BULGARIA Sonntag 1. Tag

Hoermen

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1. Tag
Sonntag der 14. September 2003 7.00 Uhr

Als Vogelgezwitscher mich weckte, schlug ich die Augen auf und war sogleich guter Stimmung. Erstens war es Sonntag und Zweitens weil heute unser Kurztrip nach Bulgarien beginnen sollte.
Wir, meine Frau Rita und ich, wollten vor dem Winter noch einmal richtig Sonne tanken und hatten aus diesem Grund zusammen mit unseren Freunden Roswitha und Helmut eine Reise von 7 Tagen nach Bulgarien gebucht.

Ein Blick aus dem Fenster verriet mir, das das Wetter heute ausgesprochen schön zu werden versprach. Im Nachhinein kann man sogar sagen, es war der wärmste und schönste Tag des ganzen Septembers gewesen. Nichts deutete auf das kommende Fiasko hin, das noch drohend vor uns lag.

Auf die Idee eines zweiten Flugurlaubs kamen wir sinnigerweise im Urlaub. Den dies jährigen Haupturlaub hatten wir wieder einmal im Mai in der Türkei verbracht. Wir flogen seit einigen Jahren in dieses Urlaubsland zusammen mit unseren Freunden, die wir auch auf einem dieser Trips kennen gelernt hatten.
Das Ehepaar war wie wir Ende vierzig und hatte zwei erwachsene Töchter. Da auch unser Sohn inzwischen lange der Schule entronnen war, konnten wir unsere Urlaubszeit nach Lust und Laune festlegen. Natürlich suchten wir uns die besten Zeiten und die günstigsten Schnäppchen dafür aus.
Roswitha und Helmut, die aus der alten Ruhrgebietsstadt Bottrop kamen, hatten ähnliche Interessen wie wir und verstanden uns sehr gut, meist ohne große Worte. Unser gemeinsames Hobby im Urlaub war faulenzen, kühles Bier und abendliches Rommespielen.

Da aber auch die Türkei jedes Jahr teurer wurde, suchten wir nach günstigen Alternativen. Nach wälzen der Urlaubskataloge kamen wir zu dem Schluss es einmal mit Bulgarien zu versuchen. Die Preise waren dort mehr als moderat und Getränke sowie Speisen sollten auch extrem niedrig sein. Unsere Finanzen waren gut gewesen in diesem Jahr und Urlaubszeit war auch genügend vorhanden. Nach einigen Treffen hatten wir nicht nur die Zeit für den Urlaub festgelegt, sondern auch den Strand und das Hotel.
Die Auswahl war wegen der kurzfristigen Buchung leider mehr als dürftig. Es gab nur noch einen Flug zum Goldstrand. Der Sonnenstrand in Bulgarien war leider schon total ausgebucht. Der für den Goldstrand zuständige Flughafen befindet sich in Varna, Bulgariens drittgrößte Stadt

Die Hotelauswahl war alles andere als gut in der von uns gewünschten Preisklasse. In den drei Sterne Hotels gab es nur noch wenig freie Betten.
Wir einigten uns auf Sonntag den 13. September für den Abflug und als Hotel wählten wir ein Drei Sterne Haus namens Akazia II mit Halbpension am Goldstrand.
Während wir für unsere Türkeiurlaube immer „All Inclusive“ buchten, hielten wir dies bei Bulgarien nicht für nötig. Sollte das Essen im Hotel nicht unseren Ansprüchen genügen, würden wir uns für diese paar Tage eben ein Restaurant leisten. Bei den dortigen Preisen dürfte das unseren Geldbeutel nicht all zu sehr strapazieren.

Also raus aus den Federn, kurz geduscht, Landfein gemacht und den bereits am Vorabend gepackten Koffer nach unten gewuchtet.
Da unser Flug erst um 12:00 Uhr ab Düsseldorf Flughafen gehen sollte, blieb also genügend Zeit für ein anständiges Frühstück.
In Gedanken sah ich mich schon am Nachmittag am Strand liegen, mit einem kühlen Bier in der Hand und die Sonne genießen.

Von unserem Wohnort im Rothaargebirge ist es etwas über eine Stunde Fahrt bis zum Düsseldorfer Flughafen. Dort wollten wir uns mit Helmut und Roswitha gegen 10 Uhr treffen und gemeinsam einchecken. Für diese Fahrt hatten wir unseren Sohn verpflichtet. Er sollte uns mit seinem alten Mazda 323 nach Düsseldorf fahren und dafür hatte ich ihm reichlich Spritgeld gegeben. Es ist ja schließlich das einzige Kind und da will man nicht knauserig sein.
Punkt halb Neun hielt ein dunkelblauer, tiefer gelegter fünfer BMW vor unserer Tür. Dennis, der Freund unseres Sohnes, stieg aus, kam herein und meinte:
„Na, alles fertig für die Abfahrt? Wir können von mir aus losfahren.“
Mein Nachwuchs, der inzwischen auch dazu gestoßen war, grinste über alle Backen:
„Freust du dich?“, fragte er mich. „Jetzt wirst du in einem vernünftigen Wagen zum Flughafen gebracht.“
Auf meine Gegenfrage warum er uns nicht selbst fahren würde, schloss er die Heckklappe seines Wagens auf und deutete auf eine riesig große, schwarze Trommel und einige in Aluminium blinkende Geräte. Das alles füllte den ganzen Kofferraum aus.
„Meine neue Basstrommel. Die kann ich unmöglich ausbauen und ein Koffer passt da nicht mehr rein.“
Das Equipment hatte vermutlich mehr Power als der kleine Motor der vorne unter der Haube saß.
Aber ich musste ihm Recht geben. Vielleicht passte noch eine Handtasche hinein, allerdings nur eine kleine und nur wenn nichts darin war.
„Und außerdem“, raunte er mir zu, „fährt Dennis uns für die Hälfte von dem was du mir gegeben hast.“
Dennis, sein Freund, war Hilfsarbeiter in einer Lackiererei gewesen und hatte sich bereits nach der ersten Löhnung diesen Luxusschlitten geleistet. Selbst wenn ich noch 25 Jahre arbeiten würde, könnte ich mir solch ein Modell nicht leisten. Seit einigen Monaten war der Junge auch noch arbeitslos und lies seinen Superschlitten nur noch sporadisch in den Sommermonaten zu. Er musste bis über beide Ohren für die nächsten 20 Jahre verschuldet sein und war somit für jeden Euro dankbar, der es ihm erlaubte, seinen Flitzer auszuführen.
Ich gönnte ihm also das Spritgeld, fand allerdings nicht nett, das mein Sohn ihn auch noch übers Ohr gehauen hatte und die andere Hälfte selber einstrich Ich wollte mir aber den Sonntag nicht verderben und gönnte es beiden.

