BULGARIA Mittwoch 4. Tag

Hoermen

Mitglied
4. Tag
Mittwoch der 17. September 2003 08.30 Uhr

Der nächste Morgen war auch nicht angenehmer als der vorherige. Die Ekelhemmschwelle war durch Kopfschmerzen auf nahezu Null gesunken. Oder ich hatte mich bereits an den Schimmel im Bad gewöhnt.
Das Frühstück war dank heißem Kaffee einigermaßen erträglich.
Nur gut, das Helmut einen vierer Tisch gefunden hatte, da gegen neun Uhr unsere Berliner Nervensäge auftauchte. Die Erleichterung über den kleinen Tisch war allerdings nur kurz, da es Schmitti nicht daran hinderte, vom Nebentisch einen Stuhl zu nehmen, sich dazu zu setzen und einige Zigaretten zu rauchen.
Einen ganzen Tag mit ihm hatten wir weiß Gott nicht geplant.
„Ich muss ersma auffen Boller“, beendete Helmut sein Frühstück, drückte seine Zigarette aus und erhob sich. Das ist seine persönliche Bezeichnung für den Toilettengang.
Wir verschwanden mit dem Hinweis, ebenfalls noch diverse Sitzungen auf unserem Zimmer durchführen zu müssen und erklärten aber, uns gleich vor dem Hotel zu treffen.
Wir marschierten geradewegs durch den Vordereingang des Hotels hinaus auf die Strandstraße bevor uns Schmitti folgen konnte.

Das Wetter machte heute schon fast einen freundlichen Eindruck. Wir beschlossen darum einmal die Bimmelbahn zu testen. Diese fuhr stündlich voll beladen mit Touristen die Straße am Strand entlang. Sie schlich dabei mit Schrittgeschwindigkeit die ganzen 3 Kilometer durch den Ort. Endstation war ein kleiner, fest ummauerter Hafen.
Einige Motorschiffe lagen dort vor Anker. Die meisten Schiffe allerdings waren Ausflugsboote mit vielen Sitzgelegenheiten, die täglich oder sogar stündlich verschiedene kleine Inseln anfuhren.
Leider ist Helmut nicht besonders Seefest, sonst hätte ich gerne einmal einen kleinen Segeltrip unternommen. Wir spazierten also langsam wieder den ganzen Weg zurück, mit dem Ziel vor Augen, das Schalke Lokal zu besuchen. welches sich auf halben Weg befindet.

Wir fanden sogar noch Platz in dem Lokal und bestellten unser gewohntes Kamikazebier. Dazu mussten wir allerdings zuerst den Kellner wecken. Der stand stocksteif, mit einer Hand am Tresen, in der hintersten Ecke und hatte die Augen geschlossen. Er schlief tatsächlich im Stehen. Es tat uns sogar ein wenig leid, ihn nur wegen ein paar Bier wecken zu müssen. Auch er hatte eine 48 Stundenschicht, aber das schien hier der normale Arbeitsrhythmus in der Saison zu sein.
Das Bier kam und wer schaute durchs Fenster hinein?
Die Berliner Nervensäge quetsche sich noch zu Helmut auf die Bank und grinste uns an.
„Ham wer uns woll verpasst“, stellte er fest. Verpasst hatten wir höchstens das Ducken als er hereinschaute.
„Aba dat Neueste wisster noch nich, unser Hotel wird in een paar Tagen abjerissen.“
Wir starrten ihn sprachlos an.
„Ja, da staunter wa“, grinste er, „Hab ick ooch eben erst anne der Bar erfahrn. Der Schuppen ist ja so marode, dasser fast von alleene zusammenklappt. Morjen wern die ersten Etagen jeräumt.“
„Also nää. Hoffenlich müssen wo nich noch dat Hotel wäxeln. Odda die reissen dat Dingen ab wo wir noch da drin pennen.“, spekulierte Helmut.
„Meinze dat wirklich?“, fragte besorgt Roswitha.
Der Berliner freute sich, dass jetzt alle besorgt waren.
Das der Abriss nötig war, darin waren wir uns alle einig. Nur musste das ausgerechnet wieder uns während unserer Urlaubstage passieren.

