Charlottes Blick 1 - Der Boss im Hintergrund

marcm200

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Charlottes Blick 1 - Der Boss im Hintergrund
(eine Geschichte basierend auf dem Charakter ‚Vickie‘ der TV-Serie ‚Haven‘ von 2010-2015)


Es war kurz nach Mitternacht.

Der stark bewölkte, mondlose Himmel tauchte die Nacht in tiefe Dunkelheit, die noch weitere fünf Stunden vorherrschen würde. Nur auf dem Parkplatz auf der Rückseite des großen Gebäudes brannten einige Laternen. Der unmittelbare Bereich vor der Fassade war hell erleuchtet, doch bereits wenige Meter entfernt herrschte Schummerlicht. Und die Begrenzung des Areals lag in nächtlicher Schwärze.

Es klackte mehrfach, als das Werkzeug die Rippen des Maschendrahtzauns durchtrennte, als bestünden sie aus dünnem Papier. Doch das Geräusch war so leise, dass nur die schwarz gekleidete Gestalt, die in der Hocke kauerte, es hörte. Die drei anderen Maskierten, die einen Schritt zurück unter den Bäumen ausharrten, vernahmen bereits nichts mehr.

Aber jemand, der viel weiter weg war, hatte ein besseres Gehör.

Mit lautem Bellen und riesigen Sprüngen seiner muskulösen Beine jagte der schlanke Wachhund in Richtung des verdächtigen Lärms.

Die vier Gestalten waren darauf vorbereitet. Eine streckte auf Kniehöhe den Arm durch das kleine Loch im Zaun und wartete geduldig.

Der Hund stürmte hechelnd heran, bellte noch einmal und biss dann zu. Fest und unbarmherzig schlossen sich die kräftigen Kiefer um den Arm. Doch alles, was die Zähne trafen, war ein dicker, verstärkter und genau für diesen Zweck konstruierter Handschuh, der bis weit über den Ellenbogen des Maskierten reichte.

Der Hund zog und zerrte wie wild, knurrte böse und stemmte die Hinterläufe in den Boden. Speichel rann ihm aus dem Maul. Doch nur wenige Augenblicke später traf ihn die Nadel einer Spritze, welche eine zweite Gestalt ihm in den Leib rammte. Blitzschnell wurde das Schlafmittel injiziert.

Der Hund jaulte auf, ließ aber seinen Fang nicht los. Doch er erlahmte zusehends. Fiepend brach er schließlich bewusstlos zusammen.

Aus der Ferne hörten die vier eine männliche Stimme: „Pluto! Fass!“

In der Stille der Nacht drang der Ruf weit. Doch in der verlassenen Gegend am Rand des Industriegebiets hielt sich zu dieser Stunde in einer Nacht auf Sonntag niemand auf.

Die vier Maskierten wussten, dass der Wachmann noch auf der Vorderseite des Gebäudes war und er daher nicht ausmachen konnte, was genau am Zaun geschah. Aber die Geräusche, die seine Schuhe auf dem Beton verursachten, waren bereits zu hören.

Rasch bogen zwei der Gestalten den aufgeschnittenen Zaun nach oben, um dem vierten den Durchschlupf zu ermöglichen. Dieser Maskierte versteckte sich hinter einem Gebüsch am Rand des Parkplatzes. Die drei anderen machten dagegen keine Anstalten, das Areal ebenfalls zu betreten.

Das Ganze hatte noch nicht einmal eine halbe Minute gedauert. Der Einbruch lief nach einem genauen Zeitplan ab, denn erst jetzt kam der einzige Sicherheitsmann, der die Bank in dieser Nacht bewachte, herangestürmt. Wieder rief er: „Pluto! Fass!“

Doch die Einbrecher wussten, dass er den Hund aus dieser Entfernung immer noch nicht sehen konnte. Im Laufen ruckte der Kopf des Wachmanns hin und her, als er die Gegend scannte. Doch erst, als er sich seinem Hund bis auf ein paar Meter genähert hatte, verlangsamte er das Tempo.

Der Maskierte hinter dem Gebüsch sprang aus dem Dunkel hervor und ließ den sandgefüllten Totschläger mit gezielter Wucht auf den Schädel des Mannes knallen. Dumpf polterte dieser zu Boden.

Nun erst schlüpften die anderen drei Einbrecher durch den Zaun. Einer zog den Niedergeschlagenen hinter das Gebüsch und fesselte ihn mit Seilen an Händen und Füßen. Dann wurde ihm ein Schlafmittel in den Oberarm gespritzt.

Ein weiterer Maskierter löste unterdessen den Schlüsselbund vom Gürtel des Sicherheitsmannes. Danach huschten die vier Schwarzgekleideten mit zwei Taschen, welche die für ihre Zwecke benötigten Werkzeuge enthielten, gebückt zum Hintereingang.

Für einen kurzen Moment waren sie in das grelle Licht der Laternen getaucht. Doch niemand war zugegen, der sie beim Betreten der Bank sehen konnte.

***

Vor dem Tresor im Keller blieben die vier stehen. Weiter behielten sie ihre schwarzen Gesichtsmasken auf, die nur Augen, Nase und Mund freiließen.

„Deine Arbeit, Charlotte“, sagte die dumpfe Stimme des Mannes, welcher den Hundebiss auf sich gezogen hatte. Er wies nach vorne.

„Wirklich, Henry?“, spottete die Angesprochene mit ätzendem Ton zurück. „Ich dachte, ich sei nur hier, um hübsch auszusehen.“

Henry knurrte eine unverständliche Antwort.

Charlotte trat einen Schritt zurück und betrachtete die riesige Tresortür mit ihren zwei Metern Breite und sogar über zwei Metern Höhe genau. Nach ein paar Sekunden zog sie einen kleinen Zeichenblock und einen Bleistift aus der Gesäßtasche hervor.

Mit routiniert wirkenden Bewegungen zeichnete sie ein Abbild der Tür. Drehrad und Schloss wurden genauso detailliert zu Papier gebracht wie die Umrandung des Türblatts. Sogar der Spalt zur Wand wurde vermerkt. Langsam ging Charlotte hin und her, radierte gelegentlich etwas aus, wenn sie mit der Zeichnung nicht zufrieden war, und näherte sich immer wieder dem Tresor für ein paar Augenblicke, um eine Einzelheit besonders intensiv zu studieren.

„Was soll dieser Blödsinn?“, zischte einer der Einbrecher. „Sprengstoff dran und ab dafür!“

Charlotte stoppte mit dem Zeichnen und trat bis auf einen halben Meter an die Gestalt heran. Wut blitzte in ihren blaugrünen Augen, was im Licht des Tresorraums gut zu sehen war.

„Bill, ich weiß, dass du kein Auge für Details hast und dies hier für dein versoffenes Hirn zu kompliziert ist. Also halt dich einfach raus, wenn die Schlauen was tun, ja?“

Der Mann zuckte mit seinem Oberkörper, als wollte er sich auf Charlotte stürzen. Doch sein Nebenmann hielt ihn zurück. „Lass gut sein, Bill. Der Boss wird schon wissen, warum er sie für diesen Coup angeheuert hat.“

Bill ballte voller unterdrückten Zorns seine Hände zu Fäusten.

Charlotte aber wandte sich wieder dem Tresor zu. Nach einem prüfenden Blick auf die Zeichnung trat sie zum Kombinationsschloss. An den Spitzen eines imaginären Dreiecks machte sie kurze Kreidestriche auf das Metall der Tür. Ein Teil der weißen Substanz fiel sofort zu Boden, aber es blieb genügend haften, um die ausgewählten Punkte für eine gewisse Zeit kenntlich zu machen.

Aus einer der mitgebrachten Taschen nahm Charlotte einen Diamantbohrer, den sie an die ebenfalls hereingeschleppte, kleine Pressluftflasche anschloss. Testweise ließ sie das Gerät aufheulen. Rasend schnell drehte sich der Bohrkopf.

Charlotte setzte die Spitze an einen der Dreieckspunkte an und begann, das Metall der Tür leicht anzukratzen. Nach zwei Minuten hatte sie einen winzigen Teil der Türdicke abgehobelt. In diesem Tempo würde sie drei Tage benötigen, um in den Innenraum des Tresors zu gelangen, was alleine schon aufgrund der gigantischen Menge an Druckluft, welche sie dafür benötigen würde, utopisch war.

An den anderen beiden Dreieckspunkten setzte sie den Diamantbohrer ebenfalls an. Dabei murmelte sie immer wieder Worte wie „mechanische Integrität“, „kaskadische Instabilität“ und „kohärentes Metallgitter“.

Ihre drei Komplizen beobachteten sie wortlos. Charlotte wusste, dass die Männer nichts von dem verstanden, was sie hier gerade sagte und tat.

Nach einer Viertelstunde öffnete sie wieder ihre Tasche und nahm drei faustgroße Päckchen heraus. Mit Klebestreifen befestigte sie den Plastiksprengstoff auf den drei angebohrten Punkten und steckte die Zündkabel in die weiche, graue Masse.

Rückwärtsgehend rollte sie die Kabel ein paar Meter aus, bis sie außerhalb des Tresorraumes war. Die drei Männer folgten ihr. Einer schloss die Tür so weit, bis nur noch ein schmaler Spalt offenblieb.

Charlotte nickte ihren Komplizen zu, die sich, wie sie selbst auch, schallabsorbierende Kopfhörer aufsetzten.

Dann drückte sie auf den Knopf des Stromerzeugers.

Die Explosion knallte laut.

Charlotte grinste unter ihrer Haube. Es war alles nur Show. Mit Diamantbohrer oder Plastiksprengstoff in dieser Menge war dem Tresor nicht beizukommen.

***

Während die Männer, den Rücken zur Tür des Raumes gedreht, mit geschlossenen Augen auf das Verklingen der Explosion warteten, signierte Charlotte die Zeichnung, die sie vom Tresor angefertigt hatte. Sofort danach riss sie das Papier ein. Waagerecht vom linken Rand bis knapp hinter das gezeichnete Kombinationsschloss, dann ein Stück nach unten und wieder nach links zurück. Ein daumengroßer Papierfetzen fiel zu Boden.

Etwas im Tresorraum polterte laut.

Anschließend radierte Charlotte ihre Initialen wieder aus, achtete aber darauf, auf dem Papier keine andere Stelle, an der sie etwas gezeichnet hatte, mit dem Gummi zu berühren. Dann erst faltete sie das wieder unsignierte Blatt zusammen und steckte es in die Tasche ihrer Jacke.

Unterdessen war der Donner der Explosion verhallt. Charlotte zog die Tür zur Tresorkammer wieder auf. Der Geldschrank war nach wie vor verschlossen, aber an der Stelle, an welcher das Rad des Kombinationsschlosses angebracht gewesen war, klaffte ein riesiges, entfernt rechteckiges Loch, das bis zur Wand reichte.

Das Schloss als solches lag vor dem Tresor. An den Rändern gezackt, sah es aus, als hätte es jemand aus dem Türblatt herausgesägt.

„Bill, Joe, los!“, befahl Henry. Die beiden Angesprochenen holten zwei armlange Eisenstangen aus dem Gepäck und steckten diese in das Loch in der Tresorwand. Unter Ächzen und Stöhnen hebelten sie die massive, immens schwere Tür schließlich auf.

Im Innern des Schrankes lagen auf mehreren Ebenen zig Tausende Geldscheinbündel.

Gier blitzte in den Augen der drei Männer, nur Charlotte blieb ruhig. Die vier schoben die Geldbündel nach und nach in Jutesäcke, bis diese randvoll gefüllt waren, und knoteten sie mit einem Seil zu.

Schweigend wurde so der Tresor geleert, bis schlussendlich zwölf Geldsäcke am Rand einer der Wände des Raumes standen.

Henry blickte auf die Uhr. „Wir haben vier Minuten Puffer aufgebaut. Sehr gut, Leute. Dann lasst uns nun abhauen.“

Wie Seemänner ihr Gepäck schulterte jeder einen der voluminösen Säcke. Nacheinander stiegen sie mit großen Schritten die Treppe nach oben und liefen durch den kurzen Flur auf den Hinterhof hinaus.

Das Licht der Laternen ignorierten sie. Nun kam es auf Schnelligkeit an. Die vier rannten über den Parkplatz bis zur Westseite, etwa sechzig Meter von der Stelle entfernt, an welcher sie die Wachmannschaft überwältigt hatten.