Kurz vor neun Uhr fuhren wir auf mein Drängen endlich los.
„Keine Angst Papa, wir sind schneller da als du glaubst.“, grinste mich mein Sprössling an und mir schwante übles.
Und tatsächlich. Es war Sonntagmorgen und die Autobahn so gut wie leergefegt. Dennis zeigte uns was aus dieser Mühle herauszuholen war. Mit über 200 km/h raste er Richtung Düsseldorf.
Ich war froh hinten zu sitzen, klammerte mich an den Seitengriff und schloss meist die Augen. Dösen konnte man leider dabei nicht, dazu war die donnernde Rappmusik von den Rücklautsprechern etwas zu laut. Keine Ahnung auch ob der Wagen schnurrte oder überhaupt Geräusche von sich gegeben hatte, da mein Gehör erst wieder etliche Minuten nach unserer Ankunft am Flughafen seine Arbeit aufnahm.

Nach einer kurzen Umarmung und guten Wünschen zogen die beiden Superrapper ihre obercoolen Sonnenbrillen auf, stiegen ein und verließen den Abflugbereich mit quietschenden Reifen und in einer Wolke blauen Dunstes. So ziemlich alle Leute in unserer Umgebung starrten erst dem Wagen nach und dann uns an. Ich tat so als hätte ich keinen Sohn, schnappte mir den Koffer und sah zu das ich ins Innere des Gebäudes kam.
Meine Frau starrte dem Wagen noch etwas hinterher und genoss einen Moment die Blicke der Umherstehenden bevor sie hinter mir her stolperte.

Eine Anmutige, Licht durchflutete Konstruktion mit viel Glas und wenig Stahl erwartete uns. Das Terminal war 90 Meter breit und zog sich rechts wie links einige hundert Meter in die Länge. Das Ende konnte man nicht erkennen, da das Terminal leicht gebogen verläuft.
Überwältigt musste ich erst einmal Luft holen und alles genau betrachten.
Noch mit Staunen beschäftigt schlug mir jemand kräftig auf die Schulter. Roswitha und Helmut standen grinsend hinter uns.
„Wat war dat denn forn Affe.“, fragte Helmut und zeigte mit dem Daumen nach draußen. Das unsere Freunde aus dem Ruhrpott stammen kann man auch sehr gut an ihrer Aussprache erkennen.
„Keine Ahnung.“, verleugnete ich abermals meinen Filius und grinste zurück.
„Hai Schätzken.“, flötete Roswitha und drückte mir nach der Umarmung einen dicken Kuss auf die Wange. „Schön dasser ändlich da seid. Dann kannet ja losgehn.“
Wir umarmten uns alle kräftig und ausdauernd, da wir uns seit Wochen nicht mehr gesehen hatten. Danach machten wir uns auf die Suche nach unserem Eincheckschalter. Der befand sich, wie gehabt bei unserem Glück, am Ende des langen Terminals. Also Koffer und Tasche gepackt und losmarschiert.
Vor dem Schalter befanden sich bereits mehrere lange Passagierschlangen, die durch rote Bänder, die zwischen Stahlstangen gespannt waren, geschickt im Zickzack eingefädelt wurden. Wir suchten uns die kleinste Schlange aus und stellten uns an.
Es ging relativ flott. Bereits nach 20 Minuten waren wir die schweren Koffer los und hatten unsere Bordkarten in der Hand.
Wir nutzten die Gunst der Stunde und bummelten eine Weile durch die berühmten Airport Arkaden und staunten. Eine richtige Einkaufswelt für sich. Sehenswert aber auch teuer.

Gegen elf Uhr spazierten wir langsam in Richtung Abflugbereich. Um zu den Abflügen zu gelangen, mussten wir uns eine Ebene höher bemühen. Eine breite Treppe führte dort hinauf, an der aber bereits eine Schlange gebildet hatte. Dort oben stand schon das erste Hindernis in Form einer grünen Uniform.
Wir stellten uns wie gut erzogene Menschen hinten an, wurden aber zu unserem Erstaunen von vielen Leuten rechts und links überholt, die ganz einfach die Treppe stürmten. Von diesem Beispiel verführt ging dann die ganze Meute in fast wilden Galopp über und stürmte nach oben.
Nach viel Geschimpfe und Gedrängel durfte der Uniformierte auch auf unsere Bordkarten einen Blick werfen und winkte uns durch.
Es sollten also nur Leute diese heiligen Bereiche betreten die auch ein gültiges Flugticket hatten.
Von hier verteilte sich die Menge auf mehrere Röntgenschleusen, die auch alle besetzt waren. Wir stellten uns an und begannen die diversen Metallgegenstände, die man am Körper trägt, zu lösen. Also Uhren, Halskette, Geldtasche, Gürtel usw. Es rückte langsam vorwärts.
An der Nebenschleuse gab es währenddessen einen Aufstand. Ein Pärchen in Treckingkleidung und mit überdimensionalen Treckingrucksäcken bestückt, versuchte einen uniformierten zu überzeugen, dass das ihr Handgepäck wäre. Diese Treckingrucksäcke hatten einen Leichtmetallrahmen und ragten beim tragen weit über ihre Köpfe hinaus. Damit nicht genug trug jeder auch noch zwei große Taschen in den Händen.
Wir genossen das Schauspiel. Es wurde wild herumgestikuliert und heiß diskutiert. Allein was die beiden auf Ihrem Rücken trugen war mehr als wir vorher beim einchecken als Koffer abgegeben hatten. Mir war es ein Rätsel wie man so etwas im Handgepäckkasten unterbringen konnte.