Wir hatten das Kartenspiel dabei und wollten uns eigentlich einige, ruhige runden Romme gönnen. Aber das konnten wir nun vergessen. Der kleine Kerl redete nur so auf uns ein. Genervt machten wir uns gegen Mittag auf den Heimweg.
Kurz vor unserem Hotel bemerkten wir einen größeren Auflauf am Strand. Neugierig geworden schlenderten auch wir in diese Richtung. Schmitti konnte es natürlich nicht aushalten und war bereits vor aus geeilt.
Verschiedene Polizeiautos der Marke Lada in Blau-Weiß standen am Straßenrand. Als wir näher kamen waren Polizisten dabei einen kleinen Teil des Strandes abzusperren. Sie steckten Stöckchen in den Sand und banden Absperrbänder dazwischen fest. Man konnte wegen der vielen Leute nicht erkennen, warum das vorgenommen wurde.
Schmitti kam ganz aufgeregt angetippelt und plapperte auch schon los:
„Am Strand hamse ne Leiche uffjejabelt, ne Wasserleiche, solln Deutscher sind.“ Grinste und verschwand wieder in der Menge. Vielleicht arbeitete er im städtischen Leichenschauhaus, überlegte ich, und freut sich immer über Nachschub.
Da wegen dem besseren Wetter bereits einige Liegestühle besetzt waren vermuteten wir zuerst einen Badeunfall. Aber bis zum Abend hatte die Geschichte die komplette deutsche Gemeinde durchlaufen. An der Bar erfuhren wir dann genaueres.
Ein Ehepaar in mittleren Jahren hatte sich wohl laufend gestritten. Er besuchte anscheinend regelmäßig das hiesige Casino, von denen es hier überraschender Weise einige gab. Nicht überraschend war, dass er laufend verlor.
Wutentbrannt flog die Frau vorgestern nach einer großen Szene im Hotel frühzeitig nach Hause.
Die Gerüchte meinten nun, dass er vermutlich auf einen Schlag alles zurück gewinnen wollte und genau das Gegenteil erreichte. Letzte Nacht ist er dann voller Verzweiflung ins Wasser gegangen und weit hinaus geschwommen. Also ein klassischer Selbstmord.
Für mich ist Selbstmord einfach nur die brutalste Art das letzte Wort zu behalten.

Wir drängten nach Schmittis Informationen nicht mehr danach einen Blick darauf zu werden. Ohne auf den Berliner zu warten spazierten wir weiter in Richtung unseres Hotels. In Höhe unserer Anlage aßen wir erstmals eine Kleinigkeit bei der mit Speisen dekorativ umstellten Brutzelbude. Dabei wurde uns auch das Geheimnis der am Morgen frittierten und aufgeschichteten Gerichten offenbart. Die Schälchen und Schüsselchen mit Essen dienten als Anschauungsobjekte. Anstatt auf einer Karte auszusuchen, sahen sich die hungrigen Gäste die Auslagen an, wählten aus und zeigten einfach mit dem Finger darauf. So hatte sich der Wirt zumindest diverse Übersetzungen seiner recht umfangreichen Speisekarte erspart.
Bereits nach wenigen Minuten war ein solches Schüsselchen geklont und die Gäste verschwanden damit in den hinteren Bereich, wo einige Stehtische bereit standen.
Wir folgten dem Beispiel und setzten uns allerdings nach nebenan zu einer Freiluft Bar. Diese war im Hawaiistile dekoriert mit einer kreisrunden Bar und hatte auch diverse Sitzmöglichkeiten. Bei einem großen Bier ließen wir uns das Frittierte schmecken.
Das Bier war kühl, die Sonne schien inzwischen recht angenehm und die Musikanlage der Hawaii Bar dudelte annehmbares für unsere Gehörgänge. Wir verbrachten so einige Zeit mit klönen und guter Unterhaltung in angenehmer Umgebung.