Auch hier begrenzte ein hoher Zaun das Gelände. Dahinter, auf der ausgestorbenen Straße, deren Laternen halb defekt flackerten, stand ein dunkler Kastenwagen.

Drei Ganoven warfen ihre Geldsäcke zu Boden und rannten sofort mit keuchendem Atem zurück zur Bank.

Henry aber nahm den Drahtschneider und zwickte den Zaun auch an dieser Stelle durch. Rasch hatte er ein fast einen Meter hohes und ebenso breites Loch geschaffen. Das herausgetrennte Stück zog er nach innen und warf es zur Seite. Vorsichtig, aber flink, kroch er durch die Öffnung auf den Bürgersteig hinaus und schloss die Seitentür des Transporters auf. Nach und nach zog er anschließend die Geldsäcke ebenfalls durch das Loch und warf sie in den Laderaum.

Seine Komplizen brachten die nächsten drei Säcke, die sie noch im Laufen abwarfen, um sofort wieder zurückzurennen.

Schließlich war das gesamte geraubte Geld verladen, und die Gangster sprangen in den Wagen.

„Fahr!“, befahl Henry kurzangebunden, ließ sich auf den Beifahrersitz nieder und zog die Skimaske vom Gesicht. Wieder blickte er auf die Uhr, und ein anerkennendes Grinsen umspielte seine Lippen. „2:17 Uhr. Der Zeitplan klappt vorzüglich.“

Joe ließ den Motor an und fuhr sachte los.

Vorschriftsmäßig schaltete er die Lichter ein. Die Fahrt ging aus der Stadt hinaus. Das Verkehrsaufkommen war äußerst gering. Joe hielt sich an sämtliche Geschwindigkeitslimits und stoppte an roten Ampeln, auch wenn weit und breit niemand zu sehen war. Der schwarze Transporter mit dem Logo einer Telekommunikationsfirma verhielt sich völlig unverdächtig.

Charlotte hatte sich im Laderaum in eine Ecke gesetzt und den Rücken an die Außenwand gelehnt. Sie zog ihre Maske vom Kopf und fuhr sich einmal durch die verschwitzten, schwarzen Haare.

Bill, der ihr gegenüber saß, starrte sie mit verkniffenem Ausdruck im Gesicht an. Wieder blitzte Wut in seinen Augen, doch Charlotte grinste nur abfällig.


***

Nach etwa einer halben Stunde stoppte der Transporter plötzlich in einem Geschäftsviertel der Stadt, in dem Ruhe herrschte. Henry sprang aus der Fahrerkabine und betrat die hellerleuchtete Telefonzelle am Straßenrand.

Charlotte hob den Kopf und warf einen Blick durch das kleine Fenster in der Rückbank des Fahrerbereiches hinaus. Sie sah, wie der Anführer der Einbrechergruppe aus seiner Manteltasche einen kleinen Zettel hervorholte, Münzen in den Schlitz des Telefonkastens warf und eine längere Nummer wählte. Die 23-jährige konnte nur einen Teil der Ziffern erkennen, bevor Henry seinen Körper - absichtlich oder nicht, das wusste Charlotte nicht zu sagen - zwischen Wählscheibe und Kastenwagen brachte.

Dennoch merkte sie sich die vier Zahlen.

Das Gespräch dauerte nur wenige Minuten, in denen Henry oft nickte und sich einmal etwas notierte.

Dann hängte er ein und verließ die Telefonzelle.

„Fahr zu dem alten Bauernhof im Süden. Hier ist die Adresse“, sagte Henry, als er wieder in den Transporter eingestiegen war. Er reichte Joe den Zettel.

Der Fahrer der Gang blickte kurz darauf, nickte dann und fuhr weiter.

In der nächsten Viertelstunde saßen die Gangster schweigend im Fahrzeug und hingen ihren Gedanken nach.

Dann aber hörte Charlotte plötzlich einen leisen Ton, der rhythmisch an- und abschwoll.

Eine Polizeisirene!

Verdammt!, fluchte sie in Gedanken.

Ihr Körper spannte sich. Auch Bill verkrampfte und klopfte an die Scheibe zur Fahrerkabine. Doch Henry gebot mit einer Handbewegung, ihn nicht zu stören und sich zu ducken.

Charlotte und Bill rutschten ein Stück mit dem Oberkörper nach unten. Vom Fahrer- oder Beifahrerfenster aus konnte man sie nun nicht mehr bemerken. Aber öffnete jemand den Laderaum, war es mit dem Versteck nicht weit her.

Das Heulen wurde lauter. Und nun sah Charlotte auch die rotierenden Lichter, die immer wieder schwache Farbkleckse an die Innenwand des Transporters warfen.

Sie spürte, wie das Fahrzeug ein wenig verlangsamte und vermutete, dass Joe sichtbar eindeutig unterhalb des Speedlimits bleiben wollte.

Hoffentlich fährt er nicht zu langsam, dachte Charlotte. Das fällt dann erst recht auf.

Ihr Körper wurde von Adrenalin durchströmt. Sie überlegte kurz, ob sie einen Blick durch das Fenster nach vorne riskieren sollte, denn die Ungewissheit, was draußen auf der Straße geschah, machte sie mehr als nervös. Doch sie wollte Bill nicht noch weiter gegen sich aufbringen, indem sie eine klare Anweisung ignorierte. So verharrte sie weiter möglichst reglos, streckte nur die Beine etwas aus, um ein wenig bequemer zu kauern.

Nun war die Sirene laut zu hören, und das Licht an der Wand wurde ziemlich hell. Das Polizeifahrzeug, das sich aus der Gegenrichtung näherte, war nicht mehr weit entfernt.

Doch kurz darauf brauste es vorbei.

Charlotte wartete noch ein paar Sekunden, um sicher zu sein, dass das Einsatzfahrzeug nicht wendete und sich anschließend hinter ihren Kastenwagen setzte. Dann aber stieß sie erleichtert die Luft aus. Sie drückte sich mit den Händen vom Boden hoch und klopfte an die Scheibe.

Henry drehte den Kopf und machte mit zwei Fingern das Victory-Zeichen.

Der Einsatz der Polizei hatte nicht ihnen gegolten.

***

Gegen 3:30 Uhr erreichten sie schließlich den verlassenen Bauernhof. Joe fuhr den Transporter in die Scheune, deren Dach schon halb eingestürzt war. Henry schloss das Geldfahrzeug sorgfältig ab. Danach gingen die vier Ganoven in das Haupthaus. Sie schalteten ihre Taschenlampen ein, denn einen Generator oder gar eine Stromleitung gab es nicht.

Im großen Wohnraum warfen sie ihre Jacken achtlos auf eine Kommode und setzten sich an den Esstisch.

„Der Boss kommt um 6:45 Uhr“, verkündete Henry und holte eine Flasche Whiskey und vier Gläser aus einer kleinen Tasche. „Dann teilen wir die Beute, und jeder geht seines Weges.“

Er schenkte ein, und alle vier stürzten den ersten Drink in einem Zug hinunter. Laut knallten die Gläser, als sie auf die Tischplatte zurückgestellt wurden.

„Wie wäre es mit einem kleinen Spielchen zum Zeitvertreib?“, schlug Joe vor und holte ein Deck Karten aus der Tasche. „Auf Schuldscheinbasis, denn kreditwürdig sind wir ja nun alle.“

Er lachte meckernd.

Henry und Bill zuckten die Schultern, gaben aber brummend ihr Einverständnis.

Auch Charlotte nahm an der Pokerrunde teil. Sie wollte nach Möglichkeit keinen Argwohn erregen. Denn der Auftrag, an dem sie arbeitete, lautete nicht, als Tresorknackerin an einem Bankraub teilzunehmen.

Henry schenkte immer wieder Whiskey zum Feiern nach. Von den vier Taschenlampen hatten sie zwei ausgeschaltet, um die Batterien zu schonen. Und in etwa zwei Stunden würde ohnehin die Morgendämmerung beginnen.

„Heh, Charlotte“, sagte der Anführer. „Hol mal deinen Zeichenblock hervor. Daraus können wir prima Schuldscheine machen.“

Charlotte grinste, riss ein paar Blätter ab und warf sie auf den wackligen Holztisch. Einer ihrer Bleistifte folgte. Henry zerriss das Papier in eine Unzahl kleinerer Stücke und gab jedem Spieler einen Stapel.

Dann ging die Partie los. Joe teilte die Karten aus. Das schwache Licht der Taschenlampen machte es schwer zu erkennen, ob jemand bluffte oder wirklich ein gutes Blatt auf der Hand hatte.

Die Stimmung wurde gelöster. Die Männer grölten häufig, auch Charlotte beteiligte sich aktiv am Geschehen, sprach aber dem Alkohol bei Weitem nicht so ausgiebig zu, wie ihre Komplizen es taten.

Um 4:47 Uhr stand sie auf. „Ich setze eine Runde aus.“

Sie schob ihren Stuhl nach hinten, nahm eine Taschenlampe und knipste sie an. Als sie an Bill vorbei zur Wohnzimmertür gehen wollte, hielt der Ganove sie am rechten Unterarm fest. „Wo willst du hin?“, zischte er.

Blitzschnell wirbelte Charlotte um 180 Grad nach rechts, schlang ihren linken Arm um den Hals des Ganoven und zog diesen in einem Ruck zu sich. Bills Augen quollen aus den Höhlen, als ihm durch den stahlharten Schwitzkasten die Luft abgeschnürt wurde.

Er ließ Charlottes Unterarm los und griff mit beiden Händen an den ihn umschlingenden Arm der Frau. Daraufhin lockerte Charlotte ihre Umklammerung ein wenig. Japsend sog Bill die Luft ein.

„Fass mich noch einmal an“, warnte Charlotte mit eiskalter Stimme, „und es wird das letzte sein, was du jemals tust.“

Sie ließ Bill los und ging weiter. Über die Schulter rief sie mit fröhlicher Stimme, als wäre nichts geschehen: „Ich muss mal wohin.“

Mit langsamen und leicht schwankenden Schritten lief sie zur Tür. Charlotte spürte förmlich die misstrauischen Blicke der Männer in ihrem Rücken, als die Strahlen dreier Taschenlampen ihr folgten. Während des Raubes hatten die vier mehr oder weniger wie ein gut eingespieltes Team zusammengearbeitet, nun aber gönnte niemand dem anderen mehr irgendetwas.

Als Charlotte an der Kommode mit den Mänteln vorbeikam, knickte ihr Fuß um. Sie hielt sich an dem Möbelstück fest, doch ihre Hand glitt ab. Sie stürzte zu Boden, und mit ihr alles, was auf der Kommode lag.

Charlotte giggelte, als wäre etwas Witziges geschehen. Im Fallen drehte sie ihren Körper so, dass die Männer nicht sehen konnten, was sie tat. Zielgerichtet streckte sie eine Hand aus und glitt sofort in die rechte Seitentasche von Henrys Jacke.

Ja, da ist er!, dachte sie triumphierend und zog den Zettel hervor, auf dem sie die Nummer vermutete, welche Henry in der Telefonzelle angerufen hatte.

Sie erkannte die vier Ziffern wieder.

Aber nun musste es rasch gehen. Es blieb gerade genügend Zeit, sich die Telefonnummer zweimal durchzulesen, dann schob sie den Zettel zurück und richtete sich langsam wieder auf.

Mit einem verlegenen Lächeln hob sie die Mäntel vom Boden und warf sie achtlos auf die Kommode zurück.

Geholfen hatte ihr niemand bei ihrem vermeintlichen Missgeschick. Im Gegenteil. Jetzt hörte sie höhnisches Lachen. Charlotte sah, wie Bill sie mit einem Geschieht‑dir‑recht‑Grinsen anstarrte, das im Schein der Taschenlampen ein wenig diabolisch wirkte.

Charlotte schmunzelte innerlich. Es stand 2:0 für sie. Die drei am Tisch würden nie merken, was ihr eigentliches Ziel war.

***

Ein paar Minuten später kam Charlotte zurück in den Wohnraum und setzte sich wieder an den Pokertisch. Auffordernd blickte sie in die Runde, sah aber nur feindselige Gesichter.

„Was ist?“, bellte sie angriffslustig.