Durch diese Kurzweil abgelenkt verging die Wartezeit wie im Fluge. Unser Handgepäck, das aus einem kleinen Rucksack bestand, musste auf ein Förderband gelegt werden und fuhr so alleine durch die Röntgenschleuse. Die Uhren, Geldbörsen und Ketten kamen in eine Plastikschale.
Unsere Sachen schoben sich langsam durch die Schleuse und einer nach dem anderen musste durch den Metalldetektor treten um sich danach nochmals mit Handsensoren abtasten zu lassen.
Ein älteres Ehepaar vor uns hielt den ganzen Verkehr auf.
Die Kontrolle hatte einen verdächtig aussehenden Gegenstand erkannt und sofort Alarm geschlagen. Beide wurden leichenblass. Ein heftiges Wühlen und Suchen begann in ihrem Handgepäck.
„Keine Ahnung was sie in meiner Handtasche gesehen haben. Ich hab da gar nichts drin. Reine Schikane ist das hier!“, keifte die ältere Dame.
Die uniformierte, aber schwergewichtige Dame hinter dem Röntgentisch, blieb ganz ruhig. Sie wühlte sich durch immer tiefere Schichten der Handtasche. Mit einem triumphierenden Grinsen zog sie plötzlich ein kleines, zusammengeklapptes Schweizer Taschenmesser hervor.
„Und was ist das?“, hielt sie dem Ehepaar das Teil höhnisch vor die Nase. Die Frau lachte schrill auf.
„Ist doch wohl nicht ihr ernst. Das ist ein winziges Schweizer Taschenmesser. Die Klinge da drin ist keine 3 Zentimeter lang.“
„Sie können sich ihr Messer“, und das Wort Messer betonte die Kontrolleurin besonders, „nach ihrem Urlaub hier in sechs Wochen wieder abholen.“ sprachs und tat das Messerchen in eine Tüte.
Die beiden Leutchen sahen sich fassungslos an.
„Name und Anschrift bitte auf diese Tüte schreiben. Machen Sie bitte platz damit der nächste Herr vorbei kann.“ Mit diesen Worten war dann ich dran.

Inzwischen war mir doch mulmig geworden. Da ich Diabetiker bin und dem Koffertransfer nicht besonders traue, verstaue ich meine Spritze sowie das Insulin immer im Handgepäck. Mein Arzt hatte mir zwar eine Diabetikerbescheinigung ausgestellt, aber vielleicht hatte die resolute Dame dort vorne ja Angst, ich könnte mit der Penspitze von 8mm den Piloten bedrohen. Mehr als auf sein Auge zielen konnte ich damit allerdings nicht.

Und tatsächlich wurde das Spritzbesteck entdeckt und hervorgeholt. Sie klappte alles auf, fragte mich ob ich Diabetiker sei, nickte dann und ließ mich durch.
Na bitte. Es geht doch, dachte ich bei mir. Lächelnd trat ich zurück um auf den Rest meiner kleinen Reisegruppe zu warten. Auch meine Frau und die Kinder Bottrops kamen ungeschoren durch die Inspektion.
Langsam spazierten wir weiter ins Innere dieser brandneuen Anlage.
Noch mehr Läden! Seit die Staaten der Europäischen Union dichter aneinander gerückt sind, heißen die Duty-Free-Geschäfte "Travelvalue-Shops". Sie suggerieren den Passagieren, dass man hier vor dem Abflug kräftig sparen kann.
Das einzige das wir uns ersparten war Durst.
„Bierken, Hämann?“, fragte mich Helmut mit einem so trockenen Grinsen das ich unmöglich Nein sagen konnte.
Wir gönnten uns, da ja auch bereits 11 Uhr durch war, unser erstes Bier. Es blieb bei diesem einen. Nicht nur der strafenden Blicke unserer Frauen wegen sondern auch mit dem Gedanken an unseren Geldbeutel. Noch 3 bis 4 Stunden und wir konnten uns dieses Edle Gesöff Literweise für den halben Preis bringen lassen. Hier musste man es sich für 5 Euro das Glas sogar noch selber an der Theke des Flughafenlokals abholen.

Um elf Uhr kam der Aufruf für den Flug nach Varna. Wir reihten uns wiederum ein, damit die Zollbeamten einen Blick in unseren dekorativen Reisepass werfen konnten. Danach durften wir im Warteraum Platz nehmen, der sich bereits gut gefüllt hatte.
Endlich, um 10 vor zwölf, wurde die Kette vor dem Gang zum Flugzeug entfernt und die Stewardessen bauten sich davor auf um unsere Bordkarten entgegen zu nehmen. Da ja alle mitgenommen werden, beeilten wir uns nicht wie die anderen Idioten, die nach vorne stürmten, sondern blieben erst einmal sitzen und beobachteten den Ansturm. Die Ersten trabten fast im Laufschrift zur Gangway, als wenn der Flieger bereits am abheben wäre.

Doch was war das!

Die noch eben nach vorne gestürmten Passagiere kamen zögernd zurückgelaufen. Sie wirkten verstört und schauten sich immer wieder um. Ihnen auf dem Fuße folgten Zollbeamte. Nachdem alle Passagiere im Warteraum versammelt waren, wurde auch wieder die Kette vor dem Gangwayzugang gehängt.
Ein leichtes Raunen ging durch die Menge.
Wir schauten uns verdutzt an.