Als wir uns nach einiger Zeit wieder auf den Weg machten, die andere Seite des Goldstrandes zu erkunden, tauchte natürlich auch wieder unser Schatten auf.
Helmut blieb öfters bei den Uhren stehen, die Damen stöberten mehr bei den Shirts, Röcken und Badeanzügen. Ich hingegen hatte seit unserem Varna Besuch gefallen an einem kleinen Holzschachspiel gefunden. Diese wurden in fast allen Größen angeboten. Dabei handelte es sich um einen lackierten Holzkasten, bei dem die Ober und Unterseite aufgeklappt jeweils das Spielfeld bilden. Im Innern waren die nett geschnitzten Figuren untergebracht.
In einem der größeren Geschäfte wurden mehrere Größen und auch in vielen Farben angeboten. Schmitti wuselte die ganze Zeit um uns herum und versuchte seine guten Ratschläge fürs Handeln an den Mann zu bringen. Als ich interessiert ein Schachkästchen in die Hand nahm, stand er schon bereit.
„Jenau so eens will ick mir ooch koofen. Los, wir koofen zwee davon un wenn Helmut ooch noch eens nimmt, könn wa jarantiert den Preis drücken.“
Er zog los um auch Helmut vom Erwerb eines Schachspiels zu überzeugen. Ich weiß zwar, dass Helmut kein Schach spielt, aber so hatte ich ein wenig Zeit und Muße mich alleine umzuschauen.
„Also jut, Helmut will keens, frach ma, wat zwee Spiele kosten.“, quasselte er nach kurzer Zeit wieder auf mich ein.
Ein Spiel kostete in der von mir gesuchten Größe 18 Lewa. Schmitti meinte das 30 Lewa für zwei Spiele ein angemessener Preis wären. Eingedenk meiner Erfahrungen auf Türkischen Basars versuchte ich nun mit dem Verkäufer zu handeln.
Leider musste ich sehr bald feststellen, dass zwischen Bulgarischen und Türkischen Verkäufern ein himmelweiter Unterschied besteht. Beide bleiben zwar immer gleich freundlich, der Bulgare allerdings geht keinen Jota von dem ausgezeichneten Preis herunter.
Schmitti drängte daraufhin das Geschäft unter Protest zu verlassen. Dabei schob er allerdings immer mich in den Vordergrund. Ohne Schachspiel verließen wir den Laden.
Das gleiche Spielchen gab es dann im nächsten Geschäft. Auch hier verließen wir nach einiger Zeit des unfruchtbaren Feilschens den Verkaufsraum ohne Schachspiel. Dabei redete der Zwergen Beamte permanent auf mich ein, wie und was ich dem Verkäufer mitzuteilen hätte, damit er endlich mit dem Preis herunter geht.
Langsam reichte es mir. Sollte der Idiot doch sein Schachspiel kaufen wo er wollte. Ich ging schnurstracks zurück zum ersten Laden, legte 18 Lewa auf den Tisch und bekam das Spiel in eine Plastiktüte mitgegeben.
Schmitti starrte mich völlig entgeistert an. Das jemand so schnell aufgibt und den tatsächlich geforderten Preis auf den Tisch legte, dass machte ihn glatt für 20 Minuten sprachlos
„Und icke? Nu hab Ick keen Spiel.“, stammelte er noch.
„Die haben hier in jedem Geschäft so viele Spiele, die müssen die sogar schon verkaufen.“, wies ich ihn auf den vorhandnen Schachspielbestand hin.