„Hast du den hier gesucht?“, fragte Henry und hielt den Schlüssel zum Kastenwagen in der Hand. Er klimperte damit, als wollte er einen Hund rufen.

Charlotte benötigte eine Sekunde, um die Situation zu überblicken. Damit hatte sie nicht gerechnet.

„Nein. So blöde, den Schlüssel zum Geld im Mantel zu lassen, wäre noch nicht einmal Bill“, wollte sie ablenken. Doch es klappte nicht.

„Los!“, befahl Henry.

Es musste ein zuvor abgesprochenes Kommando sein, denn alles weitere geschah so schnell, dass Charlotte keine Zeit hatte zu reagieren.

Joe sprang auf und nahm nun Charlotte in den Schwitzkasten, wie diese es zuvor mit Bill getan hatte. Charlotte drückte sich mit den Füßen ab und wollte aufspringen, um dem schmerzhaften Griff etwas die Härte zu nehmen, aber sie hatte keinen Erfolg. Mit beiden Armen schlug sie kraftvoll nach hinten aus, traf aber niemanden, da Joe einen guten Schritt entfernt und mit leicht nach vorne geneigtem Oberkörper dastand.

Er war schlicht außerhalb ihrer Reichweite.

Langsam wurde die Luft knapp. Charlotte krallte sich mit den Fingern in den sie umschlingenden Arm, aber obwohl ihre langen Nägel durch den Stoff von Joes Pullover in dessen Haut drückten, blieb die Umklammerung erbarmungslos hart.

Charlotte gab auf. Sie streckte die Hände aus und klopfte als Zeichen der Niederlage auf den Esstisch.

Joe verstand sofort und lockerte den Griff ein wenig, so dass Charlotte pfeifend einatmen konnte.

Bill, der den Angriff bis zu diesem Punkt weiter am Tisch sitzend verfolgt hatte, grinste breit. Langsam schob er nun seinen Stuhl zurück, stand auf und schlenkerte ein Seil in seinen Fingern.

Charlotte wusste nicht, wo er dies so schnell herbekommen hatte. Aber das spielte auch keine Rolle. Es war nicht schwer auszurechnen, wozu das Seil dienen sollte.

Sie wurde, weiter im Schwitzkasten, auf die Füße gezogen. Rücksichtslos bog Bill ihre Arme nach hinten und fesselte die Handgelenke. Das raue Material des Seiles schnitt schmerzhaft in Charlottes Haut ein. Doch sie gab keinen Laut von sich. Diese Genugtuung wollte sie Bill nicht geben.

Zwischen den beiden Männern, die sie mit eisenhartem Griff an den Oberarmen festhielten, wurde Charlotte aus dem Wohnzimmer herausgeführt. Joe öffnete die Tür zum Keller, während Bill nach unten leuchtete.

Charlotte stieg als Vorderste die Trepe hinunter. Sie bereitete sich innerlich auf einen Stoß Bills vor, dem es sicherlich Vergnügen bereiten würde, sie stolpern und fallen zu sehen. Doch ein solcher Angriff erfolgte nicht.

Henry scheint ihn immer noch gut im Griff zu haben, wunderte sich Charlotte.

Im Kellerflur angekommen, drängte Joe sich an Charlotte und seinem Komplizen vorbei und öffnete nach und nach die Türen zu den angrenzenden Zimmern.

„Hier! Der hat einen Schlüssel“, rief er schließlich und winkte aus dem hintersten Raum zur Linken.

„Los!“, zischte Bill und gab Charlotte einen unsanften Stoß in den Rücken. „Geh lieber freiwillig in dein Gefängnis.“

Charlotte gehorchte und trat zu ihrem ehemaligen Komplizen.

Auch Joe grinste nun, als er in den kleinen Raum zeigte. „Schön gemütlich, nicht?“

Charlotte wurde hineingestoßen. Bill drückte sie zu Boden und fesselte ihr die Fußgelenke mit einem zweiten Seil. Als er dann einen mit Ölflecken versehenen Lappen sah, lachte er hämisch auf.

„Lass doch, Bill“, sagte Joe und wollte den Komplizen aus dem Raum zerren.

Doch Bill riss sich los. „Was betrifft's dich? Ich will nur verhindern, dass sie herumschreit und uns stört.“

Er nahm den Lappen in die Hand, wirbelte ihn wie zuvor das Seil spielerisch ein wenig herum und ging in die Hocke. „Mach's Maul auf!“, befahl er. Überlegenheit stahl sich auf sein Gesicht. Er genoss seinen Sieg.

Auch hier gehorchte Charlotte sofort und ließ sich den verschmutzten Lappen als Knebel in den Mund drücken. Sie versuchte, mit der Zunge Gegendruck aufzubauen, doch Bill presste unbarmherzig weiter, bis der gesamte Lappen in ihrem Mund verschwunden war.

Charlotte musste ein Würgegefühl unterdrücken. Sie war sich ziemlich sicher, diesen Knebel alleine mit der Zunge nicht hinausstoßen zu können.

Dann verließen die beiden Männer den Raum. Die Tür sperrten sie von außen zu.

Charlotte aber grinste trotz ihrer miserablen Lage in sich hinein.

Gut, der Knebel ist eklig, dachte sie. Aber es steht dennoch 3:0 für mich.

Der Raum hatte ein Fenster, wie sie beim Eintritt gesehen hatte. Die ersten Schimmer der Morgendämmerung waren bereits zu sehen. Nicht mehr lange, und sie würde genug erkennen können. Denn Block und Stift hatte man ihr gelassen.

In wirklicher Gefahr schwebte sie nicht, wenn man sie nicht andauernd kontrollierte.

Aber beeilen musste sie sich dennoch. Sie wollte hier raus sein, bevor der Boss kam.

***

Charlotte richtete sich aus ihrer liegenden Haltung auf, setzte sich auf das linke Becken und zog ihre Beine an. Die Arme musste sie etwas verrenken, um mit den gefesselten Händen in ihre rechte Gesäßtasche greifen zu können. Block und Stift waren danach schnell herausgezogen.

Dann wartete sie.

Es dauerte eine Weile, bis der Raum hell genug war, so dass sie mehr als Umrisse erkennen konnte.

Nun drehte Charlotte den Oberkörper nach rechts, den Kopf ebenfalls und versuchte, über ihre Schulter zu Boden zu schauen.

Doch es klappte nicht ganz. Ihre Hände waren so stramm gefesselt, dass sie keinen Blick auf ihre Finger werfen konnte.

Mist!, dachte sie, dann muss ich blind zeichnen.

Auch das würde funktionieren, doch es bedeutete eine deutliche Verlangsamung der ganzen Befreiungsaktion. Und damit stieg das Risiko, dass doch einmal jemand nach der Gefangenen sehen wollte. Aber eine andere Wahl, als es dennoch zu versuchen, hatte sie ohnehin nicht.

Charlotte fixierte mit ihrem Blick die verstaubte, grüne Flasche, die in der Ecke des Raumes auf einem Regal in Kopfhöhe stand. Was diese einmal enthalten hatte, konnte sie nicht erkennen, da das Etikett vergilbt war.

In ihrem Rücken griff sie mit der rechten Hand den Stift und hielt gleichzeitig mit der linken den Block fest. Mit Bewegungen nur des Handgelenks brachte sie die ersten Striche zu Papier.

Nach einer halben Minute etwa stoppte sie und rutschte auf dem Po ein wenig zur Seite, so dass sie nun einen Blick auf die Zeichnung werfen konnte. Charlotte verglich das zu Papier gebrachte mit dem Original.

Ja, soweit sah es schon ganz ordentlich aus. Das Regal war eindeutig und ausreichend real gezeichnet.

Dann startete sie die zweite Zeichensession. Charlotte legte die Spitze eines Fingernagels auf den Bereich des gemalten Regals, auf dem in der Realität die Flasche stand, und markierte so ihren erfühlbaren Basispunkt. Davon ausgehend zeichnete sie die Flasche inklusive Etikett und Verschluss. Auch die beiden daneben stehenden kleinen Dosen mit unbekanntem Inhalt wurden zu Papier gebracht.

Wieder stoppte Charlotte und überprüfte das Abbild. Mit einer Stelle war sie nicht zufrieden. Die Dose zur rechten sah von der Form her nicht wie ein Osterei aus, sondern eher wie ein Tannenzapfen. Außerdem erschien sie ihr im Verhältnis zur Flasche zu dünn.

Eine solche Ungenauigkeit konnte das ganze Bild entwerten.

Charlotte legte sich wieder auf das linke Becken und versuchte mit Ächzen und Verrenkungen von Arm und Fingern, den Radiergummi aus der Hosentasche zu fischen. Nach einigen vergeblichen Versuchen klappte es schließlich.

Sie radierte die fehlerhafte Stelle aus, richtete sich wieder auf, verinnerlichte die Zeichnung und warf erneut einen Blick auf das Originalregal vor ihr. Dann setzte sie ein zweites Mal von ihrem Basispunkt aus an und zeichnete die Dose erneut.

Nach einer weiteren Minute war es vollbracht. Charlotte war zufrieden mit dem Bild.

Vom Basispunkt ging sie mit dem Zeigefinger eine Daumenbreite nach rechts und anschließend nach oben. Gleichzeitig fühlte sie mit dem abgespreizten Daumen den linken Rand des Papiers, so dass sie ungefähr in der Senkrechten blieb. Am oberen Rand angekommen, riss sie das Papier ein Stück ein.

Charlotte atmete einmal tief durch. Sie hatte keine Ahnung, wie spät es war, da sie ihre Armbanduhr nicht sehen und auch nicht abnehmen konnte. Jeden Moment konnte der Boss kommen. Und dann würde man sich auch um sie kümmern.

Rasch setzte sie ihre Initialen auf das Bild, fuhr mit den Fingern an den oberen Rand und suchte die Einkerbung. Dann riss sie das Papier nach unten durch. Mit ihren gefesselten Händen kam sie etwa bis zur Hälfte. Aber es reichte bereits.

Als der Regalboden in der Zeichnung durchgerissen wurde, geschah das Gleiche mit dem realen Regal in ihrem Gefängnis. Das Holz splitterte aus sich heraus auseinander. Zwei halbe Bretter rutschten aus den Halterungen.

Es polterte laut, als die Dosen den Beton trafen, und es klirrte, als die Flasche zu Boden fiel und in Scherben zerbrach.

Charlotte wusste nicht, ob man diesen Lärm oben im Wohnzimmer gehört hatte, aber sie bezweifelte es. Die Geräusche waren deutlich leiser gewesen als das Gegröle der Männer während des Pokerspiels vor ihrer Gefangennahme. Und mit weiter fortschreitendem Whiskey-Genuss würde dieses mit Sicherheit nicht leiser werden. Charlotte aber hörte nichts aus dem Rest des Hauses.

Mit kleinen Hopsern robbte sie zu den Scherben und griff vorsichtig eine der größeren. Sie erfühlte die scharfe Seite und setzte sie an dem Strick zwischen ihren Handgelenken an.

Nach nur wenigen Scheuerbewegungen spürte sie bereits, wie der Hanf nachgab. So kraftvoll wie möglich zog sie ihre Handgelenke auseinander, und nach nur wenigen Minuten riss das Seil. Sofort zog Charlotte den Knebel aus ihrem Mund und warf das abscheuliche Stück Stoff wütend von sich. Dann machte sie sich daran, die Fußfesseln zu lösen.

Schließlich war sie frei.

Die verschlossene Tür stellte kein Hindernis dar. Wie sie es am Tresor schon gemacht hatte, fertigte Charlotte eine Zeichnung des Schließbereiches an. Wieder riss sie das Papier ein und trennte das gezeichnete Schloss ab. Parallel dazu fiel das reale aus dem Türblatt.

Charlotte fing es auf, bevor es zu Boden knallen konnte. Sicher war sicher.

Sie drückte die Tür auf und schlich sich leise die Treppe hinauf. Aus dem Wohnzimmer hörte sie lachende Stimmen und immer wieder das Klirren von Gläsern.

Charlotte wandte sich nach rechts. An der offenstehenden Wohnzimmertür wollte sie nicht vorbeigehen. Stattdessen betrat sie den der Kellertreppe angrenzenden Raum, der mit Bett, Schreibtisch und Schrank vielleicht ein Gästezimmer für Urlauber gewesen war.

Sie öffnete das Fenster und stieg hinaus.