Die Passagiere hatten sich inzwischen alle erhoben und drängten nach vorne.
„Meine Damen und Herren, wir bitten Sie, diesen Warteraum zu verlassen und wieder in den Eingangsbereich zurückzukehren.“, kam eine Durchsage von der vorne stehenden Stewardess.
Ein ungläubiges Raunen ging durch die Menge. Diese Durchsage wiederholte sie mehrere male. Stimmen wurden laut. Empörte Rufe hallten durch den Wartebereich.
Die Stewardess hingegen wiederholte monoton ihren Spruch. Kurz entschlossen ging einer der grün Uniformierten zur Eingangstür, riss diese weit auf und winkte mit beiden Armen fordernd den nächststehenden Passagieren zu.
Die meinten das tatsächlich ernst.
Einige Leute kicherten etwas hilflos. Zögernd verließen die ersten Passagiere den Warteraum.
„Na gut. Wenn sie denn meinen.“, sprach ich aufmunternd zu meinen Reisefreunden, „Dann gehen wir eben wieder hinaus.“
Gelassen machten auch wir uns auf dem Weg in den Vorraum. Hinter uns kam zögernd die ganze Meute. Als wir die Ladenpassage betraten bemerkten wir, dass auch die anderen Gates ihre Türen geöffnet hatten und die Leute nur so heraus strömten.
Langsam füllte sich auch der Vorraum zwischen den Läden.
Nach einigen Minuten kam die nächste Durchsage:
„Bitte verlassen sie das Flughafengebäude.“
Wir starrten uns sprachlos an.
„Heisst dat wir solln aunoch aussem Djutiefri?“, stotterte Helmut, „Dann könnwo nachhär ja dä ganze Scheiss mitt dat röntchen un die abklopperei nochma machen.“
„Genau mein Freund. Sieht ganz so aus.“, stimmte ich ihm zu.
Mit all den Leuten schoben wir uns Stückchen weise an den Röntgenkontrollen vorbei und die Kontrolltreppe hinunter in den riesigen Terminal.

Auch das riesige Terminal füllte sich allmählich mit Menschen. Obwohl es einige Fußballfelder groß war, herrschte bald ein richtiges Gedränge. Im Minutentakt kam die Durchsage, man möge das Flughafengebäude verlassen. Viele hielten das zunächst alles für einen großen Scherz.
„Solln wo etwa widda na Hause faarn?“, jammerte Roswitha, „Dat könn die doch nich im ärns meinen.“
Nach einiger Zeit begann das Flughafenpersonal den Terminal von hinten aufzurollen. Sie drängten die Leute immer weiter nach vorne Richtung Ausgänge. Gezwungenermaßen wurden wir mit einer Welle durch die großen, weit geöffneten Terminaltüren nach draußen gespült.

dpa-Meldung vom 14.09.2003:
In der Telefonzentrale von Deutschlands drittgrößtem Flughafen waren insgesamt sieben Drohungen eingegangen. Sie richteten sich sowohl gegen das Flughafengebäude als auch gegen Maschinen einzelner Fluggesellschaften. Im Laufe des Sonntags hätten sich diese Drohungen konkretisiert, so ein BGS-Sprecher. Um 11.35 Uhr wurde der Flughafen gesperrt. Das Zentralgebäude, und die Terminals wurden evakuiert, Parkhäuser, Zu- und Abfahrtswege geräumt. Nicht nur am Flughafen selbst, sondern auch auf den Zubringerautobahnen brach ein Chaos aus

Das Wetter hielt was es morgens versprochen hatte und war wunderschön. Stahlblauer Himmel und eine heiße Mittagssonne erwartete uns. Und kein Schatten in Sicht

Die wildesten Gerüchte schwirrten umher. Die genauen Einzelheiten erfuhren wir erst aus der Zeitung nach unserem Urlaub. Aber das es sich um eine Bombendrohung handelte, wurde auch hier schon klar.
Sämtliche Flüge von und nach Düsseldorf waren gestrichen.
Hinter den nun geschlossenen Terminaltüren nahmen Flughafenleute Aufstellung und vor dem Gebäude herrschte inzwischen ein fürchterliches Gedränge und Geschiebe. Viele Leute standen noch mit ihrem ganzen Gepäck in der Hand fassungslos herum. Wir waren froh, dass wir nur noch unser Handgepäck zu tragen hatten. Nun begann eine lange Zeit des Wartens.

dpa-Meldung vom 14.09.2003:
Von der Sperrung des Düsseldorfer Flughafens waren mehrere zehntausend Reisende betroffen. Am letzten Tag der NRW-Sommerferien wurden 64.000 Fluggäste in Düsseldorf erwartet, 20.000 mehr als an normalen Tagen. Letztlich waren nach Angaben des Flughafens 10.000 bis 15.000 Fluggäste von der Schließung der Terminals betroffen.

Vor dem Flughafenterminal verläuft eine breite, vierspurige Straße die geteilt war von einem großen Fußgängerweg. Geschäfte oder Toiletten waren weit und breit keine in Sicht. Diese befanden sich alle im Inneren des Flughafens.
Zum Schutz vor Regen ragten große verzinkte Stahlrohre aus dem Terminalgebäude heraus. Abgedeckt waren diese mit Plexiglasscheiben. Dadurch fand man zwar ausreichend Schutz vor Regen, nur die Sonne konnte dadurch ungehindert auf die Menschenmassen knallen. Schattenplätze gab es aus diesem Grund wenig. Die Sonne brannte gnadenlos herunter und die zwei Fleckchen mit Schatten wurden von dutzenden Leuten besetzt und nicht mehr freigegeben.
Die ersten Fragen nach Toiletten und Getränken wurden laut. Vor allem auch wie es denn überhaupt und wann weitergehen sollte. Der einzige Vorteil den die Fluggäste mit großen Koffern hatten, war, dass sie diese als Sitzgelegenheit benutzen konnten.
Nachdem wir über eine Stunde gestanden hatten, suchten auch wir uns eine Stelle am Mittelstreifen um einen halben Meter Bordstein zu besetzen. Endlich einmal sitzen. Aus meinem Handgepäck entnahm ich den Knirps, den ich vorsorglich des unbekannten Wetters in Bulgarien mitgenommen hatte. Ich spannte ihn auf und war zusammen mit meiner Frau erst einmal der glühenden Sonne entronnen.
Die ersten Reporter mit umgehängten Fotoapparaten durchstreiften die Menge wie Hyänen auf Beutejagd. Inzwischen waren auch jede Menge Einsatzfahrzeuge des Bundesgrenzschutzes aufgefahren und hunderte von Beamten waren im Gebäude verschwunden.

dpa-Meldung vom 14.09.2003
180 Beamte von Bundesgrenzschutz und Polizei suchten das gesamte Gelände nach möglichen Bomben ab, fanden jedoch nichts

In weiter Ferne, also am Anfang des Terminals, kam plötzlich Bewegung in die Massen. Ein großer Flughafenbus war vorgefahren und füllte sich zunächst zögernd mit Passagieren. Schon hielt ein zweiter Bus dahinter der schon entschlossener gestürmt wurde.
Nach wenigen Augenblicken waren diese beiden Busse übervoll und schoben sich langsam durch die Menschenmenge. Viele Idioten versuchten nun mit ihrem ganzen Gepäck in Richtung der Bushaltestellen zu wandern. Bei diesem Gedränge ein unmögliches Unterfangen. Wir ließen uns von der allgemeinen Hysterie nicht anstecken und blieben vorerst wo wir waren.

