Da flattert was

5,00 Stern(e) 2 Bewertungen

Rachel

Mitglied
Da flattert was

Ein junger Mäusebussard, kaum größer als eine stattliche Taube beim Züchter, hat Beute gemacht. Ungefähr acht Meter entfernt, kneife ich die Augen angestrengt zusammen. Das ist keine Maus.

Sein scharfer Schnabel reißt hauchzarte Flaumfedern vom Bauch eines anderen Jungvogels, vielleicht eine Meise oder eine kleine Drossel. Eine kräftige Kopfbewegung ist das, mit Zug und Schwung nach oben. Seine Beute hält er perfekt unter sich, trainierte Gene, die Flügel gehen gelegentlich halb auf und balancieren ihn geschickt und wippen ihn kosmisch leicht auf und ab, kein Lametta zwischen Himmel und Hölle.

Der lässt sich nicht stören, nicht von einer Flügellosen. Er sieht mich kurz und berechnend, starr und gezielt an, erdbraune Iris, hat alles unter sich exakt im Griff. Er drückt den Rücken seiner Beute in den groben Schotter. Und weiter geht es, keine Pause, alle fünf Sekunden Zubiss und kraftvolles Reißen. Es wundert mich, wie nah ich herankommen darf; noch freue ich mich darüber. Das ist Natur. Das ist sein Frühstück.

Plötzlich wird mir klar, der kleine Vogel lebt noch, er fiept. Noch kaum hörbar, denn über uns ist das eigentliche Theater, die wirklich laute, helle Aufregung bei seinen Artgenossen, die alle zusammen protestieren. Vielleicht seine Geschwister, ein Nest ist nicht sichtbar. Ich spüre einen Chor, einen kreischenden Baum, eine beeindruckend große Schar durcheinander geworfener Vogelstimmen. Nicht nur im Blätterwerk, scheint mir, überall steigert sich die Panik kleinster Lebewesen. Ich sehe rasende Ameisen, ein Witz, und meine Wut, die Sache zu meiner Sache zu machen, alles irgendwie abzubrechen wird emotional überbordend, was mich nun endgültig abstößt. Stress haut zu.

Noch eine schwebende Flaumfeder vom Bauch, noch ein Biss mit Schwung aufwärts ... und dann ... fängt er ruckartig würgend zu schlucken an. Die Bauchdecke ist also offen und mir wird schmerzhaft klar, das Vögelchen schreit nun qualvoller und kräftiger und zwar am lautesten. Brüllt wie ein junger Affenkopf, dessen festgeschraubte Chance im ewigen Labor gleich Null ist. Ein Höllenschlund ist offen und ich schreie nun auch so laut ich kann und dann noch lauter: "Dann mach`s doch alle! Dann mach`s doch endlich alle, du dreckiges Schwein!" Schwein?

Er hört und sieht mich, wenn es hochkommt, zwei Sekunden an und macht unbeeindruckt weiter. Wenn ich ihn wegjage, muss ich den Piepmatz killen. Allmächtiger, schreit der Kleine! Sieht er hoch? Aufs Loch, auf den Bürzel seiner Fressmaschine? Oder sieht er sein Nest? Hat er noch Hoffnung? Das müssen unglaubliche Schmerzen sein. Ich reibe meinen Bauch und sehe mich sinnlos um. Der Kleine macht mittlerweile irre Töne, die ich so einem Winzling niemals zugeordnet hätte. Er wird also nicht ohnmächtig? Noch einen Schritt näher … und der Bussard zielt Augen wie Wurfscheiben auf mich ab. Sein widerliches Selbstbewusstsein kennt kein Ende gegen sich.

Schluss jetzt! Ich klatsche in die Hände und der Mäusebussard fliegt aus dem Stand - natürlich mit Beute - mühelos hoch und zack und dreht bodennah ab. Was hab ich gedacht? Dass er sich entschuldigt? Nach kaum zehn Flugmetern landet er. Gottchen, das war kaum eine Unterbrechung für ihn. Aber immerhin - kein Geschrei mehr unter ihm. Auch im Blätterdach ... Stille mit Gänsehaut. Der Kopf des Jungvogels schlug auf einen Holzscheit, den Waldarbeiter als Totholz liegen lassen, sage ich mir. Ich möchte mich beruhigen. Scheiß Natur. Denn eins ist klar: Der Bussard fraß seine Beute, als sie noch lebte.
 

Matula

Mitglied
Schwer zu ertragen, aber gut erzählt. Ich weiß schon, warum ich in der Stadt lebe. Viel zu schwache Nerven für solche Erlebnisse.

Schöne Grüße aus Wien,
Matula
 

Rachel

Mitglied
Das glaube ich dir, liebe Matula. Ich wollte anfangs einfach zurück, einfach abdrehen, aber der Umweg war mir zu groß. Quer durch den Wald wollte ich auch nicht - Zecken überall. Eine mutige Stimme in mir sagte, du siehst dir das jetzt an. Bin danach tagelang nicht in den Wald.

Schönen Dank fürs Reinlesen und Besternen. Herzliche Grüße, Rachel
 

Bo-ehd

Mitglied
Oh, oh, liebe Rachel, was hast du da beobachtet! Ich will ja nicht sagen, dass du das alles frei erfunden hast, du hast nur sehr vieles, was du schilderst, falsch interpretiert. Das Ganze schmeckt allzu sehr nach Bambi aus der Disney-Welt.
Nie lässt dich ein gesunder Bussard so nah an sich. Seine Fänge sind nicht nur dazu da, sich auf Bäumen festzuhalten. Sie haben auch die Funktion, die Beute durch einen Stich ins Herz zu töten. Geschlagene Jungvögel machen nicht die Geräusche, die du so pathetisch beschreibst. Und das folgende Bild: Brüllt wie ein junger Affenkopf, dessen festgeschraubte Chance im ewig, das geht überhaupt nicht.
Ich könnte jetzt noch endlos weiterkritisieren, was ich mir schenke. Hättest du das Ganze nicht als erlebte Naturbeobachtung angeboten, hätte der Text hier und dort seine Reize gehabt.
Gruß Bo-ehd
 

Rachel

Mitglied
Hallo Bo-ehd, wenn ich aus meinem Erleben eine Kurzgeschichte mache, bin ich nicht mehr in der empirischen Welt, sondern selbst die Welt, die fiktionalisierte, ein überaffektiertes Stück Wahnsinn aus rasenden Ameisen. Dennoch war ich so nah dran, ist es geschehen, gehört und gesehen wie geschildert. Danke fürs Lesen. LG
 



 
Oben Unten