Gebückt schlich sie sich davon.

***

In etwa zwanzig Metern Entfernung richtete Charlotte sich auf einem kleinen Hügel hinter ein paar kümmerlichen Büschen ein, die als Sichtschutz jedoch ausreichten. Sie konnte den Haupteingang des Hofes sowie die Einfahrt zur Scheune gut sehen und würde mitbekommen, wenn die drei Ganoven ans Verschwinden dachten.

Charlotte schaute auf die Uhr. Es war Viertel nach sechs.

Ihr Blick schweifte über das Land. Felder, so weit das Auge reichte. Sie sahen bewirtschaftet aus. Der verfallene Bauernhof bildete einen deutlichen Kontrast zu seiner Umgebung.

Plötzlich vernahm Charlotte aus der Ferne ein leises Brummen.

Sie schaute nach links auf die Zufahrtsstraße, deren Belag unzählige Schlaglöcher und quer verlaufende Risse aufwies. Es dauerte ein wenig, bis sie einen Punkt ausmachen konnte, der langsam größer und lauter wurde.

Eine dunkelblaue Limousine mit getönten Seitenscheiben näherte sich in vorsichtiger Fahrt und bremste schließlich vor dem Haupteingang des Hofes. Auch die drei Gangster im Wohnzimmer mussten den Motorenlärm gehört haben, denn in diesem Augenblick traten sie auf den Vorplatz hinaus.

Aus dem Wagen stiegen zwei Männer im Anzug. Der Beifahrer trug darüberhinaus einen Staubmantel und ein rotes Dreieckstuch vor dem Gesicht, wie es in früheren Zeiten Räuber im Wilden Westen verwendet hatten.

Interessant, fand Charlotte. Der Boss verbirgt sein Gesicht vor den angeheuerten niederen Chargen.

Eine längere Begrüßung schien nicht stattzufinden, zumindest gab es kein Händeschütteln. Charlotte sah, wie Henry nickte und Joe etwas zuwarf. Der Ganove lief zur Scheune. Kurz darauf fuhr der Transporter mit den Geldsäcken, vorsichtig rückwärts setzend, hinaus und hielt nur wenige Meter vor der Limousine.

Der Motor erstarb. Joe sprang aus der Fahrerkabine und öffnete die Seitentür.

Da trat der Fahrer des Bosses zu ihm und griff sich zwei der Geldsäcke, die er zum Kofferraum des neuangekommenen Wagens trug. Drei weitere stellte er auf die Rückbank, dann schloss er Tür und Kofferraumdeckel.

Weniger als die Hälfte, dachte Charlotte anerkennend. Das ist psychologisch klug. Diejenigen, welche die Basisarbeit verrichten, erhalten mehr als der Boss, der plant.

Henry beugte sich zu Bill und gab ihm offenbar eine Anweisung. Der Mann nickte und lief zurück ins Haus.

Charlotte grinste. Er würde sie nicht mehr antreffen.

Während der Geldübergabe hatte sie wieder angefangen zu zeichnen. Zwar konnte sie aus dieser Entfernung keine kleinen Einzelheiten erkennen, aber sie sah doch genügend, um eine eindeutige Zeichnung der Szenerie anfertigen zu können. Und insbesondere sah sie, so wie die Kerle gerade zu ihr standen, den Bereich des Knotens des Dreieckstuchs.

Dann wollen wir mal, dachte sie.

Sie signierte ihr Bild und tippte sachte mit dem Zeigefinger auf den Nacken des gezeichneten Mannes.

Der Boss würde nun einen mehr oder weniger harten Schlag am Hinterkopf spüren. Und er reagierte sofort. Seine Hand schoss nach hinten und wischte über den Knoten.

Doch als Charlotte wieder und wieder auf das Bild tippte, drehte sich der Boss schließlich um, ging ein paar Schritte und knotete die rote Maske auf.

Den anderen Männern wandte er nun den Rücken zu, doch Charlotte sah sein Gesicht. Er war nur noch etwa zehn Meter von ihr entfernt. Sehen konnte er sie sicherlich nicht. Aber sie muste nun besonders leise sein, um ihre Anwesenheit nicht zu verraten.

Charlotte bedauerte es, dass sie ihre Minikamera für diesen Auftrag nicht hatte mitnehmen können. Aber deren Existenz hätte sie, falls man diese bei ihr zufällig gefunden hätte, im Gegensatz zu Stift und Papier, was niemand ernst nahm, nicht erklären können.

Doch ihre scharfen Augen sahen genug.

Schon flogen ihre Finger über ein neues Blatt. Während sie gelegentlich auf den gezeichneten Nacken des fertigen und aktivierten Bildes tippte, damit der Mann weiter seinen Untergebenen den Rücken und ihr sein entblößtes Gesicht zuwandte, zeichnete sie mit der rechten Hand. Nach nicht einmal zwei Minuten hatte sie ein erstklassiges Phantombild zu Papier gebracht.

Das sollte ihrem Auftraggeber genügen.

Nun stoppte sie die fortwährenden Irritationen des Gangsterbosses und erlaubte ihm, sich das rote Tuch wieder vor das Gesicht zu binden.

Bill, der in der Zwischenzeit wieder aus dem Haus zurückgekommen war, tuschelte noch mit Henry. Doch dieser schüttelte gerade vehement den Kopf. Er trat ein paar Schritte zum Boss hin, und nun konnte Charlotte leise die Stimmen der Männer hören. Der Wind hatte gedreht und wehte den Schall in ihre Richtung.

„Charlotte ist weg“, sagte Henry in diesem Moment.

Der Boss blieb abrupt stehen. „Verdammt!“, rief er so laut, dass Charlotte unwillkürlich zusammenzuckte.

Er winkte seinen Fahrer heran. Dieser nickte, sprang in die Limousine und brauste davon. Der Boss sprach mit Henry, nun aber so leise, dass Charlotte nichts mehr verstehen konnte. Auch Henry bestätigte die Anweisungen und bedeutete seinerseits Bill und Joe, dass auch sie drei sich sofort auf den Weg machten.

Wenige Sekunden später preschte auch der Geldwagen davon. Viel zu schnell fuhr er über die Schlaglöcher, doch der Wagen schien es auszuhalten.

Nur der Boss blieb zurück. Alleine und ohne Fahrgelegenheit.

Charlotte war ratlos. Was bedeutete das nun wieder?

Der Mann setzte sich zu Fuß in Bewegung. Er lief in schnellem Trab in die den davonfahrenden Autos entgegengesetzte Richtung. Rasch verließ er den unmittelbaren Bereich des Hofes und näherte sich den Feldern.

Charlotte überlegte fieberhaft. Sollte sie ihm folgen?

Im Grunde war ihr Auftrag erledigt.

Wobei...

Wer sagte ihr eigentlich, dass dies wirklich der Boss im Hintergrund war, der seit Monaten mit penibel orchestrierten Überfällen und Einbrüchen das Land überzog? Sie hatte nur Henrys diesbezügliche Aussage und das, was ihr Phil über die Arbeitsweise der Gang mitteilen konnte.

Der Boss erschien zur Aufteilung der Beute.

Doch ob das immer so vonstatten ging, hatte auch Phil nicht zu sagen vermocht.

Charlottes Jagdinstinkt erwachte.

Langsam schob sie sich aus ihrem Versteck. Sie konnte den Mann in der Ferne gerade noch ausmachen. Mit zügigen Schritten nahm sie die Verfolgung auf.

Sie lief einen schmalen Pfad zwischen zwei Feldern, die mit Mais bestellt waren, entlang. Fast schnurgerade zog sich der Weg vor ihr hin. An ein gefahrloses Aufschließen war somit nicht zu denken. Die Entdeckungsgefahr war viel zu hoch. Aber immerhin bedeutete die Geradlinigkeit auch, dass niemand hinter irgendwelchen Ecken auf sie lauern konnte.

Plötzlich hörte sie ein Brummen, das rasch lauter wurde.

Und da verstand sie, was hier vor sich ging. Ein Fluchtplan für den Boss, falls etwas schiefging! So, wie es ja mit ihrem Entkommen geschehen war.

Charlotte beschleunigte ihr Tempo. Das Brummen des Motors würde ihre Schritte überlagern, insbesondere für jemanden, der der Quelle des Lärms bereits näher war als sie.

Charlotte hielt sich am rechten Rand des Weges, so dass sie rasch zwischen den Pflanzen verschwinden konnte, falls eine Bewegung vor ihr anzeigte, dass der Mann sich umdrehte.

Doch nichts dergleichen geschah.

Charlotte sah, wie der Mann, dem sie bereits deutlich näher gekommen war, nach rechts abbog. Sofort setzte sie zu einem Zwischensprint an, denn auch das Brummen des Autos kam aus dieser Richtung.

Vorsichtig lugte sie um die Stelle, an welcher der Boss abgebogen war. Sie konnte gerade noch die Rückansicht des Wagens sehen. Aber das Nummernschild war gut zu erkennen. Rasch notierte sie die Buchstaben-Ziffern-Kombination auf ihrem Block.

Ein dritter Hinweis nach Telefonnummer und Phantombild auf den Gangsterboss, so er es denn wirklich war.

Dann folgte sie der asphaltierten Straße und kam wenig später in einer kleinen Häusersiedlung an.

***

Am frühen Abend betraten Charlotte und Phil die Datenzentrale der Bundespolizei. Die elektronische Rechenmaschine nahm über die Hälfte des riesigen Raumes in Beschlag. Einige Menschen in weißen Kitteln eilten geschäftig zwischen den verschiedenen Eingabeplätzen hin und her, stellten neue Kabelverbindungen her oder überprüften die Einstellungen der Kippschalter der Eingabelampen. Ein Knistern wie von unzähligen Fernsehgeräten erfüllte die Luft.

„Heh, Ken!“, rief Phil laut.

Ein hagerer, grauhaariger Mann drehte den Kopf und blickte für eine Sekunde verständnislos drein. Dann aber glitt Erkennen über sein Gesicht, und er kam näher.

„Wieder in deiner Welt der Nullen und Einsen gefangen?“, scherzte Phil und schüttelte dem Chefanalysten der Bundespolizei die Hand. „Oder hast du gerade nichts zu tun und fühlst dich dabei ertappt?“

Ken lachte. „Nichts zu tun? Seit wir die Maschine haben, um viel der lästigen und zeitraubenden Suche in irgendwelchen Karteikästen ins Elektronische abzuwälzen, tun deine Kollegen dasselbe. Sie wälzen die ganze Arbeit auf mich ab und geben mir so ungenaue Daten, dass ich ihnen auch gleich alle unsere Akten geben könnte.“

Er nickte Charlotte freundlich zu. „Hallo, Miss Bernstedt. Ich hoffe, wenigstens Sie haben etwas Präzises, mit dem wir hier arbeiten können.“

Charlotte begrüßte den Wissenschaftler ebenfalls mit Handschlag. Sie war nicht das erste Mal im Analysearchiv der obersten Polizeibehörde des Landes. Man kannte sie hier.

„Hallo, Mr Rogers. Vielleicht genügt Ihnen ja ein Phantombild? Wir würden gerne wissen, wer der Kerl ist.“

Sie reichte ihm ihre Zeichnung des möglichen Gangsterbosses.

Rogers blickte fragend zu Phil, der als Leitender Kommissar der Abteilung für Sonderermittlungen einen offiziellen Auftrag für die Recherche geben musste. Phil nickte, und so nahm der Wissenschaftler das Phantombild entgegen.

Konzentriert studierte er es und nickte nach ein paar Sekunden zufrieden. „Daraus können wir digitale Eigenschaften extrahieren und als Suchparameter verwenden. Wir haben über 100 Kriterien, nach denen unsere Verbrecherakten sortiert werden können.“

Er rief einen seiner Mitarbeiter und übergab ihm das Bild mit dem Auftrag, die Kategorisierung der Einzelmerkmale schon einmal vorzubereiten. Danach wandte er sich wieder an Charlotte.

„Ist Ihnen sonst noch etwas an dem Mann aufgefallen?“

„Er hatte sehr wenige Haare. Und im Größenvergleich zu ein paar anderen Männern, die ich näher kenne, würde ich ihn auf unter 1,90 Meter schätzen.“

Ken Rogers nickte. „Sehr schön. Das schließt einige Personen definitiv aus. - Phil, bis wann brauchst du die Ergebnisse?“

„Nun, es ist unsere einzige Spur“, umging der Kommissar eine genaue Antwort.