Und wieder hielten zwei Busse und waren in sekundenschnelle voll gestopft. Das ging nun fast im 10 Minuten Takt. Nach einer Stunde hatte sich die Menschenmenge etwas gelichtet und die Busse hielten nun auch schon ganz in unserer Nähe. Nur wo diese hinfuhren war uns immer noch nicht bekannt. Flughafenpersonal, das man hätte befragen können, war weit und breit nicht in Sicht und die Ein- und Ausgangstüren zum Terminal waren immer noch fest verschlossen.
Seit einiger Zeit stand auch ein älterer Herr mit einem riesigen Gepäckhaufen vor uns und zitterte vor Ungeduld. Er lauerte förmlich auf die Ankunft des nächsten Busses. Man sah ihm an, dass er kurz vor einer Panikattacke stand und es nicht abwarten konnte, einzusteigen.
Und wirklich, als endlich auch vor uns ein leerer Bus hielt, stürmte der Mann mit seinen Koffern und seiner Frau im Schlepp rücksichtslos nach vorne ohne sich um die Proteste der Leute zu kümmern. Auch ich sprang noch so eben zur Seite um einer Kollision mit seinem Koffer auszuweichen.
Dicht gedrängt standen wir in dem Bus und waren gespannt wohin wir nun gefahren würden. Die ersten Gerüchte, wir würden nach Frankfurt oder anderen Flughäfen gefahren, waren allerdings aus der Luft gegriffen. Helmut und ich hatten seit einiger Zeit bemerkt, dass immer wieder die gleichen Busse nach cirka 20 Minuten das Terminal anfuhren. Man hatte also die Leute nicht weit von hier wieder ausgeladen.

Wir fuhren mit dem Bus einmal rund ums Terminal, dann um das Parkhaus, kreuzten mehrere Fahrbahnebenen und fuhren einige Zeit am Flugfeld entlang. Die Fahrt dauerte vielleicht 15 Minuten.
Wir hielten auf einer breiten Straße die cirka 300 Meter lang war. Auf der rechten Seite lagen einige ein- und zweigeschossige Gebäude. Auf der linken begrenzte ein hoher Metallzaun gesäumt mit Büschen und Bäumen die Fahrbahn. Davor befanden sich Parkbuchten, die alle mit Autos besetzt waren.
Am Anfang dieser Straße war ein großer Platz, auf dem die Busse auch nach ihrer Entladung wieder wenden konnten. Auf der Straße selber wimmelten Menschen so weit das Auge reichte.

Wir stiegen alle aus und schauten uns zuerst einmal um. Nach und nach wurde mir klar wo wir uns jetzt befanden. Die zu Büroräumen umfunktionierten Gebäude auf der rechten Seite waren die ehemaligen Abfertigungshallen des alten Düsseldorfer Flughafens. Ende der siebziger Jahre hatte man mit dem Bau eines neuen, größeren Terminals begonnen. Nach dem Bau des zweiten Terminals wurden diese alten Gebäude nicht mehr für die Abfertigung benötigt. Hier waren nun die Büros diverser Fluggesellschaften, die Feuerwehr und auch die Kantine für das Flughafenpersonal untergebracht.

Nachdem ich meinen Standort erst einmal sicher bestimmt hatte, sah ich mich weiter um. In meinem Rücken fand ich dann den eben verlassenen Terminal. Eine große Wendeltreppe, die zur nächsten Straßenebene führte, war keine 50 Meter entfernt. Von der höheren Straßenebene waren es noch 20 Meter bis zum Anfang des riesigen neuen Terminals.
Anstatt mit dem Bus zu fahren, hätten wir die Strecke auch zu Fuß in drei Minuten zurücklegen können.
Während wir um uns herum alles betrachteten schlenderten wir langsam die Straße entlang. Inzwischen war es halb drei. Um diese Zeit war eigentlich unsere Ankunft in Varna geplant.
Die Sonne knallte immer noch sehr heiß herunter und wir suchten verzweifelt einen Getränkeautomaten oder eine Stelle, wo man zumindest Wasser bekommen konnte.
Die letzten Jahre hatten uns gezeigt, dass es immer angebracht ist, auf den großen Flughäfen eigenes Mineralwasser mitzunehmen. Zum einen war in den Warteräumen nicht immer der Erwerb eines Getränks möglich. Andererseits waren, wenn es denn möglich war, die Preise astronomisch hoch.
Bei diesem Trip allerdings hatten wir wegen dem kurzen Flug und der mittäglichen Abflugzeit auf die Mitnahme von Wasser verzichtet. Ein großer Fehler wie sich herausstellte.
Nach kurzem Suchen fanden wir auch einige Toiletten, die bereits stark besucht wurden. Das zumindest war gewährleistet.
Nachdem wir einmal die Straße rauf und auch wieder herunter spaziert waren, suchten wir nach Sitzmöglichkeiten. Helmut kann seit einem schweren Verkehrsunfall vor vielen Jahren mit seinem lädierten Bein nicht mehr lange Zeit laufen. An der Seite eines Gebäudes schwang sich eine große Außentreppe hinauf zum zweiten Stock. Auf diesem zweiten Stock befand sich die Kantine für das Flughafenpersonal. Natürlich war sonntags geschlossen.
Die untersten Stufen der Treppe waren bereits dicht besetzt.
Also schlängelten wir uns bis ganz nach oben. Dort angelangt freuten wir uns auch über den Schatten der über den oberen Teil der Treppe lag. Wir ließen uns auf die Stufen zur Kantine nieder und durchsuchten zuerst einmal unsere Vorräte. Eine halbe rolle saurer Drops kam dabei zum Vorschein. Und das war alles. Ich hatte nicht einmal Traubenzucker für eine eventuelle Unterzuckerung dabei. Der steckte in einer anderen Jacke zu Hause und hing sicher am Garderobenhaken.
Meine Frau war deshalb schon fast einer Panik nahe. Zur Sicherheit prüfte ich meinen Zucker mit dem Messgerät das ich immer bei mir führe und konnte alle beruhigen. Er lag noch im Normalbereich.

