich ein im Stadium des Zerfalls befindliches Wachhäuschen.
Einer der mit uns laufenden Urlaubsgäste erklärte uns, wie es hier vor über 20 Jahren ausgesehen hatte, also noch vor der großen Wende. Da standen an dieser Stelle jede Menge Wachsoldaten mit umgehängten Maschinengewehren. Aber nicht etwa um die Feriengäste drinnen zu bewachen, sondern um die hungernde Bevölkerung außen vor zu lassen. Und wenn Honni hier seinen Sommerurlaub verbrachte, wurden ganze Teile des Strandes für ihn abgeriegelt. Einer der Gäste aus dem Osten kam dabei ins Erzählen.
„Hier traf sich das geteilte deutsche Volk. Nirgendwo spürte man die Unterschiede der Gesellschaftssysteme so krass und so nah wie in den Badeorten der Volksrepublik Bulgarien. Da lagen Kapitalismus und Sozialismus Handtuch an Handtuch und wussten noch nichts von Ozonloch, Aids und Solidaritätszuschlag.
Der Ost-Reisende, minderbemittelt durch mangelnde Devisenkraft, schielte mit Respekt und Neid auf die Ruhrgebietsbienen. Der westdeutsche Landsmann ging derweil mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in die Restaurants am Strand, um lachend die komplette Menüpalette für seine Nachzucht zu bestellen.
Die Reisekasse des Ossis wäre damit restlos erschöpft gewesen.“
Viele der Mitlaufenden pflichteten ihm bei. Aber das verstanden die Wessis natürlich wieder nicht.
Schmitti klebte uns bis ins Hotel an den Hacken. Wir genehmigten uns an der Bar alle noch einige Bier, um die Zeit bis zum Abendessen in angenehmer Umgebung zu verbringen.
Allerdings hatte sich auch der Kegelverein mit Vater Kugelbauch und Sohn Rübezahl eingefunden. Beide waren mal wieder in lautes Streitgespräch übergegangen zur allgemeinen Belustigung der anderen Gäste. Die Beschimpfungen und Pöbeleien gingen meist unter die Gürtellinie und riefen schallendes Gelächter hervor. Auch wir verfolgten das ganze mit einem breiten Grinsen.
Das Abendessen war auch diesmal keine Überraschung für uns. Viel kann ich darüber nicht mehr erzählen, da ich diese Erlebnisse am bulgarischen Buffet zum Teil erfolgreich von meiner Festplatte gelöscht habe. Wir flanierten danach noch einige Zeit auf der Promenade und genossen das abendliche Spektakel ohne irgendwo besonders einzukehren.
Zu vorgerückter Stunde betraten wir wieder unsere Hotelbar und begannen unser Rommespiel vom letzten Abend weiterzuführen.
Bereits nach kurzer Zeit tauchte auch Schmitti auf und wollte am Spiel beteiligt werden. Helmut lehnte das kategorisch ab. Dieses Spiel war ersten zu schwer für Berliner, dabei grinste er mich an, und zweitens ein Familienspiel für nur vier Personen.
Maulend stellte sich der Kleine hinter mir und linste permanent in meine Karten. Was an sich nicht strafbar ist, aber nervend, wenn man laufend ungebetene Ratschläge erhält. Nur wenige Minuten nach dem Kartengeben wussten alle Mitspieler welche Karten ich auf der Hand hatte.
Gegen elf Uhr gaben wir entnervt auf und versuchten die nächste Nacht zu überstehen. Mit dem wohlbekannten Anton im Ohr duselte ich irgendwann in den Morgenstunden weg.