„Gut, dann schiebe ich euch dazwischen. Innerhalb der nächsten Stunde lasse ich euch die Akten passender Personen heraufbringen.“

Im Weggehen murmelte er noch, aber mehr zu sich selbst: „Hm... Machen wir den Cut-Off bei 90% Übereinstimmung der Kriterienanzahl? Oder ist das zu...“

Phil und Charlotte dankten und verließen die Datenzentrale. Mit dem Aufzug fuhren sie ins Erdgeschoss und gingen zu Phils Büro, das am Ende des langen Hauptganges lag.

Phil schaltete die Deckenlampen ein, denn das trübe Tageslicht erhellte das weiß gestrichene Büro nur wenig. Nach einem fragenden Blick auf Charlotte, die zustimmend nickte, schenkte er zwei Tassen Kaffee aus seiner Thermoskanne ein.

Charlotte und er setzten sich an den Schreibtisch.

„Sehr gute Arbeit“, lobte Phil erneut. „Wir hatten ja überhaupt keinen Erfolg.“

Charlotte lachte und gab drei Stück Zucker in ihren Kaffee. Klackernd rührte sie mit dem Löffel um. „In gewissen Kreisen erkennt man wohl Undercoverpolizisten an der Nasenspitze. Deshalb seid ihr so oft gescheitert. Ein Glück, dass ich nicht zu eurem Verein gehöre.“

Phil grinste ebenfalls. „Deswegen wirst du ja auch für spezielle Aufgaben eingesetzt.“

„Na“, widersprach Charlotte und nippte an der Tasse. „ich werde nicht ‚eingesetzt‘. Du kannst bei mir anfragen, ob ich einen Auftrag der Polizei übernehmen möchte. Mehr aber auch nicht. Das ist ganz klar einer der Vorteile, wenn man wie ich als Freelancer arbeitet. Ich kann jederzeit ablehnen.“

Phil hob beschwichtigend die Hände. „Du weißt, wie ich es meine.“

Er schloss die oberste Schreibtischschublade auf und holte einen weißen Briefumschlag hervor. „Dein Scheck“, sagte er und überreichte Charlotte das Kuvert.

„Irgendwann wird dir die Finanzrevision mal ein paar unangenehme Fragen stellen“, meinte Charlotte und schob den Umschlag in die Tasche ihres Blazers.

Phil zuckte mit den Achseln und winkte ab. „Nun, dafür gibt es ja schließlich diesen Sondertopf im Budget.“

Charlotte zögerte. Eigentlich war für diesen Auftrag nun alles besprochen, doch irgendwie fühlte es sich noch nicht abgeschlossen an.

Phil, der sie seit einigen Jahren kannte, in denen eine lockere Freundschaft zwischen den beiden entstanden war, merkte, dass sie etwas beschäftigte. „Was ist es?“

Charlotte biss sich auf die Unterlippe. „Ich bin mir nicht sicher. Aber das ganze Auftreten dieses Kerls mit der roten Maske fühlte sich irgendwie nicht nach dem obersten Boss einer Organisation an. Gut, er gab die Kommandos vor dem Bauernhof. Aber die Körperhaltung, das Gebaren - das war mir igendwie zu... unsouverän. Fast so, als spielte er eine Rolle.“

Phils Gesicht nahm einen nachdenklichen Ausdruck an. „Du meinst, er wurde vorgeschickt? Und der wahre Boss hat sich noch gar nicht aus der Deckung gewagt?“

Charlotte zuckte die Achseln. „Möglich. Ich würde jedenfalls gerne noch ein wenig weiter ermitteln.“ Sie sah, wie Phil die Augenbraue hob. „Keine Angst! Ohne Kosten für die Bundespolizei. Das mache ich auf eigene Rechnung.“

Bevor Phil etwas erwidern konnte, klopfte es an der Bürotür.

„Herein!“

Eine Mitarbeiterin des Innendienstes betrat das Büro. Sie hielt ein paar dünne Akten in den Händen. „Phil“, sagte sie und reichte ihm die Unterlagen, „die Ergebnisse der Datenexperten. Drei Personen entsprechen den Kriterien.“

„So schnell schon?“, wunderte sich Phil und öffnete die Akten.

Charlotte warf einen Blick darauf und zeigte sofort auf das mittlere Photo. „Der ist es“, sagte sie bestimmt.

„James Hamilton“, murmelte Phil bedächtig und überflog die Eintragungen. „Kein unbeschriebenes Blatt. Raubüberfall, kleinere Drogendelikte, Verdacht auf Erpressung.“

Er zögerte kurz. „Und dann zum Boss einer ganzen, landesweit operierenden Organisation. Das ist mal ein Sprung. Es klingt aber wirklich alles eher nach mittlerem Management. Ich glaube, Charlotte, du hast recht. Der oberste Boss ist Hamilton nicht.“

Charlotte wandte sich an die Mitarbeiterin. „Wer ist der Halter des Fahrzeugs, in das Hamilton im Feld eingestiegen ist?“

Die Frau schaute fragend zu Phil, der ihr auffordernd zunickte.

„Der Wagen gehört zum Pool eines Autoverleihers, der ausschließlich an Firmen vermietet. Ich habe Kollegen hingeschickt, die versuchen, mehr herauszufinden.“

Charlotte trank den Rest ihres Kaffees, schob ihren Stuhl zurück und stand auf. „Sagst du mir Bescheid, wenn ihr darüber Definitives wisst? Und natürlich, was ihr mit Hilfe der Telefonnummer herausfinden könnt?“

Phil nickte.

***

Sechs Tage später klingelte am fortgeschrittenen Vormittag das Telefon in Charlottes Apartment. Die junge Frau war gerade dabei, ihr tägliches Krafttraining durchzuführen. Laute, energiegeladene Musik hämmerte aus den Boxen. Kühle Luft kam von Zeit zu Zeit durch die halb geöffnete Balkontür im 8. Stock hereingeweht.

Charlotte ließ das Ruder los und sprang mit einer geschmeidigen Bewegung aus dem Trainingsgerät heraus. Sie hob den Arm des Schallplattenspielers an und arretierte diesen. Die Musik verstummte. Dann lief sie zum Telefon im Flur, das weiter hartnäckig läutete.

Noch etwas außer Atem meldete sie sich: „Ja?“

„Hi, hier spricht Eddie. Der Typ betritt gerade die Firma. Und davor sind bereits ein paar andere Anzugträger reingegangen. So sah das hier noch nie aus.“

Charlotte ballte die Faust. Endlich!

Der Mann, der wohl nicht der oberste Boss war, betrat das Gebäude der Firma, welche den Wagen gemietet hatte, mit dem er aus dem Feld nahe des Bauernhofs geflüchtet war.

An sich wäre daran nichts Auffälliges.

Doch Phils Kollegen aus der Abteilung für Finanzdelikte hatten zwei volle Tage benötigt, um das Firmengeflecht zu durchdringen, welches hinter diesem so unscheinbaren Mietwagen stand. Schlussendlich waren sie bei einer auf den ersten Blick tadellosen Im- und Exportfirma angekommen. Doch deren Inhaber - ein nur nach außen hin honoriger Geschäftsmann mit Namen Trevor Drake - stand im Verdacht, im Bereich der organisierten Kriminalität ein großes Licht zu sein.

Vermutungen gab es zuhauf, doch Phil hatte keinerlei Beweise. Und die Polizei wusste noch nicht einmal sicher, worin genau das kriminelle Geschäft bestand.

Es passte also alles. Der vorgeschobene Boss Hamilton betrat das Gebäude einer Firma, mit der er den Unterlagen nach nichts zu tun hatte, und dessen Chef ein potenzieller Obergangster war. Zwar gab es andere Firmen, die dort Räume angemietet hatten. Aber es wäre doch ein riesiger Zufall gewesen, wenn Hamilton dort jemandem einen Besuch abstattete.

„Danke!“, rief Charlotte in die Sprechmuschel und knallte den Hörer auf. Ihr Netz an Informanten hatte wieder einmal seine Nützlichkeit erwiesen.

Charlotte verzichtete auf eine Dusche und zog sofort den blauen Arbeitsoverall an, den sie für diesen Zweck bereits vorbereitet hatte. Sie griff nach den Autoschlüsseln und verließ ihre Wohnung. In der Tiefgarage angekommen, startete sie den kleinen Transporter mit der Aufschrift ‚Facility Management‘, den sie sich von einem entfernten Bekannten geliehen hatte.

Zwanzig Minuten später hatte sie sich durch den Verkehr gequält und hielt vor dem Eingang der Im- und Exportfirma. Das Gebäude machte einen tadellosen, gepflegten Eindruck. Viel Glas ließ eine Menge Licht in die Büros hinter den Fenstern.

Charlotte parkte ihren Transporter am Straßenrand, zwirbelte ihre Haare zusammen und schob sie unter die dunkle Basecap, die sie mit dem Schirm nach vorne aufsetzte. Ein wenig verbarg diese ihr Gesicht, obwohl niemand in der Firma sie kannte. Und die Gefahr, auf Henry oder die anderen beiden zu treffen, schätzte sie als vernachlässigbar ein.

Nachdem sie aus dem Laderaum eine Leiter und den blauen Werkzeugkoffer geholt hatte, betrat sie das Foyer des Gebäudes. Schnurstracks lief sie zum Tresen des Portiers.

„Hi“, sagte Charlotte kaugummikauend und bemühte sich zur Tarnung um einen leicht gelangweilten Unterton, als wollte sie überhaupt nicht hier sein. „Ich soll die Lüftung im dritten Stock kontrollieren. Hier ist die Anforderung der Hausverwaltung.“

Mit diesen Worten knallte sie ein Dokument auf den Tisch, dessen Inhalt sie sich ausgedacht hatte. Nur der Name der Verwaltung und das Logo waren echt.

Der Portier warf einen Blick auf das Papier, erkannte den Namen seines Arbeitgebers sowie einen Wust an technischen Fachbegriffen. Er machte sich nicht die Mühe, den Text vollständig durchzulesen, sondern nickte nur und vermerkte ihre Ankunft in irgendeinem Berichtsblatt, das auf seinem Schreibtisch lag.

„Hier, für den Lastenaufzug“, sagte er und hielt ihr einen großen, metallenen Schlüssel hin.

„Danke“, erwiderte Charlotte, nahm das Dargebotene und schulterte die Leiter erneut, die sie während des Wartens auf dem Boden abgestellt hatte. Dann ging sie zu den drei Aufzügen im Zentrum des Gebäudes. Sie öffnete den linken Lift, dessen Türflügel etwas breiter und höher als die der Personenaufzüge waren.

An ihrem Zielstockwerk angekommen, musste sich Charlotte nur kurz umschauen, um den Einstieg zu den Lüftungsschächten zu finden. Sie hatte die betreffenden Pläne des Bauamts ausgiebig studiert. Der Verlauf der Schächte war ihr in Fleisch und Blut übergegangen.

Ihr Plan fußte auf der Vermutung, dass, sollte Hamilton das Gebäude betreten, er mit Drake sprechen würde. Und dieses Gespräch wollte sie mithören und aufzeichnen.

Sie spekulierte weiter, dass ein Mann wie Drake nicht bei jedem einzelnen Deal ein Treffen anberaumte, sondern dass dies gebündelt geschah. Vielleicht einmal pro Woche. Und dann auch mit mehreren Unterchefs.

Und ein solcher Tag schien heute zu sein.

Charlotte stellte die Leiter unter den Einstieg des Lüftungsschachts. Sie schlüpfte aus ihrer blauen Jacke und hängte diese so über die Oberkante der Leiter, dass der Aufdruck ‚Facility Management‘ gut zu sehen war.

Rasch nahm sie die drei kleinen Tonbandgeräte und schob sie zusammen mit ein paar Werkzeugen in die großen Seitentaschen ihres Overalls. Sie stieg die Stufen der Leiter empor und schraubte die Verdeckung des Schachts an den unteren Ösen auf, so dass sie nun das Drahtgitter wie ein Garagentor nach oben in den Schacht schieben konnte.