Nach einer Stunde Sitzen wurde ich unruhig und begann zwischen den Menschen zu wandern. Viele Gerüchte und Gesprächsfetzen konnte ich dabei auffangen.
Bombendrohungen sollten der Grund für das Aussperren aus den Terminals sein. Dies zumindest war der Grundtenor. Allerdings sollten sich diese Bombendrohungen nicht nur auf den hiesigen Flughafen alleine beschränken. Die Meinungen gingen weit auseinander. Von Düsseldorf, Frankfurt und Berlin war die Rede, einige sprachen von ganz Deutschland und auch in Europa würde sich kein Flugzeug mehr bewegen.
Wer genau für dieses ganze Chaos verantwortlich war, stellte sich erst Wochen nach unserem Urlaub heraus. Interessiert verfolgten wir das ganze in der Presse.

dpa-Meldung vom 08.04.2004
Im Prozess um die telefonischen Bombendrohungen gegen den Düsseldorfer Flughafen hat das Landgericht Düsseldorf die angeklagte Studentin am Donnerstag zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Die Bewährungszeit wurde auf vier Jahre festgelegt

Allein bei den Menschen, die alle einer Panik oder Hysterie nahe waren, kochten die Gerüchte zu unglaublichen Formen hoch. Wie nüchtern las sich dann Wochen und Monate später der tatsächliche Ablauf der Geschehnisse.

dpa-Meldung vom 08.04.2004:
Die Frau hatte laut Gericht nicht nur dem Düsseldorfer Flughafen mit Bombensprengungen gedroht, sondern auch den Airports in Köln-Bonn und Frankfurt. Die Richter berücksichtigten nach Gerichtsangaben zudem, dass die 28-Jährige ein Leben lang die Folgen der Tat zu tragen habe: Ihr drohen Schadenersatzforderungen von 1,2 Millionen Euro. "Sie wird den Schaden in ihrem Leben nicht mehr gutmachen können", sagt der Richter in seiner Urteilsbegründung: Marina B. werde von nun an "ständig an der Armutsgrenze leben".

Gegen sechzehn Uhr rollten die ersten Übertragungswagen des WDR und von RTL auf den Vorplatz. Sofort wurden diese staunend umringt. Fernsehleute mit Kameras und Mikrophonen bewaffnet mischten sich unter die Wartenden. Von unserem erhöhten Standpunkt aus hatte man einen wahrhaft herrlichen Überblick über das ganze Chaos. Kurz vorher war ein kleiner Lieferwagen mit Wasserflaschen von der Menge blitzartig gestürmt worden und leer geräumt.
Meine Frau, die für uns eine Flasche ergattern wollte, drehte schon am Treppenansatz wieder um. So flott war die ganze Aktion abgelaufen.

Um halb fünf fuhren wiederum zwei große Lastautos, die bis obenhin mit Wasserkästen gefüllt waren, auf den Platz. Diesmal war meine Frau schneller und setzte sich rigoros durch.
Mit den Rufen: “Mein Mann ist Diabetiker. Geben Sie mir Wasser oder wir brauchen gleich einen Arzt.“, eroberte sie mehrere Wasserflaschen. Mit einem triumphierenden Grinsen trug sie ihre Beute nach oben. Wir hatten alles von der Treppe aus mit Wohlwollen beobachtet und spendeten laut Beifall.
Plötzlich öffnete sich eine Stahltüre die sich unterhalb unserer Treppe befand. Mehrere Personen in Kochuniformen schoben einige Edelstahlwagen voll mit belegten Brötchen hinaus. Sie bauten die Tabletts und Wagen direkt vor unseren Augen auf.
Meine Frau warf uns die Wasserflaschen zu und war wie der Teufel die Treppe wieder hinab geschossen. Sie musste sich trotzdem an eine lange Schlange hinten anstellen, da diese Magenprovokation bereits von etlichen Leuten beobachtet worden war.
Die Brötchen wurden für ein Euro das Stück verkauft. Die Größe der Dinger schwankte zwischen Ei Groß und einer kleiner Kartoffel. Im normalen Ladenverkauf hätte diese Größe einen schweren Lebensmittelaufstand bei den Frühstückskunden der Bäckereien verursacht. Für ausgehungerte Fluggäste und gestrandete Urlauber war das aber völlig ausreichend. Nach cirka fünf Minuten war alles ausverkauft.
Siegreich kam meine Frau mit 4 dieser winzigen Brötchen wieder die Treppe hinauf.
Damit hatte sie sich wiederum einen tosenden Beifall verdient.