Am späten Nachmittag gingen wir ins Hotel zurück um uns für das Abendessen fertig zu machen. Vorher gab es natürlich noch einen kurzen Besuch an der Hotelbar.
Dort saß bereits Vater Kugelbauch und machte das arme Mädchen hinter der Bar an. Die Kleine hatte vor einiger Zeit den jungen Barkeeper abgelöst und musste nun die nächste lange Schicht durchstehen. Sie war etwa 25 Jahre alt, klein und trug eine unmodische Brille. Zumindest machte sie dieses Teil nicht attraktiver. Dafür sprach sie aber ein sehr gutes Deutsch.
„Na, hams se dich vergessen?“, legte Helmut gleich los und störte damit den Dicken beim baggern, „Deine Kumpelz sin alle am Strand un du muss hier versauern.“
„Nää, ich hab keine Lust am Strand. Ich will lieber die kleine hier fi..“.
Voll wie er war nahm er kein Blatt mehr vor dem Mund. Das Mädchen hinter der Bar wurde abwechselnd rot und blass.
„Was ist nun, gehen wir aufs Zimmer meine Zuckerschnute.“, balzte er gleich weiter.
„Draußen sind viele schöne Damen die gerne mitgehen“, stellte sie in fast perfektem Deutsch fest, „Alle Professionell und viel besser und schöner als ich.“
„Nix da, ich will dich jetzt fi……“, röhrte er wieder.
Sein bunter Trainingsanzug war immer noch der Gleiche, den er auch im Flugzeug getragen hatte. Ich wettete mit Helmut um ein Bier, dass er den noch nicht einmal zum Schlafen auszog. Leider ging mein Freund aus mir unbekannten Gründen auf diese Wette nicht ein.
Diverse Bier und sonstige Flecken hatten sich bereits zu einem anmutigen Muster auf seiner Hose versammelt. Zum rasieren war er während der letzten Tage auch nicht gekommen. Mit blutunterlaufenen Augen stierte er über den Thekenrand zu der jungen Frau. Die war zur Sicherheit bis an den hintersten Schrank gewichen.
„Hömma Alter, geh dich ma auspennen. Du fälls ja gleich ausse socken.“, sprach ihn Helmut nochmals an.
Nun stierte er zu uns.
„Erst will ich fiiiiiiiiiiiiiiiiiiii….“, gurgelte er wieder und rutschte dabei fast vom Hocker. Er fing sich soeben, hielt sich am Tresen fest und schwankte dabei beträchtlich.
Die Kleine hinter dem Tresen kicherte. Anscheinend war sie solch verbalen Ausrutscher schön öfters begegnet.
Langsam kam Kugelbauch in die Gänge und stolperte in Richtung Aufzug. Wir vernahmen noch etwas über Schlafen oder Ausruhen bevor es los geht und dann verschwand er im Aufzug.
Für Gesprächsstoff war damit an der Bar für die nächste halbe Stunde gesorgt. Leider trudelte dann auch unsere Berliner Schnauze wieder ein und wollte unbedingt wissen, was wir denn zu lachen hätten. Da wir ihn nicht aufklärten, fing er bald wieder an zu maulen.
Wir verzogen uns dann aufs Zimmer um uns für das Abendessen fertig zu machen. Über das Abendessen legen wir am besten wieder den Mantel des Schweigens. Helmut stocherte in einigen matschigen Tomaten herum während wir todesmutig verschiedene Fleischstücke probierten. Die Nudeln waren zwar kalt aber wenigstens genießbar.
Verhungern musste am Goldstrand aber niemand. Die Fresspalette an der Strandpromenade war enorm. Den abendlichen Verdauungssparziergang nutzten wir diesmal außerdem zum Testen diverser kleiner Köstlichkeiten. Hier ein kleiner, gut gewürzter Spieß, dort ein Eis rundeten das Abendessen perfekt ab.

Den Abend wollten wir eigentlich mit Rommespielen an der Hotelbar verbringen. Durch vorsichtiges Spionieren an der Eingangstür sahen wir allerdings eine altbekannte Windjacke bereits an der Bar hocken. Wir nutzten die Tatsache, dass es neben dem Akazia II auch ein neues Hotel mit der Nummer I. gab.
Der Speisesaal sowie der Wintergarten wurden von beiden Hotels benutzt und befanden sich dementsprechend genau in der Mitte. Man konnte das Akazia I ohne in den Außenbereich zu gehen, mühelos auch durch den Speisesaal erreichen.
Wir sahen uns in dem neueren Teil eingehend um und nahmen an der dortigen Bar Platz. Hier waren auch die Sessel bedeutend bequemer. Nur der Service war im alten Hotel doch um einige Grade besser, vermutlich auch der wenigen Gäste wegen die dort verkehrten.

Nachdem unsere Spielsucht befriedigt war spazierten wir durch den Esssaal zurück in unser altes Hotel und trudelten dort noch einmal an der Bar ein. Schmitti und einige andere Gäste saßen noch dort und diskutierten den bevorstehen Abriss des Hotels.
Es kam bereits zu Unmutsäußerungen da es nur noch ausländische Biersorten gab. Einheimisches Bier war an dieser Bar bereits ausgegangen und das kleine Lager wurde auch nicht mehr aufgefüllt. Vermutlich lohnte es sich nicht mehr für die letzten Tage. Der Unmut entlud sich natürlich auf das arme Mädchen, das immer noch seinen langen Dienst versah. Mit einem Lächeln und vielen Entschuldigungen versuchte sie die Gäste zu beruhigen. Sie wies außerdem daraufhin das es ja eine weitere Bar im Nebenhotel gäbe. Wir grinsten uns wissend an,
Schmitti war das natürlich nicht entgangen und fing gleich an uns zu löchern wie man dort hin gelangt und ob es dort Kamikazebier gab. Wir zuckten lediglich die Schultern und verzogen uns zum Schlafen auf unsere Zimmer. Mit meinem Freund den Anton im Ohr duselte ich gegen Mitternacht ein.
 



 
Oben Unten