Dann kletterte sie hinein und ließ das Gitter offen. Alles andere wäre noch auffälliger gewesen. Dieser Punkt stellte ein Risiko in ihrem Plan dar. Ein sehr misstrauischer Angestellter von Drakes Firma, der in dessen illegale Machenschaften involviert war, konnte unter Umständen auf die richtige Idee kommen.

Nun, dachte Charlotte, als ihr die Unzulänglichkeiten ihres Planes ein weiteres Mal durch den Kopf waberten, das kann ich nicht ändern.

Langsam kroch sie vorwärts. Der Schacht war nur ungefähr einen halben auf einen halben Meter im Querschnitt. Dennoch kam sie gut voran. Mit leicht angewinkelten Knien robbte sie auf dem Bauch wie ein Salamander nach vorne. Ein konstanter Luftstrom zog an ihr vorbei.

Gelegentlich polterte es etwas, wenn ihre Knochen gar zu heftig an die Seitenwand oder auf den Boden stießen, aber abgesehen davon geschah das Durchqueren der Schächte in geradezu gespenstischer Stille. Die großen Ventilatoren waren hier noch nicht zu hören.

An den Kreuzungen hielt sie kurz inne, schaute zur Sicherheit auf den kleinen Plan der Anlage und glitt dann leise einen Schachtgang entlang, der direkt an den Räumen von Drakes Firma mündete.

Vorsichtig spähte sie aus etwa einem Meter Entfernung durch das Endgitter. In dem Raum saß nur eine Frau und tippte auf einer Schreibmaschine.

Das dürfte das Vorzimmer von Drake sein, spekulierte Charlotte. Also wieder zurück und weiter.

Der Raum daneben war groß und mit edlem Holz getäfelt. Ein gepolsterter Ledersessel hinter einem wuchtigen Schreibtisch und die kleine Barecke ließen Charlotte vermuten, dass dies das Büro des Firmenchefs war.

Doch in diesem Raum befand sich niemand.

Mit einem unterdrückten Seufzen kroch Charlotte weiter. Vielleicht war sie schon zu spät, Hamilton wieder gegangen. Oder alle ihre Überlegungen schlicht falsch.

So langsam begannen ihr, die Muskeln ein wenig zu schmerzen. Diese Art der Fortbewegung war auch bei ihrem Sportpensum und Trainingszustand absolut ungewohnt.

Doch als sie in den nächsten Seitenschacht einbog, hörte sie vielstimmiges Gemurmel. Charlotte verlangsamte ihr Tempo, um nun auf gar keinen Fall irgendein Geräusch zu verursachen. War sie zuvor fast gekrabbelt, so drückte sie sich jetzt flach auf den Metallboden des Schachtes und schlängelte sich Zentimeter um Zentimeter in Richtung des Drahtgitters.

Bald konnte sie einzelne Stimmen unterscheiden und den Gesprächen folgen. Aber sie drehten sich nur um belanglose Themen: Sport, Urlaub und sonstigen Smalltalk. Niemand sprach über kriminelle Coups.

Charlottes Sichtwinkel war so flach, dass sie durch das Gitter nur eine Wand sehen konnte. Doch näher an das Ende des Schachts heranzurobben oder gar den Kopf zu heben, stufte sie als zu gefährlich ein. So beschloss sie, ein paar Minuten zu warten.

Wenn sie Pech hatte, kauerte sie nun vor dem Pausenraum, doch dafür erschien ihr die Wand, die sie sehen konnte, zu breit. Charlotte vermutete eher, dass sie gerade in ein Konferenzzimmer blickte.

Sie startete eins der Aufnahmegeräte. Bei dem Lärmpegel vor ihr würde höchstwahrscheinlich niemand das leise Klicken der beiden Schalter hören, wenn diese einrasteten. Das Tonbandgerät legte sie überaus vorsichtig auf dem Schachtboden ab.

Ein paar Minuten später erstarb das Gemurmel plötzlich. Stühle wurden gerückt. Charlottes Körper spannte sich.

„Zur wöchentlichen Sitzung“, sagte eine unpersönliche Stimme. Die Worte waren nicht sonderlich laut, aber mit deutlichem Nachdruck gesprochen. Hier sprach jemand, der es gewohnt war, Befehle zu geben.

„Industriebank, 2.910.000 Dollar.“

Charlotte biss sich auf die Lippen, um einen Pfiff zu unterdrücken.

Industriebank - das war der Coup, in den sie sich als Tresorknackerin undercover eingeschleust hatte. Sie wusste nicht, wie groß die Beute gewesen war, das hatte sie Phil ganz vergessen zu fragen. Aber nach diesen Angaben waren es weit über 6 Millionen, die sie in Jutesäcken aus dem Tresorraum geschafft hatten! Dieser Raub hatte sich ganz eindeutig gelohnt.

„Medikamente, 940.000 Dollar“, informierte eine weibliche Stimme nach einer kurzen Pause, in der nur Papierrascheln zu hören war.

Nachdem insgesamt sieben Personen Geldbeträge angegeben hatten, ohne dass irgendeiner der Anwesenden eine Reaktion darauf gezeigt hatte, ergriff wieder der erste Sprecher das Wort.

„Wir sollten uns als nächstes die Bundesdruckerei vornehmen“, sagte er und schien irgendwelche Unterlagen umzublättern. „In drei Wochen kommt das neue Papier für die Banknoten an.“

„Schon wieder ein neues Geschäftsfeld, Trevor? Wir laufen Gefahr, uns zu verzetteln“, gab die Frauenstimme, welche über Medikamente gesprochen hatte, zu bedenken.

Charlotte aber hatte genug gehört. Auf das Starten der Timer der beiden anderen Tonbandgeräte verzichtete sie. Das Risiko, dass das Einschalten gehört wurde, war nun in dieser ruhigen Besprechung zu groß. Phil würde mit der einzelnen Aufnahme, wenn das Band in einer Stunde endete, gewiss bereits genügend in der Hand haben.

Ganz langsam, nur Millimeter um Millimeter, schob sich Charlotte zurück. Sie wollte aus den Lüftungsschächten heraussein, bevor die Konferenz endete. Gefühlt dauerte es eine Ewigkeit, bis sie an der Kreuzung zum nächsten Hauptgang angekommen war. Von dort aus robbte sie etwas schneller, achtete aber dennoch darauf, so leise wie nur irgend möglich zu sein.

Schließlich kam sie schweißüberströmt am Einstiegsgitter heraus und kletterte die Leiter herunter. Hier war alles unverändert. Sie zog ihre Jacke wieder an, verstaute die Werkzeuge im Koffer und trug alles vor den Lastenaufzug.

Dann lief Charlotte die Treppe in den vierten Stock hinauf und blieb vor dem Feuermelderknopf stehen. Sie zückte Stift und Papier und fertigte eilig, aber dennoch realitätsnah, eine Zeichnung davon an.

Nach zwei Minuten war sie zufrieden, lief wieder hinunter in den dritten Stock und nahm den Lastenaufzug mit ihrem Gepäck bis ins Erdgeschoss.

„Alles in Ordnung“, rief sie dem Portier zu. „Nur ein dickes Staubknäuel, das sich an einer Kreuzung angesammelt hatte.“

Dann trat sie hinaus auf den Bürgersteig und atmete erst einmal erleichtert durch.

Nachdem sie Leiter und Werkzeug wieder im Kastenwagen verstaut hatte, fuhr sie langsam los. Sie nahm die zweite Abzweigung nach rechts, bog dann noch einmal nach links und hielt vor einer öffentlichen Telefonkabine. Es war diejenige, welche am nächsten zu Drakes Firma lag.

Charlotte wählte Phils Nummer. Doch ihr Kontakt bei der Polizei war gerade im Einsatz. So musste sie sich ein wenig gedulden und andauernd Münzen nachwerfen, bis die Telefonistin die Verbindung über den Funk von Phils Wagen hergestellt hatte.

„Phil, wie lange brauchst du zu Drakes Firma?“, fragte Charlotte und blickte auf die Uhr.

„Ich bin gerade im Norden. Etwa 25 Minuten, schätze ich. Warum?“

„Im Lüftungsschacht in einem der Konferenzzimmer liegt ein Tonbandgerät mit einer interessanten Besprechung. Das solltest du unbedingt abholen.“

„Wie soll...“, begann Phil, wurde aber unterbrochen.

„In, sagen wir, 35 Minuten wird es dort einen Feueralarm geben. Das Gebäude wird geräumt. Dann kommst du aufgrund eines anonymen Hinweises und stößt auf ein Bandgerät.“

Mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht und in der Stimme hängte sie ein, ohne auf eine Erwiderung zu warten.

Charlotte ging den Bürgersteig hinunter und setzte sich in ein nahegelegenes Straßencafé. Sie nippte am bestellten Tee und wartete.

Kurz vor der vereinbarten Zeit holte sie ein besticktes Stofftuch und die Zeichnung des Feuermelders aus ihrer Hosentasche hervor. Mit dem Stift signierte sie ihr Bild, blickte noch einmal auf die Uhr und drückte dann mit dem Daumen auf den gezeichneten Knopf des Feuermelders.

Charlotte presste das Tuch auf die Nase, welche begonnen hatte zu bluten. Leicht legte sie den Kopf in den Nacken. Es würde gleich vorbei sein.

Nun war auch für sie der angenommene Auftrag abgeschlossen. Sie hatte eindeutige Hinweise auf die Identität des Bosses im Hintergrund beschafft.

„Noch einen Tee, bitte!“, bestellte sie lächelnd.


ENDE von Fall 1
 

jon

Mitglied
Du benutzt gern Wörter, die Widersprüche behaupten, und welche, die den Fortgang einer Handlung betonen. Beides sollte in den allermeisten Fällen auch ohne diese Wörter aus dem Text erkennbar sein.

Es war kurz nach Mitternacht.

Der stark bewölkte, mondlose Himmel tauchte die Nacht in tiefe Dunkelheit, die noch weitere fünf Stunden vorherrschen würde. Nur auf dem Parkplatz auf der Rückseite des großen Gebäudes brannten einige Laternen. Der unmittelbare Bereich vor der Fassade war hell erleuchtet, doch bereits wenige Meter entfernt herrschte Schummerlicht. Und die Begrenzung des Areals lag in nächtlicher Schwärze.
  • Keinen Absatz machen – der ist weder inhaltlich noch dramaturgisch oder rhythmisch sinnvoll.
  • Nein, der Himmel tut das nicht, denn er strahlt ja keine Dunkelheit aus.

Es klackte mehrfach, als das Werkzeug die Rippen des Maschendrahtzauns durchtrennte, als bestünden sie aus dünnem Papier. Doch das Geräusch war so leise, dass nur die schwarz gekleidete Gestalt, die in der Hocke kauerte, es hörte. Die drei anderen Maskierten, die einen Schritt zurück unter den Bäumen ausharrten, vernahmen bereits nichts mehr.
  • Maschendrahtzaun hat keine Rippen.
  • Der Vergleich mit dünnem Papier beißt sich mit dem Klacken.
  • Das ist doppelt gemoppelt. Warum nicht einfach „hockte“?

Aber jemand, der viel weiter weg war, hatte ein besseres Gehör.

Mit lautem Bellen und riesigen Sprüngen seiner muskulösen Beine jagte der schlanke Wachhund in Richtung des verdächtigen Lärms.
  • Das würde ich in einen Absatz schreiben. Die vielen Umbrüche lassen den Text sowieso schon recht atemlos klingen.
  • Ich gehöre nicht zur Adjektiv-dissenden Fraktion, aber über-beschreibende Texte empfinde ich schnell als etwas kitschig und/oder als zu gewollt. Hier ist doch nur von Belang, dass der Hund angerannt kommt.

… ich mache gleich weiter …
 

jon

Mitglied
(GOTTVERDAMMTER MIST! ALLES WEG! ICH MUSS DAS NOCHMAL MACHEN) Also:


Der Hund stürmte hechelnd heran, bellte noch einmal und biss dann zu. Fest und unbarmherzig schlossen sich die kräftigen Kiefer um den Arm. Doch alles, was die Zähne trafen, war ein dicker, verstärkter und genau für diesen Zweck konstruierter Handschuh, der bis weit über den Ellenbogen des Maskierten reichte.
  • Das doch hab ich wegen der Häufig markiert. Das hier ist ausnahmsweise mal eine Stelle, wo ich es stehen lassen würde.