Nach einer weiteren halben Stunde öffnete sich die Stahltüre wiederum und nochmals wurden diverse Wagen mit belegten Brötchen hinaus geschoben. Diesmal allerdings wurden diese kostenlos an alle Hungrigen verteilt. Seltsame Flughafenpolitik.
Vielleicht lag es ja auch an den inzwischen filmenden Kameraleuten, dass man Seitens des Flughafens einen gewissen guten Willen demonstrieren wollte. Man hatte sicher Angst, dass in den Nachrichten wütende Passagiere zu sehen waren, die sich um ein Stück Brot und ein Tässchen Wasser prügelten.
Da wir den besten Sitzplatz hatten und die Kochmützen zuerst bemerkten, ergatterten wir auch diesmal einige Brötchen für unser Wohl.
dpa-Meldung vom 08.04.2004
Eine Sprecherin des Düsseldorfer Flughafens sagte, man werde mit einer Zivilklage Forderungen in Höhe von rund 200.000 Euro geltend machen, sobald das Urteil rechtskräftig sei. "Das sind entgangene Start- und Landeentgelte, außerdem Kosten für die entgangenen Einnahmen in den Terminals."
Um diese Zeit wollten wir eigentlich schon im Liegestuhl dösen, die Wellen betrachten und uns auf das Abendessen freuen. Stattdessen tat uns der Hintern von den harten Steinstufen weh. Immer wieder wanderte ich deshalb Richtung Terminal um zu schauen, was sich dort tat.
Näher als 40 Meter kam man allerdings nicht an die Eingangstüren heran. Alles war mit Bändern und BGS Beamten abgeriegelt. Informationen wurden immer noch nicht verteilt. Kein Mensch hatte uns bisher erklärt wie lange oder auch nur warum wir ausgesperrt wurden.

dpa-Meldung vom 08.04.2004
Die Angeklagte hatte am Mittwoch überraschend ein weitreichendes Geständnis abgelegt und damit frühere Aussagen korrigiert. Nach ihren Angaben hatte sie die Bombendrohungen getätigt, um am Tag der Abreise nicht mit ihrem Freund in den Urlaub fliegen zu müssen. Zum Prozessbeginn hatte die Studentin erklärt, sie sei von ihrem Freund zu den Anrufen gezwungen worden.

Es war gegen 18 Uhr als einige Mutige sich bis an die Eingangstüre des Terminals wagten. Sie waren mehr als überrascht als diese sich plötzlich öffneten. Erstaunt versuchte auch ich einzutreten.
Die riesige Halle war immer noch wie leergefegt. Nur hier und da traten einige Leute in die Halle ein. Hinter den einzelnen Schaltern befand sich nur wenig Personal. Aber keiner vertrat uns den Weg oder scheuchte uns wieder hinaus.
Kurz entschlossen kehrte ich zu meiner Reisegruppe zurück. Wir nahmen unser Handgepäck auf und marschierten durch das Terminal, direkt zur Ebene der Abflug Gates.

dpa-Meldung vom 15.09.2003
Kurz nach 18 Uhr wurden die Terminals wieder frei gegeben, das Chaos hielt jedoch noch Stunden an. Die Bezirksregierung hob das Nachtflugverbot auf. So konnten die ganze Nacht über verspätete Maschinen abgefertigt werden: Den letzten verspäteten Start gab es um 3.10 Uhr, danach noch einige Landungen

Wir kamen ohne Probleme durch die Röntgenstation wieder bis in den Wartebereich. Auf der großen Abflugtafel war unser Flug für 19:30 Uhr avisiert. Endlich ging es weiter.

Zögernd machten auch einige Läden ihre Türen wieder auf. Der Cafeshop servierte die ersten Tassen heißen Cappuccino und der Zigarettenshop fuhr rasselnd seine Gitter hoch.
Gegen 19 Uhr durften wir zum zweiten Mal an diesem Tag in den Warteraum, nicht ohne vorher nochmals die Pässe vorzuzeigen.
Durch die großen Fenster im Warteraum konnte man erkennen, dass wieder Flugzeuge zum Start rollten und auch abhoben. Unsere Stimmung hob sich ebenfalls.
Dann erkannten wir den Flieger, der seitlich an unserem Warteraum parkte.
Balkan Airlines.
Unsere Stimmung sank erheblich als wir erkannten, um welch altes Flugzeug es sich dabei handelte.
„Ahwatt, Hämann“, munterte Helmut mich auf, „runner kommen se alle.“ Das war sogar mir klar.

Eine Gruppe von 7 oder 8 Leuten betrat den Wartebereich. Das konnte sich nur um einen Kegelclub handeln. Schwankend, in grellen Trainingsanzügen gekleidet, offene Bierdosen in den Händen und weitere in Plastiktüten, torkelten sie in den Raum. Das konnte ja lustig werden. Wir rätselten lange herum wo die Kegelbrüder wohl ihre Biere herbekommen hatten. Die mussten vermutlich bis in die Düsseldorfer Altstadt gelaufen sein. Durst ist eben schlimmer als Fernweh.

Um 19:15 Uhr wurde der Zweite Versuch gestartet, das Flugzeug mit Passagieren zu füllen. Diesmal hielt uns niemand auf.
Zu unserem Glück nahmen die Kegelbrüder einige Reihen vor uns im Flieger Platz, so dass wir das Schauspiel aus einiger Entfernung betrachten durften.
Das Flugzeug selber machte nicht den besten Eindruck. Die Einrichtung sah veraltet und verkommen aus. Einige Verkleidungsplatten hatten sich anscheinend schon gelöst und vibrierten leise. Doch nach den letzten Stunden konnte uns das auch nicht mehr aufhalten. Wir saßen im Flugzeug und wollten einfach nur noch los.
Nach nur einer halben Stunde Verspätung rollten wir endlich in Richtung Startbahn. Unter lautem Beifall hoben wir um 20 Uhr ab.
Nach kurzer Zeit schon wurde auch das Mittagessen, jetzt als Abendessen deklariert, serviert. Kalte Hühnerbrust auf undefinierbaren Salat mit einem weißen Stück Brot. Der Hunger zwang es hinein.
Unterhalten wurden wir von der Kegeltruppe. Am interessantesten waren dabei noch Vater und Sohn. Zumindest ergab sich das aus dem lauten Streitgespräch das die beiden immer wieder anfingen. Ähnlich sahen sich die beiden wie Pat und Pattachon.
Der Vater war höchstens etwas über 1,60 groß, rundlich und fast ohne Haare oberhalb der Stirne. Auffallend war dabei besonders sein Bierbauch. Es sah aus als hätte der Mann zwei große Bowlingkugeln verschluckt. Der Bauch hatte glatt die Ausmaße einer gesunden Schwangeren, Stunden vor der Geburt.
Sein Sohn dagegen war knapp zwei Meter, Breitschultrig und mit wildem Bartwuchs ausgestattet.
Was beide wieder einte, war der gleichermaßen hohe Alkoholpegel.
Beide waren sturzbesoffen und stritten den ganzen Flug lautstark zur allgemeinen Belustigung der Fluggäste. Da die Pöbeleien aber nie in Handstreitigkeiten endeten, vermutete ich recht bald, dass dies die ganz normale Kommunikationsform zwischen den beiden war.
Der Rest der zweieinhalbstündigen Reise verging im Gegensatz zum Warten vor dem Flugplatz wie im Flug.