Der Hund zog und zerrte wie wild, knurrte böse und stemmte die Hinterläufe in den Boden. Speichel rann ihm aus dem Maul. Doch nur wenige Augenblicke später traf ihn die Nadel einer Spritze, welche eine zweite Gestalt ihm in den Leib rammte. Blitzschnell wurde das Schlafmittel injiziert.
  • Dieses doch ist sinnfrei, es behauptet einen Widerspruch, den es gar nicht gibt

Der Hund jaulte auf, ließ aber seinen Fang nicht los. Doch er erlahmte zusehends. Fiepend brach er schließlich bewusstlos zusammen.
  • Das aber ist okay, wirkt aber auch fast wie eine Häufung (zusammen mit den dochs).
  • Der Fang beim Hund ist der Teil von Augen bis Nasenspitze. Besser das Wort Beute verwenden.


In der Stille der Nacht drang der Ruf weit. Doch in der verlassenen Gegend am Rand des Industriegebiets hielt sich zu dieser Stunde in einer Nacht auf Sonntag niemand auf.
Die vier Maskierten wussten, dass der Wachmann noch auf der Vorderseite des Gebäudes war und er daher nicht ausmachen konnte, was genau am Zaun geschah. Aber die Geräusche, die seine Schuhe auf dem Beton verursachten, waren bereits zu hören.

Rasch bogen zwei der Gestalten den aufgeschnittenen Zaun nach oben, um dem vierten den Durchschlupf zu ermöglichen. Dieser Maskierte versteckte sich hinter einem Gebüsch am Rand des Parkplatzes. Die drei anderen machten dagegen keine Anstalten, das Areal ebenfalls zu betreten.
  • Auch ebenfalls ist hier ein Füllwort.
Das Ganze hatte noch nicht einmal eine halbe Minute gedauert. Der Einbruch lief nach einem genauen Zeitplan ab, denn erst jetzt kam der einzige Sicherheitsmann, der die Bank in dieser Nacht bewachte, herangestürmt. Wieder rief er: „Pluto! Fass!“
  • Füllwort noch streichen!
  • Das denn ist falsch: Der Bruch läuft nach einem Plan ab, der Grund dafür besteht aber nicht in dem Fakt, dass jetzt der Wachmann kommt. Du meinst: Der Bruch läuft nach Plan, denn der Wachmann erscheint genau in dem Moment, in dem sie mit ihm rechnen.
Doch die Einbrecher wussten, dass er den Hund aus dieser Entfernung immer noch nicht sehen konnte. Im Laufen ruckte der Kopf des Wachmanns hin und her, als er die Gegend scannte. Doch erst, als er sich seinem Hund bis auf ein paar Meter genähert hatte, verlangsamte er das Tempo.
Das Rucken wären dem Scannen extrem abträglich. Mit Rucken würde er kurz das sehen, was links ist, dann kurz das, was rechts ist und – weil es schnell aus dem Augen ist – fast nicht, was in der Mitte ist.


Nun erst schlüpften die anderen drei Einbrecher durch den Zaun. Einer zog den Niedergeschlagenen hinter das Gebüsch und fesselte ihn mit Seilen an Händen und Füßen. Dann wurde ihm ein Schlafmittel in den Oberarm gespritzt.

Ein weiterer Maskierter löste unterdessen den Schlüsselbund vom Gürtel des Sicherheitsmannes. Danach huschten die vier Schwarzgekleideten mit zwei Taschen, welche die für ihre Zwecke benötigten Werkzeuge enthielten, gebückt zum Hintereingang.
  • Das gehört inhaltlich zusammen – keinen Absatz machen.

Für einen kurzen Moment waren sie in das grelle Licht der Laternen getaucht. Doch niemand war zugegen, der sie beim Betreten der Bank sehen konnte.

Die starke Trennung durch diese drei Sternchen ist nicht nachvollziehbar.

(So, ich speichere hier mal, nicht dass wieder alles ins Nirwana verschwindet. Also bis gleich.)
 

jon

Mitglied
Vor dem Tresor im Keller blieben die vier stehen. Weiter behielten sie ihre schwarzen Gesichtsmasken auf, die nur Augen, Nase und Mund freiließen.
  • … die roten nehmen sie aber ab. ;)
  • Sehr verquer formuliert, das weiter ist überflüssig. Sie behielten die Masken auf.
  • Eigentlichist der ganze letzte Satz überflüssig. Du hast nicht erzählt, dass sie die Masken abnahmen, also tragen sie sie noch.

„Deine Arbeit, Charlotte“, sagte die dumpfe Stimme des Mannes, welcher den Hundebiss auf sich gezogen hatte. Er wies nach vorne.
  • Nein, der Mann sagt das, nicht seine Stimme.
  • Wo ist vorn?

„Wirklich, Henry?“, spottete die Angesprochene mit ätzendem Ton zurück. „Ich dachte, ich sei nur hier, um hübsch auszusehen.“
  • Man kann nicht zurückspotten, vor allem nicht, wenn nicht vorher schon jemand gespottet hat.
  • Die Löschung von zurück behebt auch die Wortdopplung.

Henry knurrte eine unverständliche Antwort.

Charlotte trat einen Schritt zurück und betrachtete die riesige Tresortür mit ihren zwei Metern Breite und sogar über zwei Metern Höhe genau. Nach ein paar Sekunden zog sie einen kleinen Zeichenblock und einen Bleistift aus der Gesäßtasche hervor.
  • Die haben alles sekundengenau geplant, wissen aber von der Tresortür nur die ungefähre Höhe?
  • Wieso zögert Charlotte so lange??

Mit routiniert wirkenden Bewegungen zeichnete sie ein Abbild der Tür. Drehrad und Schloss wurden genauso detailliert zu Papier gebracht wie die Umrandung des Türblatts. Sogar der Spalt zur Wand wurde vermerkt. Langsam ging Charlotte hin und her, radierte gelegentlich etwas aus, wenn sie mit der Zeichnung nicht zufrieden war, und näherte sich immer wieder dem Tresor für ein paar Augenblicke, um eine Einzelheit besonders intensiv zu studieren.
  • Auf wen wirken die Bewegungen routiniert?
  • Das heißt nur, dass alles gleich genau oder ungenau gezeichtnet wird, nicht, dass alles sehr genau gezeichnet wird.
  • Der ganze Satz ist schlecht, er sollte ins Aktiv gesetzt werden: Charlotte brachte es zu Papier.
  • Aber von all dem abgesehen: Was zum …?!? Und wieso nehmen die Kerle es hin, dass sie derart viel Zeit vergeudet??

„Was soll dieser Blödsinn?“, zischte einer der Einbrecher. „Sprengstoff dran und ab dafür!“
  • Das ist zu spät, Charlotte hat schon etliche Minuten mit diesem Quatsch verbracht.

Charlotte stoppte mit dem Zeichnen und trat bis auf einen halben Meter an die Gestalt heran. Wut blitzte in ihren blaugrünen Augen, was im Licht des Tresorraums gut zu sehen war.
  • Das ist pures Klischee. In den Augen blitzt gar nichts. Die Redewendung bezieht sich auf die Situation, dass man das Gesicht oder wenigstens die ganze Augenpartie erkennen kann. Dann kann man aus den Mikrobewegungen der Mimik nämlich Wut ablesen. Aus den Augen selbst geht da nicht – egal, wie gut die Beleuchtung ist.
 

marcm200

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Erstmal vielen Dank für dein ausführliches Feedback und die Mühe, die du dir damit gemacht hast. Danke auch dafür, dass du auf viele Dinge im Detail eingehst. So kann ich Sätze überarbeiten.

zu den Absätzen: Ich mag keine Textwüsten. Absätze erleichtern mir das Lesen, von daher mache ich eher mehr als weniger. Aber ich werde in Zukunft bewusster darauf achten, ob ich nicht den ein oder anderen vermeiden kann. Danke für den Hinweis.

zu den Adjektiven: Da bin ich anderer Meinung. Bei reiner Information wie "Der Hund kam angerannt. Er biss zu. Der Mann schrie." entsteht in meinem Kopf kein Bild der Szene. Aber auch hier werde ich versuchen, mal bewusst das ein oder andere wegzulassen.


"Wut blitzte in den Augen" gefällt mir aber als Satz :) Es muss in Unterhaltungsgeschichten für mich nicht alles computerlogisch sein.
 

jon

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"Wut blitzte in den Augen" gefällt mir aber als Satz :) Es muss in Unterhaltungsgeschichten für mich nicht alles computerlogisch sein.
Kein Problem, man muss ja nicht päpstlicher sein als der Papst. Es ist nur wichtig, dass man sich dessen bewusst ist und solche Sachen nicht überhand nehmen.

Was die Über-Bestimmung angeht: Das ist kein echtes Problem dieses Textes, ich bin nur drüber gestolpert, weil es aus dem ansonsten angenehm unprätentiösen Stil etwas herausragt. Welche Bilder/Sequenzen man besonders ausschmückt, hängt von deren Bedeutung ab.
Bei dem Bild mit dem Hund ist es eigentlich egal, wie das konkret aussieht. Bei einen Wachhund geht man davon aus, dass der Hund eine gewisse Größe und Fitness hat. (Erzählenswert wäre es, wenn da ein Chiwawa angeflitzt käme.) Wobei die Verbrecher das in der Dunkelheit ja sowieso nicht sehen und auch im gezeigten Film ist es eigentlich zu dunkel, das wahrzunehmen – hier bricht also die Perspektive etwas.
 

jon

Mitglied
Nachtrag zu den Absätzen: Lesen ist wie Kino im Kopf und in dieser Analogie wirkt jeder Absatz wie ein (potentieller) Schnitt.

Natürlich sind – eben wegen der Lesbarkeit und weil Text nicht komplett wie Film konsumiert werden kann – im Text mehr Absätze als im Film Schnitte. So kann man im Film z. B. einen Dialog durchgehend mit einer Kameraeinstellung drehen, im Text sollte man schon jedesmal umschwenken. Trotzdem entsteht beim Lesen bei jedem Absatz diese kleine Umschwenk-Lücke im Kopfkinofilm, passiert dieses Um-Fokussieren. Vielleicht kannst das hören, wenn du dir mal eine dieser Passagen mit und ohne Absatz vorliest.
 

jon

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Hallo marcm200!

Ehe ich Zeit in etwas investiere, was du dann gar nicht nutzt(*), frag ich mal: Soll ich bei Gelegenheit "Charlottes Blick 1" weiter durchkämmen? Mir gefällt der Text nämlich, ich finde ihn wert, perfektioniert zu werden. (Wobei man ja Fanfiction sowieso ehe nur zum Vergnügen schreibt, weil sie in der Regel nicht verkauft werden darf.)
(* Wie bei jedem Lektorat gilt zwar, dass das keine Vorschriften sind, nur Hinweise zu dem, was mir bei Lesen auffällt, trotzdem fühlt sich mancher bevormundet oder zumindest genervt.)

Liebe Grüße
von jon
 

jon

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Du hast es so gewollt …

Die

Charlotte aber wandte sich wieder dem Tresor zu. Nach einem prüfenden Blick auf die Zeichnung trat sie zum Kombinationsschloss. An den Spitzen eines imaginären Dreiecks machte sie kurze Kreidestriche auf das Metall der Tür. Ein Teil der weißen Substanz fiel sofort zu Boden, aber es blieb genügend haften, um die ausgewählten Punkte für eine gewisse Zeit kenntlich zu machen.
Aus einer der mitgebrachten Taschen nahm Charlotte einen Diamantbohrer, den sie an die ebenfalls hereingeschleppte, kleine Pressluftflasche anschloss. Testweise ließ sie das Gerät aufheulen. Rasend schnell drehte sich der Bohrkopf.
  • Pressluft als Antriebsmedium? Ich bezweifle, dass so genug Power entwickelt wird. Der Widerstand des Stahles dürfte zu hoch sein. Aber hey, es ist Fantasy! Klingt an dieser Stelle nach Steampunk.
  • Warum sollte die Maschine aufheulen, wenn da gar kein Elektro- oder Benzinmotor drin ist?

Charlotte setzte die Spitze an einen der Dreieckspunkte an und begann, das Metall der Tür leicht anzukratzen. Nach zwei Minuten hatte sie einen winzigen Teil der Türdicke abgehobelt.
  • Zum Hobeln braucht man einen Hobel.