Nur als das Flugzeug zur Landung in Varna ansetzte gab es noch eine kleine Störung.
Vater Kugelbauch hatte leichte Verdauungsstörungen und besprach diese auch lautstark mit seinem Sprössling.
Als das Anschnallschild aufleuchtete und das Personal nach vorne verschwand, quälte er sich mit seinem gewaltigen Bauch aus seinem Sitz und quetschte sich an uns vorbei Richtung Toilette.
Diese befand sich leider direkt hinter unserem Rücken.
Ich hatte sie bereits einmal aufgesucht und war heilfroh sie schnell wieder verlassen zu können. Der winzige Toilettenraum befand sich in einem späten Stadium der Auflösung. Zwischen den Streben der Zwischenwände konnte man fast den ganzen Passagier überblicken. Die Spülung funktionierte nicht richtig und Papier gab es auch keines mehr.
Das alles störte den guten Mann nicht im Geringsten. Auch mit der anstehenden Landung hatte er wohl kein Problem.
Lautstark und lange entleerte er sich in unserem Rücken. Ein penetranter Gestank waberte langsam durch den ganzen Passagierraum.
Meine Frau wurde leicht grün im Gesicht. Ich schluckte schwer.
Helmut fummelte an den Kotztüten herum. Die Frotzeleien seiner Saufkumpane wurden immer derber.
Das Flugzeug setzte zur Landung auf und lautstark riefen bereits einige Passagiere danach, die Luken aufzureißen.
Das war das erste Mal, wurde mir bewusst, das niemand bei einer Landung geklatscht hatte. Vermutlich kämpften alle mit ihrem Magen.
Als wir endlich standen und die Luke geöffnet war, stellte ich fest, dass sich ein Flugzeug auch außerhalb eines Notfalles in Minutenschnelle leeren kann. Fast Panikartig verließen die Menschen die Maschine und das sich keiner den Hals auf der steilen Treppe hinunter brach, war fast ein kleines Wunder.

Viel konnte man vom Flugfeld nicht erkennen, nur das es sich um einen relativ kleinen Flughafen handelte. Mit einem Bus wurden wir bis zu den Empfangshallen gefahren.
Der Vorteil bei kleinen Flughäfen sind die kurzen Wege. Schon kurz nach Betreten der Eingangshalle standen wir auch schon vor den Bulgarischen Zollbeamten.
Ein Blick, ein Stempel und schon war auch das geschafft. Von dort war es nur wenige Meter weiter bis in den Kofferausgabebereich.
Vor uns befanden sich zwei ovale Inseln, die mit einem Endlos Band umlaufen wurden. Beide standen zu der Zeit aber noch still.
Es war bereits nach 23 Uhr als sich plötzlich eines der Bänder in Bewegung setzte. Im Gleichtakt bewegte sich auch die ganze Passagiermeute zu diesem Förderband.

Es wurde geschoben und gestoßen. Alle wollten gleichzeitig den ersten Koffer begutachten.
Nach und nach plumpsten die diversen Koffer und Taschen aufs Band und wurden betrachtet. Viele wurden hoch gewuchtet, herumgedreht, bestaunt und wieder zurückgelegt. Hier und da erwischte jemand auch seinen richtigen Koffer.
Das Glück zeigte uns an diesem Abend wieder einen winzigen Zipfel. Schon nach wenigen Runden erschien unser treuer Schalenkoffer.
Aufgeregt zeigte meine Frau darauf und schob mich durch die Menge nach vorne. Mit einem Griff hatte ich das gute Stück hoch gewuchtet und gemeinsam brachten wir es in einer ruhigen Ecke in Sicherheit.
Helmut und Roswitha besaßen zwei kleinere Koffer und standen immer noch wartend bei dem laufenden Band.
Mit einem Mal stoppte das Band und Ruhe kehrte wieder ein. Die letzten Kofferstücke wurden begutachtet und nach einiger Zeit war das Band leer gefegt.
Plötzlich kam Bewegung an der zweiten Kofferinsel auf. Nun lief dort das Kofferband. Wie auf Kommando drehte sich die ganze Meute um und umstellte die Insel.
Auch hier wurden einige Gepäckstücke ausgespuckt. Helmut konnte den ersten seiner beiden Koffer ergattern und lud diesen bei uns ab.
Inzwischen bewegte sich auch wieder das erste Band. Hin und her gerissen zwischen zwei sich bewegenden Objekten gerieten einige Passagiere ins stolpern. Viele versuchten nun beide Bänder gleichzeitig im Auge zu behalten und sprangen dabei hin und her.
Nach einer weiteren Ladung Gepäck war erst einmal wieder Pause. Alles lag still.
Helmut, der einzige Raucher in unserer kleinen Gemeinschaft, steckte sich erst einmal eine Zigarette an um seiner lange enthaltenen Sucht zu frönen.
Es ging langsam auf Mitternacht zu. Um die Bänder herum standen vielleicht noch 40 Leute und warteten. Geraume Zeit tat sich nichts.

Plötzlich trat ein junger Mann mit energischen Schritten aus einer der Nebentüren, stellte sich zwischen den beiden Rondellen und sah uns erwartungsvoll an. Er trug ein braunes Sakko mit einem roten Schlips das eher wie eine Flughafenuniform aussah. Er wirkte frisch, dynamisch und hatte einen modern gestylten Haarschnitt
Er faltete die Hände und sprach auf Deutsch, aber mit einem sehr schweren Akzent:
„Guten Abend, meine Damen und Herren. Was machen Sie hier?“
 



 
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