Nach einer Viertelstunde öffnete sie wieder ihre Tasche und nahm drei faustgroße Päckchen heraus. Mit Klebestreifen befestigte sie den Plastiksprengstoff auf den drei angebohrten Punkten und steckte die Zündkabel in die weiche, graue Masse.

Rückwärtsgehend rollte sie die Kabel ein paar Meter aus, bis sie außerhalb des Tresorraumes war. Die drei Männer folgten ihr. Einer schloss die Tür so weit, bis nur noch ein schmaler Spalt offenblieb.

Charlotte nickte ihren Komplizen zu, die sich, wie sie selbst auch, schallabsorbierende Kopfhörer aufsetzten.
  • Das würde ich in einen Absatz machen. So könnte man den rhythmischen Kontrast zu den beiden „Explosions-Sätze" erhöhen. Dieses Spiel mit der Rhythmik des Textes kannst du noch perfektionieren, du hast - denke ich - das Zeug dazu.

Die Explosion knallte laut.

Charlotte grinste unter ihrer Haube. Es war alles nur Show. Mit Diamantbohrer oder Plastiksprengstoff in dieser Menge war dem Tresor nicht beizukommen.
  • Knallen ist faktisch sicher richtig, klingt mir aber zu matt für eine Explosion.
  • Haube? Maske, oder?

Diese Trennung ist echt falsch - die Handlung geht nicht nur im Plot weiter, auch der Text nach der Trennung klingt nicht wie der Anfang eines neuen Abschnittes.

Während die Männer, den Rücken zur Tür des Raumes gedreht, mit geschlossenen Augen auf das Verklingen der Explosion warteten, signierte Charlotte die Zeichnung, die sie vom Tresor angefertigt hatte. Sofort danach riss sie das Papier ein. Waagerecht vom linken Rand bis knapp hinter das gezeichnete Kombinationsschloss, dann ein Stück nach unten und wieder nach links zurück. Ein daumengroßer Papierfetzen fiel zu Boden.
Ein Knall verklingt nicht. Das ist nur ein „Rums!“
 

marcm200

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Erstmal danke fürs Weiteranalysieren!

- "Die Explosion knallt" - es sollte eine kleine Explosion sein, da ja alles nur vorgetäuscht war. Unbewusst bin ich beim Schreiben dann wohl auf "knallen" gekommen. Aber eine Formulierung wie "Die Explosion war ungewöhnlich leise. Es knallte eher als..." hätte den Leser wohl besser und schon früher darauf gestoßen, dass hier etwas nicht so ist, wie es scheint.

- zum Trenner zwischen "Es war alles nur Show" und "Während die Männer": Handlungstechnisch geht es nahtlos weiter, das stimmt, aber ich finde diesen Punkt einschneidend in der Darstellung von Charlottes unterliegender Motivation, die eine andere als die offenkundige Teilnahme an einem Bankraub ist. Es ist für mich so eine Art Cliffhanger - "Warum macht sie diese Show?" - deshalb habe ich mich hier bewusst für den Trenner entschieden, um dem Satz über die Show mehr Gewicht zu verleihen.

- Absatzlängen als Stilmittel: Interessanter Punkt, erinnert mich an das Verkürzen von Sätzen, wenn es actionreich wird. Das werde ich im Hinterkopf behalten.
 

jon

Mitglied
Während die Männer, den Rücken zur Tür des Raumes gedreht, mit geschlossenen Augen auf das Verklingen der Explosion warteten, signierte Charlotte die Zeichnung, die sie vom Tresor angefertigt hatte. Sofort danach riss sie das Papier ein. Waagerecht vom linken Rand bis knapp hinter das gezeichnete Kombinationsschloss, dann ein Stück nach unten und wieder nach links zurück. Ein daumengroßer Papierfetzen fiel zu Boden.

Etwas im Tresorraum polterte laut.
  • Die Rhythmik durch den einzelnen Satz gefällt mir.

Anschließend radierte Charlotte ihre Initialen wieder aus, achtete aber darauf, auf dem Papier keine andere Stelle, an der sie etwas gezeichnet hatte, mit dem Gummi zu berühren. Dann erst faltete sie das wieder unsignierte Blatt zusammen und steckte es in die Tasche ihrer Jacke.
  • Das „Dann erst“ irritiert mich. Es wäre nämlich seltsam, wenn sie das Papier während des Radierens eingesteckt hätte.

Unterdessen war der Donner der Explosion verhallt. Charlotte zog die Tür zur Tresorkammer wieder auf. Der Geldschrank war nach wie vor verschlossen, aber an der Stelle, an welcher das Rad des Kombinationsschlosses angebracht gewesen war, klaffte ein riesiges, entfernt rechteckiges Loch, das bis zur Wand reichte.

Das Schloss als solches lag vor dem Tresor. An den Rändern gezackt, sah es aus, als hätte es jemand aus dem Türblatt herausgesägt.
  • Das würde ich in einem Absatz schreiben, weil es im Kopf-Kino-Film auch nur ein Bild wäre.
  • Es ist sicher nur das Schloss, sondern auch der Bereich rund um das Schloss.
  • Wenn man etwas aussägt, sind die Kanten eben nicht gezackt. Wenn etwas durch eine Explosion herausgetrennt wird, können Zacken entstehen.

„Bill, Joe, los!“, befahl Henry. Die beiden Angesprochenen holten zwei armlange Eisenstangen aus dem Gepäck und steckten diese in das Loch in der Tresorwand. Unter Ächzen und Stöhnen hebelten sie die massive, immens schwere Tür schließlich auf.
  • Schlechter Tresor! Ein herausgetrenntes Schloss sollte nicht automatisch alle(*) Verriegelungen lösen. * Bei einem so wichtigen Tresor gibt es nicht nur diese eine „Nase“, die an einer Stelle die Tür geschlossen hält, sondern mehrere Riegel.

Im Innern des Schrankes lagen auf mehreren Ebenen zig Tausende Geldscheinbündel.
  • Mal merken! Beispiel Verinnerlichen: ein 100-Euro-Schein wiegt 1,02 Gramm. Gebündelt wird a 100 Scheine: 102 Gramm. Mal Tausend: 102.000 g = 102 kg.

Gier blitzte in den Augen der drei Männer, nur Charlotte blieb ruhig. Die vier schoben die Geldbündel nach und nach in Jutesäcke, bis diese randvoll gefüllt waren, und knoteten sie mit einem Seil zu.

Schweigend wurde so der Tresor geleert, bis schlussendlich zwölf Geldsäcke am Rand einer der Wände des Raumes standen.
  • Nur 12 Säcke? Bei zig Tausenden Bündeln? Na gut, es sind halt große Säcke.

Henry blickte auf die Uhr. „Wir haben vier Minuten Puffer aufgebaut. Sehr gut, Leute. Dann lasst uns nun abhauen.“

Wie Seemänner ihr Gepäck schulterte jeder einen der voluminösen Säcke. Nacheinander stiegen sie mit großen Schritten die Treppe nach oben und liefen durch den kurzen Flur auf den Hinterhof hinaus.
  • Siehe oben: Es sind „zig Tausende Bündel“, also auf jeden Fall deutlich mehr als 102 kg. Zwanzig mal Tausend wäre die geringste Möglichkeit = 2040 kg. Macht pro Sack 170 kg. Das schultert man nicht einfach mal so.

Das Licht der Laternen ignorierten sie. Nun kam es auf Schnelligkeit an. Die vier rannten über den Parkplatz bis zur Westseite, etwa sechzig Meter von der Stelle entfernt, an welcher sie die Wachmannschaft überwältigt hatten.
  • Die rennen damit sogar!

Seine Komplizen brachten die nächsten drei Säcke, die sie noch im Laufen abwarfen, um sofort wieder zurückzurennen.
  • … und zwar mehrfach. Respekt!
    Ich wünschte, ich könnte eine einfache Lösung vorschlagen, aber bei deutlich weniger Bündeln wird es unspektakulär, bei mehr Säcken logistisch unglaubhaft. (Die Rechnung ist mit anderen Scheinen nur wenig anders. Quelle: https://www.blitzrechner.de/wie-schwer-ist-geld/.) Man könnte statt der Bündelzahl irgendwas wie „zig Millionen“ sagen. Dann wird es vielleicht nicht so offensichtlich.


Vorschriftsmäßig schaltete er die Lichter ein. Die Fahrt ging aus der Stadt hinaus. Das Verkehrsaufkommen war äußerst gering. Joe hielt sich an sämtliche Geschwindigkeitslimits und stoppte an roten Ampeln, auch wenn weit und breit niemand zu sehen war. Der schwarze Transporter mit dem Logo einer Telekommunikationsfirma verhielt sich völlig unverdächtig.
  • Huch! Ich dachte, die wären schon außerhalb der Stadt, so einsam wie die Bank liegt.
  • Autos verhalten sich streng genommen gar nicht (jedenfalls nicht in dem Sinne wie hier gemeint), aber das ist wirklich Krümelkram.

Charlotte hatte sich im Laderaum in eine Ecke gesetzt und den Rücken an die Außenwand gelehnt. Sie zog ihre Maske vom Kopf und fuhr sich einmal durch die verschwitzten, schwarzen Haare.

Bill, der ihr gegenüber saß, starrte sie mit verkniffenem Ausdruck im Gesicht an. Wieder blitzte Wut in seinen Augen, doch Charlotte grinste nur abfällig.
  • Das würde ich in einem Absatz zusammenfassen.


Diese Sterne empfinde ich als störend.

Nach etwa einer halben Stunde stoppte der Transporter plötzlich in einem Geschäftsviertel der Stadt, in dem Ruhe herrschte. Henry sprang aus der Fahrerkabine und betrat die hellerleuchtete Telefonzelle am Straßenrand.
  • Warum „plötzlich", was willst du damit sagen? Dass er abrupt bremst? Dass irgendwer – wer? – vermutet hat, die Fahrt würde noch weitergehen, und jetzt über das Halten erstaunt ist?
    Kurz: Das ist hier wohl nur ein Füllwort.
  • Der Nachtrag klingt komisch, als würde es solche und andere Geschäftsviertel geben. Vielleicht „jetzt nächtliche Ruhe"? Oder ganz weglassen - wir wissen ja, dass es Nacht ist, und da sind Geschäftsviertel meist wie ausgestorben. Was anderes ist es in Vergnügungsvierteln.
 

marcm200

Mitglied
@jon:
Super, deine genauen Analysen! Danke dafür.

Was das Gewicht von Geldscheinen angeht: Ich muss gestehen, dies vorab nicht überprüft zu haben. Die Werte im Text sind frei erfunden.

Die Ganoven haben ja weit über 6 Millionen Dollar geraubt, sagen wir 7 Mio.
Die benötigten 70.000 100-Dollarscheine wiegen rund 70 kg (Google-Antwort: 100 Dollar wiegen 1 g). Das wären aber nur 700 Bündel a 100 Scheine, also nix mit meinen beschriebenen "zig Tausend". Da muss die Bank kleinere Bündel und feinere Stückelung gelagert haben. Aber ich denke, gewichtsmäßig ist es dann noch zu schaffen.

Was die Bauform von Tresoren angeht: Ja, es gibt sicherlich mehrere Sicherungen. Aber: die Geschichte soll keine Anleitung für einen Einbruch sein, und den genauen Aufbau empfand ich als nicht so wichtig und ließ hier "5 gerade sein". Es wird in Zukunft aber andere Dinge geben, die ich exakter beschreibe - vielleicht dann zu exakt.

zum "Dann erst faltete sie". Der Leser soll sich an dieser Stelle fragen, warum sie das Papier nicht einfach faltet, sondern zuvor etwas ausradiert.

Die Absätze und die "***"-Trenner habe ich hoffentlich im 2ten Teil besser gestaltet.

Ich stimme dir zu, statt "plötzlich" beim Stoppen des Wagens vor der Telefonzolle hätte ich besser "unerwartet für Charlotte" nehmen sollen.
 

jon

Mitglied
Das mit dem Nachrechnen - oder eben nicht - passiert oft. Mir ist es nur aufgefallen, weil mein Hirn das "in Bücher umgerechnet" hat und dachte: Du erinnerst dich, wie schwer eine Klappkiste mit einer Schicht Bücher ist? Man benutzt manchmal solche Angaben, die anschaulich sein sollen, und verschätzt sich, was das tatsächlich heißt.
 



 
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